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3 U 173/88 - Oberlandesgericht (Rheinschiffahrtsobergericht)
Decision Date: 19.10.1990
File Reference: 3 U 173/88
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Oberlandesgericht Köln
Department: Rheinschiffahrtsobergericht

Leitsatz:

Bei Ausfall einer Autopilotanlage muß ein sorgfältiger Steuermann unverzüglich das Notruder betätigen.

Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts) Köln

vom 19. Oktober 1990

 3 U 173/88 

(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar)

Zum Tatbestand:


Die Klägerin ist Versicherer des MS „A" (1175t; 930 PS). Der Beklagte ist Eigner, zumindest Ausrüster des MTS „G" (1342 t; 800 PS).
Die Parteien streiten um die Folgen einer Begegnungskollision, die sich am 30.1. 1986 gegen 16.20 Uhr auf dem Rhein bei km 548 linksrheinisch zwischen beiden Schiffen ereignet hat. MS „A" fuhr linksrheinisch mit 15-20 km aus den grünen Tonnen zu Berg. Zu Tal kam rechtsrheinisch MTS „G" entgegen: auf diesem Schiff war die Autopilotanlage eingeschaltet. Die Kurse waren zunächst ohne Besonderheiten und hätten zu einer Begegnung mit einem Abstand von 40- 50 m geführt. Auf 100-150 m Abstand hatte MTS „G" hart Backbordkurs genommen. Hierdurch kam es zur Kollision. Der Beklagte hat vorgetragen, die Steuerung sei infolge eines unabwendbaren Ereignisses ausgefallen. Die Anlage sei neuwertig und in Ordnung gewesen. Angesichts der Begegnungsgeschwindigkeit von 33-35 km/h habe der Steuermann selbst durch Umschalten der Steuerung auf Handbetrieb die Kollision nicht vermeiden können, weil der Abstand zu gering gewesen sei. Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

"...... im angefochtenen Urteil wird das unfallursächliche Fehlverhalten der Schiffsführung von MTS „G" zutreffend darin gesehen, daß sie nach dem Ausfall der Ruderanlage nicht rechtzeitig die richtigen  Maßnahmen ergriffen hat, um das Fahrzeug wieder in die Gewalt zu bekommen und an dem Bergfahrer vorbeizusteuern.
Wie sich aus dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen ergibt, sind allein vier (bis fünf) Sekunden für eine Reaktion das Ruderversagen verloren gegangen, weil die vorhandene Warnanlage nicht eingeschaltet war: Während der Steuermann nach eigenem Bekunden den Ruderversager erst bemerkt hat, als „der Kopf des Fahrzeugs ganz hart nach Backbord ging", hätte die Warnanlage den Ausfall sofort durch ein Lichtsignal und einen Heulton angezeigt. Wenn die Steuerung aber dem Autopiloten übertragen wurde, dann mußte auch die entsprechende Warnanlage eingeschaltet werden, da nur auf diesem Wege das Versagen der technischen Einrichtung sofort angezeigt werden konnte und so die Möglich an die Hand gegeben wurde, den daraus resultierenden Gefahren auch für Dritte verzüglich zu begegnen.
Hätte der Steuermann, bereits zu die Zeitpunkt das Notruder betätigt, wäre die Begegnung nach den Feststellungen des Sachverständigen völlig unproblematisch verlaufen.
Selbst wenn man aber das Nichteinschalten der Warnanlage außer Betracht läßt und auf den Zeitpunkt abstellt, in welchem der Steuermann die Backbordkursabweichung bemerkte, steht ein Verschulden nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest.
Nach seiner eigenen Bekundung hat der Steuermann den harten Steuerbordkurs bemerkt, als das Schiff noch 100 m von MS „A" entfernt war. Genau diese Situation
hat der Sachverständige bei der von ihm durchgeführten Probefahrt simuliert. Er hat dabei, wie sich aus seinem überzeugenden schriftlichen Gutachten ergibt und was er auch in der mündlichen Verhandlung bei seiner Anhörung in vollem Umfang bestätigt hat, festgestellt, daß es - auch bei einem Begegnungsabstand von nur noch 100m - zur Kurskorrektur ausgereicht hätte, wenn der Steuermann unverzüglich mit Hilfe des Notruders Steuerbordkurs gelegt hätte. Wie die unter den Bedingungen der damaligen Fahrtweise durchgeführten Fahrproben ergeben haben. Wäre immer noch ein Begegnungsabstand von rund 20m verblieben. Dabei kommt es allerdings auf die genaue Meterzahl keineswegs an; entscheidend ist vielmehr der Kern der Abstandsschätzung des Sachverständigen; insoweit war sich der Sachverständige auch in der mündlichen Verhandlung ganz sicher, daß ein jedenfalls ausreichender Begegnungsabstand vorhanden war.
Nachdem der Steuermann tatsächlich den Ruderversager entdeckt hatte und nach eigenem Bekunden noch etwa 100 m vom Bergfahrer entfernt war, hat er die ihm noch zur Verfügung stehende, zur Abwehr der Kollision an sich ausreichende, Zeit fehlerhaft dadurch vertan, daß er unnütze Fahrmanöver durchgeführt hat. So hat er, wie er erklärt hat „natürlich zuerst versucht, den Autopiloten nach Steuerbord zu drehen." Danach hat er eine Kurskorrektur mit dem elektrisch-hydraulischen Ruder unternommen und erst dann, als diese Steuermanöver keine Wirkung zeigten, hat er zum Hebel des Notruders gegriffen und schließlich, weil seiner Meinung nach auch das Notruder keine Kurskorrektur bewirkte, hat er die Maschine zurückgeschlagen. Dabei hätte es zur Vermeidung der Kollision genügt, lediglich unverzüglich das Notruder zu betätigen. Das hätte ein sorgfältiger Steuermann auch sofort getan.
Von jedem, der das Steuer übernimmt, ist - wie auch der Sachverständige zutreffend ausgeführt hat, - zu verlangen, daß er sich zuvor über dessen Grundfunktionen und das Verhältnis der Steuerarten zueinander unterrichtet hat, sei es, daß er sich bei Fahrtantritt unmittelbar durch Betätigen der drei verschiedenen Ruderarten die entsprechenden Kenntnisse verschafft oder daß der Schiffsführer ihn vorher einweist. Zu diesen Grundkenntnissen gehört das Wissen, daß das Notruder den Autopiloten und das elektrisch-hydraulische Ruder überlagert und daß ein Ausfall des Autopiloten auf einem Defekt beruhen kann, der auch das System des elektrisch-hydraulischen Ruders erfaßt und daß es somit bei einem Ausfall des Autopiloten zwingend geboten ist, sofort den Hebel des Notruders zu betätigen. Er muß auch wissen, daß Ausfälle am Autopiloten und an der elektrisch-hydraulischen Ruderanlage gerade auch den Ruderstandsanzeiger erfassen können. Schon deshalb darf der Rudergänger sich auch nicht dadurch beirren lassen, daß beim Betätigen des Notruders der Ruderanzeiger nicht anspricht. Andererseits ist es nicht minder fehlerhaft, wenn der Steuermann beim Betätigen des Notruders eine sofort sichtbare Bewegung des Bugs erwartet und dann, da eine derartige Erwartung naturgemäß enttäuscht werden muß, zu der irrigen Auffassung gelangt, auch das Notruder sei defekt, und alsdann die Maschine zurückschlägt, womit er die Ruderwirkung aufhebt. Es ist gerade der Zweck des Notruders, durch Unabhängigkeit vom elektrisch-hydraulischen Ruder dessen Ausfall zu überbrücken, und der Steuermann muß dann diejenigen Augenblicke abwarten, bis sich frühestens eine Reaktion des Schiffsbugs auf das eingeleitete Notrudermanöver zeigt. Insofern ist es ein Fehler, wenn infolge Irritation oder falscher Erwartung das Notrudermanöver vorzeitig als vermeintlich vergeblich abgebrochen wird. Deshalb vermag es den Steuermann auch nicht zu entlasten, wenn er - wie der Beklagte in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat - nach dem Vermissen einer Reaktion des Schiffsbugs geglaubt haben will, die gesamte Steueranlage sei defekt. Zwar besteht nach Auskunft des Sachverständigen, die theoretische Möglichkeit eines gemeinsamen Defekts, da beide Anlagen den Ölzylinder mit dem Quadranten gemeinsam haben, der auf dem Ruderschaft sitzt und das Ruderblatt betätigt. Daß die Notruderanlage zum Unfallzeitpunkt einwandfrei funktionierte, steht zweifelsfrei fest (vgl. schon die Auskunft der Schifffahrts-Berufungsgenossenschaft). Hätte der Steuermann das Notrudermanöver im übrigen ohne Umstände unverzüglich versucht, so hätte der Begegnungsabstand von 100 m auch ausgereicht, den Erfolg abzuwarten. Für ein Mitverschulden der Besatzung von MS „A" liegen keine Anhaltspunkte vor... „

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1991 - Nr.6 (Sammlung Seite 1313 f.); ZfB 1991, 1313 f.