Decision Database

3 U 162/98 BSchRh - Oberlandesgericht (Rheinschiffahrtsobergericht)
Decision Date: 15.06.1999
File Reference: 3 U 162/98 BSchRh
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Oberlandesgericht Köln
Department: Rheinschiffahrtsobergericht

Leitsatz:

Eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht liegt bei einer Personenbeförderung nicht vor, wenn sich ein Kleinkind auf den durch Sonneneinstrahlung erhitzten Deckplanken Verbrennungen zuzieht, die Vermeidung dieser Gefahr aber von den aufsichtspflichtigen Eltern erwartet werden kann und Verletzungen der einem Schiffsführer obliegenden Pflichten sowie Ausrüstungsmängel des Schiffs nicht gegeben sind. Die Verkehrssicherungspflicht darf nicht als Pflicht zur völligen Gefahrloshaltung mißverstanden werden. 

Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts) Köln

vom 15.6.1999

- 3 U 162/98 BSchRh -

(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar)

Zum Tatbestand:

Am 07. Juli 1995 nahm der am 23. April 1994 geborene Kläger in Begleitung seiner Eltern, seiner beiden Schwestern und seiner Großmutter an einer Schiffsfahrt mit einer damals im Eigentum des Beklagten stehenden Personenfähre teil. Der Beklagte führte auch das Schiff. Gegen 12.30 Uhr betrat man in Remagen das gut besetzte Schiff. Auf Wunsch des Personals wurde der Kläger aus dem Kinderwagen, der im Treppenbereich abgestellt werden sollte, genommen. Die Familie begab sich zum Achterdeck des Schiffes, wo sich bereits einige Personen befanden und teilweise auch auf dem dort abgelegten Beiboot Platz genommen hatten. Da der Aufenthalt dort für die Familie mit 3 Kindern nicht gerade bequem war, beschloß der Vater des Klägers, im Schiffsinnern nochmals nachzufragen, ob man den noch freien Tisch in der Nähe des Tresens besetzen dürfe. Dieser wohl noch allein zur Verfügung stehende Sitzplatz war ihnen zuvor verwehrt worden, weil er für das Personal reserviert bleiben sollte. Der Vater des Klägers ließ diesen, den er zuvor an der Hand gehalten hatte, auf dem von der Sonneneinstrahlung und dem darunter befindlichen Maschinenraum erhitzten Achterdeck los. Der Kläger begab sich zu seiner ca. 2 m entfernt stehenden Mutter, welche Filmaufnahmen von der Gruppe gemacht hatte, stürzte dabei und zog sich auf den heißen Planken erhebliche Verbrennungen zu. Er wurde mit dem Rettungshubschrauber zu einer Spezialklinik verbracht, wo die beschädigten Hautpartien abgetragen und durch Transplantate ersetzt werden mußten. Die stationäre Erstbehandlung dauerte bis zum 31. Juli 1995 an. Weitere Behandlungen waren notwendig, um den entstellenden Charakter der verbliebenen Narben, die auch im Gesichtsbereich vorhanden waren, abzumildern.

Der Kläger nimmt den Beklagten als verantwortlichen Schiffsführer auf Ersatz des ihm entstandenen materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Er ist der Auffassung, der Beklagte hätte das Achterdeck für den allgemeinen Personenverkehr absperren müssen. Ihm hätte bewußt sein müssen, daß dieses aus Stahl gefertigte Deck durch die Abwärme der unmittelbar darunter befindlichen Maschinen so stark aufgeheizt sei, daß es bei Hautberührung zu entsprechenden Verbrennungen - jedenfalls bei Kleinkindern - kommen könne. Eine Verletzung der Aufsichtspflicht durch die Eltern sei nicht gegeben. Diese hätten sich mit dem Kläger nur zwangsläufig, weil anderweit kein Platz gewesen sei und ihnen die Benutzung des Tisches in Tresennähe und sogar der weitere Gebrauch des Kinderwagens verwehrt worden sei, auf das überhitzte Achterdeck begeben. Dabei sei er stets unter der Aufsicht seiner Eltern geblieben und abgesehen von dem Sturz auch bereits sicher auf den Beinen gewesen.

Der Beklagte ist der Meinung, für die Verletzungen des Klägers nicht verantwortlich zu sein. Es sei allgemein bekannt, daß sich Metall bei entsprechender Sonneneinstrahlung erhitze und gegebenenfalls bei einer Berührung auch zu Verbrennungen führen könne. Der Motorraum sei belüftet und die unter dem Achterdeck befindlichen Abgasrohre mit der üblichen Isolierung versehen gewesen. Es habe dem Kläger selbst oblegen, sich vor der Berührung mit dem überhitzten Metall in Acht zu nehmen.

Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Klage nicht stattgegeben. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Eine Haftung des Beklagten für das vom Kläger in erster Linie begehrte Schmerzensgeld kommt nur aus §§ 823, 847 BGB in Betracht und setzt die schuldhafte Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch den Gemeinschuldner voraus.

Die Hauptverpflichtung des Frachtführers geht dahin, die beförderte Person vertragsgerecht so zu befördern, dass sie nicht verletzt wird (Vortisch/Bemm, Binnenschiffahrtsrecht, § 131 Rz. 11). Gleichwohl liegt eine schuldhafte Pflichtverletzung des Gemeinschuldners nicht vor. Ein schuldhafter Verstoß des Gemeinschuldners gegen die einem Schiffsführer obliegenden Pflichten folgt nicht aus den unstreitigen Umständen, dass das Achterdeck nicht abgesperrt war und keine Warnschilder, die auf eine starke Erwärmung der Decks in Folge der Sonneneinstrahlung hinwiesen, vorhanden waren. Auch Ausrüstungsmängel des Schiffes stehen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht fest.

Die Einrichtung des Maschinenraums ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht zu beanstanden. Nach den gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen E sind die Isolierung der Abgasleitung und die Belüftung des Maschinenraumes vorbildlich. Eine metallische Verbindung zwischen Abgasleitung und Deck, die die Wärme leiten könnte, besteht nur in Form eines einzigen, schmalen Haltestegs. Daraus zieht der Sachverständige E gut nachvollziehbar den Schluß, dass die Temperatur auf dem Achterdeck nicht wesentlich von dem darunter liegenden Maschinenraum beeinflußt war und sich allenfalls um einige Grad Celsius von der der übrigen Deckflächen unterschied. Die Feststellungen des Sachverständigen decken sich mit denen der Wasserschutzpolizei. Diese hat am 25. Juli 1992 Messungen auf dem Schiff bei ähnlichen Wetterbedingungen (25. Juli: 28,2° Celsius, 7. Juli: 29,7° Celsius) vorgenommen. Die Temperatur auf dem Achterdeck betrug 60,7° Celsius, auf dem oberen offenen Passagierdeck 53,7° Celsius auf dem Sitzplatz am Vorschiff unterhalb des Steuerhauses 53,2° Celsius.
Die Sperrung des Achterdecks, die am Unfalltag unstreitig nicht vorgenommen worden war, hätte den Unfall somit nicht verhindern können. Der Kläger hätte sich bei einem Sturz auf dem oberen Passagierdeck oder dem Vorschiff ebenfalls schwere Verbrennungen zuziehen können. Eine Verpflichtung des Schiffsführers, bei schönem Wetter sämtliche Decks zu sperren, besteht nicht.

Der Gemeinschuldner war auch nicht gehalten, durch Schilder auf die Erwärmung der Decks in Folge der Sonneneinstrahlung hinzuweisen. Inhalt der Verkehrssicherungspflicht ist es, dass derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die notwendigen Vorkehrungen zum Schutze anderer zu treffen hat. Einigkeit besteht in Rechtsprechung und Literatur aber darüber, dass die Verkehrssicherungspflicht nicht als Pflicht zur völligen Gefahrloshaltung mißverstanden werden darf. Die Pflicht findet vielmehr dort ihre Grenze, wo die Vermeidung der Gefahr von dem Anspruchsteller - in diesem Fall von seinen aufsichtspflichtigen Eltern - erwartet werden kann (vgl. Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe, NZV 1993, 153, 154). So verhält es sich hier. Die Erwärmung des Decks war nach den Bekundungen der Zeugin G, die ohne weiteres einleuchten, deutlich zu spüren. Auch die Mutter des Klägers hatte dies registriert. Damit oblag es in erster Linie den zur Aufsicht verpflichteten Eltern, die den Umfang der Lauffähigkeit ihres Kindes als einzige zuverlässig einschätzen können, den Kläger vor einem Sturz auf dem heißen Deck zu bewahren. Bei allseits bekannten Phänomenen wie der Erwärmung von Metall in der Sonne bedarf es keiner Warnung durch den Verkehrssicherungspflichtigen.

Auch der Umstand, dass es das Personal des Gemeinschuldners den Eltern des Klägers verwehrte, den Kinderwagen mit auf das Achterdeck zu nehmen, begründet keine Haftung des Beklagten. Die Anweisung des Personals diente nämlich eindeutig dem Zweck, die Gänge und damit auch die Fluchtwege freizuhalten. Derartige Anweisungen sind aus diesem Grund auf sämtlichen Fähren üblich. Ein Verstoß gegen die Pflichten eines sorgfältigen Schiffsführers eines Passagierschiffs liegt hierin nicht...."

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1999 - Nr. 11 (Sammlung Seite 1761 f.); ZfB 1999, 1761 f.