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Leitsatz:
Das in einen Hafen einlaufende Fahrzeug muß auf im Hafen verholende Fahrzeuge Rücksicht nehmen; es darf nicht mit überhöhter, sondern muß mit angemessener Geschwindigkeit einfahren.
Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts) Köln
vom 31. 10. 1989
3 U 161/89
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist Versicherer des MS „A". Der Beklagte ist Eigner und Schiffsführer des SB „S", das mit seinem Schubverband beim Einlaufen in einen Hafen mit MS „A" zusammengestoßen ist.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Schadensersatzklage dem Grunde nach stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Das angefochtene Urteil geht zutreffend davon aus, daß der in den Hafen einlaufende Schubverband den Unfall alleinschuldhaft verursacht hat, so daß der Beklagte als Schiffsführer und Eigner des Schubbootes zum vollen Schadensersatz verpflichtet ist.
Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ist der Unfall auf überhöhte Geschwindigkeit des einfahrenden Verbandes zurückzuführen, dem es nicht gelungen ist, noch rechtzeitig den Kopf herumzunehmen; dies haben der Schiffsführer des Vorspannbootes wie auch der Beklagte selbst bei ihrer Vernehmung eingeräumt. Demgegenüber hat sich nach der übereinstimmenden Auffassung sämtlicher Zeugen die Besatzung von MS „A" nautisch fehlerfrei verhalten; bei dem für einen engen Hafen nicht untypischen Manövriervorgang ist insbesondere auch genügend Platz für den einfahrenden Schubverband gelassen worden; auch hat sich MS „A" vor dem Zusammenstoß nicht einmal nennenswert bewegt. Hiernach kommt ein Mitverschulden der Besatzung von MS „A" nicht in Betracht.
Die Berufung des Beklagten gibt nur zu folgenden ergänzenden Bemerkungen Anlaß: Die Auffassung der Berufung, die Besatzung von MS „A" habe gegen die besonderen Sorgfaltspflichten aus § 6.14 i.V.m. § 6.13 RhSchPVO verstoßen, geht fehl. Einmal paßt schon der Begriff der „Abfahrt" nicht auf Verholmanöver, wie sie in Häfen üblich sind (vgl. Bemm-Kortendick, RhSchPVO, 2. Aufl., § 6.14 Rdnr. 2); so hatte hier MS „A" nach der Bekundung des Schiffsführers „S" nur etwa fünf Minuten neben den drei Leichtern gewartet, um in die gerade freiwerdende Lücke von 120 m vorzuziehen.
Zum anderen hat keiner der Zeugen bestätigt, daß MS „A" etwa gerade vor dem Einlaufen des Verbandes mit dem Manöver begonnen hätte. Aus den auch insoweit übereinstimmenden Zeugenaussagen ergibt sich im Gegenteil, daß sich MS „A" bereits in der Schräglage befand, wie sie im Zeitpunkt des Zusammenstoßes noch andauerte, als der Verband von weither freie Sicht in die Hafeneinfahrt und auch auf MS „A" hatte. Dabei hatte MS „A" im übrigen auch genügend Platz für eine ungefährdete Durchfahrt des Verbandes gelassen. Das ergibt sich schon daraus, daß trotz der überhöhten Geschwindigkeit des Verbandes und des hierdurch bedingten weiten Ausholens letztlich nur ein Meter gefehlt hat, um den Zusammenstoß noch zu vermeiden. Der Schiffsführer „B" vom Vorspannboot „T" hat überdies bei seiner Vernehmung anschaulich geschildert, daß sogar mit einem doppelt so breiten Verband, beim Vorspann von vier Leichtern, die Durchfahrt bei angemessener Geschwindigkeit ohne weiteres möglich gewesen wäre. Diese konkrete Beobachtung des Schiffsführers „B", der seine volle Aufmerksamkeit wegen der bevorstehenden Vorbeifahrt gerade auf diesen Umstand richten mußte, hält der Senat für zuverlässiger als die abweichenden Berechnungen, die die Berufung anhand der bei den Akten befindlichen Skizze vornehmen möchte. Diese Rückrechnungen müssen schon deshalb scheitern, weil die Skizze ersichtlich nicht maßstabsgerecht
angefertigt worden ist, so daß sich daraus die Abstände der einzelnen Schiffe zueinander wie auch die sonstigen Relationen nicht mit hinreichender Zuverlässigkeit ermitteln lassen...."
Die Beklagte zu 2) hat auch weder aus dem Frachtvertrag noch auch nach den Vorschriften des allgemeinen Deliktsrechts für einen Fehler bei der Ausrüstung des Schiffes oder bei seiner Navigation einzustehen.
Das Fehlen eines Schiffers an Bord, der im Besitz des Radarpatents ist, kann im vorliegenden Fall nicht die Annahme anfänglicher Fahruntauglichkeit des Schiffes begründen. Zwar hatte der Beklagte zu 1) kein Radarpatent. Für den Transport von Gütern auf dem Rhein mit einem Schiff ist aber weder die Einrichtung des Radars noch dessen ständige Benutzung vorgeschrieben.
Frachttransporte dürfen daher auch durch Nichtradarpatentinhaber vorgenommen werden. Die Beklagte zu 2) konnte zudem darauf vertrauen, daß der Beklagte zu 1) die Verkehrsvorschriften beachten und die Reise nur bei entsprechenden Sichtverhältnissen durchführen und jedenfalls bei unsichtigem Wetter keine Radarfahrt unternehmen würde. Es war auch nicht so, daß mit einer Radarfahrt durch den Beklagten zu 1) im Nebel notwendigerweise von Anfang an zu rechnen war. Zwar können Herbstnebel - insbesondere am Niederrhein - auftreten. Die Reiseroute des Schiffes war aber auch zeitlich nicht so kalkuliert, daß Tag und Nacht gefahren werden mußte. Immerhin hat der Beklagte zu 1), wie die Beklagten unbestritten vorgetragen haben, mehrmals nachts stillgelegen, bevor es zu dem Unfall gekommen ist. Es war daher gut möglich, daß die Stunden der erzwungenen Stillage durch Nebelbildung durch eine längere Fahrzeit abends bei sichtigem Wetter ausgeglichen werden konnten. Äußerstenfalls kam die Inanspruchnahme von Lotsenhilfe in Betracht.
Auch ein nautisches Verschulden des Beklagten zu 1) hat die Beklagte zu 2) nicht zu verantworten, weil sie sich insoweit wirksam freigezeichnet hat. Dabei kann dahinstehen, ob die Freizeichnung wegen der besonderen Risikolage und der Branchenüblichkeit, (vgl. hierzu BGH NJW 88, 1785) oder wegen des fast lückenlos bestehenden Kaskoversicherungsschutzes (vgl. BGH NJW 86, 1434) nicht nur für einfache Fahrlässigkeit sondern auch für grobes Verschulden und gegebenenfalls für Vorsatz möglich ist oder ob dies gegen § 9 Abs. 2 AGBG verstößt. Jedenfalls kann die Freizeichnungsklausel im Wege der Reduktion dahin ausgelegt werden, daß durch sie die Haftung für leichtes Verschulden (einfache Fahrlässigkeit) entfällt. Dieser Haftungsausschluß greift im vorliegenden Fall. Aus der Tatsache, daß ein Schiffer bei unsichtigem Wetter die Fahrt fortsetzt, ohne im Besitz eines Radarpatents zu sein, kann allgemein nach dem Beweis des ersten Anscheins gefolgert werden, daß ihn ein Verschulden trifft, wenn es zu einer Kollision kommt (vgl. BGH VersR 89, 608; 86, 546; 74, 158). Der Grad seines Verschuldens läßt sich indes nicht im Wege des Anscheinsbeweises oder nach allgemeinen Grundsätzen feststellen. Vielmehr kommt es insoweit auf die jeweiligen Gegebenheiten des Einzelfalles an. Dementsprechend hat die höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. BGH VersR 89, 608) die Annahme leichter Fahrlässigkeit auch bei einer Anfahrung nicht beanstandet, die ein Nichtradarpatentinhaber bei nebeligem Wetter mit einer Sicht von nur 200 m verursacht hat. An konkreten Umständen steht im vorliegenden Fall nur fest, daß der Beklagte zu 1) am Morgen des 28. November 1986 nach dem Ablegen gegen 7.30 Uhr bei Nebel und einer Sichtweite von 100 m mit Radar zu Tal gefahren ist und alsbald im Bereich der Mordijkbrücke in der Gemeinde Doordrecht infolge eines Echoseiner Ausweichbewegung nach Steuerbord und sodann nach Backbord gefahren ist, weil er einem wirklichen oder vermeintlichen Stillieger, der die Talfahrt aufgenommen haben soll, ausweichen wollte. Auch wenn dieser angebliche Stillieger nicht hat ermittelt werden können und wenn viel dafür spricht, daß der Beklagte das angebliche Echo mißdeutet hat, so ist letzteres doch mit hinreichender Sicherheit nicht bewiesen. Wäre die Darstellung des Beklagten zu 1), die er unmittelbar nach dem Unfall der Polizei gegenüber abgegeben hat, als tatsächlich zutreffend zugrunde zu legen, so ergäbe sich eine Überreaktion und damit ein Navigationsfehler, der dem Anschein nach in der Unsicherheit des Radarfahrers ohne Patent wurzelt. Nichts anderes wäre anzunehmen, wenn der Beklagte zu 1) ein Echo fehlgedeutet und eine Schiffsbewegung angenommen hätte, die in Wirklichkeit nicht stattgefunden hat. Auch in diesem Fall würde seine Reaktion auf die Unsicherheit als nicht patentierter Radarfahrer zurückzuführen sein.
Diese denkbaren Fehlreaktionen aber auch die Aufnahme der Radarfahrt bei unsichtigem Wetter überhaupt, die in einem nicht schwierigen Gelände bei großer Strombreite und einem großen zu durchfahrenden Brückenbogen stattfand, gestattet es nicht, den groben Pflichtverstoß festzustellen, zumal nicht auszuschließen ist, daß die Sichtweiten im Nebel ebenso unterschiedlich waren, wie seine Dichte und seine Ausbreitung auf dem Wasser. Unter diesen Umständen sieht sich der Senat gehindert, anzunehmen, der Beklagte zu 1) habe die verkehrserforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt oder er habe ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten mußte. Nach den feststellbaren Gesamtumständen war die Entscheidung des Beklagten, die Reise fortzusetzen, zwar falsch aber nicht grob fehlerhaft. Im übrigen wird auf die Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen..."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1992- Nr.1/2 (Sammlung Seite 1355 f.); ZfB 1992, 1355 f.