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3 U 138/05 BSch - Oberlandesgericht (Schiffahrtsobergericht)
Decision Date: 31.10.2006
File Reference: 3 U 138/05 BSch
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Oberlandesgericht Köln
Department: Schiffahrtsobergericht

Urteil

des Bundesgerichtshofes

vom 26.10.2006


Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, 6. Zivilsenat, vom 18. Dezember 2003 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die in Deutschland ansässige Beklagte zu 1 (im Weiteren: die Beklagte) war Zeitcharterer des in dem karibischen Inselstaat Antigua und Barbuda registrierten Frachtschiffes MS "C.", das sie für einen von ihr auf der Route Rotterdam-Southampton-Belfast-Dublin betriebenen Feeder-Service einsetzte. Reeder des Schiffes war die M. Company Ltd. mit Sitz in S., Antigua, Vertragsreeder die Reederei G. in H. Die Mannschaft der MS "C." bestand aus dem Kapitän, dem Ersten Offizier, einem leitenden Ingenieur, drei Mann Deckbesatzung, einem Maschinisten und einem Koch. Das Schiff war mit einem sogenannten "Watch Alarm" ausgestattet, der sicherstellen sollte, dass der Wachhabende nicht einschläft.

Am 26. März 1997 nahm der Erste Offizier J. G., der nachts allein Wache hielt, eine Kursänderung vor. Im Anschluss daran schlief er ein. Da der "Watch Alarm" ausgeschaltet war, erwachte er erst wieder, als das Schiff vor den Isles of Scilly auf Grund gelaufen und im Sinken begriffen war.

Auf Antrag der Beklagten hat das Amtsgericht Hamburg am 27. August 1998 das seerechtliche Verteilungsverfahren eröffnet. Sachwalter in dem Verfahren ist der Beklagte zu 2.

Die Klägerin, ein englischer Transportversicherer, verlangt von den Beklagten aus abgetretenem Recht der Ladungseigentümerin, des im Konnossement aufgeführten Absenders und des dort genannten Empfängers wegen des von ihr behaupteten Verlusts von sieben durch die Beklagte zum Transport von
Southampton nach Belfast übernommenen Containern mit 614 Packstücken Tabakwaren die Feststellung einer Schadensersatzforderung in Höhe von 1.007.740,35 DM (= 515.249,46 €) zur Tabelle. Sie ist der Auffassung, die Beklagte hafte sowohl wegen Seeuntüchtigkeit des Schiffes nach § 559 HGB als auch wegen Obhutsverletzung nach §§ 606, 607 HGB. Das Schiff sei nicht ausreichend bemannt gewesen. Der Erste Offizier sei wegen des engen Fahrplans und des Umfangs seiner Aufgaben übermüdet gewesen.
In englischen Hoheitsgewässern habe auch für fremdflaggige Schiffe die Verpflichtung bestanden, nachts zusätzlich mit einem Ausguck zu fahren. Die Beklagte bzw. der Reeder seien verpflichtet gewesen, die Besatzung vor Reiseantritt hierauf hinzuweisen. Eine Haftungsfreistellung wegen nautischen Verschuldens liege nicht vor. Das Einschlafen des Ersten Offiziers sei gerade das Gegenteil von Schiffsführung. Es habe sich auch keine typische Seegefahr verwirklicht. Vielmehr liege eine mangelhafte Organisation des Schiffsbetriebs durch die Beklagte bzw. den Reeder vor.

Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht haben die Parteien die Anwendung des deutschen materiellen Rechts vereinbart.

Das Landgericht hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben (LG Hamburg HmbSeeRep 2000, 161).

Die Berufung der Beklagten hat zur Abweisung der Klage geführt (OLG Hamburg TranspR 2004, 127).

Mit ihrer - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagten beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

I.

Gegenstand der revisionsrechtlichen Beurteilung i.S. des § 542 Abs. 1 ZPO ist entgegen der Auffassung der Revision das 15 Seiten umfassende Urteil des Berufungsgerichts vom 18. Dezember 2003, welches der Klägerin am 13. Februar 2004 zugestellt worden ist. Aus dem von den Parteien in dieser Hinsicht in Bezug genommenen Inhalt der Gerichtsakte ergibt sich zweifelsfrei, dass in dem nach § 310 Abs. 1 ZPO anberaumten Verkündungstermin am 18. Dezember 2003 dieses Urteil verkündet worden ist. Zwar ist in der Akte im Anschluss an das Protokoll über diesen Termin die Ausfertigung eines 14 Seiten umfassenden "Urteils" eingeheftet. Der auf ihm angebrachte handschriftliche Vermerk vom 11. Februar 2004 und der Beschluss des Berufungsgerichts vom 2. März 2004 weisen jedoch aus, dass dieses Urteil nicht verkündet, sondern nur versehentlich anstelle des tatsächlich verkündeten, 15 Seiten umfassenden
Urteils an die Parteien zugestellt worden ist. Damit handelte es sich bei ihm lediglich um einen nicht verkündeten Urteilsentwurf. Diesem kommen trotz Zustellung an die Parteien keine Rechtswirkungen zu (BGHZ 10, 346, 348 ff.; BGH, Beschl. v. 16.10.1984 - VI ZR 25/83, VersR 1984, 1192, 1193; Urt. v.
4.2.1999 - IX ZR 7/98, NJW 1999, 1192). Da die Parteien auf Aufforderung des Gerichts die ihnen zugestellten Ausfertigungen zurückgesandt haben, besteht auch kein Scheinurteil mehr, das die Interessen der Klägerin möglicherweise beeinträchtigen könnte (BGH NJW 1999, 1192).

II.

Das Berufungsgericht hat die Klage für unbegründet erachtet. Dazu hat es ausgeführt:

Die Beklagten hafteten nicht nach § 559 HGB wegen Seeuntüchtigkeit des Schiffes. Die Zusammensetzung der Mannschaft habe den Anforderungen des Safe Manning Certificate von Antigua und Barbuda vom 24. September 1996 entsprochen. Ebenso sei der Erste Offizier nach dem Wortlaut des Certificate of Competency von Antigua und Barbuda vom 18. November 1996 berechtigt gewesen, auf der MS "C." als Erster Offizier tätig zu sein. Die Beklagte bzw. der Reeder hätten sich auf das Dokument des Flaggenstaates verlassen dürfen. Eine mangelnde Eignung des Ersten Offiziers lasse sich auch nicht damit begründen, dass dieser - wie zu unterstellen ist - beim Auslaufen des Schiffes aus dem Hafen von Southampton übermüdet gewesen sei. Dieser Zustand habe dadurch alsbald behoben werden können, dass der Kapitän anstelle des Ersten Offiziers habe Wache halten können. Die Wacheinteilung sei Sache des Kapitäns gewesen; Anweisungen des Reeders oder des Charterers könnten in diesem Zusammenhang nicht verlangt werden.

Eine Haftung der Beklagten komme auch nicht wegen fehlender organisatorischer Vorkehrungen bezüglich der englischen Vorschriften über eine ordnungsgemäße Wache in Betracht. Zwar habe die Besatzung das danach bestehende Erfordernis einer doppelten Besetzung der Wache nicht gekannt. Gemäß der Merchant Shipping (Certification and Watchkeeping) Regulation 1982 habe diese Regelung in englischen Hoheitsgewässern auch für fremdflaggige Schiffe gegolten. Von den Schiffsbetreibern könne aber nicht die Durchsicht sämtlicher Gesetzesblätter nach einschlägigen Vorschriften verlangt werden. Zwar habe es mit den Merchant Shipping Notices des englischen Verkehrsministeriums eine der Schifffahrt ohne weiteres zur Verfügung stehende Informationsquelle gegeben. Jedoch seien in dieser Hinsicht etwa gegebene Versäumnisse der Beklagten oder des Reeders für den Schadensfall nicht ursächlich geworden. Die seinerzeit einschlägige Merchant Shipping Notice M.1263 habe besagt, dass die Regelungen über die doppelte Besetzung der Wache nur für Schiffe unter der Flagge des Vereinigten Königreiches gelten würden. Dieser Fehler sei erst nach dem Unfall in der Merchant Shipping Notice
1682 (M) berichtigt worden.

Eine Haftung der Beklagten nach § 606 HGB scheitere daran, dass diese für nautisches Verschulden nach § 607 Abs. 2 HGB nicht hafte. Sämtliche Verhaltensweisen der Besatzung, die zu dem Untergang des Schiffes geführt hätten, hätten dessen Führung betroffen. Eine teleologische Reduktion der Vorschrift sei wegen des eindeutigen Gesetzeswortlauts nicht möglich. Ein eigenes Verschulden der Beklagten liege auch in dieser Hinsicht nicht vor.

III.

Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin gegenüber den Beklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch zusteht.

1. Die von der Klägerin aus übergegangenem Recht geltend gemachten frachtvertraglichen Ansprüche sind gemäß der vor dem Landgericht getroffenen Rechtswahl nach deutschem Recht zu beurteilen (Art. 27 EGBGB). Dasselbe gilt für die von der Klägerin aus dem Konnossement geltend gemachten Ansprüche, wobei dies, soweit das Konnossement dem Art. 37 Nr. 1 EGBGB unterfällt, aus dem dazu entwickelten Grundsatz folgt, dass in erster Linie der Parteiwille maßgeblich ist (vgl. BGHZ 99, 207, 210; v. Ziegler, Haftungsgrundlage im internationalen Seefrachtrecht, 2002, Rdn. 96).

2. Das Berufungsgericht hat mit Recht eine Haftung der Beklagten aus § 559 Abs. 1 und 2 HGB wegen Seeuntüchtigkeit der MS "C." aufgrund unzureichender Bemannung verneint.

 a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass zu der "Seetüchtigkeit" i.S. des § 559 Abs. 1 HGB neben der Seetüchtigkeit im engeren Sinne, d.h. der Tauglichkeit des Schiffskörpers, mit der konkreten Ladung auf der vorgesehenen Reise die Gefahren der See zu bestehen, soweit diese nicht von ganz ungewöhnlicher Art sind, auch die sogenannte Reisetüchtigkeit des Schiffes, d.h. seine gehörige Einrichtung, Ausrüstung, Bemannung und Verproviantierung (Seetüchtigkeit im weiteren Sinne) gehört (BGH, Urt. v. 17.1.1974 - II ZR 172/72, VersR 1974, 483; Rabe, Seehandelsrecht, 4. Aufl., § 559 Rdn. 6; Herber, Seehandelsrecht, 1999, S. 313 f.; Schaps/Abraham, Das Seerecht in der Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl., § 559 HGB Rdn. 1 und § 513 HGB Rdn. 3-5). Dementsprechend kann auch eine fehlerhafte oder unzureichende Bemannung des Schiffes durch den Reeder zu einer Haftung des
Verfrachters aus § 559 HGB i.V. mit § 278 BGB führen.

b) Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Besatzung der MS "C." von ihrer Anzahl und von ihrer Zusammensetzung her den Anforderungen in dem für das Schiff ausgestellten Safe Manning Certificate vom 24. September 1996 entsprochen hat. Ein Rechtsfehler ist insoweit nicht ersichtlich. Vergeblich wendet sich die Revision insbesondere gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Inhalt des Certificate bestätige, dass bei einer Bemannung der MS "C." mit den dort angegebenen Personen eine ordnungsgemäße Bemannung nach den Vorschriften der IMO (IMCO) Resolution A, 481 (XII) vom 19. November 1981 gegeben gewesen sei; denn das zur Begründung ihrer Rüge in Bezug genommene Vorbringen der Klägerin im Schriftsatz vom 12. September 2003 bezieht sich nicht auf das Safe Manning
Certificate, sondern auf das Certificate of Competency.

 c) Die Revision beanstandet des Weiteren ohne Erfolg, dass das Berufungsgericht im Hinblick auf das Certificate of Competency vom 18. November 1996 nicht festgestellt hat, ob die MS "C." bei objektiver Betrachtung über eine ausreichende Bemannung verfügt hat. Hierauf kommt es nicht an, weil das Berufungsgericht die Beklagte ohne Rechtsfehler jedenfalls aus subjektiven Gründen als entlastet i.S. des § 559 Abs. 2 HGB angesehen hat.

aa) Bei der Haftung aus § 559 HGB handelt es sich um eine Haftung für vermutetes Verschulden. Der Verfrachter hat daher die Möglichkeit, sich zu entlasten (Herber aaO S. 314; Rabe aaO § 559 Rdn. 31; Schaps/Abraham aaO § 559 HGB Rdn. 7).

bb) Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Beklagte bzw. der Reeder auch bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt einen möglichen objektiven Mangel in der Befähigung des Ersten Offiziers der MS "C." nicht hätten erkennen können. Sie durften sich grundsätzlich ohne nähere Überprüfung darauf verlassen, dass ein Besatzungsmitglied, das einen gültigen Befähigungsnachweis des Flaggenstaates vorlegt, für eine entsprechende Stelle an Bord geeignet ist (vgl. Ramming, TranspR 2004, 439, 443). Abweichendes würde nur dann gelten, wenn entweder der Wortlaut der Urkunde zweifelhaft gewesen wäre oder sonstige Anhaltspunkte für eine mangelnde Qualifikation des Besatzungsmitglieds vorgelegen hätten. In dieser Hinsicht hat das Berufungsgericht nichts festgestellt.

Selbst wenn aber, wie die Revision unter Bezugnahme auf den von der Klägerin gehaltenen Sachvortrag und deren hierauf bezogenen Beweisantritt geltend macht, der Flaggenstaat Antigua und Barbuda J. G. mit dem Certificate of Competency lediglich die Erlaubnis hätte erteilen wollen, auf solchen Schiffen als Erster Offizier zu fahren, wie sie in seinem polnischen Patent aufgeführt waren, wäre dieser Wille dem Wortlaut des Dokuments nicht zu entnehmen gewesen. Danach nämlich wurde J. G. unter ausdrücklicher Bezugnahme auf sein polnisches Patent als "Deck Officer Class 2" ermächtigt, auf in Antigua
und Barbuda registrierten Schiffen als "Chief Mate", d.h. als Erster Offizier, zu dienen. Dies sollte nach dem Klammerzusatz auch für Schiffe mit einer "GT", also "Gross Tonnage", d.h. einer Bruttoraumzahl bis zu 4.000 und damit auch für die MS "C." gelten.

d) Ebensowenig hat eine Seeuntüchtigkeit der MS "C." wegen Übermüdung ihres Ersten Offiziers bei Reiseantritt bestanden.

 aa) Abzustellen ist in dieser Hinsicht auf den Beginn der Frachtreise der beschädigten bzw. untergegangenen Ladung, nicht auf den Antritt der Schiffsreise als solcher (BGHZ 60, 39, 40). Damit ist im Streitfall der Zustand des Ersten Offiziers beim Auslaufen der MS "C." aus dem Hafen von Southampton maßgeblich.

bb) Das Berufungsgericht hat es offengelassen, ob der Erste Offizier zu diesem Zeitpunkt übermüdet gewesen ist. Für die Revisionsinstanz ist deshalb hiervon auszugehen.

 cc) Die Übermüdung eines Besatzungsmitglieds stellt einen Mangel in der Bemannung dar, der grundsätzlich geeignet ist, eine anfängliche Seeuntüchtigkeit zu begründen. Denn eine solche Seeuntüchtigkeit kann sich auch aus einem nur vorübergehend bestehenden Mangel ergeben (BGHZ 60,
39, 44).

dd) Ein Mangel führt allerdings dann nicht zu einer Seeuntüchtigkeit, wenn anzunehmen ist, dass er im regelmäßigen Schiffsbetrieb alsbald entdeckt und beseitigt worden wäre. Anderenfalls würde die Verantwortlichkeit des Verfrachters überspannt. Für den Ausschluss mangelnder Seetüchtigkeit genügt es daher, dass zu erwarten ist, dass das Schiff bei Eintritt einer Seegefahr seetüchtig ist. Dies ist dann der Fall, wenn es sich um einen Mangel handelt, der entweder einem für seine Beseitigung zuständigen Mitglied der Besatzung bekannt gewesen ist oder unabhängig davon im Zuge des üblichen Bordbetriebes alsbald behoben worden wäre (BGHZ 60, 39, 44; BGH, Urt. v. 20.2.1995 - II ZR 60/94, TranspR 1995, 306, 307; Ramming, TranspR 2004, 439, 442 m.w.N.). Hieran würde es fehlen, wenn die rechtzeitige Behebung des Mangels aus objektiven oder subjektiven Gründen unwahrscheinlich ist, etwa weil der Wille der Schiffsführung zu bestimmten Maßnahmen von vornherein gefehlt hat (BGH VersR 1974, 483, 484).

ee) Das Berufungsgericht hat festgestellt, die anfängliche Übermüdung des Ersten Offiziers hätte alsbald durch das Gewähren einer ausreichenden Ruhezeit behoben werden können. Das wäre ohne weiteres dadurch zu erreichen gewesen, dass der Kapitän selbst Wache gehalten hätte.

Diese Beurteilung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Nach dem von der Revision in Bezug genommenen Sachvortrag der Klägerin hat die MS "C." am 25. März 1997 um 10.56 Uhr in Southampton abgelegt. Es lag mithin eine ausreichende Zeitspanne zwischen dem Antritt der Reise und der nächtlichen Wache des Ersten Offiziers ab 23 Uhr, in der diesem Ruhepausen hätten eingeräumt werden können. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Kapitän dazu von Anfang an nicht bereit gewesen wäre. Vielmehr hatte der Erste Offizier nach dem Sachvortrag der Klägerin nach Beginn der Reise tatsächlich Ruhezeiten von insgesamt etwa 6 1/2 Stunden, in denen der Kapitän die Wache übernommen hat.

Soweit die Revision rügt, bei einer unterstellten Übermüdung des Ersten Offiziers im Zeitpunkt des Auslaufens hätte auch durch eine sofortige Wacheinteilung des Kapitäns auf längere Sicht keine hinreichende Wache organisiert werden können, stützt sie sich nicht auf von der Klägerin in dieser Hinsicht in der Tatsacheninstanz gehaltenen Sachvortrag. Dementsprechend konnte das Berufungsgericht im Hinblick auf das Safe Manning Certificate davon ausgehen, dass eine mögliche anfängliche Übermüdung eines der beiden Offiziere im Verlauf der Reise durch eine diesem Umstand Rechnung tragende angemessene Wacheinteilung hätte behoben werden können.

ff) Entgegen der Ansicht der Revision bestand auch keine Verpflichtung der Beklagten oder des Reeders, dem Kapitän eine konkrete Anweisung zu erteilen, anstelle des Ersten Offiziers erheblich mehr Wache zu halten. Die konkrete Wacheinteilung unter Berücksichtigung der jeweiligen Verfassung des betreffenden Besatzungsmitglieds fällt in den alleinigen Verantwortungsbereich des Kapitäns. Ohne besondere Anhaltspunkte können sich Reeder und Verfrachter auch bei einem engen Fahrplan darauf verlassen, dass der Kapitän eine Wacheinteilung trifft, die ausreichende Ruhezeiten ermöglicht.

3. Das Berufungsgericht hat zu Recht auch eine Haftung der Beklagten aus Organisationsverschulden wegen Nichtbeachtung der im englischen Recht bestehenden Bestimmung über die doppelte Besetzung der Wache durch den Kapitän der MS "C." abgelehnt.

a) Nicht entschieden zu werden braucht in diesem Zusammenhang die Frage, ob die mangelnde Unterrichtung der Besatzung über Sicherheitsvorschriften als Seeuntüchtigkeit im weiteren Sinne unter § 559 HGB oder als sonstiger Pflichtverstoß während der Reise unter § 606 HGB fällt (vgl. zur Abgrenzung
BGHZ 56, 300, 303). Denn im Streitfall bestand schon keine Verpflichtung der Beklagten und des Reeders, den Kapitän auf das Bestehen der betreffenden Vorschrift hinzuweisen.

aa) Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass zum Zeitpunkt des Untergangs der MS "C." in englischen Hoheitsgewässern die Merchant Shipping (Certification and Watchkeeping) Regulations 1982 galten. Mit diesen Bestimmungen ist das Internationale Übereinkommen vom 7. Juli 1978 über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten (STWC 1978) in das englische Recht umgesetzt worden. Die Merchant Shipping (Certification and Watchkeeping) Regulations 1982 enthalten daher in Schedule 1 Absatz 6 (b) entsprechend der Regelung in Kapitel II Regel II/1 Ziffer 9 lit. b der Anlage zum STWC 1978 die Bestimmung, dass nachts neben dem Wachoffizier stets ein zusätzlicher Wachgänger als Ausguck auf der Brücke anwesend sein muss. Nach Absatz 3 der Merchant Shipping (Certification and Watchkeeping) Regulations 1982 gilt diese Bestimmung auch für ausländische Schiffe, die sich in den englischen Hoheitsgewässern befinden.

bb) Nach Kap. II, Anh. zu Regel II/2, Ziffer 3 Buchst. b der Anlage zum STWC 1978 gehören die Grundsätze in der Regel II/1 über den Brückenwachdienst, zu denen auch die Bestimmung über den zusätzlichen Wachgänger zählt, zu den Mindestkenntnissen von Kapitänen und Ersten Offizieren auf Schiffen mit einer Bruttoraumzahl von 200 oder mehr. Das polnische Kapitänspatent des Kapitäns der MS "C." verweist ausdrücklich darauf, dass es nach der Regelung der STWC 1978 erteilt worden ist. Der Reeder und die Beklagte als Verfrachter durften unter diesen Umständen darauf vertrauen, dass der Kapitän diese Regelung kannte und auf ihre Einhaltung achtete (a.A. in Bezug auf den Reeder: Ramming, TranspR 2004, 439, 445 ff.).

b) Das Berufungsgericht hat im Übrigen mit Recht angenommen, dass selbst beim Bestehen einer entsprechenden Unterrichtungspflicht der Beklagten und/oder des Reeders deren Nichterfüllung für den eingetretenen Schaden nicht ursächlich gewesen wäre. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts stellen die vom britischen Verkehrsministerium herausgegebenen sogenannten "Merchant Shipping Notices" die von der Schifffahrt in erster Linie genutzte Informationsquelle für die in englischen Gewässern einzuhaltenden Regeln dar, weil sie ohne weiteres auf Abruf zur Verfügung stehen. Es ist daher davon auszugehen, dass sich die Beklagte bzw. der Reeder zunächst dort informiert hätten. Die zum Unfallzeitpunkt abrufbare Merchant Shipping Notice M.1263 enthielt jedoch die - dem Gesetz nicht entsprechende - Information, dass ein zweiter Wachgänger nur für Schiffe unter der Flagge des Vereinigten Königreichs vorgeschrieben sei. Entgegen der Ansicht der Revision hätten sich die Beklagte wie auch der Reeder auf diese Angabe ohne weiteres verlassen dürfen. Sie stammte vom zuständigen und aus diesem Grund als besonders sachkundig anzusehenden Ministerium. Ihre Überprüfung wäre daher unabhängig davon nicht erforderlich gewesen, ob das zugrunde liegende Gesetz ohne weiteres zugänglich war.

4. Das Berufungsgericht hat ferner mit Recht auch eine Haftung der Beklagten aus §§ 606, 607 Abs. 1 HGB für das schuldhafte Verhalten des Ersten Offiziers verneint, das zu der Strandung des Schiffes geführt hat. Insoweit greift der Haftungsausschluss wegen nautischen Verschuldens gemäß § 607 Abs. 2 Satz 1 HGB ein. Danach haftet der Verfrachter bei Schäden, die durch ein Verhalten bei der Führung oder bei der sonstigen Bedienung des Schiffes entstanden sind, allein für eigenes, nicht dagegen auch für fremdes Verschulden.

a) Der Haftungsausschluss wegen nautischen Verschuldens beruht auf den Haager Regeln von 1924, die der deutsche Gesetzgeber im Jahr 1937 in das Handelsgesetzbuch eingearbeitet hat. Die Haager Regeln bezwecken den Ausgleich der Interessen der Reeder und Verfrachter an weitgehender Haftungsfreistellung auf der einen Seite mit den gegenläufigen Interessen der Befrachter auf der anderen Seite. Der Konflikt wurde durch die Anordnung der zwingenden Haftung für sogenanntes kommerzielles Verschulden bei gleichzeitiger Haftungsfreistellung für nautisches Verschulden gelöst (Amtliche Begründung des Gesetzes vom 10. August 1937, Deutscher Reichsanzeiger 1937, Nr. 186; BGHZ 56, 300, 303; Rabe, TranspR 2004, 142, 143). Damit sollte erreicht werden, dass der Verfrachter in demjenigen Bereich von einer Haftung freigestellt wird, in dem sein Risiko, bereits durch geringfügige Versehen größten Schaden an den Rechtsgütern des Vertragspartners zu verursachen, mit ihm fehlenden Eingriffsmöglichkeiten (Isolierung des Schiffes auf hoher See) und einem hohen Risiko für sein eigenes Vermögen (Schiff) einhergeht (Rabe aaO § 607 Rdn. 3; Schlegelberger/Liesecke, Seehandelsrecht, 2. Aufl., § 607 Rdn. 7; Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht, S. 267; Kronke, TranspR 1988, 89, 94).

b) Unter "Führung des Schiffes" i.S. des § 607 Abs. 2 Satz 1 HGB sind alle Maßnahmen der Besatzung in Bezug auf die Fortbewegung des Schiffes zu verstehen. Hierzu zählen namentlich sämtliche Schiffsmanöver, Ruder- und Maschinenkommandos, das Absetzen des Kurses, die Besetzung des Ausgucks, die Standortbestimmung, das Hinzuziehen von Lotsen, die Beobachtung des Radars, die Signalgebung sowie die Beachtung der Vorschriften des Seestraßenrechts (vgl. Rabe aaO § 607 Rdn. 11; Herber aaO S. 319; Schaps/ Abraham aaO § 607 HGB Rdn. 10; Schlegelberger/Liesecke aaO § 607 Rdn. 8; Wüstendörfer aaO S. 271; Gramm, Das neue Deutsche Seefrachtrecht, 1938, S. 119). Bei der "sonstigen Bedienung" des Schiffes handelt es sich um die technische Handhabung des Schiffes, soweit sie nicht die Navigation betrifft (Rabe aaO § 607 Rdn. 14; Herber aaO S. 319; Schaps/Abraham aaO § 607 HGB Rdn. 13; Schlegelberger/Liesecke aaO § 607 Rdn. 10; Wüstendörfer aaO S. 271 f.; Gramm aaO S. 119 f.).

c) Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die als Schadensursache in Betracht kommenden Verhaltensweisen, nämlich das Setzen eines geänderten Kurses, das Nichteinschalten des "Watch Alarm" und die Besetzung der Brücke mit nur einem und dabei zudem möglicherweise übermüdeten Wachoffizier, sämtlich die Führung oder die technische Bedienung des Schiffes in dem vorstehend unter b) angesprochenen Sinn betreffen. Es kann in diesem Zusammenhang nicht, wie die Revision meint, isoliert auf das "Einschlafen und Nichtaufwachen" abgestellt werden. Das schadensursächlich gewordene Geschehen ist vielmehr insgesamt zu werten. Zu der Strandung des Schiffes ist es nicht allein deshalb gekommen, weil der Erste Offizier eingeschlafen und sodann nicht mehr rechtzeitig vor dem Stranden wieder erwacht ist. Dieses nicht mehr willensgesteuerte und daher auch nicht als Verhalten i.S. von § 607 HGB anzusehende Geschehen ist vielmehr nur im Zusammenwirken mit den vorstehend angesprochenen Handlungen und Unterlassungen des Ersten Offiziers und/oder des Kapitäns schadensursächlich geworden (vgl. Ramming, TranspR 2004, 439, 444). Der vorliegende Sachverhalt ist daher im Ergebnis nicht anders zu beurteilen als etwa der Fall, dass der Erste Offizier wach gewesen wäre und irrtümlich oder aus Unachtsamkeit einen falschen Kurs gesetzt bzw. den gesetzten Kurs nicht korrigiert hätte.

d) Entgegen der Ansicht der Revision hat sich mit dem Setzen eines geänderten Kurses und dem dadurch bedingten Stranden des Schiffes gerade auch eine auf hoher See bestehende typische Gefahr verwirklicht, wie sie nach dem vorstehend unter a) dargestellten Zweck der Vorschrift vom Verfrachter nicht getragen werden sollte. Dasselbe würde auch dann gelten, wenn man in dem Nichtergreifen weitergehender Sicherungsmaßnahmen trotz erkannter oder erkennbarer Übermüdung etwa in Form des Anschaltens des "Watch Alarm", der Übergabe der Wache an den Kapitän oder der Einteilung eines separaten Ausgucks ein schuldhaftes Verhalten des Ersten Offiziers erblickte. Zur Bedienung des Schiffes i.S. von § 607 Abs. 2 Satz 1 HGB gehören, wie sich aus § 607 Abs. 2 Satz 2 HGB ergibt, nur solche Maßnahmen der
Schiffsbesatzung nicht, die überwiegend im Interesse der Ladung getroffen werden. Eine entsprechende Maßnahme steht im Streitfall jedoch nicht in Rede (vgl. Bästlein, TranspR 2004, 131, 132 f.).

e) Die Bestimmung des § 607 Abs. 2 Satz 1 HGB kann auch nicht, wie die Revision meint, dahingehend einschränkend ausgelegt werden, dass der dort bestimmte Haftungsausschluss allein Fälle fahrlässigen Fehlverhaltens erfasst.

aa) Die Haftungsbefreiung des § 607 Abs. 2 HGB greift nach ihrem eindeutigen Wortlaut sowie nach ihrem Sinn und Zweck gerade auch bei vorsätzlichem Verhalten ein (Schaps/Abraham aaO § 607 HGB Rdn. 10; Wüstendörfer aaO S. 271; Gramm aaO S. 119).


bb) Der Gesetzgeber hat trotz der seit langem bekannten Kritik im Schrifttum (vgl. Puttfarken, Seehandelsrecht, 1997, Rdn. 172; Kronke, TranspR 1988, 89, 94 f.; Herber, TranspR 1992, 385, 386 f.; Rabe, TranspR 2004, 142, 143) an der Haftungsverteilung in § 607 Abs. 2 HGB bewusst festgehalten (vgl. Bästlein, TranspR 2004, 131, 132). Namentlich auch bei der Transportrechtsreform ist kein dringender Bedarf für eine Änderung der Haftungsregelung im Bereich der Seebeförderung gesehen worden (vgl. TranspR 1993, 39, 40). Eine Beschränkung des in § 607 Abs. 2 HGB bestimmten Haftungsausschlusses auf fahrlässige Verhaltensweisen scheidet damit aus.

cc) Es kommt im Streitfall im Übrigen noch hinzu, dass nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die die Revision auch nicht mit Verfahrensrügen angegriffen hat, von einem vorsätzlichen Fehlverhalten des Ersten Offiziers oder gar von einem absichtlichen Herbeiführen des Schadens i.S. des § 607a Abs. 4 HGB nicht ausgegangen werden kann.

5. Eine Haftung der Beklagten gemäß § 606 HGB für eigenes Verschulden oder für ihr nach § 278 Satz 1 BGB zuzurechnendes Verschulden des Reeders ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass der in der MS "C." installierte und funktionstaugliche "Watch Alarm" nicht in Betrieb gewesen und anzunehmen ist,
dass dieser Umstand ebenfalls ursächlich gewesen ist für das Stranden und den nachfolgenden Untergang des Schiffes (vgl. dazu Ramming, TranspR 2004, 439, 443 m.w.N. in Fn. 22).

a) Zugunsten der Klägerin kann davon ausgegangen werden, dass der Kapitän im Hinblick auf die gebotene Rücksichtnahme auf das Schiff, seine Besatzung und die Ladung sowie die anderen Teilnehmer am Schifffahrtsverkehr verpflichtet war, die Verwendung des für die MS "C." zwar nicht vorgeschriebenen, aber dort installierten Alarmsystems anzuordnen und zu überwachen (vgl. BGH, Urt. v. 10.2.1987 - VI ZR 68/86, NJW 1987, 1479, 1480; BGB-RGRK/Steffen, 12. Aufl., § 823 Rdn. 411; MünchKomm.BGB/Grundmann, 4. Aufl., Bd. 2a, § 276 Rdn. 56; Staudinger/Löwisch, BGB, Bearb. 2004, § 276 Rdn. 30; zur entsprechenden Praxis der Seeämter vgl. die Nachweise bei Ramming, TranspR 2004, 439, 446 Fn. 31 i.V. mit 443 Fn. 22). Ein insoweit gegebenes Versäumnis des Kapitäns stellte ein nautisches Verschulden i.S. von § 607 Abs. 2 Satz 1 HGB dar, das die Beklagte selbst bei einem vorsätzlichen Verhalten des Kapitäns nicht zu vertreten hat (vgl. vorstehend 4. e)).

 b) Die Beklagte selbst trafen als Zeitcharterer keine Überwachungs- oder Kontrollpflichten hinsichtlich des "Watch Alarm" (vgl. Ramming, TranspR 2004, 439, 445).

c) Die Frage, ob den Reeder in dieser Hinsicht entsprechende Pflichten trafen (so Ramming, TranspR 2004, 439, 446), kann im Streitfall offenbleiben. Denn dabei handelte es sich allenfalls um Pflichten, die der Reeder gegenüber der Beklagten als Charterer, nicht für diese zu erfüllen hatte (vgl. Ramming, TranspR 2004, 439, 445; Herber aaO S. 348 f.; Rabe aaO § 510 Rdn. 11). Ihre Verletzung stellte daher gegebenenfalls ein pflichtwidriges Handeln des Reeders gegenüber der Beklagten, nicht aber ein dieser gemäß § 278 Satz 1 BGB zuzurechnendes Verschulden des Reeders bei der Erfüllung von Pflichten dar, die der Beklagten gegenüber den Eigentümern der Ladung und den Personen oblagen, die in den
über sie ausgestellten Konnossementen genannt waren.

IV.

Nach alledem ist die Revision der Klägerin unbegründet und daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2006 - Nr.12 (Seite 47 ff.); ZfB 2006, 47 ff.