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Leitsatz:
Zu den Pflichten eines aus einem Hafen auf den Rhein ausfahrenden Schiffes und der die Hafenausfahrt auf dem Strom zu Berg oder zu Tal passierenden Schiffe.
Urteil des Oberlandesgerichts - Rheinschiffahrtsobergericht in Köln
vom 6. Juni 1980
3 U 136/ 79
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Als das beladene, bei der Klägerin versicherte und vom Eigentümer M. selbst geführte MS E den Hafen Krefeld zur Talfahrt verließ, aber bei der Hafenausfahrt keine akustischen Signale abgab, kam unterhalb der Krefelder Rheinbrücke der der Beklagten H. (Beklagte zu 1) gehörende und vom beklagten Steuermann Z. (Beklagter zu 2) geführte Schubverband, bestehend aus dem Schubboot H und den voreinander gespannten Schubleichtern „HS4 und HS2, zu Berg. Mehr rechtsrheinisch fuhren hintereinander weitere Bergfahrer mit blauer Seitenflagge. MS E und dann H (mit Kurs nach Backbord) setzten gleichfalls die blaue Seitenflagge. Bei der Begegnung stießen E und HS2 steuerbords gegeneinander und wurden beschädigt.
Die Klägerin verlangt von den Beklagten als Gesamtschuldnern Ersatz des erstatteten Schadens von ca. 9700,- hfl. Sie behauptet, der Schubverband sei zunächst nur etwa 30 bis 40 m aus dem linken Ufer gewesen, so daß zwischen dem Kurs des MS E, dessen über Kanal 10 angekündigte Ausfahrt in großer Entfernung zum Schubverband erfolgt sei, und der rechtsrheinischen Bergfahrt ausreichend Platz für eine Zwischendurchfahrt gelassen worden sei. Erst bei Annäherung auf 160 bis 200 m sei der Schubverband zunächst etwas und später immer mehr nach Backbord gekommen.
Als in diesem Stadium vom Schubverband die blaue Seitenflagge gezeigt worden sei, habe die Havarie nicht mehr vermieden werden können, obwohl auf E die Maschine auf voll zurückgesetzt und versucht worden sei, die Fahrt aus dem Schiff zu bekommen.
Die Beklagten behaupten, der Schubverband habe sich von Anfang an etwa 80 m aus dem linken Ufer ungefähr in Fahrwassermitte gehalten. H habe über Funk erklärt, daß er Steuerbordbegegnung wünsche, die blaue Seitenflagge zeige und den Kurs nach Backbord ändere. Dies alles sei in einer Entfernung erfolgt, die eine Steuerbordbegegnung ohne jede Gefahr gewährleistet habe. Der Leichter HS2 sei schuldhaft angefahren worden.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Rheinschiffahrtsobergericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage dem Grund nach nur zu einem Drittel für gerechtfertigt erklärt.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Nach § 6.16 Nr. 1 RhSchPVO darf ein Fahrzeug aus einem Hafen nur ausfahren, nachdem es sich vergewissert hat, daß dieses Manöver ausgeführt werden kann, ohne daß eine Gefahr entsteht oder ohne daß andere Fahrzeuge unvermittelt ihren Kurs oder ihre Geschwindigkeit ändern müssen.
Der Ausfahrende kann von anderen Fahrzeugen verlangen, daß sie sein Manöver durch eine schlichte Änderung von Kurs oder Geschwindigkeit unterstützen. Er muß allerdings seine Absicht, den Hafen zu verlassen, in diesen Fällen rechtzeitig durch ein Ausfahrtsignal ankündigen (§ 6.16 Nr. 2 und 3 RhSchPVO).
Reagieren andere Fahrzeuge auf ein Ausfahrtsignal eines Schiffs nicht, so muß eine Ausfahrt unterbleiben, es sei denn, sie könnte auch dann noch gefahrlos oder ohne die Notwendigkeit unvermittelter Ruder- oder Maschinenmanöver anderer Fahrzeuge durchgeführt werden.
MS E hat bei seiner Ausfahrt aus dem Krefelder Hafen kein Ausfahrtsignal gegeben. Unter diesen Umständen also hätte dieses Schiff die Mündungslinie des Hafens nur passieren dürfen, wenn dadurch keine Gefahrenlage entstehen konnte oder die Bergfahrt zu keiner unvermittelten Kurs- und/oder Geschwindigkeitsänderung gezwungen wurde.
Selbst wenn man annimmt, daß bei einem Abstand der unfallbeteiligten Fahrzeuge von 700 bis 800 m an sich eine gefahrlose Ausfahrt bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt möglich ist, rief die Ausfahrt unter den hier gegebenen Umständen, der Belegung des Reviers und der beiderseitigen Kurse eine Gefahrenlage hervor. Rechtsrheinisch fuhr etwas hinter dem Schubverband H ein Schweizer Motor und dahinter der Schubverband HB zu Berg. Zunächst zeigte jedenfalls der Schubverband H im Gegensatz zu den genannten rechtsrheinischen Bergfahrern nicht die blaue Seitenflagge. Deshalb war es zumindest unklar, ob die Weisung des Schubverbandes H, an seiner Backbordseite vorbeizufahren, dem ausfahrenden MS E galt. Denn die Schiffsführung des MS E konnte bei ihrer Ausfahrt noch nicht erkennen, ob sich nicht oberhalb der Hafeneinmündung ein anderes Fahrzeug befand, dem die Kursweisung des Schubverbandes galt. Bezog aber MS E die Weisung gleich wohl auf sich und verließ es nunmehr den Hafen mit einem den Weg des Bergfahrers kreuzenden Kurs, um eine Zwischendurchfahrt vorzunehmen, so schuf es damit eine Gefahrenlage. Denn seine Anfangsgeschwindigkeit war zunächst nur gering und wegen der Strömungsverhältnisse mußte man damit rechnen, daß das ausfahrende Schiff dem Schubverband in Querlage vor den Bug laufen konnte, also daß unter der Gewalt des Stromes das Schiff keine hinreichende Möglichkeit haben konnte, sich rechtzeitig vor dem zu Berg fahrenden Schubverband aufzustrecken. Alle diese Umstände waren geeignet, bei der Führung des Schubverbandes Fehlreaktionen auszulösen und hätten daher Schiffsführer M. veranlassen müssen, den Hafen erst nach der Vorbeifahrt des Schubverbandes zu verlassen. Solange mit seiner Ausfahrt ein Risiko verbunden war, hätte Schiffsführer M., wie der Bundesgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (BGH, VersR 1975, 515; 1978, 137; 1979, 4381), die Ausfahrt unterlassen müssen. Sein Verhalten verstieß deshalb gegen § 6.16 Nr. 1 RhSchPVO.
Der aufgezeigte Verstoß war auch unfallursächlich. Bei Anwendung der gebotenen nautischen Sorgfalt hätte Schiffsführer M. unter den hier gegebenen Umständen die Ausfahrt aus dem Krefelder Hafen unterlassen müssen, um jedes Risiko für die durchgehende Schiffahrt und sein eigenes Schiff auszuschalten.
...
Steuermann Z. hätte sich, als er das Ausfahrtmanöver des MS E und die blaue Seitenflagge auf diesem Fahrzeug auf einen Abstand der Fahrzeuge von 700 bis 800 m erstmals sah, nicht alleine mit einer Durchsage über Kanal 10 begnügen dürfen, nachdem sich die Fahrzeuge danach bis auf 160 bis 200 m genähert hatten. Schon das harte Anhalten des oberen Mohlenkopfes und das Hineinstechen in den Strom durch MS E hätte ihm Anlaß geben müssen, sofort eine Kursweisung zu erteilen, akustische Signale zur Kursweisung zu geben und auch ein Achtungssignal zu geben, um auf die durch die Ausfahrt heraufbeschworene Gefahrenlage hinzuweisen, zumal er selbst von dem ausfahrenden Schiff kein Ausfahrtsignal vernommen hatte. Denn er mußte besorgen, daß das ausfahrende Fahrzeug zu einer Zwischendurchfahrt ansetzen konnte, weil er bis zu seiner Annäherung der Schiffe auf 160 bis 200 m an den Hafen die blaue Seitenflagge noch nicht gesetzt hatte und somit der Ausfahrende annehmen konnte, man wünsche auch von dem ausfahrenden Fahrzeug eine Begegnung Backbord an Backbord.
Außerdem hätte es die nautische Sorgfalt (§ 1.04 RhSchPVO) geboten, sofort die Geschwindigkeit des Schubverbandes nachdrücklich zu reduzieren, um dem ausfahrenden Fahrzeug die Möglichkeit zu geben, sich vor dem Schubverband aufzustrecken und einer Kursweisung zu folgen.
Z. hat die aufgezeigten Maßnahmen nicht ergriffen, vielmehr lediglich die blaue Seitentafel auf einen Abstand von 160 bis 200 m gesetzt und nach Backbord gehalten. Erst sein Schiffsführer hat abgestoppt, was der Situation nach schon früher geboten gewesen wäre.
Hätte sich Steuermann Z. pflichtgemäß verhalten, wäre der Unfall mit seinen Folgen vermieden worden.
...
Bei der Abwägung des die Führung der beiden Schiffe treffenden Verschuldens im Rahmen des § 92c Abs. 1 BSchG erschien dem Senat bedeutsam, daß Schiffsführer M. durch sein Manöver die zur Kollision führende Gefahrenlage schuldhaft geschaffen hat, indem er vor dem zu Berg kommenden Schubverband in Querfahrt aus dem Hafen in den Strom hineingestochen ist. Steuermann Z. hat in dieser Gefahrensituation vermeidbare Fehler gemacht. Nachdem er nicht bedacht hatte, daß das ausfahrende Schiff versuchen könnte, an seiner Backbordseite vorbeizufahren, weil er zunächst nicht die blaue Seitenflagge gezeigt hatte, hätte Steuermann Z. die Fahrt aus seinem Verband nehmen müssen, um dem ausfahrenden Schiff die Möglichkeit zu geben, sich aufzustrecken und an seiner Backbordseite vorbeizufahren. In der gegebenen Situation auf einen Abstand von 160 bis 200 m die blaue Seitenflagge zu zeigen und Backbordkurs zu nehmen, mußte bei den zu geringen Abständen zu einer Kollision der Fahrzeuge führen.
Bei Abwägung aller Umstände meint jedoch der Senat, daß das Fehlverhalten von Schiffsführer M. doppelt so schwer wiegt, wie das von Steuermann Z., weil er die primäre Unfallursache geschaffen hat. Dementsprechend war eine Schadensquotierung im Verhältnis 2:1 zu Lasten der Interessenten des MS E vorzunehmen.
....“