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Leitsatz:
Benutzung nicht zugelassener Radargeräte sowie Führung eines Schiffes ohne Patent und Radarschiffer-Zeugnis.
Urteil des Oberlandesgerichts - Rheinschiffahrtsobergericht Köln
vom 17. Januar 1969
3 U 121/68
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Kritische Bemerkungen von Rechtsanwalt H. U. Pabst in Zusammenarbeit mit dem für die Radartechnik sachverständigen Polizeihauptkommissar H. Schwoll.
Es sei hervorgehoben, daß das Gericht über eine Havarie zu entscheiden hatte, die sich bei der Begegnung zweier Radarschiffe im starken Neben (Sicht: 50-60 m) auf dem Niederrhein ereignet hat. Auf dem zu Tal fahrenden Tankmotorschiff (TMS) waren ein für die Rheinschiffahrt zugelassenes Radargerät des Typs „Decca 215" und ein Wendeanzeiger installiert. Hingegen befand sich auf dem in der Nähe des linken Ufers zu Berg fahrenden Küstenmotorschiffs (KMS) ein für die Rheinschiffahrt nicht zugelassenes S e e - Radargerät des Typs „Decca 202". Anstelle eines Wendeanzeigers wurde ein Kompaß benutzt. Kapitän und Steuermann des KMS waren weder im Besitz des Rheinschifferpatents noch des Radarschiffer-Zeugnisses. Der Kapitän beobachtete das Radargerät, und der Steuermann bediente unter Zuhilfenahme des Kompasses das Ruder. Vor Eintritt des starken Nebels hatte ein Hilfsschiffsführer, der nun „wegen der Sichtbehinderung den zu fahrenden Kurs nicht mehr angeben konnte" das Ruder geführt.
1. Der Senat meint, bei einer Geschwindigkeit des Bergfahrers von 4 km/h sowie dem Ausguck von 2 Matrosen auf dem Vorschiff sei es zwar fraglich, ob die einzusehende Strecke von 50-60 m ausgereicht hätte, um vor einem plötzlich auftauchenden Hindernis rechtzeitig anhalten zu können. Hinzu komme aber, daß das zu Berg fahrende KMS mit Radarortung gefahren sei. Für die Beurteilung der Sichtverhältnisse scheide das See-Radargerät als nautisches Hilfsmittel nicht grundsätzlich aus. Allein entscheidend sei, daß das benutzte Gerät im Einzelfall Ortungsmöglichkeiten wie ein Flußradargerät geboten habe. Ohne sich auf ein Gutachten, das unverständlicherweise nicht eingeholt wurde, stützen zu können, hat der Senat die Überzeugung gewonnen, daß die fehlende Zulassung des verwendeten Radargerättyps sowie das Fehlen eines Wendeanzeigers sich nicht auf die Havarie ausgewirkt haben.
a) Die zur Begründung seiner Überzeugung getroffene „Feststellung" des Senats, das für die Rheinschiffahrt zugelassene und das hierfür nicht zugelassene Gerät hätten in der konkreten Situation „eine gleiche und übereinstimmende Wahrnehmungsmöglichkeit" geboten, weil sich das See-Radargerät nach der insoweit glaubhaften Aussage des Kapitäns (der kein Rheinschifferpatent, geschweige denn ein Radarschifferzeugnis für den Rhein besaß) auf rund 926 m scharf einstellen lassen und somit aufgrund des kleineren Maßstabs ein noch deutlicheres Bild als das FlußRadargerät geboten habe, ist unhaltbar.
Nicht der Maßstabunterschied ist für die Deutlichkeit des Bildes entscheidend. Vielmehr sind hierfür die technischen Eigenschaften der Geräte maßgeblich. Ein Vergleich der technischen Eigenschaften des FlußRadargerätes „Decca 215" mit dem See-Radargerät „Decca 202" ergibt z. B. folgendes:
Die Nahauflösung, d. h. die erste mögliche Sicht vom Bildmittelpunkt entfernt, beträgt bei dem Fluß-Radargerät ca. 12 m, hingegen bei diesem See-Radargerät ca. 30 m. Der vermutlich höhere Antennenstandort auf dem KMS verschlechtert die Nahauflösung des See-Radargeräts noch um weitere Meter. Deshalb hat das KMS auch wohl den ungewöhnlich weiten Abstand von etwa 50 m von den Stilliegern am linken Ufer (nach eigener Aussage) gehalten, die bei geringerem seitlichen Abstand nicht mehr im Radarbild erkannt worden wären. Diese Fahrweise ist anscheinend auch die Ursache dafür gewesen, daß das KMS zumindest den Eindruck des Kurswechsels zum rechtsrheinischen Ufer erweckt hat. Wegen der schlechten Nahauflösung konnte das KMS aufgrund der Radarortung auch kein Anlegemanöver an oder zwischen den linksrheinischen Stilliegern durchführen.
Die Abstandsauflösung, d. h. die getrennte Zeichnung von Zielen, die von der Antenne aus gesehen hintereinanderliegen, beträgt bei dem Fluß-Radargerät 10 m, bei diesem See-Radargerät jedoch 27 m. Diese schlechte Abstandsauflösung bedeutet, daß bei einem Abstand von 30 m die Stillieger nicht vom Ufer getrennt auf dem Bild des See-Radargeräts erkennbar waren.
Die Winkelauflösung, d. h. die getrennte Aufzeichnung von Zielen, die von der Antenne aus gesehen nebeneinanderliegen bzw. die Breite von Zielen, beträgt bei der Fluß-Radaranlage 1,2° und bei diesem See-Radargerät 1,9°. Diese bedeutend schlechtere Winkelauflösung hat auch wohl den Kapitän des KMS zu der Annahme verleitet, daß der Talfahrer mit etwa 600 m weiter stromauf befindlichen linksrheinischen Ankerliegern beinahe kollidiere und daß er offensichtlich seine Orientierung verloren habe. Bei einem FlußRadargerät wäre aber aufgrund der besseren Winkelauflösung der Abstand zwischen dem TMS und den Ankerliegern genau erkennbar gewesen. Der Eindruck, daß der Talfahrer die Orientierung verloren habe, wäre nicht entstanden. Zu einer entsprechenden Kursänderung nach Backbord hätte für das KMS kein Anlaß bestanden.
Das See-Radargerät hat keinesfalls ein deutlicheres Bild als das Fluß-Radargerät geboten. Der kleinere Maßstab konnte die geringeren technischen Qualitäten des See-Radargeräts nicht ausgleichen, geschweige denn zu einem noch deutlicheren Bild führen, als es ein Fluß-Radargerät bietet. Außerdem ergab sich noch aufgrund des kleineren Bildschirmdurchmessers ein u n deutlicheres Bild als bei Fluß-Radargeräten. Die aufgesetzte Lupe konnte diesen Mangel nicht ausgleichen. Insgesamt gesehen muß festgestellt werden, daß das See-Radargerät nicht die in der Flußschifffahrt erforderliche präzise Auswertung des Radarbildes ermöglichen konnte. Daher bestehen für die Rheinschiffahrt aus Verkehrssicherheitsgründen schon seit dem 12. 2. 1959 (VkBI 1959, S. 95) Vorschriften über die technischen Eigenschaften der Radargeräte und seit dem 29. 6. 1959 (VkBI 1959, S. 315) Vorschriften über die technischen Eigenschaften der Geräte zur Anzeige der Wendegeschwindigkeit.
b) Ebenfalls fragwürdig ist die „Feststellung" des Senats, das Fehlen eines Wendeanzeigers habe sich nicht auf die Havarie ausgewirkt. Der Kompaß sei dazu geeignet gewesen, Veränderungen der Fahrtrichtung exakt in Graden zu befehlen und auszuführen.
Der Senat verkennt, daß es sich bei Wendeanzeigern um Geräte handelt, welche die Ablesung einer ganz geringfügigen Änderung des Kurses ohne Zeitverzögerung erlauben. Hingegen ist ein Kompaß zu träge, um leichte Kursänderungen sofort anzuzeigen. Mit Hilfe eines Kompasses kann daher auch nicht die für die Rheinschiffahrt erforderliche Kursstabilität gewährleistet werden. Möglicherweise hat der Kapitän des KMS eine evtl. Kursänderung seines Schiffes nach Backbord selbst nicht einmal erkennen können. Der Vergleich des Kompasses mit einem Wendeanzeiger ist hinsichtlich der Präzision und der schnellen Anzeige von Kursänderungen überhaupt nicht möglich. Daher gelten die genannten technischen Sicherheitsvorschriften über Wendeanzeiger.
Mithin erscheint entgegen der Auffassung des Senats die Überzeugung fraglich, daß die fehlende Zulassung des verwendeten Radargerätetyps sowie das Fehlen eines Wendeanzeigers sich nicht auf die Havarie ausgewirkt haben. Ein See-Radargerät kann, wie dargestellt, nicht Ortungsmöglichkeiten wie ein FlußRadargerät geboten haben. Das muß an dieser Stelle ausdrücklich klargestellt werden, um die Rechtsprechung vor weiteren Entscheidungen zu bewahren, welche auf die Verkehrssicherheit schädliche Auswirkungen haben können.
Es ist schon zu bedauern, daß entgegen den Erfahrungen der Praxis in den einschlägigen Vorschriften immer noch, auch in der am 1. 10. 1970 in Kraft tretenden neuen RheinSchPVO, von der Fahrt mit Radar h i 1 f e und der Radarortung als nautischem Hilfsmittel gesprochen wird und daß immer noch dem „Ausguck", der zwar nichts sehen aber doch etwas hören könne, bei der Radarfahrt Bedeutung beigemessen wird. So entstehen die irrtümlichen Auffassungen, daß man außer in den Radarschirm ab und zu auch nach draußen schauen müsse, daß Radarbeobachter und Rudergänger besser zwei Personen sein sollten und daß man bei unsichtigem Wetter die Fahrt fortsetzen könne, weil über einen „Ausguck" verfügt werde.
Noch mehr ist es zu beklagen, wenn der Eindruck erweckt wird, die zwingenden Vorschriften über die Verwendung von und für die Rheinschiffahrt besonders zugelassenen Radargeräten sowie Geräten zur Anzeige der Wendegeschwindigkeit seien nicht unbedingt zu beachten, weil in concreto auch andere Geräte ausreichen könnten.
2. Für nicht entscheidend gehalten hat der Senat die Frage, ob das zu Tal fahrende TMS rechtzeitig das Radarsignal (Drei-Ton-Signal) gegeben hat, da man auf dem KMS die Fahrweise und den Standort des Talfahrers auf dem Radarschirm habe besser erkennen können, als es durch die Aufnahme von Schallsignalen hätte möglich sein können.
Den Standort eines Fahrzeugs kann man bei unsichtigem Wetter auf dem Radarschirm nicht nur besser als durch Schallsignale erkennen, sondern überhaupt nur mittels der Radarortung. Schallsignale bei Nebelwetter führen auch sehr leicht zu Irrtümern. Die bestehenden Vorschriften über Schallzeichen der Radarfahrer haben für die Standortbestimmung sehr geringen Aussagewert. Bezüglich der Fahrweise geben sie nur zu erkennen, ob Schiffe zu Berg oder zu Tal fahren. Dies führte bekanntlich zu der notwendigen Ergänzung der Bekanntmachung über die Fahrt mit Radar und bei unsichtigem Wetter. Seit dem 1. 10. 1968 müssen mit Radar fahrende Fahrzeuge mit einer UKW-Sprechfunkanlage ausgestattet sein, welche anstelle der bei unsichtigem Wetter nicht erkennbaren blauen Flagge die Verständigung über den Begegnungskurs von Schiff zu Schiff gestattet. Dies war im Zeitpunkt der Verkündung der Entscheidung am 17. 1. 1969 längst bekannt. Der Senat berücksichtigt dies aber nicht. In Kenntnis der notwendigen Ergänzung der Radarortung durch UKW-Funk hätte er, weil der Funk im Unfallzeitpunkt noch nicht verpflichtend eingeführt worden war, der rechtzeitigen Abgabe des Drei-Ton-Signals Bedeutung beimessen müssen, was erst recht gilt, da die Radarortung mittels des See-Radargeräts fragwürdig ist, wie oben ausgeführt wurde.
3. Der Senat ist ferner der Auffassung, ein Schuldmoment für das Zustandekommen der Havarie liege nicht in der Tatsache, daß der Kapitän des KMS kein Rheinschifferpatent besessen habe. Nach Oberzeugung des Senats haben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, daß dem Kapitän die tatsächliche Eignung zur Führung seines Schiffes zur Unfallzeit im Unfallbereich gefehlt habe.
Nach der Verordnung über die Erteilung von Radarschiffer-Zeugnissen für den Rhein (Anlage zu der Einführungsverordnung vom 23. 12. 1964 - BGBI. 1964, Teil II, S. 2010 ff) müssen die Bewerber nachweisen, daß sie mindestens ein Jahr Schiffsführer auf einem Fahrzeug mit Maschinenantrieb waren. Inhaber des Rheinschifferpatents zur Führung von Fahrzeugen mit eigener Triebkraft sind von diesem Nachweis befreit. Bedingung für die Zulassung zur Radarfahrt ist also die Inhaberschaft des Rheinschifferpatents, zumal jeder Schiffsführer auf der deutschen Strecke im Besitz des Rheinschifferpatents sein muß. Vorausgesetzt wird also die für die Erlangung des Patents erforderliche Streckenkenntnis.
Leider hat es der Senat übersehen, daß die Radarfahrt, von deren ordnungsmäßigen Durchführung er ja überzeugt ist, nur bei eingehender Streckenkenntnis möglich ist. Streckenkenntnis, die ohnehin jeder Schiffsführer haben muß, ist erst recht Voraussetzung für die richtige Auswertung der Radarortung.
Es hätte auch berücksichtigt werden sollen, daß der Hilfsschiffsführer die nautische Führung an den Kapitän zurückgegeben hatte und nur noch als Ausguck fungierte, weil er „wegen der Sichtbehinderung den zu fahrenden Kurs nicht mehr angeben konnte". Wenn der Kapitän gleichwohl die Fahrt fortsetzte, spricht dies ebenfalls nicht für die Vermutung seiner Geeignetheit zur Schiffsführung.
Unberührt bleibt von dieser Kritik selbstverständlich die zutreffende Feststellung, daß § 2 Nr. 1 Satz 2 RheinSchPVO nur eine Vermutung dahin aufstellt, daß der Führer eines Schiffs als zu dessen Führung geeignet anzusehen ist, wenn er ein Schifferpatent für die Fahrzeugart und für die zu befahrene Strecke besitzt und daß damit nicht zugleich gesagt ist, daß der fehlende Besitz eines solchen Patents die Vermutung begründet, der Führer sei zum Führen des Schiffs ungeeignet. Entsprechendes gilt aber auch bei der Auslegung des § 17 RheinSchPVO hinsichtlich der ausreichenden Besatzungsstärke. § 17 Nr. 2 RheinSchPVO stellt ebenfalls nur eine widerlegbare Vermutung auf. Da es allein darauf ankommt, daß während der Fahrt ein sicheres Navigieren und Manövrieren gewährleistet ist, können die Besatzungsvorschriften der RheinSchUO nicht alleiniger Maßstab sein.
Es wäre sehr zu wünschen, wenn der Senat dies bei künftigen Entscheidungen zu § 17 RheinSchPVO berücksichtigen würde, also in Strafverfahren erst dann zu einer Verurteilung gelangt, wenn einwandfrei nachgewiesen wird, daß durch das Fehlen z. B. eines Schiffsjungen tatsächlich eine Gefahr für die an Bord befindlichen Personen und für die Schiffahrt, also für die Verkehrssicherheit herbeigeführt worden ist.
4. Vermißt wird schließlich eine Würdigung dessen, daß kein Besatzungsmitglied des KMS im Besitz eines Radarschiffer-Zeugnisses war.
Offenbar verkennt der Senat, daß nur der in Theorie und Praxis hinreichend geschulte patentierte Schiffsführer in der Lage ist, mit Radar zu fahren, was allein die Inhaberschaft des Radarschiffer-Zeugnisses bestätigen kann. Nur die für die Radarschiffahrt erforderlichen zusätzlichen Kenntnisse und Fähigkeiten geben überhaupt die Gewähr für die richtige Bedienung des Radargerätes und die ordentliche Auswertung des Radarbildes sowie des Wendeanzeigers und das der jeweiligen Situation entsprechende zutreffende nautische Verhalten. Letzteres setzt die Kenntnis der einschlägigen schiffahrtpolizeilichen Bestimmungen voraus, was ebenfalls Gegenstand der Prüfung zur Erlangung des Radarschiffer-Zeugnisses ist, dessen Besitz seit dem 1. 10. 1965 (BGBI. II, 1964, S. 2010 ff) für die Fahrt mit Radar vorgeschrieben ist. Daß Führer von Radarschiffen das Radarschiffer-Zeugnis besitzen müssen, ist daher aus Verkehrssicherheitsgründen unabdingbar.
Es liegt die Vermutung nahe, daß sich die Besatzung des KMS bei Kenntnis der Vorschriften so verhalten hätte, daß die Havarie vermieden worden wäre.
Nach allem bleiben aus Verkehrssicherheitsgründen die Wünsche, daß trotz der Entscheidung des Kölner Senats die Schiffahrttreibenden sich dessen bewußt bleiben, daß in der Rheinschiffahrt nur besonders zugelassene Radargeräte und Wendeanzeiger benutzt werden dürfen und daß die Fahrt mit Radar nur von Inhabern des Rheinschifferpatents u n d des Radarschiffer-Zeugnisses durchgeführt werden darf (wegen der Einzelheiten wird auf die diesbezüglichen Rundschreiben des Vereins zur Wahrung der Rheinschiffahrtsinteressen e.V. verwiesen). Stärker durchsetzen sollte sich auch noch die Erkenntnis der notwendigen Verbindung der Radarortung mit der Verwendung des UKW-Funks, für dessen vorgeschriebene Anwendung leider noch die ins einzelne gehende schiffahrtpolizeiliche Regelung fehlt. „Alte Zöpfe", die mit der Vorstellung von der „Radarhilfe zusammenhängen, sollten, das sei nochmals am Rande erwähnt, endlich fallen.