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Leitsatz:
Fehlt einem Schiff aufgrund seiner Einrichtung (offen, ohne Lukenabdeckung) und der Beladung (zu geringer Freibord) die Fähigkeit, die geplante Reise (über das Ijsselmeer) bei den in den Wintermonaten regelmäßig zu erwartenden Wind- und Wellenverhältnissen gefahrlos durchzuführen, ist es bereits zum Zeitpunkt des Antritts der Reise relativ fahruntüchtig.
Urteil des Oberlandesgerichts (Schiffahrtsobergerichts) Köln
vom 3.7.1998
3 U 105/93 BSch
Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Verwiesen wird auf die vorausgegangene Entscheidung des BGH ( s. oben) und die erste Entscheidung des OLG (s. Abdruck in der ZfB 1994, Sammlung Seite 1496.
Das Schiffahrtsobergericht hat die Berufung der Beklagten erneut zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„I. Den Beklagten ist eine Berufung auf die in den Verlade- und Transportbedingungen der Beklagten zu 1) enthaltene Freizeichnungsklausel für Sturmschäden nicht möglich, weil die vertragliche Kardinalspflicht, ein fahrtüchtiges Schiff zu stellen, verletzt worden ist und deshalb eine Haftungsfreizeichnung nach Treu und Glauben gemäß §§ 242 BGB, 9 AGBG ausscheidet (vgl. hierzu allgemein z. B.: BGHZ 49, 356 ff. (363); BGHZ 65, 364 ff. (367) BGHZ 71, 167 ff. (171) m.w.N.; Vortisch/Bemm, Binnenschiffahrtsrecht, 4. Auflage 1991, § 8 Rdnr. 6 f.).
Soweit MS „F" in Schwierigkeiten geraten war, die zu seinem Untergang geführt haben, ist dies nicht eine Folge einer erst später eingetretenen Fahruntüchtigkeit aufgrund eines nautisch-technischen Verschuldens des Beklagten zu 2) bei der Führung des Schiffes. Vielmehr war MS „F" aufgrund seiner Einrichtung und Beladung von vornherein nicht fahrtüchtig.
Ein Schiff ist fahruntüchtig im Sinne der Rechtsprechung und Literatur, wenn ihm bereits bei Antritt der Reise die Fähigkeit fehlt, die geplante Reise gefahrlos durchzuführen (vgl. z. B.: LM § 8 BinSchG Nr. 3; BGH LM § 8 BinSchG Nr. 4; BGH, VersR 1974, 483 f. (483) zur Seetüchtigkeit; Vortisch/Bemm, a.a.O., § 8 Rdnr. 5). Hieran mangelte es MS „F" als offenem, in der gegebenen Art und Weise mit Kohle beladenem Binnenschiff Es war bereits zum Zeitpunkt des Reiseantritts nicht imstande, die bei der geplanten Winterreise über das Ijsselmeer gewöhnlich drohenden Gefahren - insbesondere aufgrund der Wetterund Windverhältnisse - zu bestehen und die Frachtgüter unversehrt zum Empfangsort zu bringen. Dabei ist es ohne Belang, ob die Gefahr für das Schiff und die Ladung während der gesamten Reisroute oder nur für einen bestimmten Teil derselben besteht, denn auch in diesem Fall fehlt dem Schiff schon bei Beginn der Reise die Tauglichkeit (BGH, VersR 1980, 65 f.).
Aufgrund des unstreitigen Sachverhalts und den gutachterlichen Ausführungen der Sachverständigen W und K ist davon auszugehen, daß die Witterungsverhältnisse und die konkrete Abladung für das Sinken des MS „F" ursächlich waren. Die Sachverständigen sind in ihrem Gutachten vom 18.07.1997 unter Berücksichtigung der zum Unfallzeitpunkt bestehenden Windgeschwindigkeit und der damit verbundenen Wellenhöhen zu dem Ergebnis gelangt, daß - ausgehend von der von ihnen berechneten Höhe des Tennebaums von 0,81 cm über Wasserlinie - schon mehr als 100 Wellen pro Stunde (= ca. 10 %) über das Tennebaumprofil spülten. Dabei haben die Sachverständigen die im Einverständnis mit den Parteien eingeholte Untersuchung des Wellenklimas berücksichtigt. Hierbei ist der Sachverständige D unter Auswertung der Informationen der Meßstellen in Stavoren und Leylstad-Houtrib zu dem Ergebnis gelangt, daß am 15.02.1992 in der Nähe der Unglücksstelle - Boje EZ 7 - zwischen 13.00 Uhr und 17.00 Uhr die stundendurchschnittliche Windgeschwindigkeit bei 12,7 m/Sek. bis 13,2 m/Sek. lag. Insoweit reichte der vorhandene Freibord nicht mehr aus, insbesondere wenn zusätzlich noch ein Rollen des Schiffs berücksichtigt wird. Aufgrund des für den Wellengang zu geringen Freibords konnte Wasser zu der nicht abgedeckten Ladung gelangen. Hierbei bestand wegen der Aufnahme des Wassers durch die Kohle keine Abpumpmöglichkeit, so daß infolge der Gewichtszunahme der vorhandene Freibord weiter reduziert und dadurch weiteres Eindringen von Wasser begünstigt wurde, was schließlich zum Sinken des Schiffs führte.
Die am Nachmittag des 15.02.1992 herr- schenden Wellen- und Windverhältnisse gehören zu den gewöhnlichen Gefahren der von MS „F" durchgeführten Winterreise. Insoweit ist auf die jeweilige Jahreszeit abzustellen. In den Wintermonaten ist auf dem Ijsselmeer regelmäßig mit stärkeren Winden und damit verbundenen höheren Wellen zu rechnen. Die von dem Sachverständige D für den Unfallzeitpunkt ermittelten Wetterbedingungen sind in dem Winterhalbjahr im Bereich des Ijsselmeers regelmäßig anzutreffen. So hat der Experte Z in seiner Stellungnahme vom 10.09.1996 aufgezeigt, daß das Ijsselmeer wegen seiner kurzen Schlagwellen bei stürmischen Wetterbedingungen berüchtigt ist. Auch die Sachverständigen H und W legen in der vom Senat eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 17.10.1997 dar, daß während der Wintermonate auf dem Ijsselmeer regelmäßig dieselben Wetterumstände wie zum Zeitpunkt des Unfalls bestehen. Zudem soll es regelmäßig vorkommen, daß diese noch schlechter sind.
Für den Senat bestand keine Veranlassung, diesen Wertungen der Sachverstän-digen nicht zu folgen. Die gutachterlichen Ausführungen finden auch durch die von dem Beklagten zu 2) vorgelegten Stellungnahme des Koninklijk Nederlands Meteorologisch Institut" (KNMI) vom 26.01.1998 Bestätigung. Ausweislich der von dem KNMI erstellten Tabelle der gemittelten stündlichen Windgeschwindigkeiten für Leeuwarden, betreffend den Zeitraum 19611980, ist regelmäßig in den Wintermonaten - insbesondere in den Monaten November, Januar und Februar - an der Meßstelle mit erheblich höheren Windgeschwindigkeiten als in den übrigen Monaten zu rechnen.... Neben den in den Wintermonaten regelmäßig zu erwartenden Windstärken und Wellenbewegungen gehört - wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erörtert worden ist - bei einer mehrstündigen Fahrt über das ungeschützte Revier des Ijsselmeers ein Drehen der Windrichtung ebenfalls zu den üblichen winterlichen Witterungsbedingungen. Daneben besteht bei einer Reise von Lelystad nach Lemmer wegen des damit verbundenen Wechsels der Fahrrichtung immer die Möglichkeit, daß während der Fahrtstrecke Wellen nicht stets von achtern kommen, sondern auch seitlich auf das Schiff treffen können. Nach alledem war MS „F" ohne Lukenabdeckung und mit diesem Tiefgang für die Winterreise über das Ijsselmeer relativ fahruntüchtig.
2. Für diesen Mangel haften die Beklagten, da der Beklagte zu 2) schuldhaft mit einem fahruntüchtigen Schiff die Reise angetreten hat. dieser kann sich nicht gemäß § 58 Abs. 2 BinSchG entlasten. er hat nicht nachzuweisen vermocht, daß bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt eines ordentlichen Frachtführers für ihn die relative Fahruntüchtigkeit nicht erkennbar war. Er hätte bereits vor Beginn der Reise prüfen müssen, ob MS „F" aufgrund seiner Abladung die Fähigkeit besaß, die geplante Reise gefahrlos durchzuführen. Dabei müssen dem Beklagten zu 2) die in den Wintermonaten gewöhnlich im Revier auftretenden Wind- und Wellenverhältnisse bekannt gewesen sein, da er nach seinem eigenen Sachvortrag seit vielen Jahren mindestens einmal die Woche das Ijsselmeer befuhr...."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1999 - Nr.1 (Sammlung Seite 1721ff.); ZfB 1999, 1721