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237 BZ - 2/90 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Decision Date: 06.05.1991
File Reference: 237 BZ - 2/90
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Department: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Zu der Frage, ob die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte, mithin auch die der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinsch Wahrt, auf den sog.konventionellen Rhein beschränkt ist.

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 6.5.1991

237 BZ - 2/90

(Arrondissementsgericht Rotterdam)

Zum Tatbestand:


In dem Fall einer Schiffskollision, die sich am 12.10.1986 auf der Noord bei Ablasserdam in den Niederlanden ereignete, hat die Berufungskammer von Amts wegen geprüft, oh das Rotterdamer Gericht die Sache als Rheinschiffahrtsgericht entschieden hat und demgemäß die Berufungskammer nach Art. 37 Abs. 1 und 2 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte (MA) als Berufungsgericht zuständig ist. Das Rotterdamer Gericht hatte die Zuständigkeitsfrage nicht geprüft. 

Die Berufungsklägerin (in erster Instanz Beklagte) hat die Auffassung vertreten, daß die Noord unter die Zuständigkeit der MA fällt, weil sie eine „Ausmündung", ein „Durchfahrt"-Wasserweg und/oder ein Nebenfluß des Rheins nach Art. 1 Abs. 3 MA sei. Mit Rücksicht auf die der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt nach Art. 45 MA übertragenen Aufgaben sei ihre Zuständigkeit nicht auf Rhein, Lek und Waal beschränkt, zumal die Zentralkommission nach Art. 45 MA zuständig sei für alle Klagen, die sich aus der Anwendung dieses Vertrages ergeben sowie für „die Rheinschifffahrt" und für die „Berufung gegen Urteile der Rheinschiffahrtsgerichte". Es heiße nicht „Berufung in Angelegenheiten, die den Rhein und/oder die Fahrt auf dem Rhein betreffen". Sinn und Zweck der Einrichtung von Rheinschiffahrtsgerichten und der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt sei die Schaffung von Rechtssicherheit und Einheitlichkeit in der Rechtsprechung.

Die Berufungsbeklagte hat die Auffassung der Berufungsklägerin bestritten. Die Berufungskammer hat sich für die Berufung unzuständig erklärt.

Aus den Entscheidungsgründen: 


„3.7.1. Die Berufungskammer stellt in Bezug auf ihre Zuständigkeit voran, daß ein Unterschied gemacht werden muß einerseits zwischen dem in Art. 1 Abs. 1 der Akte festgelegten — und in anderen Artikeln zum Ausdruck gebrachten — Grundsatz der freien Fahrt, die auf dem Rhein und seinen Mündungen bis ins Meer gilt und andererseits zwischen einer Anzahl Artikeln, die die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte und der Berufungskammer betreffen, die ausschließlich auf dem Rhein Anwendung finden, auf dem Lek bis Krimpen und auf der Waal bis Gorinchem, dem sogenannten „konventionellen Rhein", wie sich dies aus Art. 1 Abs. 3 der Akte ergibt.

3.7.1.1. Es geht hier um eine zivilrechtliche Sache im Sinne von Art. 34 IIc der Akte, denn es geht um „Schaden, verursacht durch Schiffer . . . während der Reise . . .". Dies ergibt sich aus den nicht bestrittenen feststehenden Tatsachen.

3.7.1.2. Gemäß Art. 35 der Akte steht in zivilrechtlichen Sachen die örtliche Zuständigkeit demjenigen Rheinschiffahrtsgericht zu, in dessen Bezirk die Zahlung stattfinden mußte (Art. 34 Ha) oder der Schaden zugefügt wurde (Art. 34 II b,c,d).

3.7.1.3. Bei der Einrichtung der Rheinschiffahrtsgerichte und der nationalen Berufungsinstanzen durch die niederländischen Gesetze vom 16. Juli 1869 (Staatsblad Nr. 139) und 13. März 1913 (Staatsblad Nr. 103) wurden in den Niederlanden die Kantonrichter, die Arrondissements-Gerichte und die Berufungsgerichte als zuständig bezeichnet, innerhalb der normalen Grenzen ihrer Zuständigkeit die in Art. 34 der Akte erwähnten Streitigkeiten zu beurteilen. Aus der niederländischen Gesetzgebung ergibt sich also kein Aufschluß bzgl. der Frage der Ausdehnung der örtlichen Zuständigkeit der niederländischen Rheinschiffahrtsgerichte.
Aus der durch die niederländische Regierung gem. Art. 33 Abs. 2 der Akte mitgeteilten Liste von Rheinschiffahrtsgerichten ergibt sich jedoch, daß darin ausschließlich gerichtliche Instanzen enthalten sind, deren örtliche Zuständigkeit sich auf den Lauf des (konventionellen) Rheins erstreckt, d. h. den Rhein, den Lek und die Waal, bis Krimpen und Gorinchem und daß diese Liste außerhalb davon keinen anderen richterlichen Instanzen Zuständigkeit zuerkennt (vgl. V. BONET-MAURY, Les Actes du Rhin et de la Moselle, Strasbourg, 1966, S. 84).

3.7.2.1 In Art. 34 Abs. 1 der Akte werden die Rheinschiffahrtsgerichte in Strafsachen als zuständig zur Untersuchung und Bestrafung aller Zuwiderhandlungen gegen die schiffahrts- und strompolizeilichen Vorschriften erklärt.

3.7.2.2 In Art. 35 der Akte wird in Strafsachen die örtliche Zuständigkeit dem Rheinschiffahrtsgericht zugewiesen, in dessen Gebiet die Übertretung (=Zuwiderhandlung) begangen worden ist.

3.7.2.3 In den Niederlanden findet die Rheinschiffahrtspolizeiverordnung nur auf dem „konventionellen Rhein" Anwendung (Erlaß Rheinschiffahrtspolizeiverordnung (RhSchPVO) vom 30. Juni 1983, Staatsblad 389/1983), während zur Zeit der zur Entscheidung der Berufungskammer vorgelegten Sache auf den Ausmündungen des Rheins, als da sind de Boven Merwede, de Noord, de Nieuwe Maas, de Nieuwe Waterweg, de Oudc Maas, de Dortse Kil und dem Hollands Diep die niederländische Binnenschiffahrtsstraßenordnung (BinSchStrO) vom 26. Oktober 1983 (Staatsblad 682/1983) Anwendung fand.

3.7.3.1 Aus Art. 35 der Akte ergibt sich deshalb, daß niederländische Gerichte, die nicht örtlich zuständig sind für den Rhein, den Lek und die Waal, keine Zuständigkeit als Rhein chiffahrtsgerichte haben können.

3.7.3.2 An rerseits ergibt sich aus der vorhergehend prochenen Zusammenstellung von Verse iften, daß die örtliche Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte sowohl in zivilrechtlichere als in Strafsachen auf den (konventionellen) Rhein beschränkt ist.

3.7.4. Die Berufungskammer hat nicht die Freiheit, durch eine extensive Auslegung die örtliche Zuständigkeit des erstinstanzlichen Richters und damit ihre eigene Zuständigkeit zu erweitern, zumal es sich hier um einen internationalen Vertrag handelt und sich für eine Zustimmung der Regierungen der Rheinuferanliegerstaaten zu einer solchen Erweiterung, den Fluß de Noord einschließend, nichts ergibt. Die hier durch die Berufungskammer angewandte strikte Auslegung der Akte wäre nur dann nicht gerechtfertigt, wenn sie zu einem absurden, unannehmbaren Ergebnis führen würde. Eine derartige Lage ergibt sich hier jedoch nicht.

3.7.5.1 Das vorstehende Ergebnis entspricht den „Protokollen" vom 20. Dezember 1900 und 10. Mai 1905 der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt bzgl. Fällen, die sich in dem Königshafen und auf der Neuen Maas in bzw. in der Nähe von Rotterdam ereignet hatten und in, denen die Zentralkommission für die Rheinschiffahrt sich für nicht zuständig gehalten hat (s. von TRAUT, Die Zentralkommission für die Rheinschiffahrt und ihre Rechtssprechung von 1832-1911 (1912), S. 71-72).

3.7.5.2 Die Berufungskammer weist ferner darauf hin, daß auch der „Hoge Raad der Nederlanden" in seiner Rechtsprechung unterscheidet zwischen einerseits Bestimmungen aus der Revidierten Rheinschiffahrtsakte, die sich auf die freie Fahrt auf dem Rheinund seinen Ausmündungen beziehen und andererseits Bestimmung aus der Akte, die ausschließlich für den (konventionellen) Rhein gelten. Diese — zutreffende — Auffassung ergibt sich unter anderem aus Hoge Raad 25. Februar 1972, Schip & Schade 1972, 38, Nederlandse Jurisprudentie 1972, 286, nt. H.B., Vilsteren/Jata, wo die Berufung auf die Anwendung der damals gültigen Rheinschiffahrtspolizeiverordnung bei einer Kollision auf der Neuen Maas kurz unterhalb der Ausmündung des Lek nicht angenommen worden ist. Die Berufungsklägerin hat zwar in der mündlichen Verhandlung zur Unterstützung ihrer Auffassung noch auf die Veröffentlichung von H.U. Pabst in Transportrecht, 1988 (S. 45 ff.) hingewiesen, wo Pabst zur Unterstützung seiner Behauptung, daß die Zentralkommission auch in dem Gebiet der Ausmündungen des Rheins rechtsprechende Zuständigkeit habe, auf das Urteil des Hoge Raad vom 21. Mai 1985 verweist (S & S 1985, 109, Nederlandse Jurisprudentie 1985, 908 Scaldis); aber auch diese Ausführung kann keinen Erfolg haben. In dieser Entscheidung, einer Strafsache, hat der Hoge Raad sich ausschließlich mit der Frage befaßt, ob der Beschuldigte sich an dieser Stelle (in einem in offener Verbindung mit dem Hollands Diep stehenden Wassergebiet) erfolgreich auf die Freiheit der Schiffahrt berufen konnte, und nicht, ob die Zentralkommission dort rechtsprechende Befugnis hat.

3.7.6. Auch die Geschichte der Akte weist lach Auffassung der Kammer auf die Notvendigkeit hin, zwischen den Bestimmunen, welche die freie Fahrt betreffen und len Bestimmungen, die sich auf den konventionellen Rhein beziehen, zu unterscheilen. Die Kammer führt dazu folgendes aus:

3.7.6.1 Von den nicht-niederländischen ,Mlitgliedern der Kommission für die Revision der Rheinschiffahrtsakte von Mainz wurde am 12. Oktober 1868 anerkannt, daß die ganze Akte auf der Idee basiert, daß darin 2 Arten von Bestimmungen enthalten incl. Die erste nimmt Bezug auf die Freiheit der Schiffahrt, die auf den gesamten Verlauf des Rheins von Basel bis ins offene Meer Anwendung findet, die zweite bezieht sich nur auf den Rhein, eingeschlossen Lek und Vaal, zwischen Basel einerseits und Krimen und Gorinchem andererseits (La Revion de l'Acte de Navigation du Rhin de 331; erl. CCR, 1928, p. 133, Schriftstück 'r. 12).

3.7.6.2 Zwischen 1924 und 1936 erfolgten innerhalb der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt Diskussionen mit dem Ziel, einer neuen Revision der Rheinschiffahrtsakte zu kommen. Dabei konnte bezüglich der Ausweitung der örtlichen Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte und der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt auf die Zwischengewässer zwischen dem Rhein und der offenen See einerseits und dem Rhein und Belgien andererseits keine Übereinstimmung erreicht werden. Im Gegenteil, im französisch-belgischniederländischen Abkommen von Brüssel vom 3. April 1939 wurde die Erkenntnis ausgedrückt, daß nur die Hauptstücke III, IV, VII und VIII des „Modus Vivendi" von Straßburg vom 4. Mai 1936 im Rahmen einer neuen revidierten Rheinschiffahrtsakte auf die Häfen von Rotterdam, Amsterdam, Dordrecht, Antwerpen und Gent anwendbar sein sollten (Art. 7) und daß vorläufig außer den Art. 2, 3, 4 und 5 auch die Art. 7, 9, 10, 11 und 12 der Akte für die Zwischengewässer zwischen dem Rhein und Belgien (Art. 6) für anwendbar erklärt würden. Daraus erfolgt, daß die am genannten Abkommen beteiligten Länder zu dieser Zeit der Auffassung waren, daß bis dahin nur die Art. 2, 3, 4 und 5 der Akte auf diesen Zwischengewässern anwendbar waren. Da in Art. 2 Abs. 1 der Akte bzgl. der Zwischen gewässer kein Unterschied gemacht wird zwischen den Gewässern zwischen dem Rhein und Belgien einerseits und den Gewässern zwischen dem Rhein und dem offenen Meer andererseits, muß davon ausgegangen werden, daß die drei erwähnten Länder am 3. April 1939 der Auffassung waren, daß nur die Art. 1, 2, 3, 4 und 5 der Akte mit Ausschluß aller anderen, auf den Zwischengewässern zwischen dem Rhein und dem offenen Meer einerseits und zwischen dem Rhein und Belgien andererseits Anwendung finden, daß Art. 33 Abs. 1 gemäß welchem am Rhein oder in seiner Nähe Rheinschiffahrtsgerichte zu errichten sind, auf diese Zwischengewässer für nicht anwendbar gehalten wurde.

3.7.6.3 In Art. 32 des Vertrages zwischen Belgien und den Niederlanden bzgl. der Schelde-Rhein-Verbindung vom 13. Mai 1963 wurde die Freiheit der Schiffahrt -durch die Akte garantiert- ausdrücklich auf die in diesem Vertrag genannte Schelde- Rhein-Verbindung für anwendbar erklärt. Nirgendwo jedoch wurde in diesem Vertrag die örtliche Zuständigkeit der in Art. 33 Abs. 1 der Akte erwähnten Rheinschifffahrtsgerichte oder der Zentralkommission auf die Schelde-Rhein-Verbindung ausgedehnt.

3.7.7 Auch die meisten Autoren sind der Auffassung, daß die örtliche Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte und der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt (als Berufungsinstanz) auf den (konventionellen) Rhein beschränkt ist, unter anderem B. VITANYI, The International Regime of River Navigation, (1979), p. 167-169; J. VERZIJL, III, p. 177; P. CHIESA, Le regime international du Rhin et la participation de la SuisSe, these, Univ. Fribourg, (1952) p. 31; Ph. BIAYS, „La Commission Centrale du Rhin", R.G.D.J. (1952), p. 265; B.M. TELDERS, „De huidige Stand van het Internationale Rijnregime", (rede 1937) in: Versamelde Geschriften IV, p.23; Jhr W.J.M. von EYSINGA, La Commission Centrale pour la Navigation du Rhin (1935), p. 100-101; id. Die Zentralkommission für die Rheinschiffahrt (1936), p. 100-101; F. CORTHESY, „Essai su une nouvelle organisation des Tribunaux de Navigation et de la Commission Centrale du Rhin", Rev. Gen. Dr. Int. Public (1930), 69-70 mit Fußnote 21; J. HOSTIE, „Le Statut international du Rhin", Rc. Cours Acad. Dr. Int. La Hage (1929), 147-148; A.J.N.M. STRUYCKEN, Veranderingen in het Rijnregiem na den Wereldoorlog, Proefschrift of the International Rivers: Danube and Rhine , New York (1923), p. 247; 0. Freiherr von VOELDERENDORFF, die richterliche Tätigkeit der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt von 1832 bis 1894, Frankfurt a/Main (1894), p. 2; H. de RANITZ, De Rijnvaart-Akte, Proefschrift, Leiden (1889), p. 59."

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1992- Nr.10 (Sammlung Seite 1370 ff.); ZfB 1992, 1370 ff.