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Leitsätze:
1) Die Vorschrift des Art. 37 Abs. 2 der Mannheimer Akte regelt mit Vorrang vor nationalen Vorschriften den Berufungsrechtsweg zur Berufungskammer der Rheinzentralkommission so umfassend, daß die Fristenregelung des § 516 ZPO keine Anwendung finden kann.
2) Zu der Pflicht, auf der Talfahrt am Oberrhein durch besonders frühzeitiges Aufdrehen das Hineingeraten in eine Nebelwand zu vermeiden.
Urteil der Berufungskammer der Rheinzentralkommission
vom 7. Mai 1974
23 Z - 1/74
(Rheinschifffahrtsgericht Kehl)
Zum Tatbestand:
Wegen starken Nebels drehte das bei der Klägerin versicherte MS L auf der Talfahrt bei Rheinkm 325 auf und ging - nach der Darstellung der Klägerin - dicht an den rechtsrheinischen Kribhen vor Anker. Das ihm folgende, den Beklagten Ziffer 1-3 gehörende und vom Beklagten Ziffer 4 geführte MS G drehte kurz darauf gleichfalls auf, geriet jedoch in Querlage mit dem Backbordvorschiff gegen den Steven des MS L, wodurch beide Schiffe beschädigt wurden. Die Klägerin verlangt Ersatz des entstandenen Schadens von etwa 12300,- DM mit der Behauptung, daß MS G zu lange in Fahrt geblieben sei, so daß es in die Nebelwand geraten sei und hierbei die Orientierung völlig verloren habe. Die Beklagten behaupten, die Kollision beruhe darauf, daß MS L vorschriftswidrig mitten im Fahrwasser gelegen und keine Signale gegeben habe. Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Gegen das am 31. 1. 1973 verkündete Urteil, das am 24. 9. 1973 zugestellt wurde, ist die Berufung der Beklagten beim Rheinschiffahrtsgericht am B. 10. 1973 eingegangen. Die Klägerin hält die Berufung für unzulässig, da die Berufung innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf von 5 Monaten nach Verkündigung des Urteils, also bis spätestens zum 31. 7. 1973 gemäß § 516 der deutschen ZPO habe eingelegt werden müssen. Die Berufungskammer der Rheinzentralkommission hat die Berufung für zulässig gehalten und das erstinstanzliche Urteil dahingehend abgeändert, daß die Klage dem Grunde nach nur zu 3/4 gerechtfertigt ist.
Aus den Entscheidungsgründen:
Im Zeitpunkt der Berufungseinlegung war zwar die Berufungsfrist nach der deutschen Zivilprozeßordnung, die in ihrem § 516 diese Frist spätestens mit dem Ablauf von 5 Monaten nach der Verkündigung beginnen läßt, bereits verstrichen, da die Urteilverkündung am 31 1. 1913 stattfand, die Berufung aber erst am B. 10. 1973 beim erstinstanzlichen Gericht einkam. Nach der Auffassung der Berufungskammer kann die Vorschrift des § 516 der deutschen Ziviiprozeßordnung aber keine Anwendung finden, da die Art und Weise der Berufungseinlegung einschließlich der Berufungsfrist in Artikel 37 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte abschließend geregelt ist. Dies ergibt sich eindeutig aus der Fassung des Artikels 37 Abs. 2, der das Verfahren hei Anrufung der Zentralkommission erschöpfend und umfassend beschreibt und nur für diesen Berufungsrechtsweg überhaupt von Bedeutung ist. Diese internationale Regelung hat den Vorrang vor den nationalen Vorschriften, zumal keine Anhaltspunkte erkennbar sind, daß die vertragschließenden Staaten für den Beginn der Berufungsfrist auf Vorschriften des nationalen Rechts verweisen wollten, wie sie es ausdrücklich in Art. 38 Abs, 3 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte für die bei den nationalen Obergerichten eingelegten Berufungen getan haben, Nach dem hier allein maßgebenden Art. 37 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte bestimmt sich lediglich die Form der Zustellung (Insinuation) des Urteils nach den Landesgesetzen des Gerichts erster Instanz, was aus dem französischen Wortlaut des Artikels 37 § 2 „suivant les formes adoptees dans chaque Etat" besonders deutlich hervorgeht. Nach Meinung der Berufungskammer würde es eine unvertretbare Überdehnung der Auslegung des Art. 37 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte bedeuten, wollte man auf dem Umweg über die Verweisung auf die nationalen Zustellungsbestimmungen und die Heranziehung des § 516 der deutschen Zivilprozeßordnung annehmen, daß mit Ablauf der in der nationalen deutschen Prozeßordnung festgelegten 5-Monatsfrist eine Fiktion der Zustellung eintrete und diese dann auch als Fristbeginn des Art. 37 der internationalen Vorschriften zu gelten habe. Infolge der Anknüpfung des Beginns der Berufungsfrist an die tatsächlich erfolgte Zustellung des Urteils kann zwar gegen ein nicht zugestelltes Urteil zeitlich unbeschränkt Berufung eingelegt werden und dadurch auch eine unterschiedliche Behandlung zu den Berufungen vor den nationalen Obergerichten eintreten. Diese differenzierte Behandlung muß aber angesichts der eindeutigen Fassung des Artikels 37 in Kauf genommen werden. Sie stellt auch keine unerträgliche Belastung der Parteien oder Einschränkung der Rechtssicherheit dar; denn die an dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils interessierte Prozeßpartei kann jederzeit durch Zustellung des Urteils die 30tägige Berufungsfrist in Lauf setzen. Da die Berufungskläger in dein vorliegenden Falle ihre innerhalb der Berufungsfrist eingelegte Berufung auch innerhalb der 4-Wochen-Frist des Art. 37, und zwar mit dem am 1.11.1973 heim Rheinschiffahrtsgericht Kehl eingekommenen Schriftsatz vom 30. 10. 1973, begründet haben, bestehen gegen die Zulässigkeit der Berufung keine Bedenken. Die Berufungskammer ist aufgrund des Beweisergebnisses in Übereinstimmung mit dem erstinstanzlichen Rheinschiffahrtsgericht der Auffassung, daß die Führung des MS „Georges" verpflichtet und auch tatsächlich in der Lage war, ihre Fahrt wegen des dichter gewordenen Nebels schon oberhalb der späteren Unfallstelle abzubrechen und ihr Fahrzeug ständig zu machen. Nach § 80 Abs. 2 Rheinschiffahrtspolizeiverordnung RhPolVO) 1954 müssen Talfahrer anhalten oder aufdrehen, sobald sie infolge verminderter Sicht die Fahrt nicht mehr ohne Gefahr fortsetzen können. Diese Gefahrenlage tritt bei Talfahrern, da sie im Regelfall zur Unterbrechung ihrer Fahrt aufdrehen müssen, schon dann ein, wenn zu befürchten steht, daß sie bei Fortsetzung der Fahrt in eine dichtere Nebelwand geraten und dann dieses Drehmanöver ohne genügende Orientierung ausführen müssen. Dies gilt in besonderem Maße für die Oberrheinstrecke, da hier nur eine geringe Fahrwasserbreite zur Verfügung steht und außerdem eine erhöhte Stromgeschwindigkeit das Aufdrehen eines Schiffes und sein Ständigwerden erschwert. Der Schiffsführer eines auf dem Oberrhein auf der Talfahrt befindlichen Schiffes handelt deshalb nur dann pflichtgemäß im Sinne des § 80 Abs. 2 RhPoIVO 1954, wenn er das Hineingeraten in ein dichtes Nebelfeld vermeidet, indem er schon oberhalb der Nebelwand sein Drehmanöver ausführt und die Fahrt abbricht.
Zusammenfassend ist festzustellen, daß der Führung des MS G nach Erkennen der Nebelwand, also ab Rhein-km 324,500., mindestens eine Strecke von 500 bis 600 m zur Verfügung stand, um ein Aufdrehmanöver durchzuführen. Diese Strecke wäre bei rechtzeitigem Einsatz der Buganker für ein solches Manöver auch ausreichend gewesen. Anstatt aber, wie es die Pflicht geboten hätte, ihre Fahrt zwischen Rhein-km 324,500 und 325,100 zu unterbrechen, behielt die Führung dieses Schiffes eine verhältnismäßig hohe Fahrtstufe bei.
Die Führung des MS G ist aber nicht nur in Zuwiderhandlung gegen § 80 Abs. 2 RhPoIVO 1954 zu lange in Fahrt geblieben, sondern hat auch ihr verspätetes Drehmanöver unsachgemäß ausgeführt. Wenn sie schon ungeachtet der immer schlechter werdenden Sicht noch an MS „E!ise Ebert" vorbeifuhr, so hätte sie doch spätestens unmittelbar unterhalb dieses Schiffes aufdrehen und zur Verkürzung der Drehbewegung sofort beide Buganker setzen müssen. Dadurch, daß die Führung des MS G nach der Schilderung des Schiffsführers L. von MS E auf Höhe seines Schiffes noch keine Anstalten zum Aufdrehen machte und dann noch ungeachtet der starken Strömung zunächst nur einen Anker setzen ließ, wodurch das Schiff in Querlage eine geraume Strecke talwärts versetzt wurde, hat sie eine zweite Ursache für den Unfall gesetzt.
Nach der Auffassung der Berufungskammer hat aber auch die Führung des MS L den Unfall durch ihr schuldhaftes Verhalten mitverursacht, indem sie es unterlassen hat, durch regelmäßig abgegebene Nebelsignale auf ihren Liegeplatz aufmerksam zu machen. MS L lag zumindest noch in der Nähe des Fahrwassers, wobei dieses als die gesamte für die Schiffahrt befahrbare Wasserfläche anzusehen ist. Gemäß § 82 Abs. 2 RhPoIVO 1954 wäre die Führung des MS L zwar nur verpflichtet gewesen, akustische Nebelsignale durch Glockenschläge abzugeben, sobald und solange sie Signale eines Herankommenden Fahrzeugs vernahm. Nach Auffassung der Berufungskammer hat aber ein im Nebel stilliegendes Schiff unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Sorgfaltspflicht des § 4 RhPolVO 1954 über die Vorschrift des § 82 Abs. 2 RhPolVO hinausgehend eine Verpflichtung zur Abgabe von Glockensignalen, wenn nach der gegebenen Situation mit Herankommen weiterer Fahrzeuge gerechnet werden mußte. Im vorliegenden Falle war der Führung des MS L bekannt, daß hinter ihr in einem Abstand von wenigen Minuten das MS G talwärts folgte.Aufgrund des Beweisergebnisses steht somit fest, daß die Schiffsführer beider unfallbeteiligter Schiffe schuldhaft den Zusammenstoß mitverursacht haben. Die Schiffseigner der beteiligten Schiffe bzw. ihre Rechtsnachfolger haften mithin gemäß §§ 92 BschG, 736 HGB nach dem Verhältnis der Schwere des auf jeder Seite obwaltenden Verschuldens für den eingetretenen Schaden.Die entsprechende Haftung der beteiligten Schiffsführer sich aus §§ 823 Abs. 2, 254 BGB.Bei Abwägung des beiderseitigen Verschuldens erschien der Berufungskammer der Pflichtverstoß der Führung des MS G besonders schwerwiegend, da sie durch die Fortsetzung der Fahrt in die erkennbar vor dem Schiff stehende Nebelwand hinein die Gesamtgefahrenlage überhaupt erst heraufbeschworen hat, während die Führung des MS L lediglich - wenn auch pflichtwidrig angesichts der Kenntnis des Nachfolgers eines anderen Schiffes - darauf vertraute, daß auf Höhe ihres Liegeplatzes keine andere Talfahrt mehr aufdrehe, sondern diese schon oberhalb ständig werden würde.Der Berufungskammer erschien es deshalb angemessen, die Haftung der Führung des MS G auf 3/4 und diejenige der Führung des MS „Ludwig Götz sen." auf 1/4 festzusetzen.