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Leitsätze:
1) Verursacht ein mit Gefahrgut im Sinne des § 5h BinSchG beladenes Tankschiff beim Laden und Löschen einen Sachschaden, so ist die Höchsthaftungssumme gemäß §§ 4 ff. BinSchG nicht nach § 5h BinSchG, sondern nach § 5f BinSchG zu berechnen, wenn der Sachschaden nicht durch die gefährliche Ladung selbst, sondern durch den Schiffskörper des Schiffes verursacht ist, der mechanisch die streitgegenständlichen Schäden verursacht hat. Schäden, die bei Lade- und Löschvorgängen entstehen, entstehen im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Betrieb des Schiffes im Sinne des § 4 I BinSchG, es ist nicht erforderlich, dass das Schiff sich in Bewegung befindet.
2) Die zur Berechnung der Haftungssumme notwendigen Angaben können durch die Vorlage des Schiffsattestes glaubhaft gemacht werden; das Schadensereignis ist genau zu bezeichnen und glaubhaft zu machen.
3) Liegen Heimathafen des Schiffes und der Geschäftssitz des Antragstellers nicht in Deutschland, ist zuständig für die Durchführung des schifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahrens das sachlich und örtlich für die Havarie zuständige Schiffahrtsgericht.
Beschluss
des Schiffahrtsobergerichtes Karlsruhe
vom 01.10.2007
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Schifffahrtsgericht - Mainz vom 29. Juni 2007 - 77 H 68/06 BSchRh aufgehoben. Die Sache wird zur Entscheidung über die Haftungssumme, die zur Errichtung des Fonds einzuzahlen ist sowie zur weiteren Sachbehandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Schifffahrtsgericht Mainz zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Am 13.09.2006 hat die Antragstellerin den Antrag auf Einleitung eines Verteilungsverfahrens gemäß der Schifffahrtsrechtlichen Verteilungsordnung (SVertO) beim Schifffahrtsgericht Mainz gestellt. Mit Beschluss vom 29. Juni 2007 hat das Schifffahrtsgericht den Antrag auf Einleitung eines Schifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahrens zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde.
Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig. §§ 3 Abs. 2, 34 Abs. 2 SVertO, §§ 567, 569 ZPO. Sie hat in der Sache auch Erfolg.
1. Keiner Beanstandung unterliegen die Ausführungen des Schifffahrtsgerichts zu seiner Zuständigkeit gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 SVertO. Von den in § 37 Abs. 3 und 4 SVertO enthaltenen gesetzlichen Ermächtigungen, die Binnenschifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahren einem Gericht zuzuweisen, haben die Länder bzw. die Landesregierungen offensichtlich bisher noch keinen Gebrauch gemacht (anders hinsichtlich der Zuständigkeit für Seerechtliche Verteilungsverfahren, vgl. zu entsprechenden Zuständigkeitsübereinkommen: Rittmeister, Das Seerechtliche Haftungsbeschränkungsverfahren nach neuem Recht, S. 84 m.w.N.).
2. Soweit das Schifffahrtsgericht beanstandet hat, dass es an dem Antragserfordernis nach §§ 34 Abs. 2, 4 Abs. 1, Abs. 2 SVertO mangle, wonach die für die Berechnung der Haftungssummen notwendigen Angaben einerseits über Tonnentragfähigkeit des Schiffes, andererseits über Kilowattleistungsfähigkeit der Antriebsmaschinen zu belegen sind, hat dem die Antragstellerin jedenfalls im Beschwerdeverfahren entsprochen und zugleich ihre bisherigen Angaben entsprechend dem vorgelegten Dokument „Certificaat ...“ geringfügig präzisiert. Danach beläuft sich die Tragfähigkeit des MTS „A.“ auf 1.491,168 T und die Hauptantriebsleistung auf 662 kw. Der aktuelle Wert des Sonderziehungsrechts beträgt per 20.08.2007 1,12947 EUR so dass sich zu diesem Zeitpunkt der Haftungshöchstbetrag des MTS „A.“ auf 860.442,29 EUR geteilt durch 2 = 430.121,14 EUR errechnete.
3. Die Antragstellerin hat auch alle weiteren, gemäß § 38 SVertO erforderlichen Angaben gemacht und diese glaubhaft gemacht. Zu der gemäß § 38 Abs. 1 Nr. 1 SVertO erforderlichen genauen Bezeichnung des Ereignisses, aus dem die Ansprüche entstanden sind, für welche die Haftung durch das Verteilungsverfahren beschränkt werden soll, hat sie vorgetragen:
Am 13.08.2004 gegen 15:30 Uhr erreichte MTS „A.“ den Hafen von G. und machte an der Steigeranlage der Firma „S.“ ordnungsgemäß mit Leinenverbindungen zu den Dalben und mit einem Draht an Land fest. Danach wurde gegen 16:20 Uhr wie üblich mit dem Löschvorgang begonnen. Beide verantwortlichen Schiffsführer wurden zur Freiwache eingeteilt und begaben sich in die Wohnung. Zuvor hatten Sie das Besatzungsmitglied N. als Löschwache eingeteilt und diesem Besatzungsmitglied die hierfür erforderlichen Instruktionen erteilt. Gegen 17:10 Uhr wurden die beiden Schiffsführer G. und R. durch ungewöhnliche Vibrationen und Geräusche vom Schiffspropeller aufmerksam und erkannten, als sie aus der Wohnung an Deck liefen, dass sich das Schiff voraus bewegte. Es wurde sodann unverzüglich der Notstopp für den Löschvorgang betätigt und Schiffsführer R. begab sich in das Steuerhaus, um die Vorwärtsbewegung des Schiffes abzustoppen. Währenddessen waren die vorderen Festmacher gerissen und die gemeinsame Verladeanlage der Firmen „S.“ und Sch. beschädigt worden. Der Unfall ist darauf zurückzuführen, dass von dem Besatzungsmitglied N. versehentlich der Steuerhausstuhl nach vorne geschoben und dabei unbemerkt der Getriebe- und Fahrstufenhebel auf „voraus“ geschaltet wurde. Da sich die Hauptantriebsmaschine zum Antrieb der hydraulischen Lade- und Löschpumpen in etwa 80% der Vollast befand, setzte unmittelbar starker Vorausschub ein.
Wegen der weiteren Angaben wird auf die Antragsschrift und, soweit korrigiert, auf die weiteren Schriftsätze der Antragstellerin verwiesen.
4. Mit Erfolg wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde gegen die Entscheidung des Schifffahrtsgerichts, dass ihr Antrag mangels Rechtschutzbedürfnisses unzulässig sei.
Das Schifffahrtsgericht hat angenommen, dass aus dem Umstand, dass MTS „A.“ Xylol, ein Gefahrgut im Sinne von § 5h BinSchG geladen gehabt habe, sich ein Haftungsvolumen von 1.330.309,30 EUR ergebe, das die von der Antragstellerin behaupteten Gesamtforderungen der Gläubiger von 852.658,18 EUR übersteige. Es komme nicht auf eine konkrete Gefahrauswirkung des ADNR-Gutes Xylol an, denn der Gesetzgeber habe mit der zur Verfügungsstellung des dreifach erhöhten Haftungsfonds gemäß § 5h BinSchG der abstrakten, potenziellen Gefährlichkeit solcher Transporte einschließlich Löschen und Ladung Rechnung tragen wollen, ohne dass es auf einen unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen Gefahrgut einerseits und Schadenseintritt andererseits ankommen müsse.
Indessen gilt nach § 5h Abs. 1 BinSchG der gesonderte Haftungshöchstbetrag nur für Ansprüche wegen entstandener Schäden „durch gefährliche , auf dem Schiff des Schuldners beförderte Güter “. Die Vorschrift führt daher ganz eindeutig bereits nach ihrem Wortlaut nur dann zu einer Haftungserweiterung,
wenn die Schäden durch gefährliche Güter verursacht wurden. Nichts anderes ergibt sich aus der Gesetzgebungsgeschichte. So heißt es in der Begründung zu der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtausschusses (BT Drucksache 13/11031) zu § 5h u.a.: „Durch die Verdreifachung der Beträge soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass bei Gefahrgutschäden deutlich höhere Schäden entstehen können“ und „nach Abs. 1 ist für Ansprüche wegen durch gefährliche Güter verursachte Schäden Dritter ein gesonderter Haftungshöchstbetrag zur Verfügung zu stellen…“ (Hervorhebung jeweils durch das Gericht).
Der an der Verladeanlage der Firma „S.“ und der Firma „Sch.“ entstandene Schaden ist jedoch nicht durch die gefährliche Ladung sondern durch den Schiffskörper des MTS „A.“ entstanden, der mechanisch auch die Verladeanlage eingewirkt und diese beschädigt hat. Infolge eines Versehens des Steuermanns
N. während des Löschvorgangs ist der Fahrstufenhebel auf „voraus“ geschaltet worden, woraufhin unmittelbar starker Vorausschub des Schiffes einsetzte und die beiden vorderen Festmacher rissen. Bevor das Schiff zum Stillstand gebracht werden konnte, hatte der Schiffskörper, der infolge des starken Vorausschubs in mechanischer Weise auf die Verladeanlage der Firmen „S.“ und „Sch.“ einwirkte, diese beschädigt und ohne dass in Bezug auf die entstandenen Schäden die in MTS „A.“ befindliche Ladung Xylol in irgendeiner Weise schadensursächlich geworden ist.
Selbst wenn andere Gläubiger als die Antragsgegnerinnen 1 bis 3, wie beispielsweise Feuerwehren, prophylaktisch tätig wurden, um Schäden durch etwaigen Austritt von Gefahrgut zu verhindern oder zu beseitigen, so ändert dies nichts daran, dass die bei den genannten drei Hauptgläubigern entstandenen
Schäden keine Gefahrgutschäden darstellen.
5. Ohne Erfolg machen die Antragsgegnerinnen Ziffer 1 und 3 geltend, die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung entfalle, da die streitgegenständlichen Schäden nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Betrieb des Schiffes entstanden seien.
In den Bereich der beschränkbaren Ansprüche fallen in jedem Falle auch solche wegen des Ersatzes von Schäden, die bei Lade- und Löschvorgängen entstehen; es ist nicht erforderlich, dass sich das Schiff in Bewegung befindet (vgl. dazu auch Rittmeister a.a.O. S. 24 m.w.N.).
6. Da somit der Antrag auf Eröffnung eines Schifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahrens nicht mangels Rechtschutzbedürfnisses oder mangels notwendiger Angaben als unzulässig zurückgewiesen werden durfte, war die Entscheidung des Schifffahrtsgerichts aufzuheben und die Sache zur weiteren
Behandlung, d.h. zunächst zur Festsetzung der Haftungssumme und der weiteren Modalitäten gemäß § 5 SVertO sowie dann zur Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens gemäß § 7 SVertO (vgl. dazu beispielhaft die in juris dokumentierte Entscheidung des AG Hamburg 64 SRV 1/04 vom 25.02.2005) zurückzuverweisen. Dem Schifffahrtsgericht war ferner die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu übertragen.
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2008 - Nr.8 (Sammlung Seite 1987 ff.); ZfB 2008, 1987 ff.