Decision Database
Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
vom 13. Februar 1969
Sachverhalt:
Die Beklagten sind Miteigentümer des Motorschiffs «G», auf dem der Beklagte zu 2) als Kapitän tätig ist. Das Schiff fuhr am 27.3.1965 gegen 11,30 Uhr mit einer Ladung Kohlen in den Hafen von Basel-Kleinhüningen ein und machte an der Umschlagstelle der Klägerin neben einem dort bereits liegenden Schiff fest, um später entladen zu werden. Am Vormittag des folgenden Tages gegen 8,40 Uhr knickte es in der Mitte ein und sank so, dass nur noch Vorder- und Achterschiff aus dem Wasser ragten. Mit der Entladung war noch nicht begonnen worden. Die Entladung und Hebung des gesunkenen Schiffes dauerte bis zum 5.5.1965. An diesem Tage wurde es nach Straßburg verschleppt. Die Klägerin macht geltend, das gesunkene Schiff habe vom 29.3. bis zum 5.5.1965 ihre Umschlagstelle der ganzen Länge nach versperrt und dadurch das Anlegen und Entladen anderer Schiffe verhindert. Dadurch seien ihr Einnahmeausfälle entstanden, die mit 25.000 Schweizer Franken gering berechnet seien. Diesen Betrag hat die Klägerin vor dem Rheinschifffahrtsgericht des Kantons Basel-Stadt eingeklagt. Die Beklagten haben dargelegt, das angerufene Gericht sei mit Rücksicht auf den Wortlaut des Artikels 34 Ilc der Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom 17.10.1868 in der Fassung vom 20.11.1963 sachlich unzuständig, da der von der Klägerin behauptete Schaden weder während der Fahrt noch beim Anlanden ihres Schiffes entstanden sei. Außerdem haben sie dargelegt, dass sie für einen Schaden, den sie auch bestreiten, nicht hafteten. Schließlich haben sie im Wege der Widerklage die Verurteilung der Klägerin zur Zahlung von 360,80 Schweizer Franken begehrt, weil ihnen Kosten in dieser Höhe durch die grundlose Rechtsverfolgung der Klägerin entstanden seien.
Die Klägerin hat den Darlegungen der Beklagten widersprochen.
Das Rheinschifffahrtsgericht des Kantons Basel-Stadt hat seine sachliche Zuständigkeit verneint und deshalb die Klage abgewiesen. Die Widerklage ist an das zuständige Zivilgericht verwiesen worden. Auf dieses Urteil, das auch Ausführungen zur materiellen Rechtslage enthält, wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.
Die Klägerin hat gegen das ergangene Urteil Berufung form- und fristgerecht bei der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rhein Schifffahrt eingelegt.
Sie hat zunächst den folgenden Antrag gestellt:
1.) Es sei das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Basel-Stadt vom 2. Juli 1968 aufzuheben und festzustellen, dass die Streitsache nach Artikel 34 IIc der Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom 17.10.1868 in die Zuständigkeit der Rheinschifffahrtsgerichte fällt.
2.) Es sei die Streitsache an das Rheinschifffahrtsgericht Basel-Stadt zurückzuweisen
a) mit der Weisung, als Rhein Schifffahrtsgericht in der Sache selbst zu urteilen,
b) mit der Feststellung, dass die Beklagten grundsätzlich für den Schaden haften, und zwar kausal oder eventuell aus Verschulden, alles unter Kosten- und Entschädigungsfolge für die Beklagten.
Die Beklagten haben beantragt:
Auf die Berufung sei mangels sachlicher Zuständigkeit der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt nicht einzutreten, eventuell sei die Berufung abzuweisen und das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Basel-Stadt vom 2.7.1968 in allen Teilen zu bestätigen.
Die ordentlichen und außerordentlichen Kosten beider Instanzen seien der Klägerin und Appellantin aufzuerlegen.
In einem Schriftsatz vom 20.12.1968 haben beide Parteien der Berufungskammer mitgeteilt, sie könnten sich der Auffassung anschließen, dass die Rheinzentralkommission als Berufungsinstanz sich vorerst nur mit der Frage der Zuständigkeit des Rheinschifffahrtsgerichts befasse.
Gründe:
Die Berufungskammer hat erwogen:
1.) Die Entscheidung des Rheinschifffahrtsgerichts des Kantons Basel-Stadt über seine sachliche Zuständigkeit beruht auf einer eng beim Wortlaut bleibenden Auslegung des Artikels 34 IIc der Revidierten Rheinschifffahrtsakte vom 17.10.1868. Die Worte während der Fahrt oder beim Anlanden werden deshalb als eine erschöpfende, keiner Erweiterung fähige Festlegung der sachlichen Zuständigkeit der Rheinschifffahrtsgerichte verstanden. Jede die Zuständigkeit erweiternde Auslegung wird als unzulässige Ausfüllung einer Lücke der Revidierten Rheinschifffahrtsakte abgelehnt.
2.) Es ist zuzugeben, dass die Revidierte Rheinschifffahrtsakte, wie jeder völkerrechtliche Vertrag, dort keiner Auslegung bedarf, wo ihr Text klar ist. Dieser Grundsatz ist aber, wie völkerrechtlich anerkannt ist, dahin einzuschränken, dass er nicht in einer Weise angewendet werden darf, die zu unvernünftigen Ergebnissen führt. Treten solche Ergebnisse bei einem wörtlichen Verständnis eines Vertragstextes ein, so erscheint dieser nur klar, ohne es in Wirklichkeit zu sein; denn wirkliche Klarheit des Textes kann nur dort angenommen werden, wo seine wörtliche Anwendung auf den Einzelfall stets zu vernünftigen Ergebnissen führt.
3.) Versteht man die Worte «während der Fahrt oder beim Anlanden» des Artikels 34 IIc der Revidierten Rheinschifffahrtsakte wörtlich, so stellen sich unvernünftige Ergebnisse insofern ein, als bei natürlicher Betrachtungsweise gleich gelagerte Sachverhalte teils in die Zuständigkeit der Rheinschifffahrtsgerichte, teils in diejenige der nach der Regelung des jeweiligen nationalen Rechtes sonst zur Entscheidung berufenen Gerichte fallen. Die Worte während der Fahrt oder beim Anlanden erfassen z.B. bei enger Auslegung nicht das Ablegen eines Schiffes zum Antritt einer Fahrt oder kurze Aufenthalte im Strom oder in Ufernähe während der Reise. Es gibt aber keinen vernünftigen Grund dafür, Unfälle beim Anlanden eines Schiffes der Zuständigkeit der Rheinschifffahrtsgerichte zuzuweisen, solche, die beim Ablegen entstehen, aber nicht oder die gleiche unterschiedliche Regelung für Unfälle während der Fahrt oder solche während eines kurzen Aufenthaltes im Strom hinzunehmen.
4.) Aus den dargelegten Gründen muss angenommen werden, dass die Worte «während der Fahrt oder beim Anlanden» in Artikel 34 IIc der Revidierten Rheinschifffahrtsakte nur beispielhaft gemeint sind und die Fälle der Zuständigkeit der Rheinschifffahrtsgerichte nicht erschöpfend aufzählen. Versteht man sie so, so muss selbstverständlich dargelegt werden, wofür sie beispielhaft sind. Es liegt nahe, anzunehmen, dass sie die Verwendung des Schiffes zur Schifffahrt dadurch beschreiben wollen, dass sie zwei Schifffahrtsphasen nennen. Versteht man sie so, so begründen sie die Zuständigkeit der Rheinschifffahrtsgerichte für alle Schäden, die Schiffe, während sie zur Schifffahrt verwendet werden, anderen zufügen. Die Verwendung eines Schiffes zur Schifffahrt erfolgt aber nicht nur während einer Schiffsreise im engeren Sinne, also während der Fahrt vom Ausgangs- zum Bestimmungsort. Sie erfolgt vielmehr auch während der Vorbereitung der einzelnen Reise durch die Bereitstellung des Schiffes zur Beladung und die Beladung selbst. Die Verwendung eines Schiffes zur Schifffahrt schließt weiter diejenigen Vorgänge ein, die notwendig werden, wenn das Schiff im Bestimmungshafen festgemacht hat, nämlich das Warten auf die Entladung und diese selbst. Schließlich gehören dazu Zwischenaufenthalte des Schiffes während einer Fahrt und die damit zusammenhängenden Vorfälle. Versteht man den Artikel 34 IIc der Revidierten Rheinschifffahrtsakte so, wie soeben dargelegt, so enthält er einen vernünftigen Inhalt, nämlich eine Regelung der sachlichen Zuständigkeit in Rheinschifffahrtssachen, die willkürliche Trennungen vermeidet und gleich gelagerte Fälle gleich behandelt. In diesem Zusammenhange ist auch folgendes zu bedenken: Streitigkeiten aus Rheinschifffahrtsunfällen können sachgemäß nur von Richtern entschieden werden, die mit den besonderen Verhältnissen der Rheinschifffahrt vertraut sind. Zu dieser Vertrautheit gehören nautische Kenntnisse, ferner solche der örtlichen Verhältnisse, weiter Kenntnis der geschriebenen und ungeschriebenen Fahrregeln und schließlich solche der Technik des Schiffsbetriebes und der technischen Einrichtungen eines Schiffes. Auch mit Rücksicht hierauf kann eine Auslegung des Artikels 34 IIc der Revidierten Rheinschifffahrtsakte nicht vernünftig sein, die Unfälle, die ihrer Natur nach Rheinschifffahrtsunfälle sind, nicht in die Zuständigkeit der Rheinschifffahrtsgerichte weist; denn diese sind mit Richtern besetzt, welche über die bereits erwähnten Kenntnisse verfügen, während bei anderen Gerichten eine Gewähr dafür nicht besteht.
5.) Eine Auslegung des Artikels 34 IIc der Revidierten Rheinschifffahrtsakte, wie sie in den Ziffern 2-4 vorgenommen worden ist, ist keine Ausfüllung einer Vertragslücke. Von einer solchen kann nur dort die Rede sein, wo alle anerkannten Auslegungsregeln versagen. Soweit ein Vertrag auslegbar ist, enthält er keine Lücke. Das gilt auch für diejenigen Fälle, wo sich der Auslegende in zulässiger Weise vom Wortlaut des Vertragstextes löst und zum wirklichen, nur unvollkommen erklärten Willen der Vertragspartner durchdringt, wie es im vorliegenden Falle die Berufungskammer tut. Sie befindet sich bei dieser Auslegung in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtssprechung der Zentralkommission, die im Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Basel-Stadt erwähnt wird. Rheinschifffahrtsgerichte und Obergerichte der Vertragsstaaten legen die Zuständigkeitsregeln der Revidierten Rheinschifffahrtsakte ähnlich oder noch weiter aus, wie z.B. das Rheinschifffahrtsgericht Straßburg, die Rhein Schifffahrtsgerichte Duisburg-Ruhrort und St.Goar und das Rheinschifffahrtsobergericht Köln.
6.) Es kann nicht zweifelhaft sein, dass mit dem Schiff der Beklagten Schifffahrt betrieben wurde, als es im Hafen von Basel-Kleinhüningen auf seine Entladung wartete, wenn man diesen Begriff so versteht, wie in Ziffer 4 dargelegt worden ist. Wenn es dabei einknickte und sank, so hat sich dies «während der Fahrt oder beim Anlanden» des Schiffes ereignet. Die Zuständigkeit der Rheinschifffahrtsgerichte zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites ist also nach Artikel 34 IIc der Revidierten Rheinschifffahrtsakte gegeben. Die Tatsache, dass sich der Unfall in einem Hafen ereignet hat ändert an dieser Zuständigkeit nichts; denn Häfen, wie derjenige von Basel-Kleinhüningen, die unmittelbar am Rhein liegen und mit diesem unmittelbar verbunden sind, werden als Teile des Rheins angesehen.
Es wird deshalb für Recht erkannt:
Das Urteil des Rheinschifffahrtsgericht des Kantons Basel-Stadt wird aufgehoben, soweit es mit der Berufung angefochten worden ist.
Der Rechtsstreit wird zur sachlichen Entscheidung über die Klage an das Rheinschifffahrtsgericht des Kantons Basel-Stadt zurückverwiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens gehen zu Lasten der Berufungsbeklagten, weil sie vor der Berufungskammer unterlegen sind. Ihre Festsetzung ist Sache des Rheinschifffahrtsgerichts Basel-Stadt.
Das Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rhein Schifffahrt ist in deutscher Sprache verfasst. Der deutsche Urteilstext ist maßgeblich.