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Leitsatz:
Gegenüber dem Verschulden des Bergfahrers, der einen mißverständlichen Kurs steuert, wiegt das Verschulden des Talfahrers schwerer, der unter Verletzung des § 6.04 RHSchPV einen eigenmächtigen Kurs fährt, ohne zumindest durch vorherige Signale oder Sprechfunk eine Klärung des mißverständlichen Verhaltens des Bergfahrers versucht zu haben.
Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 18. November 1986
189 Z - 13/86
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort)
Zum Tatbestand:
Am 25.1.1983 gegen 19.00 Uhr begegneten sich in der Ortslage Lobith-Tolkamer das bei der Klägerin versicherte, beladene MS P, etwa in Strommitte talwärts fahrend, und das zunächst linksrheinisch bergwärts fahrende beladene MS H der Beklagten. Steuerbords an MS H, das kein Blinklicht zeigte, hatte ein Spido-Boot angelegt, auf dem sich zur Übernahme eines Paketes der Schiffsführer des MS H befand, dessen Ruder vorübergehend der Steuermann W. führte. Beide Schiffe stießen linksrheinisch Kopf auf Kopf zusammen, wobei MS P Schäden in Höhe von etwa 114600,- DM und MS H solche in Höhe von etwa 10650,- DM erlitten. Von keinem der Schiffe wurden akustische Signale bzw. Mitteilungen über Sprechfunk gegeben. Unter Zugrundelegung einer Schuldverteilung von 3/4 zu 1/4 zu Lasten des MS P zahlten vor Prozeßbeginn die Interessenten des MS H einen Betrag von 18225,- DM an die Klägerin, auf die die geltend gemachten Ansprüche übergegangen sind. Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage annähernd 52000,- DM (unter Abzug des gezahlten Betrages) und beruft sich darauf, daß MS H kurz vor der Begegnung immer weiter nach Backbord bis in die Strommitte nach rechtsrheinisch gekommen sei, anscheinend, um an die dortigen Zollabfertigungssteiger heranzufahren. Deshalb habe man auf MS P, weil rechtsrheinisch keine Durchfahrt mehr möglich gewesen sei, unter Einschaltung des Blinklichts zwecks Steuerbord-Begegnung hart Backbordkurs genommen. Da H dann aber unerwartet wieder nach Steuerbord abgedreht habe, sei der Zusammenstoß unvermeidbar gewesen.
Die Beklagte meint, daß MS P in Mißachtung des Kursweisungsrechts des Bergfahrers die SteuerbordBegegnung habe erzwingen wollen, obwohl genügender Raum für die Backbord-Begegnung vorhanden gewesen sei. Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Berufungskammer der ZKR hat das Urteil abgeändert und die Schadensverteilung im Verhältnis 3/5 zu Lasten der Klägerin und 2/5 zu Lasten der Beklagten vorgenommen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Dem Bergfahrer (MS H) fällt zur Last, daß er bei Annäherung des Talfahrers seinen linksrheinisch verlaufenden Kurs, der jede Gefahr dieses Zusammenstoßes ausschloß, verließ und immer weiter zur Strommitte zu herauskam. Dies wurde sowohl von der Zeugin N., die sich auf einem am Nachtklarierungssteiger in Lobith liegenden Schiff aufhielt, als auch von dem Schiffsführer A des Spido-Bootes bekundet, der auf der Steuerbordseite des MS „Hansall" angelegt hatte und der den Rudergänger des MS H11 noch fragte, ob er denn nicht etwas mehr nach Steuerbord gehen müsse. Da dieses Abgehen des MS H von dem ursprünglich linksrheinisch verlaufenden Kurs zur Strommitte auf der Höhe der Reede Lobith erfolgte, wo sich rechtsrheinisch Zollabfertigungssteiger befinden, mußte auf dem Bergfahrer damit gerechnet werden, daß bei dem in Strommitte herankommenden Talfahrer die irrtümliche Meinung entstehen konnte, der Bergfahrer wolle zum rechten Ufer an einen der Steiger fahren und habe dabei vergessen, das entsprechende Kurssignal abzugeben. Dem Talfahrer (MS P) ist als Verschulden zuzurechnen, daß er die Kursweisung des Bergfahrers, der eine BackbordBegegnung verlangte, mißachtete und Backbord-Kurs nahm. Die Berufungskammer ist der Auffassung, daß das nautische Fehlverhalten des Talfahrers überwiegt, da dieser den nach aller Erfahrung schwerwiegenden nautischen Fehler beging, der Kursweisung des Bergfahrers zuwider unter Verletzung des § 6.04 Rheinschiffahrtspolizeiverordnung eigenmächtig unter Einschaltung seines Blinklichtes Backbordkurs zu nehmen, um eine Steuerbordbegegnung einzuleiten, ohne vorher zumindest durch ein akustisches Achtungssignal eine Klärung des mißverständlichen Kursverhaltens des Bergfahrers herbeizuführen. Wäre dieses akustische Signal von dem Talfahrer abgegeben und gleichzeitig die Fahrt vermindert worden, so hätte der Bergfahrer - wie unmittelbar darauf geschehen - wieder rechtzeitig nach Steuerbord auf seinen alten Kurs zurückgehen können. In der gegebenen Situation hätte der Talfahrer allein nach rechtsrheinisch ausweichen dürfen, wo nach Zeugenaussage noch Platz vorhanden war, da der Bergfahrer nicht über die Strommitte hinauskam. Bei einem eigenmächtigen Verhalten des Talfahrers entgegen der Kursweisung muß immer damit gerechnet werden, daß seine vermeintlichen Ausweichbewegungen nach der falschen Seite - wie auch hier geschehen - mit der Kurskorrektur des Bergfahrers nach derselben Seite zeitlich zusammenfällt und wegen der Schwerfälligkeit beladener Schiffe ein Zusammenstoß dann unvermeidlich ist.
Die Berufungskammer hält trotz der schwerwiegenden Verletzung der Schiffssicherheit durch den Bergfahrer und dessen hierauf zurückzuführendes mißverständliches Kursverhalten den nautischen Kardinalfehler des Talfahrers für überwiegend. Sie bemißt das Verschulden und damit auch die Ersatzpflicht auf 3/5 zu Lasten des Talfahrers (MS P) und 2/5 zu Lasten des Bergfahrers (MS H).
....“.