Decision Database

187 P - 6/86 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Decision Date: 05.06.1986
File Reference: 187 P - 6/86
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Department: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 5. Juni 1986

(Auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Strassburg vom 25. Juni 1984 - 1 E 847/84 -)

Tatbestand:

Der Beschuldigte hat Berufung gegen das Versäumnisurteil des Rheinschifffahrtsgerichts Strassburg vom 25.Juni 1984 eingelegt und die Einwendung der Nichtigkeit der Ladung zur Verhandlung vom 25. Juni 1984 erhoben, die der Staatsanwaltschaft beim Rheinschifffahrtsgericht Strassburg gemäß dem Verfahren des Artikels 562 der französischen Strafprozessordnung für im Ausland lebende Personen zugestellt worden ist. Als Begründung hat der Beschuldigte angeführt, dass die Vorladung ihm nicht ordnungsgemäß mit der entsprechenden Übersetzung in seinem Wohnsitz bewirkt worden ist.

Die Staatsanwaltschaft macht geltend, dass keine Bestimmung der Strafprozessordnung vorschreibt, dass die Ladung einem im Ausland lebenden Beschuldigten mit einer Übersetzung übermittelt werden muss. Die Staatsanwaltschaft hat in Übereinstimmung mit Artikel 562 der Strafprozessordnung gehandelt, als sie die Ladung des Beschuldigten am 15. Februar 1984 bei der Staatsanwaltschaft bewirkt hat. Eine Kopie des in französischer Sprache und damit einer Amtssprache des Europarates verfassten Schriftstücks ist dem Beschuldigten am 2. März 1984 durch die deutschen Behörden übergeben worden.
Die Staatsanwaltschaft beantragt daher die Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils.
 
Entscheidungsgründe:

Die Zustellung erfolgte am 2. März 1984 durch Niederlegung der Ladung bei der Postanstalt in Bielefeld 1.
Diese Zustellung wurde, wie sich aus den Gerichtsakten ergibt, gemäß den Vorschriften der deutschen Strafprozessordnung für Zustellungen am Wohnort vorgenommen und genügt auch den Vorschriften des Artikels 552 der französischen Strafprozessordnung, wonach Vorladungen von im Ausland und insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Parteien mindestens zwei Monate vor der Verhandlung bewirkt werden müssen.

Nun sieht aber die Europäische Menschenrechtskonvention, auf die der Beschuldigte sich implizit bezieht, das Recht des Beschuldigten vor, "in einer für ihn verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden".

Zu Unrecht hat die Staatsanwaltschaft in ihren Anträgen das europäische Rechtshilfeabkommen vom 20. April 1959 dahingehend interpretiert, dass die Abfassung der Ladung in einer beliebigen Amtssprache des Europarates, vor allem gegenüber der europäischen Menschenrechtskonvention, gültig ist, auch wenn der Beschuldigte nicht in der Lage ist, sie zu verstehen.

Zwar können nach dem europäischen Rechtshilfeabkommen den zuständigen Behörden der Bundesrepublik Deutschland übermittelte Schriftstücke entweder in deutscher Sprache oder in einer der Amtsprachen des Europarates abgefasst werden, doch präjudiziert dieses Abkommen in keiner Weise die Bedingungen, die noch nach der europäischen Menschenrechtskonvention einzuhalten sind, welche vom Rechtshilfeabkommen in keiner Weise berührt wird, wie in Artikel 26 dieses Instruments ausdrücklich darauf hingewiesen wird.

Allerdings bedeutet die Verletzung der nach Artikel 6.3 der europäischen Menschenrechtskonvention garantierten Rechte des Beschuldigten auf Information deshalb nicht die Nichtigkeit der Ladung einer Person, sondern macht für das Gericht lediglich jede Urteilsfällung unmöglich, zumal sich bei der Prüfung der Gerichtsakte und der Verhandlung ergeben hat, dass die Gerichtsakte keinen Hinweis darauf enthält, dass der Beschuldigte die Art und den Grund der in der Ladung angeführten Beschuldigung verstand.
 
Das mit Berufung belegte Versäumnisurteil, das in Verletzung der Bestimmungen der europäischen Menschenrechtskonvention über das Recht des Beschuldigten auf Information gefällt worden ist, ist aufzuheben.

Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:

- die Berufung des Beschuldigten S., die formell nicht zu beanstanden ist, ist zulässig,

- sie ist begründet,

- die Berufung der Staatsanwaltschaft wird deshalb zurückgewiesen,

- das Versäumnisurteil des Rheinschifffahrtsgerichts Strassburg vom 25. Juni 1984 wird aufgehoben,

- die Festsetzung der Kosten für das Berufungsverfahren erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Strassburg gemäß Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte.