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Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
vom 18. April 1985
(Auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts St. Goar vom 27. Juni 1984 - 4 C 4/83 BSchRh -)
Tatbestand:
Das bei der Klägerin versicherte Motortankschiff "L" hatte sich am 2.9.1982 nachdem seine Maschine wegen eines Bruchs der Kurbelwelle ausgefallen war, bei Km 583 in Ufernähe festgesetzt und war an Land befestigt worden. Das manövrierunfähige Schiff sollte aus dieser Lage durch die Beklagten zu 3 und 4 als die Führer der Motorschlepper "B" und "P" der Beklagten zu 1 und 2 abgezogen und anschließend in den Hafen von Koblenz-Wallersheim geschleppt werden. Die Beklagten zu 3 und 4 auf der einen und der Führer des MTS "L" auf der anderen Seite haben, nachdem diese Maßnahmen durchgeführt worden waren, je einen "Turnauftrag" unterzeichnet, wobei sie gleichlautende vorgedruckte Formulare benutzten, welche die Beklagten zu 1 und 2 in solchen Fällen regelmäßig verwendeten. Diese Formulare enthalten u. a. die Klausel:
"Jegliche Ansprüche gegenüber dem Eigentümer beziehungsweise Ausrüster oder der Besatzung des turnenden Schiffes für Schäden, welche während der Turnarbeit an dem loszuturnenden Schiff und/oder dessen Ladung entstehen, sind ausgeschlossen."
Zum Formular gehört weiter eine "Bescheinigung", durch welche der Eigner des losgeturnten Schiffes den Umfang und den Zeitaufwand der Arbeit der turnenden Schiffe bestätigt. Dabei hat man im vorliegenden Falle den Zeitaufwand für die Anfahrt der turnenden Schiffe, für das Turnen und für das anschließende Verschleppen getrennt erfasst.
Das Losturnen des MTS "L" verlief glatt. Das anschließende Verschleppen erfolgte in folgender Formation:
Der Motorschlepper "P" zog das MTS "L" an kurzem Strang. Der Motorschlepper "B" hatte an der Steuerbordseite des Achterschiffs von MTS "L" festgemacht, um von dort aus zu drücken.
Die Einfahrt des Verbandes in den Hafen von Koblenz-Wallersheim misslang. Das MTS "L" stieß gegen die östliche Spundwand des Hafenkopfes und erlitt Schäden. Die Klägerin hat diese ersetzt und verlangt nun ihrerseits Ersatz von den Beklagten.
Sie weist darauf hin, dass das bei ihr versicherte Schiff manövrierunfähig gewesen sei, sodass die Verantwortung für das Verschleppen einschließlich der Einfahrt in den Hafen allein bei den Beklagten liege. Der Unfall zeige, dass auf deren Schiffen Fehler begangen worden sein müssten. Es sei die Sache der Beklagten, diese gegen sie sprechende Vermutung durch die Darlegung und den Nachweis zu widerlegen, dass sie nautisch richtig manövriert hätten. Das sei nicht geschehen.
Die Klägerin hat weiter behauptet, die Höhe des von ihr ersetzten Schadens betrage DM 18.802,39.
Sie hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie DM 18.802,39 nebst 4 % Zinsen seit dem 27.11.1982 zu bezahlen und auszusprechen, dass die Beklagte zu 1) dinglich mit dem Motorschlepper "B", die. Beklagte zu 2) dinglich mit dem Motorschlepper "P" und beide genannten Beklagten auch persönlich im Rahmen der Bestimmungen des Binnenschifffahrtsgesetzes haften.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bestreiten, dass die Beklagten zu 3 und 4 falsch manövriert hätten. Den Unfall führen sie auf die Strömungsverhältnisse in der Hafeneinfahrt zurück. Außerdem berufen sie sich auf den im "Turnauftrag" vereinbarten Haftungsausschluss.
Hierzu meint die Klägerin, dieser Ausschluss sei nur für das Turnen, nicht aber auch für das Verschleppen vereinbart worden.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat Zeugen vernommen und sodann der Klage stattgegeben. Es hat dargelegt:
Es stehe außer Zweifel, dass das MTS "L" völlig manövierunfähig gewesen sei. Daran ändere die Tatsache nichts, dass sein Bugstrahlruder noch einsatzfähig gewesen sei, denn das Fahrzeug habe mit seiner Hilfe seinen Kurs nicht selbst bestimmen können. Diesen Kurs hätten allein die Schiffe der Beklagten festgelegt. Der Unfall spreche dafür, dass ihnen hierbei ein Fehler unterlaufen sei, denn sie hätten keine Umstände dargelegt, die einen solchen ausschlössen. Der Hinweis auf die Strömungsverhältnisse in der Hafeneinfahrt und die Abladung des Tankers reiche nicht aus, da sie bekannt gewesen seien und hätten in Rechnung gestellt werden müssen.
Ein Haftungsausschluss sei nur für das Turnen, nicht aber auch für das anschließende Verschleppen vereinbart worden.
Die Beklagten haben Berufung eingelegt.
Die Parteien wiederholen ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszuge und nehmen zu den Ausführungen des Rheinschifffahrtsgerichtes Stellung. Nach Ansicht der Klägerin ist die Berufung verspätet begründet worden.
Es beantragen:
Die Beklagten,
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist formell nicht zu beanstanden.
Soweit die Klägerin meint, die Frist zur Begründung der Berufung sei nicht eingehalten, übersieht sie, dass diese Frist nach Art. 37 Abs. 3 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte, in der Fassung des Zusatzprotokolls Nr. 3 vom 17.10.1979 in Kraft seit dem 1.9.1982, nicht mehr 4 Wochen, sondern 30 Tage beträgt. Die Frist beginnt mit dem Eingang der Berufungsschrift bei Gericht; im vorliegenden Falle begann sie also am 6.8.1984. Sie war beim Eingang der Berufungsbegründung am 5.9.1984 noch nicht abgelaufen.
In der Sache hat die Berufung aus den folgenden Gründen keinen Erfolg:
1. Es ist ungeklärt, welche Ursache oder welche Ursachen dazu geführt haben, dass das bei der Klägerin versicherte Schiff gegen eine Spundwand des Hafenkopfs von Koblenz-Wallersheim gestoßen ist. Diese Frage bedarf aber keine Klärung, da diese Ursachen nur in einem Bereich liegen können, für den die Beklagten zu 3 und 4 verantwortlich waren. Das Rheinschifffahrtsgericht hat richtig festgestellt, dass das bei der Klägerin versicherte MTS "L" völlig manövrierunfähig war und weder seinen Kurs noch seine Geschwindigkeit selbst bestimmen konnte. Seine funktionsfähigen Bugstrahlruder änderten nach der weiteren richtigen Feststellung des Rheinschifffahrtsgerichtes hieran nichts, da sie allein den Kurs des Schiffes nicht festlegen und halten konnten. Das MTS "L" musste also von den Schiffen der Beklagten bugsiert werden.
Nur sie bestimmten seinen Kurs und seine Geschwindigkeit. Angesichts dieser Situation und angesichts des Unfalles - Anstoß gegen eine Spundwand - spricht ein Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden der Beklagten zu 3 und 4, oder eines von ihnen. Auch hier sind präzisere Feststellungen nicht erforderlich, da nach § 830 I 2 BGB jeder von mehreren Tatbeteiligten für den bei der Tat ent¬standenen Schaden verantwortlich ist, wenn nicht festgestellt werden kann, wer von ihnen ihn durch seine Handlung verursacht hat.
Es war deshalb die Aufgabe der Beklagten einen Sachverhalt darzulegen und notfalls zu beweisen, welcher einen Fehler der Beklagten zu 3 und 4 als Unfallursache ausschloss. Das haben sie nicht vermocht. Ihr Hinweis auf die Abladung von MTS "L" und auf die Strömungsverhältnisse in der Hafeneinfahrt ist nicht geeignet, sie zu entlasten. Das Rheinschifffahrtsgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, dass beide Faktoren den Beklagten zu 3 und 4 bekannt gewesen seien. Man musste und konnte ihnen deshalb bei der Festlegung des Kurses des Verbandes Rechnung tragen. Nur falsche Kursfestlegung bei der Einfahrt in den Hafen erklärt auch unter Berücksichtigung der genannten Faktoren den Unfall. Deshalb steht das Verschulden der Beklagten zu 3 und 4 als der für den Kurs verantwortlichen Personen fest. Die Haftung aller Beklagten für die Folgen der Havarie ergibt sich aus den §§ 823, 830 BGB, 3, 4, 114 BSchG.
Eine Freizeichnung von dieser Haftung ist nicht erfolgt. Im einzelnen ist hierzu folgendes zu sagen:
a) Die im vorliegenden Falle geschlossenen, als "Turnauftrag" bezeichneten Verträge hatten einen doppelten Inhalt. Nach ihm war einmal das unter Wasser festsitzende MTS "L" freizuziehen, also loszuturnen. Zum anderen war das freigezogene Schiff in den Hafen von Koblenz-Wallersheim zu verschleppen. Beide Vorgänge konnten natürlich Inhalt ein und desselben Vertrages sein, dieser aber für jeden von ihnen - zum Beispiel in der Frage der Haftung - unterschiedliche Vereinbarungen enthalten. Nach dem Wortlaut der vorliegenden "Turnaufträge" sind Ersatzansprüche und "für Schäden während der Turnarbeit an dem loszuturnenden Schiff und/oder dessen Ladung" ausgeschlossen. Diese Formulierung ist sehr klar und erfordert keine Auslegung. Nur die eigentliche Turnarbeit kann nicht zu Ansprüchen auf Schadensersatz führen. Daraus ist zu folgern, dass das folgende Verschleppen des losgeturnten Schiffes solche Ansprüche zur Folge haben kann.
Diese Unterscheidung hat einen guten Sinn. Das Losturnen eines festsitzenden Schiffes setzt meist eine Gewaltanwendung des turnenden Schiffes voraus, die u. a. Schäden an dem loszuturnenden zur Folge haben kann. Solche Schäden werden um des Erfolges der Turnarbeit willen als unvermeidbar in Kauf genommen. Auch ohne Frei-zeichnung würde deshalb die Turnarbeit eine Haftung des turnenden Schiffes für Schäden an dem loszuturnenden nicht zur Folge haben, da es an einem Verschulden fehlen würde. Die Freizeichnung stellt nur eine ohnehin bestehende Rechtslage klar.
Die Verschleppung des losgeturnten Schiffes ist dagegen, wenn sie mit der gehörigen Sorgfalt ausgeführt wird, ohne Beschädigung des geschleppten Schiffes möglich. Hier entfallen alle Faktoren, die beim Turnen zu nicht vermeidbaren Schäden führen können.
Es war deshalb sinnvoll, die Haftung für beide Vorgänge unterschiedlich zu vereinbaren. Man würde der Vereinbarung Gewalt antun, wenn man den Haftungsausschluss für die Turnarbeit entgegen dem Vertragswortlaut auch auf die Schlepparbeit erstrecken würde.
b) Die Beklagten sehen allerdings die tatsächlichen Vorgänge und die aus ihnen abzuleitenden rechtlichen Folgerungen anders. Sie gehen davon aus, dass das MTS "L" durch den Ausfall seiner Maschine infolge Bruchs der Kurbelwelle und das Festsitzen auf dem Grund des Rheines in eine hilfsbedürftige Lage gekommen war. Zweck der geschlossenen Verträge war es nach der Ansicht der Beklagten, diese Hilfsbedürftigkeit dadurch zu beheben, dass das Schiff losgeturnt und daran anschließend in den Hafen von Koblenz-Wallersheim geschleppt würde, wo es zu entladen war. Hieraus leiten sie ab, dass die geschlossenen Verträge eine rechtliche Einheit bilden, die es unmöglich mache, sie in zwei Teile mit unterschiedlicher Regelung des Haftungsausschlusses zu zerlegen. Nach Ansicht der Beklagten gilt deshalb der vereinbarte Haftungsausschluss für die gesamte einheitliche Tätigkeit ihrer Schiffe, die erst abgeschlossen war, als das MTS "L" im Hafen lag.
Nun ist die geschilderte Hilfsbedürftigkeit des MTS "L" nicht zu verkennen. Anzuerkennen ist auch, dass sie erst behoben war, als das Schiff im Hafen lag. Das ändert aber nichts daran, dass die Hilfsbedürftigkeit in zwei Etappen - losturnen und verschleppen - zu beheben war. Beides waren unterschiedliche Maßnahmen, die von der Natur der Sache her rechtlich. unterschiedlich zu regeln waren, wie es unter Ziffer a) dargelegt worden , ist. Hätten die Partner der Verträge die beiden genannten Vorgänge was die Haftung der Schiffe der Beklagten betrifft rechtlich in der gleichen Weise regeln wollen, so hätte dies klar zum Ausdruck gebracht werden müssen Gerade daran fehlt es aber, denn dem Wortlaute nach ist der Haftungsausschluss nur für die Turnarbeit vereinbart worden. Es fehlt jeder Anhalt dafür, dass er auch für die Schlepparbeit gelten sollte. In diesem Zusammen hange ist darauf hinzuweisen, dass die Verträge erst unterzeichnet worden sind, als die gesamte Arbeit beendet war. Es hätte deshalb sehr nahe gelegen, den formularmäßigen Text des Haftungsausschlusses dahin zu ändern, dass er die gesamte Tätigkeit umfassen sollte, wenn man dies gewollt hätte. Die Beibehaltung des Textes zeigt, dass ein solcher Wille nicht vorhanden war. Hinzuweisen ist weiter darauf, dass losturnen und schleppen getrennt berechnet worden sind. Auch dies spricht für die rechtliche Trennung beider Vorgänge.
c) Selbst wenn man aber die Klarheit des Wortlautes der Turnaufträge bezweifeln würde, käme man zu keinem anderen Ergebnis. Die Formulare der Turnaufträge sind nach dem deutschen Gesetz zur Regelung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBGes.) zu beurteilen. Sie sind allgemeine Geschäftsbedingungen, die hier nicht neben einem Vertrage bestehen, sondern in ihn hineingearbeitet sind AGBG 1). Für solche Geschäftsbedingungen gilt die so genannte Unklarheitenregel (AGBG 5), die besagt:
"Zweifel bei der Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders".
Verwender sind im vorliegenden Fall die Beklagten zu 1 und 2. Eine Auslegung der erwähnten Haftungsbeschränkung zu ihren Lasten würde es notwendig machen, dabei eng bei dem Wortlaut des Formulars zu bleiben, um so die Haftungsbeschränkung auf das geringste Maß einzugrenzen. Das Ergebnis wäre auch hier die Beschränkung des Haftungsausschlusses auf die Turnarbeit.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
1) Die Berufung der Beklagten gegen das am 27.6.1984 verkündete Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts St. GOAR wird zurückgewiesen.
Das genannte Urteil wird bestätigt.
2) Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
3) Die Festsetzung dieser Kosten erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht St. GOAR unter Berücksichtigung des Art. 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte.
Der Stellvertretende Gerichtskanzler: Der Vorsitzende :
(gez.) A. Bour (gez.) Mischlich