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Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
vom 22. November 1984
(Auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Mannheim vom 23. Februar 1984 - C 109/83 RhSch -)
Tatbestand:
Die Klägerin ist die Eignerin des Motorschiffs "H". Das Schiff befand sich am 7.4.1982 gegen 23,30 Uhr auf der Talfahrt im Revier bei Km 467. Am Ruder stand der Matrose Z. Neben ihm befand sich der Ehemann der Klägerin, der Schiffsführer B., im Ruderhaus. Die Nacht war klar und die Sicht gut. Das Radargerät wurde benutzt. Das Schiff begegnete zwei Bergfahrern, zuletzt dem Motorschiff "MH" des Beklagten, welches dieser selbst bei Benutzung eines Radargerätes führte. Bei dieser Begegnung stießen beide Schiffe in der Weise zusammen, dass "MH" "H" backbords in die Seite fuhr. Das angefahrene Schiff wurde erheblich beschädigt. Die Klägerin hat behauptet: Kurz vor der Begegnung sei "MH" plötzlich nach Backbord ausgeschert und auf ihr Schiff zu gefahren. Dort habe man Schall- und Lichtzeichen gegeben, die nicht erwidert worden seien. Der Bergfahrer sei weiter über Kurzwelle angesprochen worden, habe aber nicht geantwortet. Das eigene Schiff habe versucht, nach Steuerbord aus¬zuweichen. Die Kollision habe aber nicht verhindert werden können. Nach dem Zusammenstoss sei der Schiffsführer des MS "MH" an Bord von "Hannelore" gekommen und habe, befragt nach der Ursache des Kurses seines Schiffes, erklärt, er habe die automatische Ruderanlage benützt. Diese habe plötzlich versagt, wodurch das Schiff nach Backbord verfallen sei. Sein Versuch, die Ruderanlage auf Handbetrieb umzustellen, habe die Kollision nicht verhindern können. Die Klägerin hat weiter behauptet, auf ihrem Schiff sei ein Schaden in Höhe von DM 58.670,40 entstanden.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie DM 58.670,40 nebst 10 % Zinsen seit dem 1.11.1982 zu bezahlen und auszusprechen, dass der Beklagte sowohl dinglich mit dem MS "MH" als auch persönlich im Rahmen des Binnenschifffahrtsgesetzes hafte.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat den Vortrag der Klägerin bestritten und behauptet:
Die Unfallstelle liege in einer Stromkrümmung, in deren Hang das Schiff der Klägerin gefallen sei. In dieser Abweichung vom normalen Kurs der Talfahrt liege die alleinige Unfallursache. Er, der Beklagte, habe die Havarie dadurch zu vermeiden versucht, dass er Steuerbordkurs eingeschlagen habe. Um dies besonders schnell und wirksam tun zu können, habe er das Ruder vom automatischen auf Handbetrieb umgestellt, was leicht möglich gewesen sei. Dies habe er auch der Besatzung von "H" nach der Havarie erklärt. Dagegen habe er nicht gesagt, sein Autopilot sei ausgefallen. Die Kursänderung seines Schiffes habe aber die Havarie nicht verhindern können. Der Beklagte hat auch die Höhe des behaupteten Schadens bestritten. Die Havarie hat zu dem Verklarungsverfahren H 5/82 BSch des Schifffahrtsgerichts Mannheim geführt. Außerdem ist aus ihr die Bußgeldsache 11 Js 6649/83 - 19 OWi RSch des Rheinschifffahrtsgerichts Mainz entstanden, das gegen den Beklagten eine Geldbusse von DM 300 wegen Verstoßes gegen die §§ 6.03 und 1.04 RSchPVO verhängt hat. Diese Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Das Rheinschifffahrtsgericht Mannheim hat die genannten Akten hinzugezogen und sodann die Klage zu 1/3 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Entscheidung ist wie folgt begründet worden. Das Rheinschifffahrtsgericht sieht die entscheidende Unfallursache darin, dass das MS "H" der Klägerin nicht im rechtsrheinischen Stromdrittel, sondern in der linksrheinischen Fahrwasserhälfte gefahren sei. Diese Feststellung wird auf die Aussage des Matrosen Kiefer gestützt, der als Rudergänger auf dem MS "GO" mit seinem Schiff dem MS "H" einige Zeit vor der Kollision begegnete. Über diese Begegnung hat er ausgesagt, sie sei an der Backbordseite mit einem Seitenabstand von etwa 15 m erfolgt, während sein Schiff etwa 10 m vom geografisch linken Ufer entfernt gewesen sei. Das Rheinschifffahrtsgericht sieht durch diese Aussage diejenige des Beklagten über den Kurs von "H" bei der Begegnung mit "MH" bestätigt. Sie ist deshalb nach seiner Ansicht glaubhaft. Es folgt weiter der Aussage des Beklagten über die Umschaltung der Ruderanlage vom automatischen auf Handbetrieb, ihren Grund und ihre Folge und hält die dieser Aussage widersprechenden Bekundungen der Besatzung des MS "H" für nicht überzeugend. Grund für diese Ansicht ist die moderne Autopilotanlage des Schiffes des Beklagten, die sich der erste Richter hat vorführen lassen. Der Besatzung des Schiffes der Klägerin wirft er vor, einen falschen Kurs im Hang der Stromkrümmung gefahren zu sein und dessen rechtzeitige Korrektur angesichts der Bergfahrt versäumt zu haben. Demgegenüber wird dem Beklagten vorgeworfen, den falschen Kurs von "H" erkannt, es aber unterlassen zu haben, dem Schiff rechtzeitig nach Steuerbord auszuweichen. Beide Fehler rechtfertigen nach der Ansicht des Rheinschifffahrtsgerichts die Festsetzung folgender Haftungsquoten : 2/3 Klägerin, 1/3 Beklagter.
Beide Parteien haben Berufung eingelegt.
Sie wiederholen ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszuge und nehmen zu den Ausführungen des Rheinschifffahrtsgerichtes Stellung.
Es beantragen:
1) Die Klägerin,
nach ihren im ersten Rechtszuge gestellten Anträgen zu erkennen und die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
2) Der Beklagte,
die Klage im vollen Umfange abzuweisen und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufungen sind in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. In der Sache hat diejenige des Beklagten Erfolg, während die Berufung der Klägerin erfolglos ist.
Im Einzelnen hat die Berufungskammer erwogen:
1. Alle Mitglieder der Besatzung des MS "H" haben bei ihrer Anhörung ausgesagt, der Beklagte habe ihnen nach der Havarie auf die Frage nach deren Ursache erklärt, die automatische Ruderbedienung seines Schiffes habe versagt und sei plötzlich ausgefallen. Sein Versuch, das Ruder auf Handbedienung umzustellen, habe die Havarie nicht verhindern können. Hätte der Beklagte diese Erklärung abgegeben und wäre sie objektiv richtig, so stände die Havarieursache fest. Sie läge in dem plötzlichen Versagen einer technischen Einrichtung des Schiffes der Beklagten. Die Berufungskammer vermag aber aus der Beweisaufnahme nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu entnehmen, dass der Beklagte die ihm in den Mund gelegte Erklärung abgegeben hat. Er selbst hat ausgesagt, er habe vor der Havarie das Ruder seines Schiffes auf Handbedienung umgestellt, um sein Schiff entschiedener und schneller auf Steuerbordkurs zu bringen. Auf diese Weise habe er dem nach Backbord in den Hang fallenden MS "H" ausweichen und eine Kollision mit ihm vermeiden wollen. Nur dies will der Beklagte auch der Besatzung des Schiffes der Klägerin gesagt haben. Er ist der Ansicht, von der Besatzung missverstanden worden zu sein. Hätte der Beklagte die von ihm behauptete Erklärung abgegeben und wäre sie objektiv richtig, so läge die Ursache der Havarie nicht auf seinem Schiff. Dessen technische Einrichtungen hätten funktioniert und ein Navigationsfehler wäre nicht feststellbar.
Bei der Bewertung der geschilderten Aussagen ist zu bedenken, dass sie alle von Personen stammen, die am Ausgange des Rechtsstreites nicht uninteressiert erscheinen. Mit dieser Feststellung soll nicht der Verdacht ausgesprochen werden, einige der erwähnten Personen hätten bewusst und gewollt die Unwahrheit gesagt. Vielmehr soll auf die Möglichkeit von Missverständnissen hingewiesen werden, die im vorliegenden Falle besonders nahe liegen. Der Beklagte hat ja unmittelbar vor der Havarie das Ruder seines Schiffes auf Handbedienung umgestellt, um eine Kollision mit dem Schiff der Klägerin zu vermeiden. Dieses Ziel wurde nicht erreicht, die ergriffene Maßnahme war wirkungslos. Die Darstellung eines solchen Sachverhaltes durch den Beklagten konnte von der Besatzung des Schiffes der Klägerin leicht dahin missverstanden werden, die Umstellung der Ruderbedienung in einer gefährlichen Situation sei durch das Versagen des Autopiloten erzwungen worden und wegen dieses Versagens auch wirkungslos geblieben. Möglicherweise haben bei diesem Missverständnis eigene Vorstellungen der Besatzung des Schiffes der Klägerin über die Havarienursache eine Rolle gespielt, die man dann mit den Erklärungen des Beklagten vermengt hat, ohne dies zu bemerken. In diesem Zusammenhange ist zu bedenken, dass nach dem Vortrag der Klägerin das Schiff des Beklagten unmittelbar vor der Havarie plötzlich nach Backbord ausgeschert und auf das eigene zugefahren sein soll. Jemand der die zu einer Havarie führenden Ereignisse so gesehen hat, kann ihren Grund in das Versagen des Ruders des vom Kurs abkommenden Schiffes hineinlegen, weil so eine plötzliche Kursveränderung am ehesten erklärt werden kann. Hört er dann, dass tatsächlich bei der Ruderbedienung unmittelbar vor der Havarie Veränderungen, vorgenommen worden sind, so kann er darin eine Bestätigung der von ihm vermuteten Unfallursache sehen, obschon sie in Wirklichkeit nicht gegeben worden ist. Die Berufungskammer glaubt, die Möglichkeit nicht ausschließen zu können, dass die Besatzung des Schiffes der Klägerin eine vom Beklagten behauptete und auch abgegebene Erklärung über sein Verhalten vor der Havarie aus den geschilderten Gründen missverstanden und falsch aufgenommen hat. Die dargelegten Erwägungen führen deshalb zu dem Ergebnis, dass nicht festgestellt werden kann, was der Beklagte der Besatzung des Schiffes der Klägerin über sein Verhalten vor der Havarie gesagt hat. Deshalb bleibt offen, ob seine Erklärung den Schluss zulässt, die Havarieursache liege in dem Versagen der automatischen Ruderbedienung seines Schiffes.
2. Auch die bei der Havarie an dem MS "H" entstandenen Schäden lassen keine sicheren Schlüsse auf die Havarieursache zu. Das Schiff des Beklagten ist demjenigen der Klägerin in die Backbordseite gefahren. Das war nur möglich, wenn es Backbordkurs fuhr. Ein solcher Kurs zwingt aber nicht zu dem Schluss, er sei die Folge eines Versagens des Schiffsruders gewesen und habe notwendigerweise zur Kollision geführt. Der Kurs kann angesichts der Verhältnisse im Revier bei ordnungsmäßiger Navigation des Schiffes bedenkenfrei gewesen sein und nur durch Bewegungen von "H", denen nicht mehr ausgewichen werden konnte, zur Havarie geführt haben.
3) Kann nach den bisherigen Darlegungen keine Unfallursache festgestellt werden, für die der Beklagte verantwortlich wäre, so gilt das gleiche für eine Ursache, die der Klägerin angelastet werden konnte. Es steht insbesondere nicht fest, dass deren Schiff infolge eines Navigationsfehlers in den Hang gefallen und deshalb mit demjenigen des Beklagten zusammengestoßen ist. Der Schiffsführer B. und der Matrose Z. des Schiffes der Klägerin befanden sich im Ruderhaus und haben ebenso wie der Beklagte die Ereignisse genau beobachtet. Unter diesen Umständen hätte "H" nur bei grob fahrlässiger Navigation in den Hang fallen können. Nun glaubt allerdings das Rheinschifffahrtsgericht, eine solche feststellen zu können. Dabei beruft es sich auf die Aussage des Matrosen K. vom MS "GO". Der Zeuge stand am Ruder seines Schiffes und begegnete mit diesem demjenigen, der Klägerin einige Zeit vor der Havarie. Nach seiner Aussage hat die Begegnung an der Backbordseite in einem seitlichen Abstand von etwa 15 m stattgefunden. Das MS "GO" war etwa 10 m vom geografisch linken Ufer entfernt. Der Zeuge meint, der Talfahrer ("H") sei ziemlich dicht bei seinem Schiff angekommen. Die Berufungskammer geht davon aus, dass diese Aussage richtig ist, da für ihre Unrichtigkeit nichts spricht. In ihr kann aber keine Bestätigung der Erklärung des Beklagten über den Kurs von "H" unmittelbar vor der Havarie, oder - schwächer - kein Argument für ihre Glaubwürdigkeit gesehen werden. Einmal zeigt die Aussage des Zeugen K. MS "GO" nämlich, dass das Schiff der Klägerin bei der Begegnung mit "GO" einen Kurs fuhr, der eine glatte Backbordbegegnung erlaubte, also nicht gefährlich war. Nach der Aussage des Beklagten fuhr dagegen "H" vor der Havarie Kollisionskurs auf "MH" zu. Beide Aussagen haben also unterschiedliche Inhalte, sodass deshalb die eine von ihnen die andere nicht bestätigen kann. Hinzu kommt, dass es ungewiss ist, in welchem zeitlichen und räumlichen Abstände die Begegnung "H" - "GO" und die Havarie liegen. Diese Tatsache hat dem Rheinschifffahrtsgericht Anlass zu vielen Erwägungen und Kombinationen gegeben, die aber die Ungewissheit nicht haben beheben können. Aus diesem Grunde kann aus dem Kurs von "H" bei der geschilderten Begegnung nicht auf denjenigen vor der Havarie geschlossen werden. Die Berufungskammer vermag deshalb der Aussage des Zeugen K. allein eine entscheidende Bedeutung nicht zuzuerkennen.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
1) Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Mannheim vom 23.2.1984 wird zurückgewiesen.
2) Auf die Berufung des Beklagten wird das genannte Urteil dahin abgeändert, dass die Klage im vollen Umfange abgewiesen wird.
3) Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
4) Die Festsetzung der Kosten erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Mannheim entsprechend Artikel 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte.
5) Zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe und die Kosten des ersten Rechtszuges wird der Rechtsstreit an das Rheinschifffahrtsgericht Mannheim zurückverwiesen.
Der Stellvertretende Gerichtskanzler: Der Vorsitzende:
(gez.) A. Bour (gez.) Stückelberger