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160 Z - 3/84 - Berufungskammer der Zentralkommission (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Decision Date: 22.03.1984
File Reference: 160 Z - 3/84
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Berufungskammer der Zentralkommission Straßburg
Department: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt

vom 22. März 1984

(Auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar vom 2. Februar 1983 -  4 C 18/81 BSchRh -)

Tatbestand:

Die Klägerin ist der Versicherer des Motorschiffs "H", das am 6.10.1980 im Revier des G auf ein Unterwasserhindernis auffuhr und leck wurde. Die Beklagte ist die Eignerin des Motortankschiffs "M", dessen auf der Rheinsohle liegender Anker die Schadensursache gewesen sein soll. Im einzelnen ist folgendes vorgefallen. Das MTS "M" hatte Ende März 1980 auf einer Fahrt von N nach K den Steuerbordanker mit der ganzen Kette verloren, ohne dass die Besatzung den Verlust bemerkt hatte. Er wurde durch Zufall in K festgestellt und der zuständigen Behörde gemeldet, ohne dass die Verluststelle angegeben werden konnte. Anker und Kette sind am 10.12.1980 bei einer Suche unter Einsatz des Taucherschachtes "KM" bei Km 551.970 (G-Raum L) gefunden worden. Diese Suche war aus den folgenden Gründen veranlasst worden. Am 6.10.1980 hatte das Motorschiff "H" auf der Bergfahrt im Raume G durch Kollision mit einem Unterwasserhindernis Leckage erlitten. Man suchte das Hindernis zunächst vergebens mit Hilfe eines Peilrahmens. Als dann am 13.11.80 ein weiteres Schiff (MTS "C") dort gegen ein Unterwasserhindernis stiess und ebenfalls leck wurde, wurde die Suche mit Hilfe des Taucherschachtes fortgesetzt. Sie war sofort erfolgreich, da Anker und Kette des MTS "M" gefunden wurden. Die Klägerin hat behauptet, das MS "H" sei auf diesen Anker aufgefahren. Dabei sei ein Schaden von hfl. 533.207,15 entstanden, der von ihr ersetzt worden sei. Die Beklagte hat behauptet, "H" sei nicht auf den Anker des MTS "M", sondern auf einen Felsen gefahren. Weiter hat sie die Ansicht vertreten, die Besatzung ihres Schiffes sei Tür den Verlust des Ankers nicht verantwortlich.

Es haben beantragt:

Die Klägerin, die Beklagte zu verurteilen, an sie Hfl 533.207,15 oder den gleichwertigen Betrag in DM, zu dem am Zahlungstage geltenden Umrechnungskurs nebst 4 % Zinsen seit dem 20.11.1981 zu bezahlen und auszusprechen, dass die Beklagte dinglich mit dem MTS "M" und persönlich im Rahmen des Binnenschiffahrtsgesetzes hafte.

Die Beklagte, die Klage abzuweisen.

Das Rheinschiffahrtsgericht St. Goar hat die Verklarungsakten 4 II 5/80 des Amtsgericht - Schiffahrtsgericht St. Goar und die Bussgeldakten OWi-Nr. 1869/80 der Wasser-und Schiffahrtsdirektion Südwest in Mainz beigezogen. Sie sind im Zusammenhang mit der Havarie entstanden, die Gegenstand dieses Rechtsstreites ist. Nach dieser Vorbereitung ist die Klage zu 2/3 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und abgewiesen worden, soweit die Klägerin mehr als Hfl 355.471,44 oder den entsprechenden Betrag in DM verlangt. Das Rheinschiffahrtsgericht hat dargelegt", dass das MS "H" auf den vom MTS "M" verlorenen Anker aufge¬fahren ist, und dass dabei der Schaden entstand, dessen Ersatz vorliegend verlangt wird. Es ist der Ansicht, dass Führung und Besatzung des MTS "M" für den Ankerverlust verantwortlich sind. Die Führung von "H" hält das Rheinschiffahrtsgericht für mitverantwortlich an der Havarie, da das Schiff zu tief abgeladen gewesen sei. Es meint weiter, der Unfall wäre auch bei ordnungsgemässe Abladung entstanden, hätte aber dann weniger schwerwiegende Folgen gehabt. Die Verantwortung für die Havarie hat das Rheinschiffahrtsgericht zu 1/3 der Klägerin und zu 2/3 der Beklagten aufgebürdet.
Die Parteien haben Berufung eingelegt.

Sie wiederholen ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszuge und nehmen zu den Ausführungen des Rheinschiffahrtsgerichtes Stellung.

Es beantragen:
Die Klägerin, die Klage im vollen Umfange dem Grunde nach für Gerechtfertigt zu erklären und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte, die Klage im vollen Umfange abzuweisen und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen sind formell nicht zu beanstanden. In der Sache hat die¬jenige der Klägerin Erfolg, während diejenige der Beklagten erfolglos ist.

Die Berufungskammer hat im einzelnen folgendes erwogen:

1. In Übereinstimmung mit dem Rheinschiffahrtsgericht wird festgestellt, dass das MS "H" auf den Anker aufgefahren ist , den das MTS "M" verloren hatte. Zur Begründung wird folgendes ausgeführt:

a) Von besondere Bedeutung sind die Aussagen des Schiffsexperten JT im Verklarungsverfahren 4 II 5/80 BSch des Amtsgerichts - Schiffahrtsgerichts St. Goar und sein dabei verwertetes Gutachten aus August 1981. Er hat das MS "H" besichtigt, als es auf einer Werft in B auf Hl lag. Er hat dabei einen langen Riss festgestellt, der ohne Spuren vorherigen Einkratzens begann und scharf wie von einem Messer geschnitten war. Der Riss, habe wie ein solcher ausgesehen, der bei der Öffnung einer Konservendose entstehe. Der Experte ist der Ansicht, dass ein solcher Riss nur durch einen Anker oder einen sonstigen Gegenstand aus Metall verursacht werden könne. Dabei hat er sich auf seine Erfahrung als Schiffsexperte berufen. Er hat weiter darauf hingewiesen, dass er keine Spuren von Fels oder Kies gefunden habe. Die Berufungsbegründung macht den Versuch, diese letzte Feststellung dadurch zu entwerten, dass sie geltend macht, diese Spuren könnten bei der Reise des Schiffes zur Werft weggespült worden sein. Von dieser Reise wusste aber auch der Sachverständige. Wenn er trotzdem nach Spuren von Fels und Kies suchte, so spricht daraus seine durch Berufserfahrung gewonnene Ansicht, dass solche Spuren bei der Verbringung des Schiffes zur Werft nicht restlos weggespült werden konnten. Der erwähnte Hinweis auf die Reise zur Werft wiederlegt also das Gutachten nicht.

b)   Der Schiffssachverständige  Dipl. Ing. KN hat allerdings bei seiner Anhörung im Verklarungsverfahren eine andere Ansicht vertreten. Er hat den Anker des MTS "M" untersucht.  Dessen Beschädigungen und Deformierungen, die er fotografiert hat, erklärt er zum grössten Teil damit, dass der Anker eine Zeit lang über den  Grund mitgeschleift worden sei. Ein geringere Teil der Schäden kann nach seiner Ansicht durch Gewalteinwirkung des eigenen Fahrzeuges entstanden sein. Dazu ist zu sagen: hätte das MTS "M" den eigenen Anker eine Zeit lang so über den Grund geschleppt, dass er dabei erheblich beschädigt und deformiert wurde , so hätte die Besatzung dies bemerken müssen. Das gleiche gilt von einer sonstigen Gewalteinwirkung des Schiffes auf den Anker. Solche Beobachtungen der Besatzung sind aber nicht vorgetragen worden, insbesondere nicht für die Reise, auf welcher 6er  Anker verloren wurde. Der Verlust blieb im Gegenteil zunächst unbemerkt, ein Beweis dafür,dass ihm Gewalteinwirkungen auf den Anker nicht voraufgingen. Beschädigungen des Ankers aus früherer Zeit sind ebenfalls nicht vorgetragen worden.
Der Anker muss also die Festgestellten Beschädigungen und Deformierungen erhalten haben, nachdem sein Schiff ihn verloren hatte. Die anders lautenden Feststellungen des Sachverständigen KN haben keine hinreichende Grundlage. Die Berufungskammer vermag sie nicht zu übernehmen.

c) Aus der Lage des Ankers und seiner Kette auf der Sohle des Rheines kann nicht gefolgert werden, das MS "H" könne nicht auf ihn aufgefahren sein. Eine solche Auffahrt muss nicht dazu führen, dass der Anker seine Lage wesentlich verändert, z.B. neben seine Kette geschleppt wird, während er vorher hinter ihr lag. Die Lage des Ankers hinter seiner Kette bei der Auffindung spricht also nicht gegen die Festgestellte Havarie. Das gleiche gilt von dem Verhältnis der Fundstelle zu dem Punkt, wo nach dem Vortrag der Klägerin die Havarie sich ereignet hat. Das Rheinschiffahrtsgericht hat auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die der genauen Feststellung einer Auffahrtstelle entgegenstehen. Die Berufungskammer schliesst sich dem an.

Die Tatsache, dass der Anker von MS "M" in 4,5 Meter Tiefe gefunden worden ist, spricht nicht dafür, dass es als Havarieursache ausscheidet. Allerdings konnte er in der genannten Tiefe keinem Schiff gefährlich werden. Die genannte Fundstelle spricht aber nicht zwingend dafür, dass der Anker dort immer gelegen hat. Er kann dorthin auch nach dem Unfall vom fliessenden Wasser transportiert worden sein nachdem zwei Schiffe auf ihn aufgefahren waren. Im Revier der Unfallstelle sind die Wassertiefen sehr unterschiedlich, wobei die unterschiedlichen Tiefen dicht beieinander’ liegen können. Eine nur geringfügige Verlagerung des Ankers von seiner ursprünglichen Liegestelle kann ihn deshalb an einen Punkt gebracht haben, wo 4,50 Meter Wasser über ihm waren.

d) Die Schäden an dem MS "H" zeigen, dass sie bei der Auffahrt auf einen Gegenstand, der aus Metall bestand, entstanden sind. Die Deformierungen und Beschädigungen des Ankers des MTS "M" rechtfertigen den Schluss, dass dieser der Gegenstand gewesen ist. Dafür sprechen auch die Unfallstelle und die Fundstelle des Ankers, die nahe beieinander liegen. Dafür spricht weiter, dass in dem Revier trotz intensiver Suche kein weiterer Gegenstand aus Metall gefunden worden ist. Schliesslich spricht dafür, dass nach der Bergung des Ankers sich Unfälle wie der vorliegende nicht mehr ereignet haben. Dabei betont die Berufungskammer die Wirkung der Gesamtheit dieser Umstände, die bei einer Gesamtschau einander stützen und ein vollständiges Bild ergeben.

2. Der Verlust des Ankers ist von der Beklagten zu verantworten. Es ist nicht die Sache der Klägerin, diese Verantwortlichkeit im einzelnen darzulegen und zu beweisen. Dazu ist sie nämlich nicht in der Lage, da sie keine Vorgänge aufklären kann, die sich im Schiffsbetriebe der Beklagten ereignet haben. Nur diese kann solche Vorgänge aufklären und muss es tun, wenn sie darlegen und beweisen will, für den Ankerverlust nicht verantwortlich zu sein. Eine solche Aufklärung ist nicht erfolgt. Sie kann nicht in der Erklärung gesehen werden, man habe den Verlust von Anker und Kette in K durch Zufall festgestellt und dabei bemerkt, dass die Ankerkettenbremse so stark angezogen gewesen sei, dass man sie mit einer Eisenstange habe lösen müssen. Hieraus kann nicht gefolgert werden, der Anker sei unter Umständen verloren worden, die von der Beklagten nicht zu verantworten seien. Die Darlegung ist in diesem Punkte nichtssagend. Ihre Richtigkeit kann deshalb dahinstehen.

3. Eine Mitschuld der Führung des MS "H" an der Havarie vermag die Berufungskammer nicht festzustellen. Das Rheinschiffahrtsgericht sieht sie in der seiner Ansicht nach zu tiefen Abladung des Schiffes. Es meint aber, das Schiff wäre auch bei ordnungsgemässer Abladung auf den Anker aufgefahren, die Folgen wären aber dann weniger bedeutend gewesen. Dazu bemerkt die Berufungskammer: die entscheidende Feststellung des Rheinschiffahrtsgerichtes ist von ihm nicht begründet worden und kann auch nicht begründet werden. Es ist die Sache der Beklagten, eine Mitschuld der Klägerin an der Havarie darzulegen und zu beweisen. Das gilt auch für den Kausalzusammenhang zwischen schuldhaftem Verhalten und Havarie. Beweislücken gehen zu Lasten der Beklagten. Sie bestehen aber im vorliegende Falle insofern, als nicht sicher festgestellt werden kann, welchen Einfluss eine ordnungsemässe Abladung von "H" auf die Havarie gehabt hätte. Es gibt keine hinreichende Grundlage für die Feststellung,  die Havarie wäre dann nicht erfolgt, oder sie hätte weniger bedeutende Folge gehabt. Eine solche Feststellung ist deshalb nicht möglich. Allein verantwortlich für den Schiffsunfall ist deshalb die Beklagte. Ihre Haftung ergibt sich aus den §§ 823 BGB, 3, 4, 114 BSchG.

Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Rheinschiffahrtsgerichts St. Goar vom 2.2.83 wird zurückgewiesen.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das genannte Urteil dahin abgeändert, dass die Klage dem Grunde nach im vollen Umfange für gerechtfertigt erklärt wird.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

4. Zur Verhandlung und Entscheidung über die Höhe sowie über die Kosten des ersten Rechtszuges wird der Rechtsstreit an das Rheinschiffahrtsgericht St. Goar zurückverwiesen.

5. Es setzt auch die Kosten des Berufungsverfahrens unter Berücksichtigung des Artikels 39 der Revidierten Rheinschiffahrtsakte fest.