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Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 7. Dezember 1972
(Auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 9. Juni 1972 - 5 C 63/71 BSch -)
Tatbestand:
Die Klägerin ist die Eignerin des MS "R 106" (1.587 t., 80 m lang, 9,50 m breit, Motorkraft 2 x 450 PS), des Schleppbootes "R IV" (22 m lang, 3,55 m breit, Motorkraft 450 PS) und des Schleppkahns "R 50" (1.310 t, 80 m lang, 9,50 m breit). Diese Schiffe fuhren im Zeitpunkt des noch zu schildernden Unfalls auf dem Rhein in folgender Formation zu Berg: "R 106" schob "R IV", so dass beide Einheiten einen Koppelverband bildeten. "R 50" war mit "R 106" an dessen Backbordseite so verbunden, dass die Hecks beider Schiffe auf gleicher Höhe lagen. Alle Motoren waren in Tätigkeit. Der Führer des Verbandes war der Kapitän von MS "R 106". Von dort aus wurde der ganze Verband auch gesteuert. R 106 und "R 50" waren voll abgeladen. Der Kahn lag 2,50 m tief, das Motorschiff 2,80 m. Letzteres war mit einem Radargerat ausgerüstet. Die Beklagte zu 1) ist Eignerin oder Ausrüsterin des MS "H" (75 m lang, 8,20 m breit, 1.026 t, Motorkraft 800 PS). Am Unfalltage schleppte das von dem Beklagten zu 2) geführte Schiff den Kahn "R" (80 m lang, 9,30 m breit, 1.367 t) zu Tal. Der Kahn war leer und hing an kurzen Kreuzdrähten hinter dem leeren Motorschiff. Zur Unfallzeit - am 2.5.1970 - herrschte an der Unfallstelle bei Stromkilometer 803,5 regnerisches und nebliges Wetter. Die Sicht war eingeschränkt, wobei der Umfang der Einschränkung umstritten ist.
Die Lage im Revier war wie folgt:
Der Koppelverband "R 106" fuhr in der Nähe des linksrheinischen Ufers zu Berg. Er war dabei, den Schubverband "EWT 103", dessen Kurs in der Nähe des rechtsrheinischen Ufers lag, zu überholen. Dieser Verband bestand aus dem Schubboot und aus 4 beladenen Leichtern. Am rechtsrheinischen Ufer lag das Küstenmotorschiff "A" vor Anker. Der zu Tal kommende Schleppzug "H" drehte wegen des Nebels über Backbord auf, um vor Anker zu gehen. Angesichts dieses Manövers verlegte der Koppelverband "R 106" seinen Kurs nach Backbord und stellte gleichzeitig alle Motoren auf Rückwärtsgang. So sollte ein drohender Zusammenstoss mit dem wendenden Verband verhindert werden. Das Manöver führte aber dazu, dass "R 106" und R IV" gegen den Schubverband "EWT 103" stießen. Dabei riss die Verbindung zwischen "R 106" und R 50". Der Kahn trieb ab und stieß gegen das Kümo "A". Die Klägerin hat einen Schaden von DM 53.436,95 behauptet. Vor Prozessbeginn haben die Beklagten die Hälfte davon = 26.218,50 DM bezahlt ohne anzuerkennen, dazu verpflichtet zu sein. Mit der Klage verlangte die Klägerin ursprünglich die Hälfte des Restbetrages. Ein Viertel ihres Schadens will sie selbst tragen, und zwar ebenfalls ohne Anerkennung einer entsprechenden rechtlichen Verpflichtung. Während des Rechtsstreits hat die Klägerin die Klage um hfl 578 erhöht, weil sie diesen Betrag an die Eignerin des Küstenmotorschiffes "A" zur Abgeltung des dort beim Zusammenstoss mit "R 50" entstandenen Schadens bezahlt hat.
Die Klägerin hat behauptet:
Die Sicht habe zur Unfallzeit 200 - 500 m betragen. Der Schleppzug "H" sei in einer Entfernung von ungefähr 150 Metern plötzlich aus dem Nebel aufgetaucht. "H" habe schon quer gelegen. Wenig später sei der ganze Schleppzug querliegend auf den "R" -Verband zugetrieben. Es habe die Gefahr einer schweren Kollision bestanden, der man durch das bereits geschilderte Manöver begegnet sei. Ein anderes Verhalten sei nicht möglich gewesen. Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, der Schleppzug "H" sei im Nebel zu lange in Fahrt geblieben. Dadurch sei es zum Unfall gekommen.
Sie hat beantragt,
die Beklagten auf ihre Kosten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin l4.l87,22 DM nebst 4 % Zinsen von 13.609,22 DM seit dem 1.8.1971 und von 578,- DM seit dem 10.12.1971 zu bezahlen und auszusprechen, dass die Beklagte zu 1) dinglich mit dem MS "H" und im Rahmen des Binnenschifffahrtsgesetzes auch persönlich hafte.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben behauptet:
Die Sichtweite habe bei 500 bis 600 m gelegen, so dass die Talfahrt noch vertretbar gewesen sei. Auf dem Vorschiff von "H" habe ein Ausguck gestanden. Das Aufdrehmanöver sei durch die vorgeschriebenen akustischen Signale angekündigt worden. Die Beklagten haben die Ansicht vertreten, der Unfall gehe zu Lasten der Führer der zu Berg fahrenden Züge, die offenbar ein Wettrennen veranstaltet hätten. Sie hätten keine Nebelsignale gegeben und, obschon sie beide mit Radar gefahren seien, die Talfahrt nicht genügend beobachtet und deshalb nicht auf sie Rücksicht genommen. Der Zusammenstoss zwischen "R 50" und "A" sei keine adäquate Folge der Kollision zwischen den beiden Bergzügen, sondern beruhe auf verfehlten Maßnahmen der "R"-Schiffe sowie darauf, dass "R IV" nicht zum schieben zugelassen gewesen sei. Der Anspruch auf Zahlung von hfl 578 ist nach der Ansicht der Beklagten auch verjährt. Hierauf haben sie sich berufen. Wegen des Unfalls ist es zu dem Strafverfahren 6 Cs 1366/71 BSch des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort gekommen. Das gleiche Gericht hat im vorliegenden Rechtsstreit Zeugen gehört und die genannten Strafakten hinzugezogen.
Sodann hat es das folgende Urteil erlassen:
"Der bezifferte Klageanspruch ist dem Grunde nach mit der Maßgabe gerechtfertigt, dass die Beklagten verpflichtet sind, 2/3 der entstandenen Schaden zu tragen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die übrigen Entscheidungen bleiben dem Schlussurteil vorbehalten.
Die Entscheidung ist wie folgt begründet worden:
Das Ergebnis der Beweisaufnahme über die Sichtverhältnisse zur Unfallzeit rechtfertige die Feststellung, dass die Sichtweite bei 200 bis 400 m gelegen habe. Der Besatzung des MS "H" sei deshalb vorzuwerfen, unter Verstoß gegen § 80 Abs. 2 RSchPVO 1954 die Talfahrt zu lange fortgesetzt zu haben. Außerdem müsse ihr vorgeworfen werden, in zu geringer Entfernung vor dem "R" - Zug aufgedreht zu haben. Zwar sei diese Entfernung auch nach durchgeführter Beweis¬aufnahme nicht sicher feststellbar; das gehe aber zu Lasten der Beklagten, die hatten beweisen müssen, dass ihr Manöver zulässig gewesen sei. Das MS "R 106" sei - wie unstreitig - ohne Abgabe von Nebelsignalen gefahren. Darin liegen ein Verstoß gegen § 8l RhSchPVO 1954. Vom Schiff aus sei auch der aufdrehende Schleppzug zu spät gesehen worden, was nur mit der Unaufmerksamkeit des aufgestellten Ausgucks erklärt werden könne, der zu spät Wahrschau gegeben habe. Der Abstand zwischen dem aufdrehenden Schleppzug "H" und dem "R"-Zug müsse nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme weit größer als 150 m gewesen sein. Ein Verschulden der Besatzung des Schubverbandes "EWT 103", das gemäß § 736 HGB zu berücksichtigen sein würde, sei nicht feststellbar. Man sei dort nicht verpflichtet gewesen, Nebelsignale zu geben, da auf dem Radarschirm des Zuges keine Fahrzeuge zu Bemerken gewesen seien, deren Kurs nicht den Eintritt jeder Gefahrenlage ausgeschlossen hätte. Der Verband sei ordnungsgemäß in der Nähe des Rechtsrheinischen Ufers gefahren. Es spreche nichts dafür, dass er ein Wettrennen mit dem "R" -Zug veranstaltet habe. Wäge man das Verschulden der Besatzungen des MS "H" und des MS "R 106" gegeneinander ab, so erscheine dasjenige der "H" - Besatzung doppelt so schwer als dasjenige der "R" -Besatzung. Die Klägerin habe deshalb Anspruch auf Ersatz von 2/3 ihres Schadens. Hierzu gehöre auch derjenige Betrag, den sie an die Eignerin von "A" gezahlt habe. "R 50" sei gegen "A" gestoßen, als der "R" -Zug beim Aufstrecken gewesen sei. Das sei die nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegende Folge des Zusammenstosses der beiden Bergzüge gewesen, für den die Besatzung von "H" mitverantwortlich sei. Sie habe deshalb auch diese adäquate Folge ihrer Fehler im Rahmen ihrer Haftungsquote auszugleichen. Der entsprechende Anspruch der Klägerin sei nicht verjährt, da er einen Ausgleich unter Gesamtschuldner (§ 26 Abs. 2 BGB)betreffe. Die Beklagten haben Berufung eingelegt und die Entscheidung der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt verlangt. Sie wiederholen ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszuge und nehmen eingehend zur Begründung des Urteils des Rheinschifffahrtsgerichts Stellung. Insbesondere greifen sie die Feststellungen über die Sichtverhältnisse an und bemängeln, dass den Aussagen der Besatzungsmitglieder des "R"-Zuges keine Bedeutung beigemessen worden sei. Sie rügen weiter die Feststellung, das Aufdrehmanöver sei nicht in ausreichendem Abstande zum "R"-Schleppzug ausgeführt worden. Die in diesem Punkte vom Rheinschifffahrtsgericht festgestellten Unklarheiten könnten, wenn sie wirklich bestehen, sollten, nicht zu ihren Lasten gehen, weil dann "in letzter Konsequenz" ihnen die Beweislast für klagebegründende Tatsachen, die bei der Klägerin liege, aufgebürdet würde. Die Beklagten meinen, die Führung des "R"-Verbandes verdiene den Vorwurf, im Nebel zu lange in Fahrt geblieben zu sein. Man habe die Fahrt einstellen müssen, als man auf dem Radarschirm "irgend etwas bemerkt und geglaubt habe, man werde ihm in einem Seitenabstande von 20 m Backbord auf Backbord begegnen". Die Führung des "R"-Zuges habe eine verbotene Überholung durchgeführt, da zwischen ihr und dem "EWT-Schubzug" für die Talfahrt nicht mehr ausreichend Platz gewesen sei. Weiter meinen die Beklagten, das zum Unfall führende Ausweichmanöver sei nicht erforderlich gewesen. Es sei völlig kopflos unternommen worden. Auch der Führung des "EWT"-Zuges sei vorzuwerfen, im Nebel zu lange in Fahrt geblieben zu sein und keine Nebelsignale gegeben zu haben. Schließlich sei die im angefochtenen Urteil vorgenommene Schuldverteilung selbst dann nicht vertretbar, wenn es bei den dort erhobenen Vorwürfen bleibe. Selbst in diesem Falle könnten den Beklagten keinesfalls mehr als die Hälfte der Unfallfolgen angelastet werden.
Die Beklagten beantragen,
das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 9.6.1972 abzuändern und die Klage in vollem Umfange abzuweisen,
weiter, der Klägerin die Kosten der Berufungsinstanz aufzuerlegen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung nach öffentlicher Verhandlung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Sie meint, die Beklagten versuchten vergebens, die Grundtatsachen der Nebelhavarie zu verändern. Die Pflichten des Berg- und des Talfahrers bei Fahrt im nebligen Wetter seien in der Rheinschifffahrtspolizei-Verordnung unterschiedlich ausgestaltet worden. Die Pflichten des Talfahrers seien aus guten Gründen strenger bemessen worden. Es sei deshalb nicht zu beanstanden, dass das Rheinschifffahrtsgericht im vorliegenden Fall nur die Fortsetzung der Talfahrt in der Nähe der Unfallstelle für unzulässig gehalten habe. In diesem Zusammenhang weist die Klägerin darauf hin, dass selbst der Kapitän S. vom MS "H" bei seiner polizeilichen Vernehmung zugegeben habe, erst beim Wenden einen Bergfahrer gesehen zu haben. Das spreche dafür, dass die Einheiten in diesem Zeitpunkt nicht mehr als 150 m voneinander entfernt gewesen seien, wie Kapitän L. vom MS "R 106" ausgesagt habe. Bei dieser Lage habe ein Zusammenstoss mit dem wendenden Schleppzug nur noch durch das ausgeführte Ausweichmanöver abgewendet werden können.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 9. Juni 1972 ist form- und fristgerecht eingelegt und somit zulässig.
2. Die Feststellung des Rheinschifffahrtsgerichts, man habe zur Unfallzeit in der Nähe der Unfallstelle 200 bis 400 m weit sehen können, erscheint überzeugend. Sie wird durch die Aussage von Zeugen getragen, die für den Unfall nicht verantwortlich sind, deshalb kein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits haben und so nicht der Versuchung unterliegen, zur Verschleierung ihrer Verantwortung nicht die Wahrheit zu sagen. Diese Versuchung besteht für am Unfall allein oder mitschuldige Zeugen. Deren Aussagen können deshalb in aller Regel dann keine Grundlage für gerichtliche Feststellungen sein, wenn sie von denjenigen neutraler Zeugen wesentlich abweichen, oder nicht durch sicher feststehende Tatsachen als richtig bestätigt werden. Als neutrale Zeugen sind im vorliegenden Fall in erster Linie die Mitglieder der Besatzung des Schleppkahnes "R" anzusehen, der hinter dem MS "H" hing. Ihnen macht niemand einen Vorwurf. Der Führer des Kahnes, der Zeuge K., hat die Sichtweite bei Beginn des Wendens auf etwa 200 m geschätzt und hinzugefügt, sie sei weiter unterhalb noch schlechter gewesen, da dort eine Nebelwand gelegen habe. Diese Aussage wiegt mit Rücksicht auf die Erfahrung des Zeugen, der bei seiner Vernehmung schon fast 30 Jahre das Rheinschifferpatent für Fahrzeuge ohne eigene Triebkraft von Basel bis ins Meer besaß, besonders schwer. Seine Matrosen haben bei ihrer Vernehmung die Sichtweite bei Beginn des Wendens auf 300 bis 400 m geschätzt. Die vom Rheinschifffahrtsgericht festgestellt Sicht von 200 bis 400 m ist die angemessene, mit der notwendigen Vorsicht gezogene Schlussfolgerung aus den bisher erwähnten Zeugenaussagen. Zu dieser Feststellung passt allerdings nicht recht die Aussage des Führers des Schubzuges "EWT 103" V., im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten zu 2) (Bl. 18 der Strafakten 6 Cs 1366/70 BSch) der von einer Sichtweite von 400 bis 600 m gesprochen hat. Diese Aussage hat den Vorteil der zeitlichen Nähe zum Unfallgeschehen, denn sie ist am 17.8.1970 gemacht worden. Die Erinnerung dieses Zeugen war deshalb frischer und möglicherweise besser als diejenige aller im vorliegenden Rechtsstreit etwa 2 Jahre nach dem Unfall gehörten Zeugen. Auf der anderen Seite ist aber zu berücksichtigen, dass der Zeuge zwar, wie noch darzulegen sein wird, für den Unfall nicht mitverantwortlich ist, dass ihm aber von den Beklagten ein solcher Vorwurf mit der Begründung gemacht wird, er sei im Nebel zu lange in Fahrt geblieben, habe als Radarfahrer auf die Talfahrt nicht genügend Rücksicht genommen, sondern ein Wettrennen mit dem. "R"-Zug veranstaltet. Dieser bei der Vernehmung schon drohende Vorwurf kann den Zeugen veranlasst haben, zu seiner Entlastung die Sichtweite großzügig zu schätzen. Erst recht können die vom Rheinschifffahrtsgericht getroffenen Feststellungen über die Sichtverhältnisse aus den bereits dargelegten Gründen nicht durch die Aussagen der Besatzung des MS "H" erschüttert werden. Die Aussagen der Besatzungsmitglieder des "R"-Zuges erscheinen nur deshalb glaubwürdig, weil sie mit denjenigen der genannten neutralen Zeugen im Punkte Sicht in etwa übereinstimmen. Ob sie es auch ohne diese Voraussetzung sein würden, brauchte das Rheinschifffahrtsgericht im Gegensatz zu der Ansicht der Beklagten nicht zu erörtern.
3. Bei einer Sichtweite von 200 bis 400 Metern durfte die Talfahrt nicht fortgesetzt werden. Da sie, wie aus allen Zeugenaussagen hervorgeht, nicht plötzlich eingetreten, sondern das Ergebnis einer allmählichen Sichtverschlechterung war, hatte die Talfahrt weit oberhalb der Unfallstelle eingestellt werden müssen, da eine weitere Verschlechterung der Sicht voraussehbar war. Der § 80 Abs. 2 RhSchPVO 1934, der zur Unfallzeit Gültigkeit hatte, verpflichtet den Talfahrer, anzuhalten oder aufzudrehen, wenn die Talfahrt infolge der verminderten Sicht und mit Rücksicht auf den übrigen Verkehr oder die örtlichen Umstände nicht mehr ohne Gefahr fortgesetzt werden kann. Diese Verpflichtung hat der Beklagte zu 2) aus den dargelegten Gründen nicht erfüllt. Zu Unrecht meinen die Beklagten, der erhobene Vorwurf müsse nicht ihnen, sondern den zu Berg fahrenden Zügen gemacht werden. Nach § 80 Abs. 3 RhSchPVO 1934 müssen Bergfahrer anhalten, wenn sie beim Weiterfahren Gefahr laufen würden, vor einem auftauchenden Hindernis nicht mehr rechtzeitig anhalten zu können. Da sie wesentlich leichter anhalten können als Talfahrer - sie brauchen nur die Maschinen abzustellen und die Anker fallen zu lassen, während Talfahrer von Notmassnahmen abgesehen aufdrehen müssen -können sie die Fahrt noch bei Sichtverhältnissen fortsetzen, die eine Fortsetzung der Talfahrt nicht mehr erlauben. Eine Sicht von 200 bis 400 m zwingt deshalb einen Bergfahrer nicht dazu, anzuhalten. Gegen diese Argumentation spricht nicht der Umstand, dass der wendende Schleppzug für den "R" - Zug ein Hindernis war, vor dem er nicht mehr rechtzeitig anhalten konnte» Dieses kam nämlich nur dadurch zustande, da der Schleppzug "H" zu lange im Nebel in Fahrt geblieben war. Solche Hindernisse meint der § 80 Abs. 3 RhSchPVO nicht. Es ist vielmehr darin zu verstehen, dass der Bergfahrer darauf vertrauen kann, die Talfahrt werde die für sie bestehenden Regeln konkret beobachten. Tut sie das nicht und wird sie dadurch zu einem Hindernis, so kann das kein Argument sein, die Fortsetzung der Bergfahrt bis zu diesem Hindernis für unzulässig zu erklären. Bei dem Schubzug "EWT 103" kommt hinzu, dass er mit Radar fuhr, während der "R"-Zug zwar mit Radar ausgerüstet war, das Gerät aber nicht benutzte. Das Rheinschifffahrtsgericht hat der Besatzung des MS "H" nicht nur einen Verstoß gegen § 80 Abs. 2 RhSchPVO 1954 vorgeworfen, sondern auch den weiteren Vorwurf erhoben, in zu geringem Abstand vor dem "R"-Zug aufgedreht zu haben. Es glaubt zwar nicht feststellen zu können, wie groß der Abstand gewesen sei, meint aber, diese Ungewissheit gehe zu Lasten der Beklagten, welche die Zulässigkeit ihres Manövers hätten beweisen müssen. Die Berufungskammer vermag demgegenüber aus den folgenden Gründen einen Verstoß des Beklagten zu 2) gegen § 46 RhSchPVO 1954 nicht festzustellen, Der Beklagte zu 2) hat bei seiner polizeilichen Vernehmung Blatt 16 der bereits mehrfach erwähnten Strafakten erklärt, er habe den ersten Bergfahrer erst beim Wenden gesehen. Die Bsatzung des Kahnes "R" hat selbst bei der Durchführung dieses Manövers nichts bemerkt. Diese Aussagen sprechen dafür, dass die beiden zu Berg fahrenden Verbände vom MS "H" aus vor dem Beginn des: Wendens nicht optisch erkannt werden konnten. Da sie weiter, wie unstreitig ist, keine akustischen Signale gegeben haben, brauchte man auf "H" mit ihnen nicht zu rechnen. Das Aufdrehen des Talzuges war deshalb mit Rücksicht auf die Lage im Revier zwar objektiv unzulässig, es fehlt aber an dem für einen Vorwurf notwendigen Verschulden des Beklagten zu 2), der davon ausgehen konnte, das Revier sei frei. Das objektiv unzulässige Aufdrehen ist allerdings die adäquate Folge der verbotenen Fahrt bei unsichtigem Wetter und zeigt die Schwere des schuldhaften Verstoßes: des Beklagten zu 2) gegen § 80 Abs. 2 RhSchPVO 1954. Das Rheinschifffahrtsgericht hat der Führung des Koppelverbandes der Klägerin mit Recht vorgeworfen, keine Schallzeichen gemäß § 8l Abs. 1 RhSchPVO 1954 gegeben zu haben. Da der Verband trotz des auf MS "R 106" vorhandenen Radargerätes nach Augensicht fuhr, gilt die genannte Bestimmung für ihn und verpflichtete seinen Führer, in Abständen von längstens einer Minute einen langen Ton zu geben, was unstreitig nicht geschehen ist. Dagegen vermag die Berufungskammer den weiteren Vorwurf nicht zu bestätigen, man habe auf MS "R 106" das MS "H" zu spät bemerkt, weil der Ausguck "unaufmerksam gewesen sein müsse". Es wurde bereits unter der Ziffer 4) dargelegt, dass von dem MS "H" aus der "R"-Zug erst während des Wendens gesehen v/erden konnte. Es spricht nichts dafür, dass umgekehrt "H" von "R 106" aus früher zu erkennen war. Das mag zwar nicht ausgeschlossen sein, kann aber nicht sicher festgestellt werden. Beim Wenden ist "H" aber von "R 106" aus gesehen worden. Allerdings hat der Führer des MS "R 106", der Zeuge L. erklärt, er habe bei einem gelegentlichen Blick auf das Radargerät festgestellt, dass in einer Entfernung von 600 bis 700 m "irgend etwas" zu Tal gekommen sei, das er in einem seitlichen Abstände von 20 m an seiner Backbordseite hätte passieren lassen können. Auf diese Beobachtung kommt es aber im Zusammenhang mit dem vom Rheinschifffahrtsgericht erhobenen Vorwurf nicht an. Dieser bezieht sich nämlich auf das wendende MS "H", das erst die zum Unfall führende Gefahrenlage schuf. Wäre der Schleppzug "H" weiter geradeaus gefahren, so hätte er die Bergzüge glatt passiert. Jedenfalls spricht nichts für die gegenteilige Annahme. Die Meinung der Beklagten, auf "R 106" habe man auf den wendenden Schleppzug "H" in unangemessener, kopfloser Weise reagiert und dadurch die Havarie herbeigeführt, ist aus den folgenden Gründen falsch. Betrug, wie bereits festgestellt wurde, die Sicht zur Unfallzeit 400 - 200 m und wurde, wie gleichfalls bereits festgestellt, der Schleppzug "H" für die Besatzung von "R 106" erst beim Wenden sichtbar, so waren beide Verbände jetzt äußerstenfalls 400 m voneinander entfernt, warum die zu Berg fahrenden Verbänden nicht gehört worden sind. Das kann damit erklärt werden, dass sie vorn Nebel verschluckt worden sind. Außerdem ist nicht exakt feststellbar, wann sie gegeben worden sind. Die Aussagen der Matrosen Völkel und Jung vom Kahn "R" sprechen dafür, dass sie kurz vor dem Beginn des Wendensertönten. In diesem Falle konnte auf sie nicht mehr in einer dieses Manöver verhindernden Weise reagiert werden, da, wie bereits an anderer Stelle (Ziffer 7) dargelegt, der Talschleppzug sich in einer Zwangslage befand und in jedem Falle wenden musste. Selbst wenn man also der Führung von "EWT 103" vorwerfen könnte, die Aufdrehsignale nicht gehört und darauf nicht durch akustische Signale reagiert zu haben, so wäre diese Unterlassung auf den Unfall ohne Einfluss geblieben. Das Gleiche gilt für einen entsprechenden Vorwurf gegenüber der Führung des Verbandes der Klägerin. Für ein Wettrennen zwischen beiden Bergzügen spricht nichts. Eine Überholung ist nicht notwendigerweise ein solches Rennen. Für eine verbotene Überholung des "EWT"-Zuges durch den "R"-Zug spricht ebenfalls nichts. In den Gesamtzusammenhang des Unfalls gehört auch der Anprall des Schleppkahns "R 50" gegen das ordnungsgemäß vor Anker liegende Küstenmotorschiff "A". Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Anprall von dem Schiffsführer Kö. von "R 50" oder von dem Schiffsführer St. von "A" richtig geschildert worden ist. Nach beiden Aussagen war die Verbindung "R 106" - "R 50" gebrochen, was nur eine Folge des Anpralls des "R"-Verbandes gegen den "EWT"-Zug gewesen sein kann. Deshalb ist die Aussage des Zeugen Kö. glaubhaft, als Folge dieses Anpralls seien die Koppeldrähte auf der Steuerbordseite gerissen, sodass er mit seinem Matrosen auch die Backborddrähte gelöst habe, um dann entsprechend dem Befehl des Führers des Gesamtverbandes der Klägerin die Buganker zu setzen. Ob nun "R 50" gegen "A" stieß, als der Kahn sich hinter seinem Buganker streckte, (so Kö.) oder, als er von "R IV" wieder an den Draht genommen und angezogen wurde (so St.), ist ohne Bedeutung. In beiden Fällen ist nämlich der Anprall von "R 50" gegen "A" die adäquate Folge des Zusammenpralls der beiden zu Berg fahrenden Verbände. Es ist nicht außergewöhnlich, dass als Folge eines solchen Zusammenstosses Verbindungsdrähte, zwischen mehreren Schiffen reißen, Schiffe dann abtreiben, ihre Anker setzen und wieder an den Draht genommen werden müssen, und dass mit allen diesen Ereignissen neue Kollisionen mit bisher unbeteiligten Schiffen, die kein Verschulden trifft, verbunden sind. Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung des an die Eignerin von "A" gezahlten Betrages ist nicht verjährt. Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreites haften der Eignerin von "A" des deren Schiffsführer kein Verschulden trifft für den dort angerichteten Schaden gemäß den §§ 823, 840 BGB in Verbindung mit den §§ 80 Abs. 2, 81 Abs. 1 RhSchPVO 1954 als Gesamtschuldner, da § 92 BschG und die dort bezogenen §§ 734 - 739 HGB keine Anwendung finden. Im Innenverhältnis zueinander sind, solche Schuldner nach § 426 Abs. I Satz 1 BGB zu gleichen Anteilen verpflichtet, "soweit nicht ein anderes bestimmt ist". Eine solche andere Bestimmung ergibt sich dann, wenn kraft Gesetzes unterschiedliche Haftungsquoten festgesetzt sind, wie z.B. nach § 254 BGB, der den Umfang der Ersatzpflicht bei mehreren Schädigern von dem Grade der Schadensverursachung durch Jeden von ihnen abhängig macht.
Im vorliegenden Falle haften also die Parteien im Innenverhältnis der Eignerin von "A" im Verhältnis 1/3 Klägerin, 2/3 Beklagte. Befriedigt nun ein Gesamtschuldner den Gläubiger in einem Umfange, der seine Haftungsquote übersteigt, so erwirbt er nach § 426 Abs. I BGB in Höhe des überzahlten Betrages einen Ausgleichsanspruch. Dieser Anspruch verjährt nach § 195 BGB in 30 Jahren, da für ihn eine kürzere Verjährungsfrist nirgendwo bestimmt ist. Insbesondere kann die einjährige Verjährungsjährungsfrist des § 117 BSchG hier nicht eingreifen, da die geltend gemachte Forderung nicht unter die dort aufgezählten fällt.
Die Berufung ist aus den dargelegten Gründen erfolglos.
Es wird deshalb für Recht erkannt:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 9. Juni 1972 wird als unbegründet abgewiesen und das erstinstanzliche Urteil bestätigt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten.
Die Festsetzung der Kosten unter Berücksichtigung Art. 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.