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15 AR 45/02 - Oberlandesgericht (-)
Decision Date: 02.01.2003
File Reference: 15 AR 45/02
Decision Type: Urteil
Language: German
Court: Oberlandesgericht Karlsruhe
Department: -

Leitsatz:

Unter § 2 Abs. 1 d Binnenschifffahrtsverfahrensgesetz (BSchVerfG) fallen nicht nur Schadensersatzansprüche wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht. Die Vorschrift ist erweiternd dahingehend auszulegen, dass die Zuständigkeit der Schifffahrtsgerichte auch bei anderen Amtshaftungsansprüchen gegeben ist, wenn die Pflichtverletzung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Tätigkeit eines Beamten zur Sicherung des Verkehrs auf einer Wasserstraße steht (hier: Verweigerung der Schleusung eines Binnenschiffes).

 

Beschluss des Oberlandesgerichts 

Schiffahrtsobergericht Karlsruhe

vom 02.01.2003 

Hintergrund der vorliegenden Beschluss­sache, die die Bestimmung des zuständi­gen Gerichts zum Gegenstand hat, ist die Frage, ob das Schiff der Klägerin zum Zeit­punkt der beabsichtigten Schleusung unterbemannt war und der Schleusenbe­amte aus Sicherheitsgründen die Schleu­sung mit der Folge eines evtl. Amtshaf­tungsanspruches wegen einer von der Klägerin geltend gemachten Pflichtverlet­zung verweigern durfte.

Gestützt auf diesen besonderen Sachzu­sammenhang kommt der erkennende Se­nat zur Bejahung einer Zuständigkeit des Schifffahrtsgerichts nach § 2 Abs. 1 des BSchVerfG.

Im einzelnen führt der Senat folgendes aus:

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von 1.929,40 € un­ter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung. Am 11.04.2000 wurde ein im Eigentum der Klägerin befindliches Binnenschiff in der Schleuse Neckarzimmern für einen Zeit­raum von mehreren Stunden nicht ge­schleust, weil der zuständige Schleusenbe­amte eine Schleusung verweigerte. Die Klä­gerin macht geltend, durch die zeitliche Verzögerung von vier Stunden sei ihr ein Schaden entstanden. Die Beklagte wendet insbesondere ein, der Schleusenbeamte habe eine Schleusung aus Sicherheitsgründen zu Recht verwei­gert, weil das Schiff der Klägerin unterbe­mannt gewesen sei.

Die Klägerin hat Klage erhoben zum Amts­gericht Mannheim - Schifffahrtsgericht. In der mündlichen Verhandlung vom 23.05.2002 hat der zuständige Richter darauf hingewiesen, dass gemäß § 71 Abs. 2 Ziff. 2 GVG bei Amtshaf­tungsansprüchen die ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts gegeben sei. Auf den fürsorglichen Verweisungsan­trag des Kläger-Vertreters hat das Amts­gericht Mannheim - Schifffahrtsgericht - den Rechtsstreit an das Landgericht Mainz verwiesen. Zu der mündlichen Ver­handlung vom 23.05.2002 war für die Be­klagte - trotz Ladung - niemand erschie­nen.

Mit Beschluss vom 11.09.2002 hat das Landgericht Mainz sich für örtlich und sachlich unzuständig erklärt. Das Landge­richt Mainz hat die Auffassung vertreten, das Amtsgericht Mannheim - Schifffahrts­gericht - sei örtlich und sachlich zustän­dig. Das Landgericht hat die Akten dem Oberlandesgericht Karlsruhe zur Entschei­dung gemäß § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO vor­gelegt.

Die Parteien vertreten übereinstimmend die Auffassung, für den vorliegend geltend gemachten Amtshaftungsanspruch sei ge­mäß § 2 Abs. 1 BSchVerfG die Zuständig­keit des Schifffahrtsgerichts gegeben.

II.

Als zuständiges Gericht war das Amtsge­richt Mannheim - Schifffahrtsgericht - zu bestimmen.

1. Das Oberlandesgericht Karlsruhe ist zuständig zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts gern. § 36 Abs. 2 ZPO. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gern. § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO liegen vor; denn sowohl das Amtsgericht Mannheim - Schifffahrts­gericht - als auch das Landgericht Mainz haben sich jeweils rechtskräftig für unzu­ständig erklärt.

2. Das Landgericht Mainz ist nicht zustän­dig geworden gern. § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO. Denn der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Mannheim - Schifffahrtsge­richt - vom 23.05.2002 konnte keine Bin­dungswirkung entfalten.

Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Verweisungsbeschluss - ausnahmsweise - dann nicht bindend ist, wenn vor der Entscheidung einer Partei kein rechtliches Gehör gewährt wurde (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., 2002, § 281 ZPO Rn. 17 a mit Rechtsprechungsnach­weisen). Diese Voraussetzung ist vorlie­gend gegeben. Das Amtsgericht Mann­heim - Schifffahrtsgericht - hat - offenbar versehentlich - der Beklagten vor der Ent­scheidung vom 23.05.2002 keine Gele­genheit zur Stellungnahme gegeben. Der bei der Akte befindliche eingehende Ver­merk des Amtsgerichts zur Rechtslage (AS. 35/36) ist den Parteien nicht bekannt gemacht worden. Vor dem Termin vom 23.05.2002 war ein Verweisungsantrag der Klägerin noch nicht angekündigt worden; das Amtsgericht hatte vor diesem Termin auch nicht anderweitig auf die Möglichkeit einer Verweisung hingewiesen. Da für die Beklagte im Termin niemand anwesend war, hatte die Beklagte auch im Termin vom 23.05.2002 keine Möglichkeit, zu der Rechtsauffassung des Gerichts zur Frage der Zuständigkeit und zum Verweisungs­antrag der Klägerin Stellung zu nehmen. Eine Erörterung von Zuständigkeitsfragen bei Amtshaftung in dem vorangehenden Zivilrechtsstreit der Klägerin gegen den Beamten B. konnte ebenfalls kein rechtli­ches Gehör für die Beklagte des vorliegen­den Verfahrens bewirken.

3. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Mannheim - Schifffahrtsgericht - ergibt sich aus § 2 Abs. 1 d BSchVerfG. Diese Zu­ständigkeitsvorschrift geht der Zuständig­keitsregelung für Amtshaftungsansprüche in § 71 Abs. 2 Ziff. 2 GVG vor. § 2 Abs. 1 d BSchVerfG erfasst Amtshaftungsansprü­che, die mit der Benutzung von Binnenge­wässern durch Schifffahrt zusammenhän­gen, nicht nur bei Verletzung einer Ver­kehrssicherungspflicht, sondern - jeden­falls für den vorliegenden Fall - auch darü­ber hinaus.

a) Das Amtsgericht Mannheim hat zutref­fend darauf hingewiesen, dass historisch betrachtet die Schifffahrtsgerichte nach dem Gesetz über das Verfahren in Binnen­schifffahrtssachen vom 30.01.1937 zu­nächst generell nicht für Amtshaftungsan­sprüche zuständig waren. Die Zuständig­keitsregelungen in § 1 des genannten Ge­setzes sollten die generelle Zuständigkeit der Landgerichte bei Amtshaftungsan­sprüchen gern. § 71 Abs. 2 Ziff. 2 GVG un­berührt lassen (vgl. Koffka, Das Gesetz über das Verfahren in Binnenschifffahrts­sachen vom 30. Januar 1937, Deutsche Justiz 1937, 225 Anmerkung 5).

b) Durchaus plausibel erscheinen auch die Erwägungen des Amtsgerichts, wo­nach der Gesetzgeber bei Erlass des Ge­setzes über das gerichtliche Verfahren in Binnenschifffahrts- und Rheinschifffahrts­sachen (BSchVerfG) in § 2 Abs. 1 d BSchVerfG wohl in erster Linie an Amts­haftungsansprüche gedacht hat, die sich unmittelbar aus der Verletzung von Ver­kehrssicherungspflichten ergeben [vgl. zur Problematik der Amtshaftung bei der Ver­letzung von Verkehrssicherungspflichten im Bereich der Binnenschifffahrt Lindeck, Zeitschrift für Binnenschifffahrt 1952, 14, sowie „Zur Verkehrssicherungspflicht der Wasserstraßenverwaltung", Zeitschrift für Binnenschifffahrt 1952, 307 ff. (ohne Ver­fasser)]. Der Senat ist allerdings der Auf­fassung, dass eine solche historische Be­trachtung für die Auslegung von § 2 Abs. 1 d BSchVerfG letztlich nicht entscheidend sein kann. Es gibt nach Auffassung des Senats andere, gewichtigere Gesichts­punkte, die zu einer weiteren Auslegung des Anwendungsbereichs der genannten Zuständigkeitsvorschrift führen müssen.

c) Der Senat hält teleologische Gesichts­punkte für die Auslegung von § 2 Abs. 1 d BSchVerfG für entscheidend. Sinn und Zweck der Zuständigkeitsregelung für die Schifffahrtsgerichte müssen dazu führen, dass § 2 Abs. 1 d BSchVerfG auch solche Amtshaftungsansprüche im Zusammen­hang mit der Benutzung von Binnenge­wässern erfasst, bei denen die dem Be­amten zur Last gelegte Pflichtverletzung in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Tätigkeit des Beamten zur Sicherung des Verkehrs auf einer Wasserstraße steht. Hierzu gehört insbesondere jede Pflichtverletzung eines Schleusenbeam­ten, bei der ein unmittelbarer Zusammen­hang besteht mit Regelungen, die der Schleusenbeamte gegenüber dem Schiffsführer trifft im Zusammenhang mit der Sicherheit des Schleusenbetriebs. Für die Auslegung des Gesetzes sind folgende Erwägungen maßgebend:

aa) Zu Recht weist der Prozessbevoll­mächtigte der Beklagten darauf hin, dass das Gesetz in § 2 Abs. 1 d BschVerfG nicht den Begriff der „Verkehrssicherungs­pflicht" verwendet, sondern die Formulie­rung „Verletzung einer Amtspflicht zur Si­cherung des Verkehrs". Die Abweichung von dem - festgelegten - Begriff der „Ver­kehrssicherungspflicht" ermöglicht eine großzügige Auslegung.

bb) Die Einrichtung der Schifffahrtsgerich­te soll sicherstellen, dass für bestimmte Sachverhalte im Zusammenhang mit der Benutzung von Binnengewässern die be­sondere Sachkompetenz und Erfahrung des Schifffahrtsgerichts genutzt werden kann. Dieser Gesichtspunkt ist für den gel­tend gemachten Amtshaftungsanspruch, der im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Schleuse steht, in gleicher Weise gül­tig wie bei der Verletzung einer Verkehrssi­cherungspflicht (vgl. zum Gesichtspunkt der Sachkunde der Schifffahrtsgerichte bei Amtshaftungsansprüchen auch BGHZ 45, 237, 245). Der Gesichtspunkt der besonderen Sachkunde und besonderen Erfahrung der Schifffahrtsgerichte legt es nahe, die Zuständigkeitsvorschriften in § 2 BSchVerfG generell eher großzügig und erweiternd auszulegen (vgl. auch OLG Karlsruhe, Zeitschrift für Binnenschifffahrt und Wasserstraßen 1995, 37; vgl. im übri­gen zu entsprechenden Gesichtspunkten bei der Zuständigkeit der Rheinschiff­fahrtsgerichte Bemm/von Waldstein, Rheinschifffahrtspolizeiverordnung, 3. Aufl., 1996, Einführung Rn. 88; Wus­sow/Kürschner, Unfallhaftpflichtrecht, 15. Aufl., S. 1358 f.).

cc) Eine Beschränkung der Anwendung von § 2 Abs. 1 d BschVerfG ausschließlich auf die Verletzung von Verkehrssicherungs­pflichten würde zu wenig nachvollziehbaren Ergebnissen führen, was gerade der vorlie­gende Fall zeigt: Hätte der Schleusenbe­amte - pflichtwidrig - ein unterbemanntes Schiff geschleust und wäre dadurch (bei­spielsweise an einem anderen Schiff) ein Schaden verursacht worden, stünde wohl außer Frage, dass § 2 Abs. 1 d BschVerfG wegen Verletzung einer Verkehrssiche­rungspflicht (Nichtbeachtung von Regeln zur Sicherheit des Schleusenverkehrs) an­wendbar wäre. Es wäre kaum verständlich, wenn im umgekehrten Fall - der Schleu­senbeamte verweigert eine Schleusung, weil er möglicherweise zu Unrecht Sicher­heitsbedenken (Unterbemannung) hat - das Schiffahrtsgericht nicht tätig werden dürfte, obwohl in gleicher Weise Sachkun­de und Erfahrung des Schifffahrtsgerichts gefordert sind.

dd) Der Zuständigkeit des Schifffahrtsge­richts steht auch nicht entgegen, dass wegen der Bedeutung von Amtshaftungs­ansprüchen vorrangig an die Zuständigkeit des Landgerichts gem. § 71 Abs. 2 Ziff. 2 GVG zu denken wäre. Wenn der Gesetzge­ber in § 2 Abs. 1 d BSchVerfG für bestimm­te Amtshaftungsansprüche - nämlich bei der Verletzung von Verkehrssicherungs­pflichten - ausdrücklich die Zuständigkeit der Schifffahrtsgerichte angeordnet hat und diese für zweckmäßiger erachtet als eine Zuständigkeit der Landgerichte, besteht auch dann kein zwingender Anlass für ei­nen Vorrang der landgerichtlichen Zu­ständigkeit bei vergleichbaren Amtshaf­tungsansprüchen im Bereich der Bin­nenschifffahrt, wenn die Ansprüche nicht unmittelbar auf eine Verletzung einer Ver­kehrssicherungspflicht gestützt werden.

 

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2003 - Nr.3 (Sammlung Seite 1886 ff.); ZfB 2001, 1886 ff.