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Urteil der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
vom 26. Mai 1981
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 19.9.1980 - 5C 10/80 BSch -)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin ist Eigentümerin des Motortankschiffs "GA" (Länge: 108,50 m, Breite: 11,40 m, Tragfähigkeit: 3126 tons, Maschinenstärke: 2 x 900 PS) und des Tankleichters "GT" (Länge: 77 m, Breite: 11,40 m, Tragfähigkeit: 2652 tons). Die Beklagte Ziffer 1 ist Eigentümerin, zumindest aber Ausrüsterin, des Motortankschiffs "EN" (Länge: 80 m, Breite: 9,50 m, Tragfähigkeit: 1174 tons, Maschinen stärke 2 x 350 PS), das im Zeitpunkt des nachbeschriebenen Unfalls von dem Beklagten Ziffer 2 verantwortlich geführt wurde. In den Morgenstunden des 30. November 1978 befand sich MTS "GA" mit dem an Backbordseite gekoppelten Tankleichter "GT" oberhalb Emmerich auf dem Rhein auf der Talfahrt. Beide Fahrzeuge waren leer. Man fuhr nach Radar. Die persönlichen und technischen. Voraussetzungen für die Radarfahrt waren erfüllt. Gegen 7.30 Uhr näherte man sich dem Liegeplatz bei Emmerich, wo linksrheinisch eine Reihe von Fahrzeugen einzeln hintereinander, zum Teil auch nebeneinander, vor Anker lagen. Entlang dieser Stillieger kam dem Koppelverband "GA" das mit 760 tons Schmieröl beladene MTS "EN" bergwärts entgegen, Dieses Fahrzeug hatte um 7.00 Uhr seine Fahrt in Emmerich aufgenommen. Auch auf diesem Schiff war die Radaranlage in Tätigkeit, jedoch fuhr man nach optischer Sicht. Etwa bei Rhein-km 580,4 bis 6 stieß der talfahrende Koppelverband "GA", und zwar der auf Backbordseite angekuppelte Tankleichter, mit dem zu Berg kommenden MTS "EN" zusammen. Der Zusammenstoss erfolgte etwa auf Höhe des dort stilliegenden MS "GR". Bei dem Zusammenstoss wurden sowohl der Tankleichter als auch das MTS "EN" erheblich beschädigt.
Die Klägerin hat behauptet:
Der G-Verband sei in einer Entfernung von etwa 30 bis 40 m zu den rechtsrheinischen Kribben zu Tal gefahren und habe dabei eine Geschwindigkeit von etwa 18 bis 20 km/h eingehalten. Trotz mehrfacher Anfrage sei eine Verbindung über Sprechweg 10 zu dem Bergfahrer nicht zustande gekommen. Das MTS "EN", das man schon auf eine Entfernung von etwa 2000 m auf dem Radarschirm erfasst gehabt habe, sei zunächst dicht entlang der auf dem Liegeplatz Emmerich linksrheinisch vor Anker liegenden Fahrzeuge zu Berg gekommen. Die Kurse seien so verlaufen, dass beide Fahrzeuge in einem Seitenabstand von etwa 60 bis 70 m backbord über backbord ohne Schwierigkeiten hätten, begegnen können. Wider Erwarten habe aber das MTS "EN" auf eine Entfernung von etwa 600 m plötzlich seinen Kurs nach backbord geändert und sei so in, den Kurs der "G"-Fahrzeuge hineingefahren. Die Führung von "GA" habe nochmals über Sprechweg 10 versucht, eine Verbindung mit dem Bergfahrer herzustellen. Dies sei jedoch erfolglos geblieben. Man habe nun beide Maschinen gestoppt und die Steuerbord-Maschine auf vollan rückwärts gestellt. Auch habe man den Kurs nach Steuerbord gerichtet. Trotzdem sei eine Kollision nicht mehr vermeidbar gewesen. Bei der Kollision seien die Koppeldrähte gerissen. Während MTS "GA" kopfvor zwischen die Kribben gelaufen und sodann mit dem Hinterschiff über backbord herumgefallen sei, habe man auf dem Leichter- noch in der Mähe der Unfallstelle Achteranker setzen können, so dass der Leichter kopfvor ständig geworden sei. Zur Unfallzeit habe dichter Nebel geherrscht. Der Lotse und Rudergänger B. von MTS "EN", dem die Führung dieses Fahrzeuges oblegen habe, sei nicht im Besitz eines Radarschifferzeugnisses für den Rhein gewesen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner, die Beklagte zu Ziffer 1 außer dinglich haftend mit dem MTS "EN" im Rahmen des Binnenschifffahrtsgesetzes auch persönlich haftend zu verurteilen, an die Klägerin 46l.701,57 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1.9.1979 zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise ihnen nachzulassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung abzuwenden.
Die Beklagten haben behauptet:
Das MTS "EN" sei in einem Seitenabstand von ca. 20 m zu den linksrheinisch stilliegenden Fahrzeugen, zu Berg gefahren. Man habe sich immer wieder über Sprechweg 10 gemeldet. Die Sicht sei klar und einwandfrei gewesen. Einen anderen Bergfahrer, der in einer Entfernung von ca. 1000 m vor MTS "EN" gefahren sei; habe man mit dem bloßen Auge klar erkennen können. Die Radaranlage habe man nur als Hilfsmittel in Betrieb gehabt. Man sei jedoch nach optischer Sicht gefahren. Auch den "G-Verband" habe man in weiter Entfernung in Sicht bekommen. Dieser Verband habe sich zunächst in der Mitte des Reviers bewegt und sein Kurs sei so angelegt gewesen, dass er in ausreichendem Abstand hätte passieren können. Auf eine Entfernung von ca. 600 m habe MTS "GA" aber den Kurs nach backbord geändert und sei so in den Kurs des MTS "EN" hineingefahren. Obwohl man über Sprechweg 10 Kursweisung zur Begegnung backbord an backbord gegeben habe, sei von MTS "GA" keine Antwort gegeben worden. MTS "EN" habe daraufhin gestoppt und vollan zurückgeschlagen, so dass es im Augenblick des Unfalles fast stillgelegen habe. Der Unfall habe sich in einem seitlichen Abstand von nur 20 m querab des stilliegenden MS "GR" ereignet, anschließend habe MTS "GA" nach Losreißen seines Leichters noch auf Höhe des MTS "EN" über steuerbord gewendet.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat zu Beweiszwecken die Akten des auf Antrag des Schiffsführers W. durchgeführten Verklarungsverfahrens sowie des Bußgeldverfahrens gegen Schiffsführer B. beigezogen. In dem Verklarungsverfahren sind außer den Schiffsbesatzungen der beteiligten Schiffer; und den herbeigerufenem Beamten der Wasserschutzpolizei auch der Schiffsführer des stilliegenden MS "GR" als Zeugen vernommen worden. Mit Grunde, und" Teilurteil vom 19.9.1980 hat das Rheinschifffahrtsgericht den Klaganspruch dem Grunde nach zu 3/4 als gerechtfertigt erklärt und im übrigen die weitergehende Klage abgewiesen. Das Rheinschifffahrtsgericht sah es auf Grund der Aussagen des unbeteiligten Zeugen J. von MS "GR" als erwiesen an, dass das MTS "EN", das ursprünglich in einem Abstand von ca. 20 m entlang der stilliegenden Fahrzeuge zu Berg fuhr, kurz vor dem Zusammenstoss seinen Kurs nach backbord geändert habe und dadurch in den Kurs des talfahrenden "G-Verbandes hineingeraten sei. Dies ergebe sich eindeutig aus der Bekundung des Zeugen J., dass sich der Zusammenstoss zwischen dem "G"-Veband mit dem bergfahrenden MTS "EN" in einem Seitenabstand von 60 m zu seinem Fahrzeug zugetragen habe. Da MS "GR" in der Flucht mit den übrigen Stilliegern gelegen habe, gehe aus dieser Tatsache hervor, dass MTS "EN" seinen Kurs um ca. 40 m nach backbord verlegt habe. Damit habe die Führung des MTS "EN" gegen das Kursänderungsverbot des § 6.03 Absatz 3 der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung verstoßen. Dagegen hielt es das Gericht für unbewiesen, dass MTS "EN" trotz ungenügender Sicht gefahren sei, denn der Schiffsführer J. von MS "GR" habe als Zeuge für den Unfallzeitpunkt und Unfallort eine Sichtweite von ca. 500 m bekundet. Eine Mitschuld der Führung des MTS "GA" erblickte das Gericht in der Fortsetzung der Talfahrt, obwohl keine Verständigung über den Kurs mit MTS "EN" auf dem Sprechweg habe zustande gebracht werden können. Nach den eigenen Angaben des Schiffsführers W. habe sich MTS "GA" bis kurz vor dem Unfall in dichtem Nebel bewegt, so dass man verpflichtet gewesen wäre, trotz der "geregelten Begegnung" anzuhalten, als man das Echo des Gegenfahrers auf dem Radarschirm ausmachen konnte, mit diesem jedoch eine Verständigung über Sprechfunk nicht herstellbar war. Das Gericht hielt nach § 92 c Binnenschifffahrts¬gesetz bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens das jenige der Führung des MTS "EN" als erheblich überwiegend, so dass es eine Haftungsverteilung im Verhältnis 3/4 zu 1/4 zu Lasten der Interessenten des MTS "EN" als angemessen hielt.
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Vor der Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt wiederholen die am Rechtsstreit Beteiligten ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszug. Beide Parteien rügen in erster Linie eine unrichtige Würdigung des Beweisergebnisses.
Es beantragen:
Die Beklagten,
unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin, das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 19.9.1980 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin,
unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten, das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und entsprechend den in erster Instanz gestellten Anträgen die Beklagten in vollem Umfange zu verurteilen.
Entscheidungsgründe:
Die von beiden Parteien gegen das Grund- und Teilurteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort eingelegten Berufungen sind form- und fristgerecht erhoben und somit zulässig. In der Sache hat die Berufungskammer erwogen:
I.
Wie vom erstinstanzlichen Rheinschifffahrtsgericht zutreffend festgestellt wurde, gehen die Aussagen der Besatzungsmitglieder des MTS "EN" einerseits und des MTS "GA" andererseits über den Kurs ihrer Schiffe unmittelbar vor dem Zusammenstoss erheblich und unvereinbar auseinander. Während die Zeugen, von MTS "EN" untereinander übereinstimmend erklärten, dass ihr Fahrzeug in einem Seitenabstand von ca. 20 m zu den auf dem Liegeplatz Emmerich in einer langen Reihe hintereinander stilliegenen Fahrzeugen zu Berg gefahren sei und sich der Zusammenstoss auch in diesem Seitenabstand von 20 m zu den Stilliegern ereignet habe, erklärte der Schiffsführer des talfahrenden MTS "GA", dass er mit seinem Fahrzeug in einem Abstand von 30 bis 40 m zu den dort rechtsrheinisch liegenden Kribben zu Tal gekommen sei und diesen Abstand bis zur Kollision bei¬behalten habe. Die Besatzung des MTS "EN" bekundete ferner, dass der zu Tal kommende "G"-Verband den sie entsprechend der damals herrschenden Sichtweite von ca. 1000 m auf diese Entfernung in Sicht bekommen habe, etwa 300 bis 400 m oberhalb ihres Schiffes seinen Kurs immer mehr nach backbord geändert habe und auf sie zugefahren sei. Andererseits erklärte der Schiffsführer des MTS "GA", dass von MTS "EN" auf eine Entfernung von 600 m Backbordkurs genommen worden sei, wodurch dieses Fahrzeug in den Kurs der Talfahrt geraten sei" Bei diesen unterschiedlichen Aussagen beider Zeugengruppen, die - soweit sie als Schiffsführer für den Kurs ihrer Fahrzeuge verantwortlich sind - am Ausgang des Rechtsstreits ein nicht unerhebliches Eigeninteresse haben, oder als Mitglieder ein und derselben Schiffsbesatzung sich mit ihrem Schiffsführer solidarisch fühlen, kommt den Aussagen unbeteiligter Zeugen über den Ort des Zusammenstosses, aus dem dann Rückschlüsse über den Kurs der Fahrzeuge unmittelbar vor dem Zusammenstoss gezogen werden können, erhebliche und prozessentscheidende Bedeutung zu. Zu Recht hat deshalb das Rheinschifffahrtsgericht seiner Entscheidung die Bekundung des als Zeugen gehörten Schiffsführers J. des MS "GR" saugrunde gelegt. Dieses Fahrzeug lag in einer Linie mit den auf dem Liegeplatz Emmerich. stilliegenden. Fahrzeugen und hatte gleichen Abstand vom geographisch linken Rheinufer, wie die vor und hinter ihm liegenden Schiffe. Schiffsführer J., der ungehinderte Sicht auf die Unfallstelle hatte, hat bei seiner Zeugenvernehmung im Verklarungsverfahren erklärt, dass sich der Unfall etwa auf Höhe seines bei Rhein-km 650,4 bis 5 stilliegende Fahrzeugs abgespielt habe, und zwar in einem Seitenabstand zu seinem Schiff von etwa 60 m. Diesen Abstand gibt er für das MTS "EN" an, das mit dem backbordseits neben. MTS "GA" angemeerten Leichter "G-Tank 6" zusammengestoßenen war, wobei MTS "GA" nach Bruch der Meerdrähte backbordseits an MTS "EN" vorbeiliefe Der Abstandsangabe des Zeugen J. kommt besondere Bedeutung auch deshalb zu, da sie auf ihre Richtigkeit objektiv dadurch überprüfbar ist, dass der Zeuge unabhängig von der bezifferten Abstandsangabe erklärte, MTS "EN" und MTS "GA" hätten sich, als er die beiden nach dem Unfall zum ersten Male sah, etwa in der Mitte des zwischen seinem Schiff und dein rechtsrheinischen Kribbenstrich zur Verfügung stehenden Fahrwassers befunden. Nach den Zeugenangaben des Polizeihauptmeisters A. der Wasserschutzpolizei ist der Abstand des stilliegenden MS "GR" vom geographisch linken Ufer mit dem Radar des später hinzugekommenen Polizeibootes auf 115 m ausgemessen worden und so auch in die bei dem polizeilichen Ermittlungsakten befindliche Unfallskizze des Lotsen B. eingetragen worden.
Andererseits beträgt nach der zutreffenden Feststellung, die das erstinstanzliche Gericht an Hand der Stromkarte traf, die Gesamtbreite des Raumes zwischen den rechtsrheinischen Kribben und dem linken Ufer auf Hohe der Unfallstelle allenfalls 300 m. Unter Hinzurechnung der Eigenbreite des MS "GR" befand sieh dessen Außenseite etwa 125 m (115 m Uferabstand + 10 m Eigenbreite) vom linken Ufer entfernt, so dass zwischen MS "GR" und dem rechtsrheinischen Kribbenstrich ein freier Raum von ca. 175 m verblieb. Wenn der Zeuge J. die beiden nebeneinander befindlichen Fahrzeuge MTS "EN" und "GA", für die eine Gesamtbreite von rund 25 m zu rechnen ist, etwa in der Mitte dieses freien Raumes wahrnahm, so verbleiben beiderseits rechnerische Abstände von etwa 75 m die die Abstandsschätzung des Zeugen J. bestätigen. Damit sind die Bekundungen der Besatzungsmitglieder des MTS "EN" widerlegt, dass sich die Kollision in eines Abstand von nur 20 m zu den linksrheinisch liegenden Stilliegern ereignet hat. Bei dieser Sachlage kann dahingestellt bleiben, ob die Besatzungsmitglieder des MTS "EN" auch in anderen Punkten etwas Unrichtiges bekundet haben (Radarschifferzeugnis des Schiffsführers B. und Ort des Wendens des MTS "GA"). Da die Besatzungsmitglieder des MTS "EN" untereinander übereinstimmend erklärt haben, dass man weiter unterhalb in einem Abstand von 20 m zu den hintereinander liegenden Stilliegern zu Berg gefahren sei und diese Abstandsangabe sich, mit der Radarbeobachtung des Schiffsführers W. von MTS "GA" deckt,, dass MTS "EN" dicht entlang der Stillieger zu Berg gekommen sei und zunächst einen Kurs eingehalten habe, der eine Backbord- an Backbordbegegnung in einem seitlichen Abstand von 60 bis 70 m gewährleistet hätte, ist die Folgerung des Erstrichters zwingend,, dass MTS "EN" kurz vor dem Unfall seinen Kurs um 40 m nach backbord verlegt hat, so dass sich der Zusammenstoss ca. 60 m neben dem stilliegenden MS "GR" ereignen konnte. Mit dieser nicht unerheblichen Kursänderung nach backbord hat die Führung des MTS "EN" - wie vom Vorderrichter zutreffend festgestellt wurde - gegen das Klarsänderungsverbot des § 6.03 Absatz 3 der Rheinschifffahrtspolizeiverordnung (RhSchPVO) verstoßen, da der ursprüngliche Kurs nicht nur den Vorschriften über die "geregelte Begegnung" backbord über backbord entsprach, sondern auch so angelegt war, dass er jede Gefahr eines Zusammenstosses ausschloss. Selbst wenn man annehmen wollte, dass der Bergfahrer diese Seitendistanz au den Stilliegern von ca. 60 m nicht erst kurz vor der Unfallstelle hergestellt, sondern schon weiter unterhalb zu den dortigen Stilliegern eingehalten hätte, wie die Interessenten des MTS "EN" mit dem Hinweis andeuteten, dass sich die Besatzung bei ihrer Abstands-Schätzung auf Höhe des MS "GR" möglicherweise verschätzt haben könne, dann aber dieser Schätzfehler auch für die frühere Abstandsangaben angenommen werden müsste, hätte die Führung des Bergfahrers pflichtwidrig gehandelt. Denn nach § 6.04 Absatz 1 RhSchPVO war der Bergfahrer, als man nach eigenen Angaben die herankommende Talfahrt als einen Verband mit seitlich angekoppeltem Fahrzeug ausgemacht hatte, im Hinblick auf dessen Breite und vor allem auch wegen der bestehenden Dunkelheit verpflichtet, einen besonders breiten Begegnungsraum einzuräumen. Dieser Verpflichtung wäre man aber mit einem Kurs, der von dem insgesamt zur Verfügung stehenden Fahrwasser von höchstens 175 m mehr als 1/3 (60 m zuzüglich Eigenbreite) in Anspruch genommen hätte, nicht gerecht geworden. Mit dem Rheinschifffahrtsgericht ist auch die Berufungskammer der Auffassung, dass der Führung des MTS "EN" nicht nachgewiesen werden kann, dass die Sichtweite für eine Fortsetzung der Fahrt zu gering gewesen seif denn nach der Rechtsprechung der Berufungskammer reicht eine Sichtweite von 500 m, wie sie der Zeuge J. für den Bereich der Unfallstelle bekundet hat, für einen Bergfahrer aus, um bei gehöriger Vorsicht die Fahrt fortzusetzen. Ebenso ist nicht widerlegt, dass die Nichtabgabe von Signalen durch den Bergfahrer nicht unfallursächlich war. denn einerseits stand die Begegnungsseite durch die vorgeschriebene geregelte Begegnung fest und andererseits hatte der Schiffsführer W. von MTS "GA" das bergfahrende MTS "EN" nach eigenen Angaben schon auf eine Distanz von 2000 m auf dem Radarschirm ausgemacht.
Zusammenfassend ist somit in Übereinstimmung mit dem Rheinschifffahrtsgericht festzustellen, dass die Führung des MTS "EN" dadurch, dass sie den Kurs ihres Schiffes, der ursprünglich in einem Abstand von 20 m zu den linksrheinischen Stilliegern verlief, bis auf einen Abstand von ca. 60 m, also bis in den Mittelbereich des freien Durchfahrtsraumes von ca. 175 m, nach backbord verlegte, schuldhaft eine wesentliche Ursache für den folgenschweren Zusammenstoss gesetzt hat.
II.
Im Gegensatz zum Rheinschifffahrtsgericht vermag die Berufungskammer eine Schuld der Führung des MTS "GA" an der Kollision nicht festzustellen. Dieser Koppelverband kann nicht - wie sein Schiffsführer W. aussagte - schon von oberstrom her und unverändert bis zum Zusammenstoss in einem Abstand von 30 bis 40 m zu den rechtsrheinischen Kribben gefahren sein, denn der Unfall ereignete sich - wie oben bereits auf Grund der Aussage des Schiffsführers J. festgestellt wurde -in einem Seitenabstand des MTS "EN" von 60 m zu dem linksrheinisch stilliegenden MS "GR", wobei der backbordseits neben MTS "GA" angemeerte Leichter "GT", der Kopf auf Kopf gegen MTS "EN" anstieß, den gleichen Abstand gehabt hat. Demnach muss der "G"-Verband seinen Kurs mindestens in einem Abstand von 75 m zu der rechtsrheinischen Kribbenlinie gehalten haben, wofür auch die ursprüngliche Angabe des Schiffsführers W. im Verklarungsverfahren spricht, dass der variable Ring des Radarschirms im 60 m-Bereich eingeblendet war und dies der Abstand gewesen sei, mit dem er aus den Kribben gefahren sei. Indirekt geht dies auch aus der Zeugenerklärung des Schiffsführers Schilling hervor, der bei seinem Eintritt in den Steuerstuhl des MTS "GA" feststellte, dass -dieses Schiff Steuerbordschräglage innehatte und erst jetzt also bei seinem Eintreffen im Steuerstuhl nach dem Unfall - mit dem Vorschiff 40 m von den Kribben entfernt war. Demnach muss MTS "GA", das sich in dieser Schräglage noch talwärts bewegte, im Zeitpunkt der Kollision weiter als 40 m vom rechten Ufer entfernt gewesen sein. Die Steuerbordschräglage des "G"-Verbandes unmittelbar nach dem Unfall wird auch von dem Zeugen J. von MS "GR" bestätigt, der angab, dass der Leichter "GT" mit dem Hinterschiff nach backbord herumzufallen drohte. Dieser Kurs des Talfahrers etwa in der Mitte des freien Raumes zwischen den linksrheinischen Stilliegern und der rechtsrheinischen Kribbenlinie hätte, wenn auch der Bergfahrer seinen bereits geschilderten Kars beibehalten hätte, zu einer Begegnung beider Schiffe in einem Seitenabstande von etwa 40 m geführt. Eine solche Begegnung war auch bei den herrschenden Sichtverhältnissen gefahrlose Es bestand deshalb für den Talfahrer kein Anlass, den genanntem Begegnungsabstand dadurch zu verbreitern, dass er seinen Kurs weiter zum rechtsrheinischen Ufer hin verlegte. Weiter bestand kein Grund, ein Anhalten mit Kopf zu Tal in Betracht zu ziehen. Beide Maßnahmen hatten eine Situation vorausgesetzt, aus der sich erkennbar eine Gefahr hätte entwickeln können. An dieser Voraussetzung fehlte es. Eine Gefahr entstand erst dadurch, dass der Bergfahrer später seinen Kurs auf den Talfahrer zu verlegte. Hiermit musste aber nicht gerechnet werden. Der Talfahrer durfte im Gegenteil darauf vertrauen, dass jede Kursänderung unterblieb, da ein Anlass für eine solche nicht zu erkennen war. Eine Gefahrenlage entstand objektiv auch nicht dadurch, dass der Versuch beider Schiffsführer, über Sprechfunk miteinander in Verbindung zu treten, misslang. Es steht nämlich fest, dass auf jedem Schiff das entgegen kommende rechtzeitig erkannt wurde. Mit dem Schiff wurde auch dessen Kurs erkannt, so dass die Kurse beider Schiffe so gelegt und festgehalten werden, konnten, dass eine gefahrlose Begegnung gewährleistet war. Allerdings konnte die misslungene Verständigung über Sprechfunk bei dem Talfahrer den Eindruck hervorrufen, der entgegenkommende Bergfahrer verfüge Über kein Radar und sehe ihn, deshalb nicht. Auch in diesem Falle brauchte er aber nicht mit einer grundlosen Kursänderung des Bergfahrers zu rechnen, der ja durch kein akustisches Signal darauf hingewiesen wurde, dass eine Fortsetzung dieses Kurses gefährlich sei. Aus den dargelegten Gründen bestand schließlich für den Talfahrer kein Anlass, durch ein Dreitonsignal auf sich aufmerksam zu machen. Ein solches Signal hätte auch auf die Kollision deshalb keinen Einfluss gehabt, weil man sich, wie bereits festgestellt, gegenseitig über Radar bzw. mit dem bloßen Auge sah. Es bestand also keine Notwendigkeit, durch akustische Signale auf sich aufmerksam zu machen.
Aus den dargelegten Gründen war deshalb unter Bezugnahme auf § 97 ZPO für Recht zu erkennen:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 19.9.1980 verkündete Grund- und Teilurteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort wird als unbegründet zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Klägerin wird das genannte Urteil dahin abgeändert, dass die Klage im vollen Umfange dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt wird.
Die Kosten des Rechtsstreites tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
Die Festsetzung der Kosten unter Berücksichtigung des Artikels 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.
Der Stellvertretende Der Vorsitzende:
Gerichtskanzler:
(gez.) A. BOUR (gez.) P. QUANJARD