Decision Database
Leitsätze:
1) Zur richtigen Zeichengebung der mit Radarhilfe bei Nebel und unsichtigem Wetter fahrenden Schiffe.
2) Wird ein Radargerät benutzt, ohne daß der Benutzer das vorgeschriebene Radarschifferpatent besitzt, so braucht das Fehlen des Radarschifferpatentes nicht als Ursache eines anschließenden Schiffsunfalls angesehen zu werden, sofern das Gerät richtig bedient und das Bild richtig ausgewertet worden ist.
Urteil der Berufungskammer der Rheinzentralkommission
vom 19. März 1971
11 Z - 3/71
(Rheinschifffahrtsgericht Mannheim)
Zum Tatbestand:
Das wegen Nebels mit Radar gesteuerte MS R der Klägerin befand sich etwa bei Rhein-km 332 auf Bergfahrt. Die im Ruderhaus befindlichen Schiffsführer, Lotse und 1 Matrose, von denen der letztere das Ruder bediente, hatten kein Radarschifferpatent. 2 weitere Matrosen standen auf dem Vorschiff als Ausguck. Auf dem Radarbild wurde in etwa 1500 m Entfernung ein Talfahrer sichtbar, nämlich, wie sich später ergab, das der Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte MS F. Es nahm den Kurs zu dem linksrheinisch liegenden MS G. Der Versuch von MS R, über Sprechfunk (Kanäle 13 und 10) Verbindung mit dem Talfahrer aufzunehmen, mißlang. Sodann wurden akustische Signale gegeben, außerdem die Geschwindigkeit herabgemindert. MS R richtete auch seinerseits den Kurs zum linksrheinischen Ufer. Der Versuch von MS F, in der Nähe von MS G über Backbord aufzudrehen, wurde wegen der Gefahr einer Kollision mit diesem Schiff abgebrochen. Nach der Passage kam MS R in Sicht. Trotz sofortigen Backbordkurses gelang es MS F. Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage Schadensersatz von etwa 28000,- DM, weil MS „Fritz" die in 800 und 600 m Entfernung gegebenen Signale nicht beachtet und die Fahrt trotz unsichtigen Wetters zu lange fortgesetzt habe. Der Schiffsführer und Lotse von MS R hätten trotz Fehlens des Radarschifferpatentes hinreichende Ubung in der Benutzung des Radargerätes gehabt. Die Beklagten bestreiten jedes Verschulden. Das Schiff sei verbotenerweise mit Radareinsatz gefahren. MS „RheinRuhr 6" habe erst kurz vor der Kollision ein akustisches Signal gegeben und habe die Fahrt nicht abgebrochen, obwohl MS F erkennbar nicht habe aufdrehen können. Die Fortsetzung der Fahrt könne MS F nicht zum Vorwurf gemacht werden. Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach zu 3/4 für gerechtfertigt erklärt und sie im übrigen abgewiesen. Die Berufung beider Parteien wurde zurückgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Tatsache, daß sich der Schiffszusammenstoß auf französischem Hoheitsgebiet ereignet hat, hinderte die Parteien gemäß Art 35ter der Revidierten Rheinschiffahrtsakte nicht, die örtliche Zuständigkeit des Rheinschiffahrtsgerichts Mannheim - ausdrücklich oder durch entsprechendes Verhalten - zu vereinbaren. Dieses Gericht durfte auch seiner Entscheidung das materielle deutsche Recht zugrundelegen, da auch dies dem Willen der Parteien entspricht. In Gegensatz zum Rheinschiffahrtsgericht sieht die Berufungskammer den auf R begangenen Fehler in unzulänglichen und verfehlten akustischen Signalen, nachdem man den Talfahrer, der sich später als F herausstellte, im Radarbild wahrgenommen hatte. Man hat einmal zu wenig Achtungssignale gegeben und damit gegen die Ziffer III der „Bekanntmachung für die Rheinschiffahrt über die Fahrt mit Radar und bei unsichtigem Wetter" der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Duisburg, Mainz und Freiburg in der Fassung vom 15. 11. 1966 verstoßen. Zum anderen hat man durch eine verfehlte Kursweisung der Vorschrift des § 38 der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung zuwidergehandelt. Nach der Ziffer III der erwähnten Bekanntmachung müssen mit Radarhilfe zu Berg fahrende Fahrzeuge als Nebelzeichen einen langen Ton u. a. dann geben, sobald sie auf dem Radarschirm Fahrzeuge bemerken, deren Kurs nicht den Eintritt jeglicher Gefahrenlage ausschließt. Das war schon der Fall, als man feststellte, daß man mit dem im Radarbild sichtbaren Talfahrer über Sprechfunk nicht in Verbindung treten konnte. Das deutete darauf hin, daß der Talfahrer ohne Radar fuhr, da mit Radarhilfe fahrende Schiffe üblicherweise mit einer Sprechfunkanlage ausgerüstet sind. Bei einem ohne Radar fahrenden Schiff mußte angesichts der herrschenden Sichtverhältnisse jederzeit mit einem Aufdrehmanöver gerechnet werden, bei dem dieses in den Kurs von „Rhein-Ruhr 6" geraten mußte. Vollends schloß der Kurs des Talfahrers nicht den Eintritt jeglicher Gefahrenlage aus, als dieser auf das linksrheinische Ufer hin gerichtet wurde, wohin auch R seinen Kurs richtete. In dieser Situation sind nach Aussagen des Lotsen und des Schiffsführers von R 2 Achtungssignale in Gestalt eines langen Tons gegeben worden, nach der Aussage, als beide Schiffe 800 m bzw. 600 m voneinander entfernt waren. Das war zuwenig. Nach Ziffer III der erwähnten Bekanntmachung sind die Nebelzeichen „so lange als notwendig zu wiederholen und zwar in Abständen von längstens einer Minute". Diese Notwendigkeit bestand im vorliegenden Falle so lange, bis das Zeichen beantwortet wurde und damit klar war, daß es aufgenommen worden war. Beide Signale sind aber nach den Aussagen nicht beantwortet worden. Zumindest haben beide Zeugen keine Antwort gehört. Dann durfte man sich aber auf R nicht mit 2 Nebelsignalen begnügen. Nach § 38 der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung hatte R als Bergfahrer dem Talfahrer den Kurs zu weisen. Da die in den ersten 3 Absätzen dieser Bestimmung geregelte optische Kursweisung angesichts der Sichtverhältnisse unanwendbar war, hatte die Weisung gemäß Abs. 4 durch akustische Zeichen zu erfolgen, also durch einen kurzen Ton, wenn die Vorbeifahrt an Backbord stattfinden sollte, und durch 2 kurze Töne, wenn eine Vorbeifahrt an Steuerbord gewollt war. Diese Zeichen waren so rechtzeitig zu geben, daß sie vom Talfahrer ohne eine plötzliche Kursänderung befolgt werden konnten. Nach den Aussagen ist von R ein kurzer Ton gegeben worden, wobei K. erklärt hat, in diesem Zeitpunkt sei der Talfahrer noch etwa 300 m entfernt gewesen. Die Vorbeifahrt sollte also an Backbord stattfinden. Diese Kursweisung erfolgte zu spät. Richtigerweise hätte sie in Verbindung mit häufigen Nebelzeichen, etwa im Takt - langer Ton, Pause, langer Ton, Pause, kurzer Ton, Pause, langer Ton usw. - gegeben werden müssen, damit der Talfahrer frühzeitig wußte, daß er Steuerbordkurs zu halten hatte. Die auf R begangenen Fehler haben zum späteren Zusammenstoß beigetragen. Hätte das Schiff genügend Nebelsignale und eine rechtzeitige, wiederholte Kursweisung gegeben, so wäre beides auf F so früh verstanden worden, daß das Schiff seinen Aufdrehversuch in Höhe von G unterlassen hätte und in der Nähe des rechtsrheinischen Ufers geblieben wäre. Es wäre dann nicht in den Kurs von R geraten. Weitere zum Unfall führende Fehler hat man auf R nicht begangen. Zwar war niemand an Bord im Besitz eines Radarschiffer-Zeugnisses, wie es in Abschnitt 1, Ziffer 3 der „Bekanntmachung für die Rheinschiffahrt über die Fahrt mit Radar und bei unsichtigem Wetter" vorgeschrieben ist. Das Radargerät hätte deshalb nicht benutzt werden dürfen. Es gibt aber keinen Anhalt dafür, daß ein falscher Gebrauch dieses Gerätes zum Unfall beigetragen hat. Die Aussagen des Lotsen K. und des Kapitäns Z. zeigen, daß beide über genügend Erfahrung in der Radarfahrt verfügen. Bei dem Lotsen wird dieser Eindruck dadurch unterstrichen, daß er am 30. 1. 1967, d. h. gut 2 Monate nach dem Unfall, das Radarschifferpatent erhalten hat. Die beiden Aussagen zeigen weiter, daß das Radargerät auf der zum Unfall führenden Fahrt richtig bedient und sein Bild richtig ausgewertet worden ist. Das fehlende Radarschiffer-Patent wurde also nicht zu einer der Ursachen des Unfalls. Mit diesen Ausführungen gibt die Berufungskammer auch ihrer auf den geschilderten Zeugenaussagen beruhenden Uberzeugung Ausdruck, daß das Radargerät auf der zum Unfall führenden Fahrt eingesetzt worden ist. Es besteht kein Anlaß, zu diesem Punkte die Zeugen erneut zu hören. War das Radargerät aber in Betrieb und waren K. und Z. mit seiner Bedienung und Auswertung vertraut, so durfte bei der Entscheidung, die Fahrt trotz schlechter Sicht fortzusetzen, die Radarortung als nautisches Hilfsmittel berücksichtigt werden, wie Abschn. 1 Ziffer 2 der bereits mehrfach erwähnten Bekanntmachung sagt. Das Radargerät erweiterte aber die Sicht der mit seiner Bedienung und Auswertung vertrauten Personen bis auf 1500 m voraus. Mit Rücksicht hierauf war für R die Fortsetzung der Fahrt trotz unsichtigen Wetters kein Verstoß gegen § 80 Abs. 3 der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung, da das Schiff auftauchende Hindernisse rechtzeitig erkennen und notfalls rechtzeitig vor ihnen anhalten konnte. Der auf dem MS F begangene Fehler besteht darin, daß die Fahrt des Schiffes im unsichtigen Wetter zu lange fortgesetzt und damit gegen § 80 Abs. 2 der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung verstoßen wurde. Die Zeugenaussagen über die Sichtverhältnisse am Unfallort unterscheiden sich nicht wesentlich. Insgesamt sprechen diese Aussagen für eine wahrscheinliche Sichtweite von 100-150 m. Keinesfalls betrug die Sicht mehr als 200 m. Es leuchtet ein, daß F unter solchen Verhältnissen mit Rücksicht auf die örtlichen Umstände und den übrigen Verkehr die Fahrt nicht mehr ohne Gefahr fortsetzen konnte. Sie hätte also nach § 80 Abs. 2 Rheinschiffahrtpolizeiverordnung vorher eingestellt werden müssen. Dem Vorwurf, dies nicht getan zu haben, könnte F nur dann entgehen, wenn entweder die Sichtverschlechterung plötzlich eingetreten wäre, oder das Schiff seine Fahrt nicht früher hätte einstellen können. Von einer plötzlich eingetretenen Sichtverschlechterung hat kein Zeuge gesprochen. Aus allen Aussagen ergibt sich vielmehr, daß der Nebel allmählich dichter wurde. F beruft sich darauf, daß ein Aufdrehen vor der Unfallstelle unmöglich gewesen, und daß hieran eine Einstellung der Fahrt gescheitert sei. Es kann dahingestellt bleiben, ob man diese Behauptung mit dem Rheinschiffahrtsgericht als widerlegt ansehen kann; denn auf ihre Richtigkeit kommt es aus den folgenden Gründen nicht an. Schon der § 80 Abs. 2 der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung zeigt, daß Talfahrer ihre Fahrt nicht nur dadurch unterbrechen können, daß sie aufdrehen (Zu Berg wenden § 46 RSchPVO.), denn dort heißt es: „Talfahrer müssen anhalten oder aufdrehen wenn ...". Eine der Möglichkeiten, die Fahrt einzustellen, wäre im vorliegenden Fall das Anhalten mit Bug zu Tal gewesen. Das dieses Manöver durchführende Schiff stellt allmählich seine Maschine ab, läßt die Heckanker fallen und kommt mit Bug zu Tal zum Stillstand, wenn die Anker sich in die Flußsohle eingegraben haben. Dieses Manöver ist als Notmaßnahme auf dem Rhein überall dort gebräuchlich, wo ein geeigneter Ankergrund vorhanden ist. Diese Voraussetzung ist oberhalb der Unfallstelle gegeben, da dort die Flußsohle aus Kies besteht. Die Erklärung des Kapitäns W., das Manöver sei am Oberrhein nicht üblich, hält die Berufungskammer für falsch. Als zweites Anhaltemanöver wäre für den Notfall das folgende speziell am Oberrhein geübte und von dem Lotsen Z. dargelegte Manöver in Betracht gekommen. Hier dreht das zu Tal fahrende Schiff zwar auf, verengt aber den Wendekreis dadurch, daß es mit dem Bug etwas in den Uferkies hineinfährt und dann um den so geschaffenen Festpunkt zu Berg herumfällt. Diese Maßnahme verkürzt den Wendekreis so sehr, daß ein Aufdrehen auch an engen Flußstellen möglich wird, wo es im Normalverfahren unmöglich wäre. Das Manöver kann auch so durchgeführt werden, daß das Schiff einen Buganker fallen läßt und mit seiner Hilfe im engen Kreise zu Berg herumfällt. Auch diese Notmaßnahme hat man auf F nicht in Betracht gezogen. Der Verstoß des Schiffes gegen § 80 Abs. 2 der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung steht mithin fest. Dagegen kann ihm nicht vorgeworfen werden, eine von R gegebene Kursweisung nicht befolgt und dadurch gegen § 39 Abs. 1 der Rheinschiffahrtpolizeiverordnung verstoßen zu haben. Wägt man die Fehler beider Schiffe ab, so erscheint derjenige von F erheblich schwerwiegender als derjenige von R. F fuhr praktisch blind und wurde durch seine dadurch bedingte unsichere und dem Zufall preisgegebene Fahrt zu einer erheblich größeren Gefahrenquelle als R, wo man das Revier und die Ereignisse gut übersah, aber die notwendigen Signale nicht rechtzeitig und oft genug gab. Der Fehler von F wurde auch zu der primären Unfallursache, welche das falsche Verhalten des Bergfahrers zur Folge hatte. Die vom Rheinschiffahrtsgericht vorgenommene Haftungsverteilung erscheint deshalb im Ergebnis zutreffend. Rechtsgrundlage sind die §§ 823 Abs. 1 und 2, 840 BGB in Verbindung mit den §§ 3, 4, 92, 114 des Binnenschiffahrtgesetzes und den §§ 735 ff HGB.