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Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt
Urteil
vom 12. Juni 1979
(auf Berufung gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 15.9.1978 - 5 C 83/77 BSch -)
Tatbestand:
Der Rechtsstreit ist aus einem Schiffsunfall entstanden, der sich am 23.8.1975 gegen 13.00 Uhr in der Nähe der Hochfelder Eisenbahnbrücke im Raume Duisburg zugetragen hat. Damals überholte das TMS "W" (1583 t, 1000 PS) an der Backbordseite das TMS "R1" (1598 t, 1200 PS), welches den Tankleichter "R2" (1641 t) schob. Beide Schiffe fuhren zu Berg. Jedes von ihnen wirft dem anderen vor, seinen Kurs nach Backbord bzw. nach Steuerbord plötzlich verändert und dadurch den Unfall herbeigeführt zu haben. Beide Schiffe wurden beschädigt. Ihre Eigner bezw. ihre Versicherer verlangen im vorliegenden Rechtsstreit und im Parallelprozess 5 C 83/77 BSch des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort Schadensersatz. Weiter hat der Unfall zu einem Strafverfahren gegen den Schiffsführer Ro. des TMS "W" geführt. Er ist vom Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort wegen fahrlässiger Gefährdung des Schiffsverkehrs zu einer Geldstrafe von Tagessätzen zu 40,- DM verurteilt worden.
Auf seine Berufung hin schwebt das Verfahren z.Zt. unter dem Aktenzeichen 3 - 2/77 (OLG vor dem Rheinschifffahrtsobergericht KÖLN.
Im vorliegenden Rechtsstreit klagt die Eignerin des Rheintankverbandes gegen die Eignerin und die beiden Schiffsführer des TMS "W". Dieses hatte 2 Schiffsführer an Bord, die sich gegenseitig ablösten. Zur Unfallzeit hatte der Beklagte zu 3) Dienst und stand am Ruder. Der Beklagte zu 2) hatte Freiwache, hielt sich aber im Ruderhaus auf.
Die Klägerin hat behauptet, das TMS "W" habe, als sein Überholmanöver fast beendet gewesen sei, seinen Kurs plötzlich hart nach Steuerbord verlegt und sei ihrem Verband vor den Bug gefahren. Dort habe man zwar sofort die Maschine auf Rückwärtsgang gestellt, die Havarie aber nicht mehr abwenden können. Auf ihrem Verbande sei ein Schaden in Höhe von DM 2.233,- entstanden.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie DM 2.233,- nebst 4% Zinsen seit dem 10.8.1977 zu bezahlen und auszusprechen, dass die Beklagte zu 1) dinglich mit dem TMS "W" und im Rahmen des Binnenschifffahrtsgesetzes persönlich hafte.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie haben behauptet, der Rheintankverband habe die umstrittene Havarie dadurch herbeigeführt, dass er in der Endphase der Überholung seinen Kurs plötzlich hart nach Backbord verlegt habe und in ihr Achterschiff steuerbords hineingefahren sei.
Das Rheinschifffahrtsgericht hat Zeugen vernommen und die bereits erwähnten Strafakten beigezogen.
Sodann hat es die gegen der Beklagten zu 2) gerichtete Klage mit der Begründung abgewiesen, dieser habe zur Unfallzeit Freiwache gehabt und sei deshalb für die Führung des TMS "W" nicht verantwortlich gewesen. Sein zufälliger Aufenthalt im Ruderhaus und seine Bereitschaft, notfalls in die Schiffsführung einzugreifen, änderten daran nichts. Das gleiche gelte von seiner Bezeichnung mit "erster Schiffsführer". Die klare und eindeutige Verantwortungsabgrenzung gebiete es, nur demjenigen Schiffsführer, der gerade Wache habe, die Verantwortung für das Schiff aufzubürden.
Die Beklagten zu 1) und 3) sind vom Rheinschifffahrtsgericht dem Klageantrag entsprechend verurteilt worden. Es hat festgestellt, dass TMS "W" habe in der Endphase des von ihm durchgeführten Überholmanövers seinen Kurs plötzlich hart nach Steuerbord verlegt und sei dadurch dem Rheintankverband vor den Bug gefahren. Hierauf allein beruhe die umstrittene Havarie. Eine falsche Fahrweise des Rheintankverbandes sei nicht zu erkennen. Das Verhalten des TMS "W" sei ein Verstoß gegen das im § 6.03 RSchPVO ausgesprochene Kursänderungsverbot.
Die Beklagten zu 1) und 3) haben Berufung eingelegt. Vor der Berufungskammer wiederholen beide Parteien ihren Vortrag aus dem ersten Rechtszuge und nehmen zu den Ausführungen des Rheinschifffahrtsgerichts Stellung.
Es beantragen:
Die Beklagten zu 1) und 3),
unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihren im ersten Rechtszuge zuletzt gestellten Anträgen zu erkennen.
Die Klägerin,
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die formell nicht zu beanstandende Berufung ist erfolglos.
Die Berufungskammer hat im einzelnen erwogen:
1) Die Aussagen der Besatzungsmitglieder der am Unfall beteiligten Schiffe sind keine zuverlässige Erkenntnisgrundlage. Sie bilden 2 geschlossene, miteinander unvereinbare Blocks. Jede Besatzung hat erklärt, das andere Schiff habe die zum Unfall führende plötzliche Kursveränderunq vorgenommen. Wie es zu diesen Aussagen gekommen ist, welche Einflüsse auf die vernommenen Besatzungsmitglieder möglicherweise ausgeübt worden sind, ist nicht zu untersuchen. Es genügt vielmehr die Feststellung, dass sich die Bekundungen der am Ausgang des Rechtsstreites nicht uninteressiert erscheinenden Zeugen wegen ihrer Unvereinbarkeit aufheben. Allerdings glaubt das Rheinschifffahrtsgericht mit der vor ihm am 15.11.78 - mehr als 3 Jahre nach dem Unfall - gemachten Aussage des Zeugen Wi. gegen das TMS "W" argumentieren zu können. Der Zeuge war Mitglied der Besatzung dieses Schiffes auf der zum Unfall führenden Fahrt. Bei seiner Vernehmung durch das Rheinschifffahrtsgericht sind ihm Schiffsmodelle mit der Bitte vorgelegt worden, mit ihrer Hilfe die zum Unfall führenden Ereignisse darzustellen. Er hat das TMS "W" dabei vor der Havarie in eine nach Steuerbord gerichtete Schräglage gelegt und zur Erläuterung gesagt, es habe der Talfahrt ausweichen müssen. Später hat er einfach erklärt, sein Schiff sei am Brückenpfeiler in eine starke Schräglage geraten. Schließlich hat er, als ihm seine Aussage vom 11.5.1977 im bereits erwähnten Strafverfahren vorgehalten wurde, bekundet, er wisse nicht mehr, ob Talfahrt im Revier gewesen sei. In der dem Zeugen vorgehaltenen Aussage im Strafverfahren fehlt jeder Hinweis auf eine Steuerbordschräglage des TMS "W" vor der umstrittenen Kollision. Sie wird hier vielmehr als deren Folge hingestellt. Außerden ist von Talfahrt keine Rede. Berücksichtigt man diese Widersprüche in beiden Aussagen, die beide längere Zeit nach der Havarie gemacht worden sind, so kann zumindest nicht sicher festgestellt werden, die zweite sei richtig und die erste falsch. Diese Frage bleibt vielmehr offen, da beide Aussagen auf nicht genauer Beobachtung der zum Unfall führenden Ereignisse oder auf schlechter Erinnerung an sie beruhen können, welche die Widersprüche erklären.
2) Der wichtigste neutrale Zeuge scheint der Berufungskammer der Schiffsführer M. des TMS "A" zu sein. Er fuhr in einer Entfernung von etwa 1 km hinter den am späteren Unfall beteiligten Schiffen her, konnte also die Ereignisse beobachten. Er ist zum ersten Male am 9.12.1976 im Strafverfahren vernommen worden. In beiden Zivilprozessen hat ihn das Rheinschifffahrtsgericht am 24.4.78 ein zweites Mal gehört. Beide Aussagen stimmen überein. Der Zeuge hat sich in der späteren auf die frühere weitgehend bezogen. Die letztere enthält insofern einen irritierenden Fehler, als es eingangs heißt, der Koppelverband sei "linksrheinisch" von dem TMS "W" überholt worden. In Wirklichkeit erfolgte die Überholung zwar - in Fahrtrichtung gesehen - an der linken Seite des Verbandes. Da dieser zu Berg fuhr, war seine linke Seite dem rechtsrheinischen Ufer zugewandt, so dass die Überholung rechtsrheinisch erfolgte. Das zeigt auch die weitere Aussage des Zeugen M., die jetzt gewertet wird. Der Zeuge hat dargelegt, das MTS "W" sei plötzlich in einer ausgesprochenen Querfahrt nach linksrheinisch herübergefahren und so vor den Kopf des Koppelverbandes geraten. Der Zeuge hatte für diese Querfahrt keine Erklärung. Er hat versucht, das TMS "W" auf sie und ihre drohenden Folgen über Funk hinzuweisen. Dieser Versuch blieb aber ohne Reaktion. Gegen die Richtigkeit der beiden übereinstimmenden Aussagen des Zeugen spricht nichts Gewichtiges. Er ist am Ausgang des Rechtsstreits nicht interessiert. Seine Beobachtungsposition war günstig. Der Zeuge war als Schiffsführer zur richtigen Beobachtung und Beurteilung geeignet. Schließlich steht seine Aussage nicht im Widerspruch zu denjenigen anderer neutraler Zeugen, die im Folgenden erörtert werden. Die Berufungskammer hält sie deshalb für eine geeignete Entscheidungsgrundlage.
3) Bei den anderen neutralen Zeugen handelt es sich um Mitglieder der Besatzung des MS "B", das vor der Kollision den Rheintankverband an dessen Steuerbordseite - also linksrheinisch -überholt hat. Es handelt sich um die Schiffsführer K. -Vater und Sohn. Letzterer wurde zuerst am 17.9.75 von der Wasserschutzpolizei vernommen. Seine damalige Aussage stimmt mit derjenigen des Zeugen M. völlig überein. Bei seiner zweiten Vernehmung im Strafverfahren, diesmal durch einen Richter, hat der Zeuge erklärt, seine frühere Aussage über die Abweichung des TMS "W" von seinem Kurs beruhe nicht auf einer Beobachtung, sondern sei eine Schlussfolgerung aus der Lage des Schiffes nach der Havarie. Außerdem hat er dargelegt, der Rheintankverband habe etwa 150-170 m vor dem Brückenpfeiler eine erkennbare Kursveränderung nach Backbord vorgenommen und sei dabei in eine gewisse Schräglage geraten. Der Kopf des Verbandes habe sich um etwa eine Schiffsbreite nach Backbord bewegt. Der Zeuge hat bei seiner Bekundung eine Aktennotiz erwähnt, die er am 26.8.75 über eine Besprechung mit "einem Inspektor der Firma F-S" gemacht hat. Sie befindet sich in Fotokopie Bl. 73 der Strafakten. Auch hieraus geht hervor, dass der Zeuge eine Querfahrt des TMS "W" nicht gesehen, sondern aus der Lage des Schiffes nach der Havarie auf eine solche nur geschlossen hat. Weiter heißt es in der Aktennotiz, er müsse "dem Rhenus-Schiffsführer" zugute halten, dass er nicht im letzten Augenblick, sondern mindestens eine Koppelverbandslänge unterhalb des Pfeilers seinen Kurs klar in die andere Brückenöffnung verlagert habe. Hiermit wolle er sagen, dass der Kurs des Verbandes und seine gestreckte Haltung klar erkennbar gewesen seien.
Wertet man die verschiedenen Erklärungen des Zeugen, so hat die in der Aktennotiz vom 26.8.75 enthaltene das größere Gewicht. Sie ist wenige Tage nach der Havarie zustande gekommen und zeigt das Bestreben des Zeugen, objektiv zu sein. Er unterscheidet genau zwischen Beobachtungen und Schlussfolgerungen, wie er das auch in seiner Aussage vor einem Richter getan hat. Seine Schlussfolgerung begründet er. Seine Aussage stützt nicht die Behauptung, der Rheintankverband habe die umstrittene Havarie durch eine plötzliche Kursänderung herbeigeführt. Der Zeuge spricht lediglich von einer leichten Kursverschiebung nach Backbord 150-170 m vor dem Brückenpfeiler, bei der der Kopf des Verbandes etwa um eine Schiffsbreite nach Backbord gegangen, der Verband aber in gestreckter Lage geblieben sei. Sinn der Veränderung war es nach seiner Ansicht, den Kurs des Verbandes in die rechtsrheinische Öffnung der Hochfelder Brücke zu verlegen. Die Aussage zeigt nichts dass mit ihr irgendeine Gefahr verbunden oder dass sie Ursache bzw. Mitursache der späteren Kollision war. In ihrer Gesamtheit spricht die erörterte Bekundung vielmehr für das Gegenteil. Zwar hat der Zeuge eine plötzliche Veränderung des Kurses des TMS "W" nicht beobachtet. Er hat aber gesehen, dass der Kurs dieses Schiffes zunächst "ganz rechtsrheinisch" lag, während es nach dem Zusammenstoss linksrheinisch vor dem Brückenpfeiler sich in Querlage befand. Wenn der Zeuge daraus schließt, das TMS "W" sei "herübergekommen", d.h. es habe vor dem Unfall seinen Kurs nach Steuerbord verlegt, so erscheint dieser Schluss zwingend, denn der Zeuge hat beobachtet, dass der Kurs des Rheintankverbandes "immerdicht am Brückenpfeiler linksrheinisch" gelegen habe.
Richtig gewertet steht die Aussage des Zeugen K. jun. nicht nur nicht im Widerspruch zu derjenigen des Zeugen M., sondern stützt diese durch eine Kombination von Beobachtungen und Schlussfolgerungen, die der Zeuge als sachkundiger Schiffsführer anstellen konnte.
Die Aussage des Zeugen K. sen. vor dem Rheinschifffahrtsgericht in dem Zivilprozess stimmt mit derjenigen des Sohnes überein. Auch dieser Zeuge hat am 26.8.1975 eine Aktennotiz über eine Besprechung unterzeichnet, die ebenfalls im Wesentlichen mit derjenigen seines Sohnes übereinstimmt.
Zusammenfassend stellt deshalb die Berufungskammer auf der Grundlage der Aussagen M. und K. fest, dass die umstrittene Havarie allein dadurch herbeigeführt worden ist, dass das TMS "W", während es den Rheintankverband überholte, seinen Kurs plötzlich nach Steuerbord verlegte und vor den Bug des Verbandes fuhr. Hierin lag ein grober Verstoß gegen § 6.03 Nr. 3 RSchPVO.
4) Abschließend weist die Berufungskammer darauf hin, dass der im Schriftsatz von Rechtsanwalt Dr. St. vom 26.9.1978 gestellte Berichtigungsantrag noch zu erledigen ist.
Aus den dargelegten Gründen wird für Recht erkannt:
Die Berufung der Beklagten zu 1) und 3) gegen das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 15.9.1978 - 5 C 83/77 BSch - wird zurückgewiesen.
Das Urteil des Rheinschifffahrtsgerichtes wird mit der Massgabe bestätigt, dass das erstinstanzliche Gericht seine Kostenentscheidung gemäss Schriftsatz von Rechtsanwalt Dr. St. vom 26.9.1978 berichtigen kann.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner.
Die Festsetzung der Kosten unter Berücksichtigung des Artikels 39 der Revidierten Rheinschifffahrtsakte erfolgt durch das Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort.
Der Stellvertretende Gerichtskanzler: Der Vorsitzende:
(gez.) A. BOUR (gez.) P. QUANJARD