Rechtsprechungsdatenbank

XI A 551/70 - Oberverwaltungsgericht (-)
Entscheidungsdatum: 01.04.1973
Aktenzeichen: XI A 551/70
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberverwaltungsgericht Münster
Abteilung: -

Leitsätze:

Zu den Fragen

a) der Berechtigung von sofortigen Vollzugsmaßnahmen der zuständigen Behörde im Falle von Wasserverunreinigungen,

b) der Kostentragungspflicht,

c) anlastbarer Handlungen von „Verrichtungsgehilfen",

d) des behördlichen Ermessensspielraums bei der Auswahl eines - auch finanzkräftigen - Ordnungspflichtigen unter mehreren Störern.

Oberverwaltungsgericht

Urteil

vom 01. April 1973

Zum Tatbestand:

Vier Arbeitnehmer der Klägerin hatten 40 Blechbehälter mit Resten einer teerhaltigen Flüssigkeit in einen Grundwassersee, der in der Schutzzone eines Trinkwasserwerks auf dem Kiesgrubengelände der Fa. W. liegt, gekippt. Zuvor hatten sie sich gegen ein Entgelt von 10,- DM die Erlaubnis zur Einfahrt auf das Gelände von Frau W. geben lassen. Es ist streitig, ob Frau W. vom Inhalt der Behälter Kenntnis hatte.

Die beklagte Behörde ließ am Tage des Vorfalls und an 3 darauffolgenden Tagen durch die freiwillige Feuerwehr und eine Spezialfirma die Behälter aus dem See entfernen und die an die Wasseroberfläche gekommenen Behälterreste absaugen und vernichten. Durch eine 4 Tage später erlassene Ordnungsverfügung gab sie der Klägerin davon Kenntnis, dass diese Maßnahmen zu deren Lasten gemäß; § 1, 4, 14, 17 und 20 OBG. in Verbindung mit 3 55 ff. VwVG NW im Wege des sofortigen Vollzuges durchgeführt und mit etwa 9000 DM Kosten zu veranschlagen seien.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte wegen fehlerhaften Ermessens bei Erlass der Ordnungsverfügung Anfechtungsklage erhoben und u. a. vorgebracht, dass Frau W. die eigentliche Ursache für die Verunreinigung des Wassers gesetzt habe und deshalb gegen Fa. W. hätte vorgegangen werden müssen. Die Arbeiter seien nicht mehr ihre Verrichtungsgehilfen gewesen, als sie auf das Gelände gefahren seien, und hätten nur den Auftrag gehabt, anfallenden Bauschutt jeweils auf eine Müllkippe zu bringen.

Klage und Berufung blieben ohne Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig (§ 42 Abs. 1 VwGO). Die Ordnungsverfügung des Beklagten, durch die dieser die von ihm bereits durchgeführten Maßnahmen zur Reinigung und Säuberung des Grundwassersees der Klägerin bekanntgegeben hat, stellt einen Verwaltungsakt dar; denn sie enthält - bei verständiger Auslegung aus der Sicht der Klägerin - dieser gegenüber die einseitig verbindliche hoheitliche Feststellung, dass die getroffenen Maßnahmen nach Art und Umfang notwendig gewesen seien und zu ihren Lasten gingen mit der Folge, dass sie die Kosten zu tragen habe. (Wird ausgeführt.)

Auszugehen ist davon, dass der Gesetzgeber das Rechtsinstitut des sofortigen Vollzuges in § 55 Abs. 2 VwVG NW ausdrücklich vorgesehen hat und den sofortigen Vollzug hinsichtlich seiner Rechtsfolgen ersichtlich der Anwendung von Verwaltungszwang zur Durchsetzung eines vorangegangenen Verwaltungsakts gleichstellen will. Dies setzt voraus, dass der sofortige Vollzug auch als Maßnahme gegen einen bestimmten Pflichtigen kenntlich gemacht wird. Da aber das unmittelbare (faktische) Verwaltungshandeln zumeist "adressatneutral" sein wird, kann der Realakt der Gefahrenbeseitigung normalerweise erst durch eine zusätzliche Verlautbarung der Behörde, dass sie gegenüber einem bestimmten Ordnungspflichtigen tä;tig werde und ihr Handeln zu dessen Lasten gehen solle, den Charakter des Verwaltungszwanges gegen diesen Pflichtigen erhalten. Dies wird im allgemeinen die Mitteilung an einen Dritten sein, Maßnahmen zur Abwehr einer polizeilichen Gefahr, für die er ordnungspflichtig sei, würden im Wege des sofortigen Vollzuges durchgeführt. Eine derartige adressatbestimmende Erklärung - die auch formlos und konkludent abgegeben werden kann - ist (in den genannten Füllen) noch wesentlicher Teil der Anwendung des sofortigen Vollzuges und stellt in Verbindung mit dem vorangegangenen faktischen Verwaltungshandeln insgesamt erst den sofortigen Vollzug als solchen dar. Die Berechtigung der Behörde, auf diese Weise ihrem Tätigwerden vorweg oder gleichzeitig den Rechtscharakter der Anwendung von Verwaltungszwang zu geben, folgt deshalb unmittelbar aus § 55 Abs. 2 VwVG NW; andernfalls würde ein sofortiger Vollzug regelmäßig überhaupt nicht möglich sein, die Vorschrift also weitgehend leerlaufen.

Der Gesetzgeber wollte der Verwaltungsbehörde mit dem Rechtsinstitut des sofortigen Vollzuges ein Mittel an die Hand geben, plötzlich auftretenden akuten Gefahrenlagen wirksam begegnen zu können, wobei die Vollzugsbehörde hinsichtlich der Kosten der Zwangsmaßnahmen ebenso gestellt sein sollte wie bei Anwendung von Verwaltungszwang zur Durchsetzung eines vorher erlassenen Ge- und Verbotes nach vorheriger Androhung und Festsetzung des Zwangsmittels.

Dieser rechtlichen Beurteilung stehen auch keine zwingenden Gesichtspunkte des Rechtsschutzes entgegen, etwa deshalb, weil der Betroffene im Nachhinein vor vollendete Tatsachen gestellt würde. Der sofortige Vollzug ist ohnehin dadurch gekennzeichnet, dass der Betroffene möglicherweise vorher nicht unterrichtet wird und dagegen nicht immer sofort Rechtsschutz erlangen kann. Die Verständigung des Pflichtigen dahin, dass bestimmte Maßnahmen im Wege des sofortigen Vollzuges zu seinen Lasten bereits durchgeführt seien, bedeutet deshalb demgegenüber keine Verschlechterung.

Die nachträgliche Bestimmung des in Anspruch zu nehmenden Ordnungspflichtigen kann allerdings nur dann als zulässig erachtet werden, wenn die Erklärung gegenüber dem Betroffenen bei verständiger Betrachtungsweise zusammen mit den Abwehrmaßnahmen selbst - vor allem wegen enger zeitlicher Aufeinanderfolge - noch als einheitlicher, zusammengehöriger Lebensvorgang zu werten ist.

Der Beklagte hat auch zu Recht die Klägerin als Handlungsstörerin in Anspruch genommen.

Zunächst kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Arbeiter der Klägerin die Störung der öffentlichen Sicherheit i. S. von § 17 Abs. 1 und 3 OBG verursacht haben. Sie haben gerade durch ihr Handeln, nämlich dadurch, dass sie die Behälter in den Grundwassersee hineingeworfen oder -gekippt haben, die polizeiliche Gefahrengrenze überschritten und damit die unmittelbare Ursache für den Eintritt der Störung bzw. Gefahr gesetzt. Die Auffassung der Klägerin, ursächlich sei lediglich das Verhalten von Frau W. gewesen, weil diese - im Gegensatz zu den Arbeitern - gewußt habe, dass das Kiesgrubengelände nicht als Müllkippe habe benutzt werden dürfen, kann nicht gefolgt werden. Die Klägerin verkennt, dass es insoweit nicht auf ein Verschulden, sondern nur auf die objektive Gefährlichkeit eines Handelns ankommt. Dass das Abkippen von Behältern mit Resten einer teerhaltigen Flüssigkeit in den Grundwassersee objektiv geeignet war, das Grundwasser zu verunreinigen und wasserwirtschaftliche Belange zu beeinträchtigen, steht außer Frage. Im übrigen kann nach der eigenen Sachdarstellung der Klägerin nicht davon ausgegangen werden, dass Frau W. den Inhalt der Behälter kannte.

Die Arbeiter waren Verrichtungsgehilfen der Klägerin. Ihre Eigenschaft als Verrichtungsgehilfen war auch nicht aufgehoben, nachdem sie an Frau W. das Entgelt für die Benutzung des Kiesgrubengeländes gezahlt und auf das Grundstück gefahren waren. Die Annahme der Klägerin, die Arbeiter seien mit dem Einfahren in das Kiesgrubengelände Verrichtungsgehilfen der Fa. W. geworden, beruht auf einer rechtlich unzutreffenden, überdies absolut lebensfremden Beurteilung. Sie wäre nur dann haltbar, wenn die Fa. W. bei Entgegennahme des Entgelts von den Arbeitern den Bauschutt auf den beiden Lastkraftwagen gewissermaßen in eigene Verfügungsmacht übernommen und sich verpflichtet hätte, nunmehr für die Wegschaffung des Mülls selbst und in eigener Regie Sorge zu tragen. Davon kann indes keine Rede sein.

Die Arbeiter handelten beim Abkippen der Behälter in den Grundwassersee auch noch im Rahmen des ihnen erteilten Auftrags. Die Beförderung der Behälter zu dem auch als Müllkippe benutzten Kiesgrubengelände der Fa. W. war durch die - sehr allgemein gehaltenen - Weisungen der Klägerin gedeckt. Zwar kann ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Beseitigung des Bauschutts in einer wasserwirtschaftliche Belange gefährdenden Art und Weise schon wegen der möglichen Folgekosten nicht dem Willen der Klägerin entsprach. Dies ist jedoch unerheblich. Entscheidend ist insoweit allein, dass jedenfalls das Abkippen mit von dem Auftrag umfasst war. Die Auswahl einer ungeeigneten und rechtlich nicht unbedenklichen Kippstelle lag auch nicht außerhalb des normalen Geschehensablaufs der Abfallbeseitigung, sa die Arbeiter nicht ausdrücklich angewiesen waren, eine bestimmte andere, etwa eine behördlich zugelassene öffentliche Müllkippe aufzusuchen.

Der Beklagte hat auch ohne Ermessensfehler die Klägerin in Anspruch genommen.

Ausweislich der Gründe des Widerspruchsbescheides hat sich die Widerspruchsbehörde von der Erwägung leiten lassen, dass die Klägerin bzw. deren Verrichtungsgehilfen die "letzte Bedingung" zum Entstehen der Gefahr gesetzt haben. Diese Überlegung ist sachgerecht und beruht auf einer zutreffenden tatsächlichen und rechtlichen Würdigung. Die Widerspruchsbehörde hat auch erkennbar die besonderen Umstände des Einzelfalles, nämlich die Tatsache mit berücksichtigt, dass die Fa. W. das Abkippen gestattet hatte und dass die Arbeiter, wie die Klägerin behauptet hatte, möglicherweise angenommen hatten, ihr Handeln sei erlaubt. Sie hat sich dadurch jedoch nicht veranlasst gesehen, von einer Inanspruchnahme der Klägerin Abstand zu nehmen, weil, wie es in der Begründung heißt, die Ordnungspflicht kein Verschulden voraussetze. Damit hat die Widerspruchsbehörde zu erkennen gegeben, dass sie wegen des im Ordnungsrecht geltenden Verursachungsprinzips der Frage der "primären Verursachung" als Anknüpfungspunkt den Vorzug gebe. Diese Erwägung ist sachgerecht und lässt keinen Ermessenfehler erkennen.

Die Anforderungen an die Ordnungsbehörde bei der Ausübung ihres Auswahlermessens dürfen nicht überspannt werden. Diese muss oft in kürzester Frist entscheiden, wer von mehreren Ordnungspflichtigen in Anspruch zu nehmen ist, und hat daher im allgemeinen weder ausreichend Zeit noch die erforderlichen Mittel, den Sachverhalt in allen Einzelheiten abschließend aufzuklären. Das gilt in besonderem Maße für ein Einschreiten der Ordnungsbehörde im Wege des sofortigen Vollzuges.

Schließlich wird die Heranziehung der Klägerin zu Recht noch von der Überlegung des Beklagten getragen, die Klägerin sei aus finanziellen Gründen die "Geeignetere"  Es entspricht in der Tat dem Sinn und Zweck der der Ordnungsbehörde eingeräumten Auswahlermächtigung, von mehreren Ordnungspflichtigen denjenigen in Anspruch zu nehmen, der finanziell am ehesten zur Beseitigung der Störung in der Lage ist; denn die Ordnungsbehörde muss darauf bedacht sein, dass ihre Ordnungsverfügungen möglichst "effektiv" im Sinne einer schnellen und umfassenden Gefahrenbeseitigung sind. Für die Maßnahmen des Sofortvollzuges gem. § 55 Abs. 2 VwVG NW kann nichts anderes gelten.