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Ws 1/95 BSch - Oberlandesgericht (Schiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 01.03.1995
Aktenzeichen: Ws 1/95 BSch
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Abteilung: Schiffahrtsobergericht

Leitsatz:

Zur internationalen, sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des Schiffahrtsgerichts Konstanz für eine Entscheidung über einen Strafbefehlsantrag, in dem einem Schweizer Staatsangehörigen vorgeworfen wird, auf dem Überlinger See mit einer Segelyacht ein Vergehen der Trunkenheit im Verkehr begangen zu haben.

Beschluss des Oberlandesgerichts – Schiffahrtsobergericht Karlsruhe

vom 01. März 1995

Ws 1/95 BSch

Gründe:

I.

Am 08.11.1994 beantragte die Staatsanwaltschaft Konstanz, gegen den am 10.01.1931 in W /Schweiz geborenen, in der Schweiz CH - E wohnhaften, pensionierten Bahnhofsvorstand und schweizerischen Staatsangehörigen M einen Strafbefehl zu erlassen. Dem Beschuldigten wurde ein Vergehen der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr, strafbar nach § 316 Abs. 1 und 2 StGB zur Last gelegt mit der Beschuldigung, am 14.09.1994 gegen 20.50 Uhr mit der Segelyacht auf dem Bodensee (Überlinger See) gefahren zu sein, obwohl er alkoholbedingt nicht mehr in der Lage gewesen sei, das Fahrzeug sicher zu führen (BAK um 22.15 Uhr: 1,97 o/oo). Er sei aus diesem Grunde über Bord gefallen, als eine Zollstreife mit dem Zollboot "W" längsseits gegangen sei (Strafbefehlsantrag AS 43).

Das Amtsgericht - Schiffahrtsgericht - erließ den beantragten Strafbefehl nicht, sondern sandte die Akten an die Staatsanwaltschaft Konstanz mit der Anregung zurück, den Strafbefehlsantrag zurückzunehmen und das Verfahren an die schweizerischen Behörden abzugeben (AS 45).

Mit Verfügung, vom 27.12.1994 wiederholte die Staatsanwaltschaft ihren Antrag auf Erlaß des Strafbefehls durch das Amtsgericht - Schiffahrtsgericht - Konstanz. Zur Begründung wird ausgeführt, dem Beschuldigten werde eine Straftat vorgeworfen. Das Übereinkommen über die Schiffahrt auf dem Bodensee zwischen Österreich, der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland vom 01.06.1973 (BGB1 II 1975, 1406; im folgenden: Drei Länder-Übereinkommen) betreffe ausschließlich die Regelung von Schiffahrtsvorschriften. In Art. 13 Abs. 1 werde klargestellt,
daß nur die Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen die Schifffahrtsvorschriften geregelt sei, nicht die Verfolgung von Straftaten. Die Zuständigkeitsregelung des GVG und der StPO bleibe von dem Übereinkommen unberührt.
Mit Beschluß vom 05.01.1995, auf dessen Gründe wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht -Schifffahrtsgericht - Konstanz den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlaß eines Strafbefehls förmlich abgelehnt und die Kosten und notwendigen Auslagen des Beschuldigten der Staatskasse auferlegt. Das Schiffahrtsgericht meint, der Beschuldigte unterliege nicht der deutschen Gerichtsbarkeit. Zwar werde der Überlinger See, weil er von 3 Seiten von deutschem Staatsgebiet umgeben sei, von den übrigen Anliegerstaaten - ohne daß eine förmliche Staatsgrenze bestehe - als deutsches Hoheitsgebiet anerkannt. Indessen sei das Drei-Länder-Übereinkommen im vorliegenden Falle anwendbar, auch wenn dem Beschuldigten ein Vergehen zur Last gelegt werde, da die vorgeworfene Tat im Schiffsverkehr begangen worden sei und zugleich einen Verstoß gegen die BodenseeSchO darstelle (Art. 6.01 Abs. 2, Führen eines Schiffs unter Alkoholeinfluß). Nach Art 13 Abs. 2 des Übereinkommens stehe der Schweizerischen Eidgenossenschaft die alleinige Verfolgungszuständigkeit zu.

Gegen den der Staatsanwaltschaft Konstanz am 16.01.1995 zugestellten Beschluß vom 05.01.1995 hat diese mit am 17.01.1995 beim Amtsgericht Konstanz eingegangenem Schreiben sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat sie im wesentlichen auf ihre Stellungnahme vom 27.12.1994 Bezug genommen.

Der Beschuldigte, dem eine Ausfertigung des angefochtenen Beschlusses und des Strafbefehlsantrages übersandt wurde, hat zur Frage der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts keine Stellung genommen. Er hat mitgeteilt, daß ihm mit Verfügung der Kantonspolizei T - Schiffahrtskontrolle - vom 22.12.1994 wegen der Tat der Schiffsführerausweis für die Dauer von 9 Monaten entzogen worden sei. Er sehe sich einer Doppelbestrafung ausgesetzt. Ferner nahm er zu dem Tatvorwurf und der beantragten Sanktion Stellung (AS.63 ff).

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Konstanz den Beschluß des Amtsgerichts Schiffahrtsgerichts Konstanz vom 05.01.1995 aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Amtsgericht - Schiffahrtsgericht - Konstanz zurückzuverweisen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.

Das Schiffahrtsgericht Konstanz ist für die Entscheidung über den Erlaß des beantragten Strafbefehls gegen den Beschuldigten international, sachlich und örtlich zuständig.

1. Der Erlaß eines Strafbefehls scheitert entgegen der Auffassung des Schiffahrtsgerichts Konstanz nicht daran, daß der Beschuldigte der deutschen Gerichtsbarkeit wegen der ihm zur Last gelegten Straftat nicht unterliegen würde.

a) Das Schiffahrtsgericht verkennt nicht, daß der Überlinger See - ohne daß eine förmliche Staatsgrenze besteht - auch von den übrigen Anliegerstaaten als deutsches Hoheitsgebiet anerkannt wird. Im strafrechtlichen Schrifttum wird - soweit ersichtlich ohne gegenteilige Auffassungen - ausgeführt, daß auf Straftaten, die auf dem Überlinger See begangen wurden, da diesen "auf drei Seiten badisches Land umschließt", nach dem funktionellen Inlandsbegriff deutsches Strafrecht nach § 3 StGB anwendbar ist (vgl. Tröndle in LK StGB 10.Auf1. § 3 Rdnr. 54 unter Hinweis auf RGSt 57, 369; Dreher/Tröndle StGB 47. Aufl. Vorbem. 11 vor § 3;). Der Senat teilt diese Auffassung.

b) Die unter den Bodenseeanliegerstaaten offengelassene Frage eines Grenzverlaufes im "Stammbecken" des Obersees zwischen Bregenz und Konstanz (- während die Schweizerische Eidgenossenschaft die Auffassung vertritt, es verlaufe in Seemitte eine echte Hoheitsgrenze und damit dem sogenannten Realteilungsprinzip folgt, ist die Republik Österreich der Ansicht, der Obersee sei ein Kondominium der Anliegerstaaten; die Bundesrepublik Deutschland hat sich keiner der beiden Auffassungen endgültig angeschlossen, vgl. Strätz, Der Bodensee als Rechtsobjekt, DRiZ 1981, 54; derselbe, Bodensee und Juristen in JuS 1991, 900 ff; vgl. ferner Tröndle in LK a.a.O.; Krähe in: Wassersport auf Binnengewässern und Bodensee, Der Bodensee als Gegenstand internationaler Rechtsverflechtung und ihre Auswirkungen aus deutscher Sicht, 35 ff; Kübler, Klärung der allgemeinen Hoheitsverhältnisse auf dem Bodensee? in DÖV 1976, 164 ff;) wird davon nicht berührt und ist vorliegend auch nicht entscheidungserheblich. Der Umstand, daß eine Tat nur teilweise in der Bundesrepublik Deutschland begangen worden ist, genügt, um sie als Inlandstat zu bewerten (BGH NStZ 1986, 415).
Der Beschuldigte war nach seiner Einlassung am Tattag zunächst von F aus in Richtung B
gesegelt. Durch auffrischenden Wind und im Rahmen von Aufkreuzungsmanövern sei er dann in den Überlinger See geraten. Gegen 20.30 Uhr wurde er nach den Ermittlungen der Wasserschutzpolizei von der Besatzung des Zollbootes im Überlinger See, Seemitte zwischen und der I angetrunken an Bord der Segelyacht angetroffen.

c) Auch dann, wenn eine Handlung nicht nur einen Straftatbestand erfüllt, sondern zugleich einen Verstoß gegen Schiffahrtsvorschriften darstellt, regelt sich die internationale strafgerichtliche Zuständigkeit nicht nach dem Drei-Länder-Übereinkommen, sondern nach dem internationalen Strafrecht, das für die Bundesrepublik Deutschland in §§ 3 - 7 StGB geregelt ist, und den Geltungsbereich des deutschen materiellen Strafrechts festlegt.
Das Drei-Länder-Übereinkommen regelt die Schiffahrt auf dem Bodensee. Die Strafrechtshoheit der Vertragsstaaten wird weder durch diese Übereinkommen noch durch die Vorschriften der BodenseeschiffahrtsOrdnung verändert (vgl. Krähe, a.a.O., 40).

d) Das angerufene Schiffahrtsgericht Konstanz ist örtlich für Strafsachen, die Binnenschiffahrtssachen sind, zuständig, da in dessen Bezirk die Tat begangen wurde, § 3 Abs. 3 Satz 1 BinSchVerfG (ausschließlicher, Gerichtsstand des Tatorts). Binnenschiffahrtssachen im Sinne des Gesetzes sind gemäß § 2 Abs. 3 a Strafsachen wegen Taten, die auf oder an Binnengewässern unter Verletzung von schiffahrtspolizeilichen Vorschriften begangen sind und deren Schwerpunkt in der Verletzung dieser Vorschriften liegt, soweit für Strafsachen nach den Vorschriften des GVG die Amtsgerichte zuständig sind.
Nach Art. 1 Ziffer 1 des Abkommens zwischen den Ländern Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz über die Gliederung der Schiffahrtsgerichtsbezirke im Rheinstromgebiet (GesBl. von BadenWürttemberg 1954, 95) ist die Verhandlung und Entscheidung von Binnenschiffahrtssachen dem Amtsgericht Konstanz für den zu Baden-Württemberg gehörenden Teil des Bodensees (und für den Rhein vom Bodensee bis km 145,0 bei Rheinfelden) übertragen worden.

2. Soweit der Beschuldigte mitgeteilt hat, daß ihm durch Verfügung der Kantonspolizei T - Schiffahrtskontrolle - vom 22.12.199,4 nach Art. 12.08 der BodenseeSchO der Schiffsführerausweis wegen der Tat, die ihm mit dem Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft Konstanz zur Last gelegt wird, entzogen wurde, liegt keine "Doppelbestrafung" vor, die einer Strafverfolgung nach deutschem Recht entgegensteht.

Im Hinblick auf eine Harmonisierung der Sanktionierung von auf dem Bodensee im Schiffsverkehr begangenen Rechtsverstößen sollte die Staatsanwaltschaft gleichwohl prüfen, ob sie in Fällen wie dem vorliegenden nicht besser von der Möglichkeit Gebrauch macht, anstelle der Anrufung des zuständigen deutschen Schiffahrtsgerichts ein Übernahmeersuchen an die daneben auch zuständige Strafverfolgungsbehörde der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu richten.

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1999 - Nr.10 (Sammlung Seite 1758 f.); ZfB 1999, 1758 f.