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VI ZR 44/60 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 20.12.1960
Aktenzeichen: VI ZR 44/60
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Wer auf einem für den allgemeinen Schiffsverkehr nicht bestimmten Teil einer Wasserstraße außerhalb ihres eigentlichen Fahrwassers mit behördlicher Genehmigung für die bei ihm anlegenden Schiffe einen Verkehr eröff­net hat und andauern läßt, hat auf Grund der ihm ob­ liegenden Verkehrssicherungspflicht dafür zu sorgen, dass der gesamte Bereich, den anlegende Schiffe zu benutzen in die Lage kommen können, frei von gefährdenden Hin­dernissen ist.

 

Urteil des Bundesgerichtshofs

vom 20. Dezember 1960

VI ZR 44/60

Zum Tatbestand:

Der Kläger ist Eigentümer eines Küstenmotorschiffes, das mit einer 600-t-Ladung Weizen am Anleger der Beklagten bei ihrer schon 1936 von der Wasser- und Schiffahrts­verwaltung genehmigten Getreidelöschanlage am nörd­lichen Flußufer der Hunte in Oldenburg festmachte. Als sich das 8,64 m breite und 3,11 m tiefgehende Schiff einige Stunden später an dem zum Tidegebiet gehören­den Platz auf Grund legte, erlitt es an seiner Kielplatte schwere Schäden, die dadurch verursacht wurden, daß Stümpfe eines Dalbens noch im Flußbett steckten und bis zu 67 cm aus der Flußsohle herausragten. Dieser Dalben (Nr. 64) gehörte zu einer Linie von Dalben, die das ei­gentliche Fahrwasser auf der nördlichen Flußseite be­grenzen, war aber schon seit etwa 1938 abgängig. Der Kopf der Löschbrücke der Beklagten liegt mit den dazu­gehörigen Dalben zum Festmachen anlegender Schiffe etwa 8 m von der genannten Dalbenlinie entfernt.

Der wegen angeblicher Verletzung der Verkehrssiche­rungspflicht geltend gemachte Anspruch des Klägers wurde vom Landgericht nicht für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung gegen das klageabweisende Urteil wurde vom Oberlandesgericht zurückgewiesen.

Auf die Revision der Klägerin wurde die Sache unter Aufhebung des Urteils der Berufungsinstanz zur ander­weitigen Verhandlung und Entscheidung an das Ober­landesgericht zurückverwiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Für Wasserstraßen und Hafenanlagen gilt wie für Wege und Plätze der Grundsatz, daß derjenige, der dort einen Verkehr eröffnet hat oder andauern läßt, nach § 823 BGB für eine Gefahrenlage verantwortlich ist, die bei ordnungswidrigem Zustand der Verkehrs­anlage entsteht (RGZ 54, 53, 56 f; 147, 275, 278; BGHZ 9, 373, 386; 16, 95 f; BGH Urteil vom 28. November 1955 - 111 ZR 137/54 - VersR 1956, 65, 66). Er hat dafür zu sorgen, daß sich die Anlagen in verkehrs­sicherem Zustand befinden, und er haftet für Schäden, die einem Benutzer der Anlagen aus deren ordnungs­widriger Beschaffenheit entstehen, wenn er es aus Man­gel an der von ihm im Verkehr zu erfordernden Sorg­falt (§ 276 BGB) verabsäumt hat, die Gefahrenquelle zu beheben, für die Zeit bis zu ihrer Beseitigung aber den Verkehr warnend auf die Gefahr hinzuweisen und gegebenenfalls den Gefahrenbereich zu sperren.

Der Verkehr, den die Beklagte mit der Errichtung und Inbetriebnahme ihrer Getreidelöschanlage eröffnet hat, Führte Schiffe aus der Seeschiffahrtsstraße der Hunte an die Löschbrücke der Beklagten und ließ sie den dor­tigen Liegeplatz benutzen. Für die Beklagte ergab sich hieraus die Verpflichtung, für einen verkehrssicheren Zugang zu ihrer Getreidelöschanlage und insbesondere einen verkehrssicheren Zustand des Liegeplatzes zu sorgen. Da der Platz zum Tidengebiet gehört, war es unausbleiblich, daß sich tiefergehende Schiffe bei Niedrigwasser auf Grund legten. Dies mochte für sie ungefährlich sein, wenn die Sohle keine nennenswerten Unebenheiten aufwies. Es wurde für sie aber zu einer Gefahr, wenn sich über die Sohle feste Hindernisse erhoben, wie es bei den Dalbenstümpfen hier der Fall gewesen ist. Allerdings befanden sich diese Stümpfe am Rande des Fahrwassers der Hunte; für dieses lag seit dem Übergang der Wasserstraße von den Ländern auf das Reich gemäß dem Staatsvertrag von 1921 (Ge­setz vom 29. Juli 1921 RGBI S. 961) dem Reich und liegt nunmehr der Bundesrepublik Deutschland als der jetzigen Eigentümerin der früheren Reichswasserstra­ßen (Art. 89 GG) die öffentlich-rechtliche Unterhaltungs­pflicht noch den - gewohnheitsrechtlich auch in den ehemals außerpreußischen Landesteilen geltenden - Grundsätzen des § 114 WassGes ob, bei der Hunte als ausgebautem Wasserlauf 1. Ordnung also die Pflicht zur Erhaltung der Schiffbarkeit und damit die Pflicht zur Freihaltung des Fahrwassers von Schiffahrtshinder­nissen. Seitdem bei der Getreidelöschanlage der Be­klagten aber nicht mehr nur Schiffe von etwa 200 t Fassung anlegen, wie dies nach dem Genehmigungs­antrag der Beklagten von 1936 seinerzeit vorgesehen war, sondern auch größere Schiffe die Anlage der Beklagten aufsuchen, insbesondere also auch Schiffe wie das des Klägers mit seiner Ladung von 600 t und einer Breite von 8,64 m, reicht der etwa 8 m breite Raum zwischen der. Dalben der Beklagten und der nörd­lichen Begrenzungslinie des Huntefahrwassers zum An­legen der Schiffe an der Löschbrücke der Beklagten nicht mehr aus, so daß der von solchen Schiffen be­nötigte Platz in das Fahrwasser der Hunte hineingreift. Mit der Zulassung des Verkehrs größerer Schiffe er­weiterte sich die Verkehrssicherungspflicht der Beklag­ten demzufolge auf den in das Fahrwasser der Hunte hineinreichenden Raum. Sie trat hier neben die Unterhal­tungspflicht der staatlichen Verwaltung.

Die Beklagte hatte dafür zu sorgen, daß der ganze Bereich, den die bei ihrer Löschbrücke anlegenden und auf Entladung wartenden Schiffe zu benutzen in die Lage kommen konnten, frei von Hindernissen war, die sie zu gefährden vermochten. Ob diese Pflicht vom Wasserstraßenamt der Beklagten besonders auf­erlegt worden ist, ist ohne Belang; sie hat auch ohne eine solche Überbürdung bestanden.

Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts war die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten auch nicht ge­genständlich darauf beschränkt, daß die Beklagte nur auf die Beseitigung solcher Hindernisse hätte bedacht zu sein brauchen, die beim Beladen oder Entladen der Schiffe ins Wasser gerieten oder aus der Art des Schiffsverkehrs vor ihrem Anleger sonst wie hervor­gehen konnten. Sie mußte dafür sorgen, daß sich in dem in Betracht kommenden Raume keinerlei gefähr­dende Hindernisse befanden, welcher Art und welchen Ursprungs sie auch immer waren.

Die im Verkehr erforderliche Sorgfalt erforderte es, daß die Beklagte, bevor sie einen Schiffsverkehr vor ihrem Anleger eröffnete oder zuließ, sich vergewisserte, daß im Bereich dieses Verkehrs keine Hindernisse vor­handen waren, die einem Schiff gefährlich werden konnten. Durch Absuchen des Grundes mit einer Such­kette konnte dies unschwer geschehen. Unstreitig hat die Beklagte derartige Untersuchungen nie angestellt; die Beklagte hat selbst nicht vorgetragen, den Fluß­grund im Verkehrsbereich ihres Anliegers jemals näher kontrolliert zu haben.

Der Schadensfall würde der Beklagten freilich nicht zum Schuldvorwurf gereichen, wenn sie hätte gewiß sein können, daß für die bei ihrer Löschbrücke anle­genden Schiffe durch Maßnahmen der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung die notwendige Verkehrssicher­heit gewährleistet sei. Das war jedoch offenbar nicht der Fall. Die hier in Rede stehenden Gefahrenstelle be­fand sich genau an der Grenze des ausgebauten Fahr­wassers der Hunte; nur das zwischen den beidufrigen Dalbenlinien liegende Fahrwasser selbst und nicht auch die Havariestelle ist aber nach dem insoweit unbe­strittenen Inhalt der Auskunft der Wasser- und Schiff­fahrtsdirektion Bremen durch Peilungen und Absuchen mit einer Suchkette auf das Vorhandensein der erfor­derlichen Fahrwassertiefe und das Freisein von Hin­dernissen in regelmäßigen Zeitabständen überwacht worden. Aus etwa beobachteten Maßnahmen der Was­ser- und Schiffahrtsbehörden konnte die Beklagte da­her nicht die Überzeugung geschöpft haben, daß jene Stelle von den bei ihr anliegenden Schiffen gefahrlos benutzt werden konnte. Seitdem 1938 in der Reihe der nördlichen Flußdalben die Lücke entstanden war, kam es auch nicht mehr in Betracht, daß hier Schiffe des Durchgangsverkehrs anlegten.

Da die Sache wegen des Einwandes der Beklagten, daß den Kläger an der Entstehung des Schadens ein mitwirkendes Verschulden treffe, weiterer tatrichter­licher Erörterung bedarf, kann auch nur über den Grund des Klageanspruchs nicht schon entschieden werden. Die Sache muß daher an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, dem auch die Entscheidung über die Kosten der Revision vorbehalten bleibt.