Rechtsprechungsdatenbank

U 7/92 RhSch - Oberlandesgericht (Rheinschiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 13.10.1992
Aktenzeichen: U 7/92 RhSch
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Abteilung: Rheinschiffahrtsobergericht

Leitsätze:

1) Zur Entscheidung eines Rechtsstreites über die Haftung der Betreiberin einer Rheinfähre wegen Verletzung der bürgerlichrechtlichen Verkehrssicherungspflicht für Landesteilen sind die Rheinschiffahrtsgerichte zuständig (Art. 34 MA).
2) Die Verkehrserwartung und die Verkehrssicherungspflicht erfordern auch bei Dunkelheit und unsichtigem Wetter nicht, neben vorhandenen Warn- und Hinweisschildern und Ausleuchtung der Landerampe zusätzlich eine landseitige Sperre anzubringen, wenn eine Rheinfähre am Landerampenkeil nicht festgemacht hat.

Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts) Karlsruhe

vom 13.10.1992

U 7/92 RhSch
(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)

Zum Tatbestand:

Der Kläger nimmt die beklagte Gesellschaft, die eine Rheinfähre betreibt, auf Schadensersatz wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Anspruch. Der Kläger fuhr am 17.10.1990 gegen 23.00 Uhr mit seinem Pkw auf der Zufahrt zur Anlegestelle der Fähre der Beklagten, um auf dieser den Rhein von der rechtsrheinischen Seite zur linksrheinischen Seite zu überqueren. In der Meinung, die Fähre habe angelegt, fuhr er die etwa parallel zum Rhein mit Gefälle verlaufende betonierte Zufahrtsrampe hinab, befuhr sodann den metallenen Auffahrtkeil und über diesen hinaus und stürzte so mit seinem Pkw in den Rhein.

Der Kläger hat behauptet, zum Unfallzeitpunkt habe wegen Dunkelheit und Nebel nur eine Sichtweite von 5-10 m geherrscht. Daher habe die beleuchtete Fähre für ihn den Eindruck erweckt, sich bereits an der Anlegestelle zu befinden. Bei diesen Sichtverhältnissen sei nicht erkennbar gewesen, wo die Fährrampe geendet habe. Seines Erachtens sei die Beklagte verpflichtet gewesen, die Abfahrt mit einer Schranke, einer Kette oder einer Ampel zu sichern, wenn die Fähre abgelegt habe. Auch sei keine Wartelinie in Ergänzung des Stop-Schildes vorhanden und das Hinweisschild teilweise durch einen Busch verdeckt gewesen. Die Schilder seien auch in zu großem Abstand neben der Fahrbahn aufgestellt.
Die Beklagte hat behauptet, die Sichtweite habe zum Unfallzeitpunkt mindestens 200 m betragen. Wäre die Sicht so gering, wie vom Kläger behauptet gewesen, wäre der Fährbetrieb eingestellt worden. Sie ist der Auffassung, ihre Anlage sei verkehrssicher. Dies folge auch daraus, daß sie einschließlich der Anfahrrampe durch die Schiffsuntersuchungskommission abgenommen worden sei. Der Kläger habe gegen seine eigenen Sorgfaltspflichten verstoßen.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

„... 1. Mit Recht hat das Rheinschifffahrtsgericht seine Zuständigkeit zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites angenommen.
Rheinschiffahrtssachen sind gemäß § 14 Abs. 2 BinSchVerfG nur die in den Art. 34 und 34 bis der revidierten Rheinschiffahrtsakte (MA) bezeichneten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (sowie Bußgeldsachen), die sich auf Vorgänge auf dem Rhein abwärts von der deutsch-schweizerischen Grenze bei Basel beziehen. Art. 34 II c MA begründet eine ausdrückliche Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte in Zivilsachen nur wegen Beschädigungen, welche Schiffern und Flößern während ihrer Fahrt oder beim Anlanden anderen verursacht haben. Indessen enthält der Katalog des § 34 II MA nur eine beispielhafte Aufzählung. Es entspricht der herrschenden Auffassung, daß in die Zuständigkeit der Rheinschiffahrtsgerichte alle Rechtsstreitigkeiten wegen Schäden einbezogen werden, die Schiffe, während sie zur Schiffahrt verwendet werden, anderen zufügen (Berufungskammer der ZK für die Rheinschiffahrt, ZfB 1969, 168). Seit vielen Jahren wird in der Rechtsprechung die Zuständigkeit der Rheinschifffahrtsgerichte für Schadensersatzansprüche wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht angenommen (vgl. BGH LM BGB § 823 Nr. 118; BGHZ 60, 92 ff), es sei denn, die Klage wird auf Amtspflichtverletzung gestützt (vgl. Senat Urteil vom 11.12.1990 - U 5/90 RhSch). Für die vorliegende, auf Verletzung der bürgerlich-rechtlichen Verkehrssicherungspflicht gestützten Ansprüche sind daher die Rheinschiffahrtsgerichte zuständig.
2. a) Für Wasserstraßen und Hafenanlagen gilt wie für Wege und Plätze der Grundsatz, daß derjenige, der dort einen Verkehr eröffnet hat oder andauern läßt, nach § 823 BGB für eine Gefahrenlage verantwortlich ist, die bei ordnungswidrigem Zustand der Verkehrsanlage entsteht. Er hat dafür zu sorgen, daß sich die Anlage in verkehrssicherem Zustand befindet, und er haftet für Schäden, die einem Benutzer der Anlage aus deren ordnungswidriger Beschaffenheit entstehen, wenn er es aus Mangel an der von ihm im Verkehr zu erfordernden Sorgfalt verabsäumt hat, die Gefahrenquelle zu beheben (BGH VersR 1961, 218 f). Die beklagte Gesellschaft, die Eigentümerin und Betreiberin der Fähre ist und diese Fähre bei Rhein-km 415,5 einsetzt, ist gemäß §§ 36 i.V.m. 6 der Rheinfährenordnung (RhFährO) vom 23.9.1963 (BGB1 II, 1223) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 7.12.1982 (BGBI 1, 1333) unterhaltungs- und instandhaltungspflichtig für die Fähre und für die Landesteilen. Ihr obliegt damit auch die Verkehrssicherungspflicht. Sie hat daher für einen verkehrssicheren Zugang von Land zur Fähre zu sorgen und auf die damit verbundenen Gefahren aufmerksam zu machen.

b) Inhalt der Verkehrssicherungspflicht ist es, daß jeder, der im Verkehr eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zum Schutze anderer zu treffen hat . . . Die Erkennbarkeit einer nicht ohne weiteres erkennbaren Gefahr kann durch Warn- oder Gefahrzeichen oder ähnliche Einrichtungen begründet werden. Der Sicherungspflichtige kann sich jedoch grundsätzlich auf den sorgfältigen, aufmerksamen, die Verkehrsvorschriften beachtenden Verkehrsteilnehmer einstellen... .
Eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten ist vorliegend nicht festzustellen. Im Bereich der Zufahrt zu der rechtsrheinischen Fähranlegestelle ist das Zeichen 129 zu § 40 StVO angebracht. Dieses Zeichen warnt in besonders plastischer Weise vor einer bestimmten Gefahr: Im rotumrandeten Dreieck mit der Spitze nach oben sind ein Ufer, Wasser und ein Pkw schematisch dargestellt, der gerade dabei ist, in das Wasser zu stürzen. Nach der Verwaltungsvorschrift zu Zeichen 129 ist das Zeichen „nur anzubringen, wenn eine Straße auf ein unbeschränktes oder unzulänglich gesichertes Ufer zuführt, vor allem an Schiffsanlegestellen. Vor solchen Gefahrstellen ist in der Regel zu warnen." Derjenige, der sich der Anlege- bzw. Fährlandestelle in dem Bewußtsein nähert, alsbald an das Ende des Ufers zu gelangen, wird mit diesem Zeichen nochmals besonders gewarnt.
Darüber hinaus ist vorliegend nicht nur eine Beschränkung der Geschwindigkeit mit diesem Zeichen verbunden, wie dies die Verwaltungsvorschrift für geeignete Fälle empfiehlt, sondern mit dem Stop-Schild, d. h. dem Zeichen 206 zu § 41 Abs. 2 Nr. 1 b StVO. Auch wenn der eigentliche Anwendungsbereich dieses Zeichens „Halt! Vorfahrt gewähren!" darin besteht, auf die Vorfahrt anderer Verkehrsteilnehmer hinzuweisen, so hat dieses Schild doch denselben Anspruch auf Beachtung durch Verkehrsteilnehmer, wenn es wie vorliegend eingesetzt wird. .
Unmittelbar an der Stahlauffahrtrampe rechts ist ein weiteres Schild angebracht mit dem Text: „Fahrzeuge halt! Fahrgäste aussteigen Randfahrer absteigen." Dieses Schild ist hei der Annäherung mit einem Pkw mit Abblendlicht ohne weiteres erkennbar.
Die Rampe war auch hinreichend beleuchtet und zwar einerseits durch die Straßenbeleuchtung, andererseits durch die unmittelbare Beleuchtung, die an dem eisernen Rampenkeil angebracht ist. Letztere leuchtet den Ubergang der Zufahrt zur Wasserfläche besonders aus.

c) Es ist nicht zu beanstanden, daß die Beklagte nicht dafür Sorge trug, daß die Zufahrt zusätzlich hei Abwesenheit der Fähre noch durch Kette oder Schranke versperrt oder durch eine Ampel gesichert war. Gemäß § 40 Abs. 3 RhFährO sind die landseitigen Verschlüsse von Landebrücken oder Landestegen nur solange zu öffnen, als die Fähre zum Ein- und Aussteigen, Be- und Entladen an der Landebrücke oder dem Landesteg liegt. Diese Vorschrift betrifft nur Landebrücken oder Stege, nicht aber Landerampen, wie sie vorliegend ausgestaltet sind. Für Fähren mit Landerampen genügt es, wenn die dem Zu- und Abgang dienenden Öffnungen der Fähre selbst während der Fahrt geschlossen gehalten werden, § 4(1 Abs. 2 RhFährO......"

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1993 - Nr.12 (Sammlung Seite 1426 f.); ZfB 1993, 1426 f.