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U 5/96 BSch - Oberlandesgericht (Schiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 15.04.1997
Aktenzeichen: U 5/96 BSch
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Norm: 15.04.1997
Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Abteilung: Schiffahrtsobergericht

Leitsätze:

1) Die Verkehrsicherungspflicht darf nicht als Pflicht zur völligen Gefahrloshaltung der Verkehrswege mißverstanden werden. Allein daraus, daß die Beschaffenheit des Verkehrswegs einen Unfall unter Umständen mitverursacht hat, ist eine Haftung wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht herzuleiten.


2) Will der Träger der Verkehrssicherheitspflicht dieser im Rahmen der öffentlichen Verwaltung (hoheitsrechtlich) genügen, bedarf es eines ausdrücklichen Organisationsakts. Die Freigabe einer Schleuse und das Setzen des Lichtzeichens „Doppelgrün" gemäß § 6.28 a Nr. 2 d BinSchStrO stellt keine hoheitliche Anordnung dar, so daß eine Haftung für den sicheren Betrieb einer Schleuse nicht nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG, sondern nach allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen in Betracht kommt.


3) Die von einem Schleusenbeamten unterzeichnete Sachverhaltsfeststellung, im Unterwasser einer Schleuse habe ein Unterstau geherrscht, gibt zwar einen Hinweis auf das Vorhandensein eines Unterstaus; aber eine solche Urkunde stellt weder ein Schuldanerkenntnis dar noch hindert sie am Beweis des Gegenteils durch Pegelaufzeichnungen.

Urteil des Oberlandesgerichts (Schiffahrtsobergerichts) Karlsruhe

vom 15.4.1997

U 5/96 BSch

(rechtskräftig)

(Schiffahrtsgericht Mannheim)

Zum Tatbestand:

Die Klägerin, Eigner von MS „A", nehmen die Beklagte, die verkehrssicherungspflichtig für die Bundeswasserstraße Neckar einschließlich der Schleusen ist, auf Schadensersatz in Anspruch.
Am 18.10.1994 führte der Zeuge B als Schiffsführer (Ablöser) das mit Kies beladene MS „A" (100 m lang, 10 m breit, 1050 to groß und 588 kW stark) den Neckar zu Berg und beabsichtigte, in die wasserseitige Kammer der Schleuse S einzufahren. Ca. 25 m vor dem Drempel des Schleusenoberhauptes kam das Schiff zum Stehen und konnte wegen eines Widerstandes am Grund zunächst nicht mehr weiterfahren. Der zuständige Schleusenbeamte, der von dem Vorfall unterrichtet wurde, ließ die landseitige Kammer der Schleuse leeren. Darauf fuhr MS „A" vollständig in die wasserseitige Kammer ein, hob sich jedoch auf Steuerbordseite bis zu ca. 15 cm an.
Nach Durchführung der Schleusung setzte der Schiffsführer ein handschriftliches Schreiben auf, das er selbst unterzeichnete und von dem Schleusenbeamten, dem Zeugen A, unterschreiben ließ. Es hat folgenden Wortlaut:


„MS „A" Sfr. W. B

Am 18.10.94 gegen 14.15 fuhr ich mit dein mit 1708 T Kies beladenen MS „A" zu Berg in die wasserseitige Kammer der Schleuse S ein. Tiefgang gern. 2,60 m. Ca. 25 m’ vor dem Drempel des Schleusenoberhauptes bekam das Schiff Grundberührung u. blieb stehen. Auffällig war, das im Unterwasser ein Unterstau von ca. 25 cm herrschte. Erst als die landseitige Kammer abgelassen wurde, war ein vollständiges Einfahren in die Kammer möglich, wobei das MS jedoch weiter Grundberührung hatte und sich SB ca. 15 cm aus dem Wasser hob."

Die Klägerinnen vertreten die Auffassung, die Beklagte müsse dafür haften, daß es zu der Grundberührung gekommen sei, insbesondere deshalb, weil im Unterwasser ein Unterstau geherrscht habe.

Die Beklagte hat im ersten Rechtszug im wesentlichen geltend gemacht, der Schleusenbeamte A habe die von Schiffsführer B handgeschriebenen Feststellungen entgegengenommen, ohne sich diesen inhaltlich anzuschließen. Ein Unterstau habe tatsächlich zum Unfallzeitpunkt nicht geherrscht.
Noch am Unfalltag sei die Schleusenkammer von Tauchern abgesucht worden, die keine Hindernisse oder Gegenstände gefunden hätten. Die geltend gemachten Schäden seien offensichtlich nicht bei der Schleusung vom 18.10.1994 entstanden, sondern bei einer Festfahrung am 21.10.1994.

Das Schiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

„1. Ein Anspruch gegen die Beklagte besteht weder wegen Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG), noch aus §§ 823, 831, 31, 89 BGB.

a) Für Wasserstraßen und Häfen wie auch für Schleusenanlagen gilt, ebenso wie für Wege und Plätze der Grundsatz, daß derjenige, der dort einen Verkehr eröffnet hat oder andauern läßt, nach § 823 BGB für eine Gefahrenlage verantwortlich ist, die bei ordnungswidrigem Zustand der Verkehrsanlage entsteht.
Er hat dafür zu sorgen, daß sich die Anlage in verkehrssicherem Zustand befindet, und er haftet für Schäden, die einem Benutzer der Anlage aus deren ordnungswidriger Beschaffenheit entstehen, wenn er es aus Mangel an der von ihm im Verkehr zu beachtenden Sorgfalt verabsäumt hat, die Gefahrenquelle zu beheben, für die Zeit bis zu ihrer Beseitigung den Verkehr warnend auf die Gefahrenquelle hinzuweisen und gegebenenfalls den Gefahrenbereich zu sperren (vgl. BGH VersR 1961, 218; OLG - Rheinschiffahrtsobergericht - Karlsruhe VersR 1993. 1553). Inhalt der Verkehrssicherungspflicht ist es, daß jeder, der im Verkehr eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zum Schutz anderer zu treffen hat. In Rechtsprechung und Schrifttum besteht jedoch Einigkeit darüber, daß die Verkehrssicherungspflicht nicht mißverstanden werden darf als Pflicht zur völligen Gefahrloshaltung der Verkehrswege. Es ist unzulässig, allein daraus, daß die Beschaffenheit des Verkehrsweges einen Unfall unter Umständen mitverursacht hat, eine Haftung wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht herzuleiten (vgl. Senat VersR 1996, 129).

b) Die Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich eineröffentliehen Wasserstraße, zu der auch die Schleusenanlagen gehören, richtet sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 9, 373; BGHZ 20, 59: vgl. auch Senat, Urteil vom 11.12.1990 - U 6/89 Bsch -) in der Regel nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Träger der Verkehrssicherungspflicht dieser im Rahmen der öffentlichen Verwaltung (hoheitsrechtlich) genügen will. Dazu bedürfte es aber eines ausdrücklichen Organisationsaktes, der der Allgemeinheit gegenüber kundgemacht wird.
Ein solcher ausdrücklicher Organisationsakt liegt für den Neckar nicht vor.
Die Freigabe der Schleuse für MS „A" und das Setzen des Lichtzeichens „Doppelgrün" gemäß § 6.28 a Nr. 2 d BinSchStrO stellt keine hoheitliche Anordnung dar (Senat a.a.O.). Es ist deshalb davon auszugehen, daß die Beklagte für den sicheren Betrieb des Schleuse nicht nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG, sondern nach allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen zu haften hat.

2. Nach der im zweiten Rechtszug durchgeführten Beweisaufnahme steht nicht zur Überzeugung des Gerichtes fest, daß die Beklagte ihre Verkehrssicherungpflicht schuldhaft verletzt hat.

a) Allerdings zweifelt das Gericht nicht daran, daß das vom Zeugen B als verantwortlichem Schiffsführer geführte MS „A" bei seiner Einfahrt am 18.10.1994 gegen 14.15 Uhr in die geographisch linke, d. h. neckarseitige Schleusenkammer im Unterwasser gegen ein Hindernis geriet und dies dazu führte, daß das Schiff zunächst stekken blieb und nicht weiter bewegt werden konnte....

Nach dem festgestellten Schadensbild spricht sehr vieles dafür, daß jedenfalls ein Teil der bei der Besichtigung und Taxierung am 24.10.1994 festgestellten Bodenschäden im Vor- und Mittelbereich von MS „A" auf diesen Vorfall vom 18.10.1994 und nicht auf den späteren vom 21.10.1994 zurückzuführen ist....

b) Eine Haftung der Beklagten auf Ersatz dieses Schadens scheitert indessen daran, daß der Beklagten eine schuldhafte Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht weder (aa) im Hinblick auf die bauliche Ausgestaltung der Schleusenanlage, noch (bb) hinsichtlich der erforderlichen Kontrollen des Schleusensohlenbereichs, noch (cc) im Hinblick auf das Vorhalten der Mindesttiefe zum Unfallzeitpunkt nachzuweisen war.

aa) Eine Beschädigung durch die aus den vorgelegten Plänen ersichtliche Ausgestaltung des Schleusenvorhafens, des Drempels, also der Schwelle des unteren Schleusentors, und der Schleusensohle in der Schleusenkammer ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auszuschließen:

...

bb) Nach der glaubhaften Aussage des Zeugen S werden die Schleusenkammern in regelmäßigen Zeitabständen von sechs Monaten untersucht. Nur wenige Tage vor dem Schadensereignis vom 18.10.1994, nämlich am 06.10.1994, war zuletzt eine derartige Untersuchung durch die Tauchergruppe des WSA H durchgeführt worden. Bei dieser Untersuchung wurden ebenso wie bei der unmittelbar nach dem Unfall am 18.10.1994 durchgeführten Taucheruntersuchung keinerlei Hindernisse vorgefunden.

cc) Der Nachweis, daß der Beklagte die für diesen Neckarabschnitt und damit auch für die Schleusenkammer garantierte Mindestwassertiefe von 2,80 m gemäß § 10.02 Nr. 3 BinSchStrO nicht vorhielt oder aber es schuldhaft versäumt hätte, den Schiffsverkehr zu sperren, wenn die Mindesttiefe nicht erreicht werden konnte, ist nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht geführt.

Schiffsführer B war allerdings davon ausgegangen, daß Ursache für das Auffahren des auf 2,63 m gemittelt abgeladenen MA „A" auf ein Hindernis ein zu geringer Wasserstand gewesen sei. Er sah sich in dieser Annahme dadurch bestätigt, daß an der Spundwand im Unterwasser Moosbewuchs sichtbar war. In seiner handschriftlichen Sachverhaltsfeststellung notierte er: „Auffällig war, daß im Unterwasser ein Unterstau von ca. 25 cm herrschte". Bei seiner Vernehmung räumte der Zeuge B jedoch ein, daß er selbst nicht nachgesehen hatte, wie hoch der Pegelstand in der Schleuse war, daß er selbst nicht „herausbekam", was die Ursache des Festfahrens war und schließlich, daß er mit dem Zeugen A darüber sprach, daß Unterstau herrschte, dies aber nicht überprüfte.

Nach der glaubhaften Aussage des Zeugen B widersprach der Zeuge A dessen Annahme eines Unterstaus zunächst nicht und war auch bereit, die vom Zeugen B formulierte Sachverhaltsfeststellung zu unterzeichnen. Daher war tatsächlich zunächst zugunsten der Klägerinnen ein Hinweis auf das Vorhandensein eines Unterstaus gegeben. Indessen stellt die Urkunde weder ein Schuldanerkenntnis dar, noch hinderte sie die Beklagte am Beweis des Gegenteils. Ein derartiger Beweis ist der Beklagten gelungen.

Aus den von ihr vorgelegten Fotokopien der Pegelaufzeichnungen vom 18.10.1994 ergibt sich, wie der Zeuge S bei seiner Vernehmung im einzelnen bestätigt hat, dass zwar in der Zeit zwischen 10.00 und 15.00 Uhr einer der tiefsten Wasserstände dieses Tages aufgezeichnet wurde. Der geringste Punkt weist jedoch noch immer einen Wasserstand von mindestens 4 bis 5 cm über dem Normalstau von 2,80 m aus. Nach den weiteren Bekundungen des Zeugen S kann diese Pegelaufzeichnung auch als zuverlässige Feststellung des tatsächlichen Wasserstandes von mindestens 2,84 m gewertet werden. Der Gefahr fehlerhafter Aufzeichnungen wird nämlich nach der Aussage des Zeugen S dadurch begegnet, daß regelmäßig - und zwar wöchentlich - ein Vergleich zwischen dem unten fest im Wasser angebrachten Lattenpegel abgelesenen Wasserstand mit den Werten einer zeitgleichen Ablesung am Instrument im Schaltpult der Schleuse vorgenommen wird. Nach der Aussage des Zeugen S hat weder vor dem Unfallgeschehen vom 18.10.1994 noch danach ein derartiger Vergleich eine Abweichung ergeben.
Das Sichtbarwerden von Moos an der Spundwand stellt nach der glaubhaften Aussage des Zeugen A, der noch heute an der Schleusenanlage S tätig ist, kein Indiz für einen Wasserstand von weniger als 2,80 m dar. Vielmehr ist derartiges Moos auch bei erheblich höheren Wasserständen noch zu sehen.

3. Nach allem ist eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungpflicht der Beklagten, die für das Unfallgeschehen am 18.10.1994 ursächlich geworden wäre, nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen. Die Berufung war daher als unbegründet zurückzuweisen...."

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1997 - Nr.24 (Sammlung Seite 1666 f.); ZfB 1997, 1666 f.