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Leitsätze:
1) Einen Schadensersatzanspruch nach § 22 WHG hat nicht, wer einen der in der Vorschrift genannten Haftungstatbestände selbst herbeigeführt hat.
2) Auf den Aufwendungsersatzanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag ist die Vorschrift des § 254 BGB entsprechend anzuwenden. 3. Zur Haftungsverteilung zwischen einer RaffinerieNerladerin und den Verantwortlichen eines Tankschiffes (hier: 2/3 zu 1/3) bei einem Beladeunfall („Überläufer).
Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts) Karlsruhe
vom 10.12.1996
U 3/96 RhSch
(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)
Zum Tatbestand:
Die Klägerin betreibt eine Raffinerie. Sie unterhält Verladeeinrichtungen im Ölhafen K. Die Beklagte ist Eignerin von TMS „B", das aufgrund einer Sondergenehmigung des Bundesministeriums für Verkehr unter bestimmten Bedingungen und Auflagen gefährliche Güter auch dann transportieren darf, wenn die Anforderungen an den sonst erforderlichen Grenzwertgeber nicht erfüllt sind.
Die Klägerin beansprucht von der Beklagten Ersatz von Aufwendungen für die Beseitigung von Ölverschmutzungen. In der Nacht vom 23./24.09.1993 wurde TMS „B" am Steiger 4 der Klägerin mit schwerem Heizöl beladen. Die Ladungsmenge wurde vor Beginn der Beladung von dem Schiffsführer des TMS „B" „V" gegenüber dem Ladearbeiter J der Klägerin mit 1150 m= angegeben. Gegen Ende der Beladung kam es im Laderaum 1 StB zu einem sogenannten „Überläufer", wodurch schweres Heizöl an Deck austrat und bis ins Wasser gelangte. Der Beladevorgang wurde Betätigung der Reißleine am Verladearm durch den Matrosen W unterbrochen, der die Beladung beobachtete. Zu diesem Zeitpunkt hielt Schiffsführer V sich beim Ladearbeiter J auf.
Die Klägerin hat im ersten Rechtszug vorgetragen, die Ölverschmutzung und der zu ihrer Beseitigung angefallene Aufwand seien auf ein Fehlverhalten des Schiffsführers V und des Matrosen W zurückzuführen. V hätte durch Anweisung an den Matrosen zur Betätigung der Reißleine das Überlaufen verhindern können. W habe die Reißleine zu spät betätigt.
Der Beklagte hat beantragt die Klage abzuweisen. Sie hat im ersten Rechtszug im wesentlichen geltend gemacht, die Verantwortung für das Überlaufen des Öls liege allein bei der Klägerin. Deren Ladearbeiter habe mehr als die ihm aufgegebene Menge von 1150 m= verladen. Schiffsführer V sei zum Steigergebäude geeilt, um nachzufragen, ob die bestellte Menge nicht schon erreicht sei. Im gleichen Moment sei der Verladevorgang gestoppt worden, weil der Matrose W die Reißleine betätigt habe.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte teilweise Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
„1. Die Klägerin kann von der Beklagten dem Grunde nach 1/3 der Aufwendungen ersetzt verlangen, die ihr im Zusammenhang mit der Beseitigung der Folgen des Beladeunfalls vom 24.09.1993 im Ölhafen K entstanden sind.
a) Die Klägerin kann ihren Anspruch nicht aus § 22 Abs. 1 oder 2 WHG ableiten, da sich auf den Schutz dieser Norm nur berufen kann, wer den mit einer Gewässerverunreinigung verbundenen Gefahren ohne Abwehrmöglichkeit ausgesetzt ist. Ein Schadensersatzanspruch nach § 22 WHG hat dagegen nicht, wer - wie die Klägerin - einen der in der Vorschrift genannten Haftungstatbestände selbst (mit)herbeigeführt hat (BGH VersR 1976, 930; LG Hamburg VersR 1996, 507).
b) Die Klägerin hat jedoch aus dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag einen Anspruch auf Ersatz der von ihr zur Beseitigung des Ölschadens aufgewendeten Kosten, §§ 683, 670 BGB. Dadurch, daß sie die Maßnahmen zur Behebung des Ölschadens in Auftrag gegeben und deren Kosten vorgelegt hat, hat die Klägerin auch ein Geschäft der Beklagten besorgt. Die Wahrung auch eigener Interessen schließt den Fremdgeschäftsführungswillen nicht aus. Ob die Übernahme der Geschäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen der Beklagten als Geschäftsherrn entsprach (§ 683 Satz 1 BGB), kann dahinstehen, da ein Fall des § 679 BGB vorliegt. Die Durchführung der Beseitigungsmaßnahmen war erforderlich, um eine Weiterverbreitung der Ölverschmutzung auf dem Rhein zu verhindern. Die Geschäftsführung lag daher im öffentlichen Interesse, §§ 679, 683 Satz 2 BGB.
c) Auf den Aufwendungsersatzanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag ist die Vorschrift des § 254 BGB entsprechend anzuwenden (Wussow/Kürschner Unfallhaftpflichtrecht 14. Aufl. Tz 1880). Die danach vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge führt dazu, daß die Klägerin 2/3 ihrer Aufwendungen selbst zu tragen hat.
Zu dem Betankungsunfall kam es in erster Linie deshalb, weil zwischen dem Schiffsführer von TMS „B" „V" und dem Ladearbeiter der Beklagten J keine klare Absprache über die für die Kapazität der aufzunehmenden Ladung maßgebliche Produkttemperatur getroffen wurde. V hatte, um die Ladekapazität des Schiffes auszuschöpfen, 1150 m= geordert. Er ging - ohne dies ausdrücklich zu erwähnen - bei seiner Volumenangabe von einer Produkttemperatur von 76 ° C aus. Demgegenüber bezog J die Bestellung auf eine Produkttemperatur von 50 °. Als das Produkt wegen Überfüllung aus dem Tank auslief, zeigte der von J beobachtete Zählerstand 1144,82 m= bei 50 °C und der Zähler für die tatsächliche Ladetemperatur von 76 ° C eine Menge von 1164,90 m= an. Dies gab der Zeuge J sowohl bei seiner Vernehmung durch die Wasserschutzpolizei als auch bei seiner richterlichen Vernehmung vor dem Schiffahrtsgericht an. Indem diese beiden am Ladevorgang für die Parteien beteiligten Personen es unterließen, sich gegenseitig genau darüber zu informieren, von welchen Produkttemperaturen sie bei ihren Angaben hinsichtlich des Produktvolumens ausgingen, handelten beide sorgfaltswidrig.
Die Beklagte treffen über die bereits gesteigerten Sorgfaltspflichten, die bei der Verladung und dem Transport von umweltgefährdenden Güter gelten, besondere Sorgfaltspflichten deshalb, weil TMS „B" nicht mit einer Niveauwarnanlage (Grenzwertgeber) ausgerüstet ist. Die erteilte Sondergenehmigung des BMV enthält u. a. folgende Auflage: „III 3: Während der Beladung ist der Füllungsgrad der Ladetanks sorgfältig zu beobachten." Es oblag danach sowohl dem Schiffsführer als auch dem Matrosen, der als Deckwache eingeteilt war, sorgfältig und unter Zuhilfenahme zulässiger Beleuchtungsmittel den Grad der Befüllung der Tanks zu beobachten und im Zweifel eher für eine zu geringe Befüllung zu sorgen als ein Überlaufen der Tanks in Kauf zu nehmen. Nach dem Erlaß des Ministeriums für Ernährung, Landwirtshaft und Umwelt Baden-Württemberg über die Einführung der Richtlinien für Anforderungen an Anlagen zum Umschlag gefährdender flüssiger Stoffe im Bereich von Wasserstraßen (vom 24.03.1976 GABI 1976, 66 ff, 675) dürfen beim Umschlag keine gefährdenden flüssigen Stoffe auf die Wasserfläche oder in den Boden gelangen. Das land- und schiffsseitige Überwachungspersonal hat den Umschlag während der ganzen Dauer zu überwachen (a.a.O. Ziffer 5.3, 5.3.1, 5.3.2). Nach § 42 der Hafenverordnung Baden Württemberg (GBI 1983,41 ff,50) hat die Wache an Bord während des Ladens den Füllstand des Schiffstanks zu überwachen. Das Aufstellen der Wache an Bord obliegt dem Schiffsführer, die Wache an Land obliegt dem Betreiber der Umschlagsanlage. Nach diesen Vorschriften haben beide Seiten, also sowohl Schiffsführung und Schiffsbesatzung als auch die Mitarbeiter der Verladerin, mit besonderer Sorgfalt darauf zu achten, daß es nicht zu Produktaustritten kommt.
Wie das Schiffahrtsgericht in dem rechtskräftigen Strafbefehl gegen den Matrosen W entschied, hat dieser als verantwortliche Schlauchwache an Bord des TMS „B" dadurch das Überlaufen und den Eintritt von ca. 300 1 schwerem Heizöl in das Hafenwasser mit verursacht, daß er aufgrund eines falsch gewählten Überwachungsstandortes den Überlauf des Tankraums 1 zu spät bemerkte, um rechtzeitig die Befüllung des Raumes stoppen zu können. Er hätte seinen Überwachungsstandort unmittelbar am Tankdom des Raumes 1 Steuerbord wählen, den Tankinnenraum ausleuchten, den Füllstand genau beobachten und so seinen Beitrag für eine rechtzeitige Beendigung der Beladung leisten können und müssen. Der Schiffsführer V gab hierzu bei seiner Vernehmung im Strafverfahren vor dem Schiffahrtsgericht Mannheim an, der Matrose habe wohl etwas zu spät reagiert.
Der eigene Verursachungs- und Verschuldensbeitrag des Schiffsführers V lag darin, den Verladearbeiter J bestärkt zu haben, mit der Beladung fortzufahren, als die Tanks bereits weitgehend befüllt waren.
Die Klägerin hat sich in sinngemäßer Anwendung des § 254 Abs. 1 BGB die Verursachungs- und Verschuldensbeiträge ihres Ladearbeiters J anrechnen zu lassen. Dieser hatte u.a. in seinem Überwachungsraum zwei Instrumente zu beobachten. Er durfte im Zweifel nicht von der Volumenangabe, die sich auf 50 ° C bezog, ausgehen, sondern von der höheren Volumenangabe, die sich auf die tatsächliche Verladetemperatur von 76 ° bezog. Die Klägerin kann sich von den ihr selbst als Betreiberin einer umweltgefährdenden Anlage obliegenden Sorgfaltspflichten weder freizeichnen noch diese Pflichten vollständig auf die Schiffsbesatzung abwälzen (vgl. dazu auch Senat Urteil vom 09.11.1993 - U 4/92 RhSch - = ZfB 1994, 1504 = VRS Bd 88,95).
Maßgeblich für die Abwägungsentscheidung ist insbesondere, daß die Klägerin als Verladerin in erster Linie die Verantwortung für einen gefahrlosen Umschlag trägt, wozu auch die Sorge dafür zählt; daß es zu keiner Überfüllung der Tanks kommt (vgl. dazu auch Goette Binnenschiffahrtsrecht § 42 BinSchG Rdnr. 9). Der Senat ist - anders als das Rheinschiffahrtsgericht - indessen nicht derAuffassung, daß das dargestellte schuldhafte Verhalten der Schiffsbesatzung als so gering zu bewerten ist, daß es bei der Abwägung vernachlässigt werden könnte. Der Senat hält vielmehr bei Berücksichtigung und Gewichtung der genannten Abwägungsfaktoren eine Haftungsverteilung von 2/3 zu 1/3 zu Lasten der Klägerin für sachgerecht ....."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1997- Nr.10 (Sammlung Seite 1637f.); ZfB 1997, 1637 f.