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U 3 /92 RhSch - Oberlandesgericht (Rheinschiffahrtsgericht)
Entscheidungsdatum: 09.01.1993
Aktenzeichen: U 3 /92 RhSch
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Abteilung: Rheinschiffahrtsgericht

Leitsatz:

Ein Anscheinsbeweis der Kausalität greift beweiserleichternd nur bei formelhaften, typischen Geschehensabläufen ein. Seine Wirkung entfällt schon dann, wenn der Gegner des Beweisführers Tatsachen darlegt und erforderlichenfalls beweist, die die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs ergeben. Der atypische Geschehensablauf selbst braucht nicht positiv nachgewiesen zu werden. 

Urteil des Oberlandesgerichts (Rheinschiffahrtsobergerichts) Karlsruhe

vom 09.01 . 1993

U 3 /92 RhSch

rechtskräftig

(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim)

Zum Tatbestand:

Die Parteien machen wechselseitig Schadensersatzansprüche aus einem Unfall bei der Beladung eines Tankleichters geltend.

Am 25. 11. 1989 gegen 21.30 Uhr wurde der Tankleichter (TL) „Klaas", dessen Eigentümer die D ist, vom Schubboot „Stark 1" im Ölhafen Karlsruhe an der Ladestelle der Beklagten zur Übernahme von schwerem Heizöl vorgelegt. Zuvor hatte der TL Vakuumgasöl geladen gehabt, welches im Ölhafen gelöscht worden war. Am 26.11.1989 gegen 14.15 Uhr wurde mit der Beladung begonnen und das Produkt in das Schiff gepumpt. Nach ca. 40 Minuten rissen zwei Schieber in den Zuleitungen zur steuerbordseitigen Kammer 7 auf und ein Kompensator in der auf Deck verlaufenden Fülleitung versagte. Es kam zum Austritt von heißem Heizöl, das auch ins Hafenwasser gelangte. Der TL wurde beschädigt.

Die Klägerin hat behauptet, Ausrüsterin des TL „Klaas" zum Unfallzeitpunkt gewesen zu sein; Unfallursache sei eine nicht ausreichende durchgehende Erwärmung des Ladegutes gewesen. Wegen der besonders niedrigen Außentemperatur am Unfalltag sei es in den Ladeleitungen zu Erkaltungen gekommen, dadurch sei das Heizöl eingedickt und in seiner Fließfähigkeit erheblich beeinträchtigt worden. Hierdurch sei ein hoher Innendruck im gesamten Leitungssystem entstanden, der zu dem Schaden geführt habe . Das Heizöl sei aus dem Ladetank der Beklagten in das Schiff gepumpt worden, ohne daß die organisatorischen Voraussetzungen für eine ausreichende Fließgeschwindigkeit des Ladegutes vorgelegen hätten. Man habe bei der Beklagten den Ladevorgang eingeleitet, ohne zu wissen, mit welcher Temperatur und damit in welcher Viskosität das Produkt ausgeflossen sei.

Die Beklagte hat bestritten, daß die Klägerin Ausrüsterin von TL „Klaas" gewesen sei. Sie hat ferner ihre Verantwortung für den Unfall bestritten und behauptet, das Rohrleitungssystem des Schiffes habe Verstopfungen durch Reste der Vorladung Vakuumgasöl aufgewiesen. Sie hat im übrigen die Höhe des Schadens bestritten und ihrerseits einen Schaden in Höhe von DM 24.670,04 geltend gemacht.

Das Schiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen und die Widerklage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung der Klägerin hatte insoweit Erfolg, als sie zur Abweisung der Widerklage führte. 

Aus den Entscheidungsgründen: 

„ …Weder die Klägerin noch die Beklagte konnten tatsächliche Voraussetzungen für vertragliche oder deliktische Ansprüche beweisen, die die jeweils andere Partei zum Schadensersatz verpflichten würden. Wegen des streitgegenständlichen Ölunfalles hat - ohne daß dies freilich Bindungswirkung hat - die Staatsanwaltschaft gemäß § 170 Abs. 2 StPO von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen, weil ein mindestens fahrlässiges Fehlverhalten eines Beteiligten nicht festgestellt werden konnte; der Austritt von Heizöl am 26.11.1989 war nach dem Ergebnis der durchgeführten Ermittlungen auf einen nicht vorhersehbaren und nicht vermeidbaren technischen Defekt des Rohrleitungssystems zurückzuführen. Nach dem Ergebnis des Verklarungsverfahrens sowie den in beiden Instanzen durchgeführten weiteren Beweiserhebungen steht nicht mit der erforderlichen Gewißheit fest, daß entweder die Besatzung des TL „Klaas" oder die Mitarbeiter der Beklagten schuldhaft den Ölunfall am 26. 11. 1989 gegen 15.00 Uhr im Ölhafen in Karlsruhe (mit-) verursacht haben oder daß die Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten gemäß § 831 BGB erfüllt sind. 

Fest steht lediglich, daß gegen 14.15 Uhr mit der Beladung begonnen und ca. 40 Minuten lang schweres Heizöl geladen worden war, als ein Rohrkompensator in der schiffsseitigen Fülleitung vor Kammer 7 versagte und zwei Schieber in den Zuleitungen zur steuerbordseitigen Kammer 7 abgeschert wurden. Als Ursache hierfür ist ein hoher Rohrleitungsinnendruck anzunehmen. Der Rohrleitungsinnendruck ist abhängig u.a. von der Anzahl der geöffneten Schieber in den Abgängen zu den Kammern. Je mehr Schieber geöffnet sind, desto kleiner ist der Druck in der Leitung. Der Matrose F vom TL „Klaas" hat bei seiner Vernehmung im Verklarungsverfahren angegeben, vor Ladebeginn habe er die Schieber zu den Kammern des TL „Klaas" in folgende Stellungen gebracht: Zunächst seien die Schieber zu den Kammern 2, 4 und 6 sowohl an Steuerbord als auch an Backbord offen gewesen. Danach seien, nachdem das Produkt in den Kammern einen Meter hoch gestanden, d.h. jeweils ca. 60 m= Produkt in den Kammern gewesen sei ,die Schieber Steuerbord 6 und Backbord 4 geschlossen worden. Nachdem er ca. ein bis zwei Minuten beim Schieber Steuerbord 4 gestanden sei und diesen habe schließen wollen, sobald die Ladehöhe 1 m erreicht haben würde sei es zum Ölschaden gekommen . Zu diesem Zeitpunkt seien die Schieber 2 und 4 Steuerbord sowie 2 und 6 Backbord offen gewesen.

Die Klägerin hat hierzu - unter ausdrücklicher Bezugnahme der Ausführungen des privat zugezogenen Prof. Dr.-Ing. F. ausgeführt, wenn die Kammern Steuerbord 2 und Backbord 2 und 6, deren Schieber nach der Aussage des Zeugen offen gewesen seien, nicht geladen wurden, so seien entweder die Zugänge zu diesen Kammern verstopft oder aber die Schieber gar nicht geöffnet gewesen. Steuerbord 2 und Backbord 2 hätten auf jeden Fall geladen werden müssen, wenn sie offen waren, lediglich bei Backbord 6 wäre vorstellbar, daß wenig Produkt einströmte. Es sei nicht auszuschließen, daß der Zeuge F den Schieber bereits zu schließen begonnen gehabt habe oder ihn unmittelbar vor Eintritt des Schadens ganz geschlossen gehabt habe. Für diese Annahme spreche die Tatsache, daß der nachgemessene Füllstand von Steuerbord 4 nach Eintritt des Schadensfalls offensichtlich dem Soll entsprochen habe. Mit dem Schließen von Steuerbord 4 sei dann kein Abfluß in eine Kammer mehr vorhanden gewesen.

Ob nun der Druckanstieg in den Schiffsleitungen daher rührte,daß - wie von der Klägerin trotz .der Aussage des Zeugen F. zuletzt selbst erwogen - kein Abfluß in eine Kammer mehr möglich war, weil vorschriftswidrig tatsächlich alle Schieber verschlossen waren oder ob, und gegebenenfalls wann ( am Vortage oder am Tage der Beladung) und wo (in den Decksleitungenoder im unbeheizten Teil des Ladearms oder, was nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen St höchst unwahrscheinlich ist, im Bereich des Krümmers der Verladeeinrichtung) sich Pfropfen gebildet hatten, die sich dann lösten mit der Folge, daß der Druck sich in den Ladeleitungen entspannte, komprimierte Luft in den Leitungen expandieren konnte und es so zu Druckstößen infolge Auftreffens von Ladeprodukt auf Rohrkrümmer und Kornpensator kam, und dabei kurzzeitige Druckspitzen entstanden, die wesentlich höher waren als der vorhandene statische Druck, wie dies der Sachverständige St als eine ernsthafte Möglichkeit beschrieben hat, ist und bleibt ungeklärt. Der Sachverständige St, an dessen Unparteilichkeit und Sachkunde für den beweisgegenständlichen Bereich der Senat keine Zweifel hat, erklärte plausibel, daß das Lösen einer etwaigen Verstopfung auch bei einem Druck unter 6 bar einsetzen und dann zu den Druckspitzen führen konnte. Wie hoch der Druck zum Zeitpunkt des Unfalles tatsächlich war, steht nicht fest und läßt sich nicht mehr klären. Der Zeuge S, der als Leiharbeiter für die Beklagte am Unfalltag als Pierwache eingesetzt war, hat bei seiner Vernehmung im Verklarungsverfahren angegeben, der Verladedruck habe 4 bar betragen. Diesen Wert hat er an dem Manometer abgelesen, der auf der landseitigen Verladeleitung bei dem Verladeschieber angebracht ist, wie sich aus dem Lichtbild (Verklarungsakten) ergibt, im übrigen unstreitig ist und in Übereinstimmung mit den Feststellungen beim Augenscheinstermin steht. Der Zeuge ging danach hoch in die Pierkanzel. Dort ist indessen der Verladedruck weder ablesbar noch beeinflußbar. In der Pierkanzel können nur die Fließgeschwindigkeit (in m-/h) und die Temperatur des Produktes abgelesen werden.

...Im vorliegenden Falle kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, daß eine Druckbegrenzung auf 6 bar oder eine sonstige technische Einrichtung oder eine Abstimmung der schiffs- und landseitigen Schlauchwachen den Unfall verhindert hätten. Denn der Sachverständige St hat überzeugend dargelegt, daß auch bei einer kontrollierten Begrenzung des Ladedrucks auf maximal 6 bar es zu kurzfristigen höheren Druckspitzen in den Schiffsleitungen kommen konnte . 
Im vorliegenden Falle streitet auch für bzw. gegen keine der Parteien ein Anscheinsbeweis. Ein Anscheinsbeweis der Kausalität greift beweiserleichternd nur bei formelhaften, typischen Geschehensabläufen ein, und zwar in den Fällen, in denen ein gewisser Sachverhalt feststeht, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder einen bestimmten Ablauf hinweist. Der Anscheinsbeweis führt nicht zu einer Umkehr der Beweislast. Seine Wirkung entfällt vielmehr schon dann, wenn der Gegner des Beweisführers Tatsachen darlegt und erforderlichenfalls beweist, die die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufes ergeben (vgl. Greger StVG § 16 Rdnr.279 m.w.N.). Der atypische Geschehensablauf selbst braucht nicht positiv nachgewiesen zu werden. Die Beklagte hat unwiderlegt vorgetragen, daß Unfälle, wie sie in den Verfahren U 3/92 RhSch und U 4/92 RhSch Streitgegenstand sind, die Ausnahme bilden. Der Sachverständige St hat in seiner Besprechungsnotiz vom 20. 12. 1989 aufgrund seiner im Auftrag des Schiffahrtsgerichts durchgeführten Erhebungen ausgeführt: Vor der Beladung des SL „Klaas" wurden im November 26 Schiffe ohne Probleme beladen. Nach dem Schaden auf SL „Klaas" wurden vier Schiffe beladen, bevor der Ölschaden auf SL „Akki" eintrat. Nach dem Ölschaden auf SL „Akki" wurden bis 08.12.1989 weitere elf Schiffe ohne Probleme beladen.

Bei allen Verladevorgängen wurde das Produkt HS (Heizöl schwer) 3,5 % S verladen. Danach fehlt es bereits an einem „typischen Geschehensablauf" als Voraussetzung eines Anscheinsbeweises. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann nicht angenommen werden, daß Art und Durchführung der Verladung von schwerem Heizöl durch die Beklagte typischerweise zu Ölschäden wie dem streitgegenständlichen führen. Selbst wenn man indessen zu Lasten der Beklagten annehmen würde, mangelnde Organisation und Leitung hinsichtlich der Druckabstimmung und -überwachung begründeten eine Anscheinsbeweislage dafür, daß dies für den Eintritt des Ölschadens (mit-) ursächlich geworden sei, so wäre ein derartiger Anscheinsbeweis durch den erbrachten Nachweis einer anderen ernsthaft in Betracht zu ziehenden Kausalitätsmöglichkeit, nämlich der Verstopfung der Decksleitungen durch Vorprodukt und Schadenseintritt ohne Überschreitung des zulässigen Ladedrucks von 6 bar entkräftet. Wie bereits oben dargestellt, hat der Sachverständige St. auch im zweiten Rechtszug und nach Vorhalt der Ausführungen des von der Klägerin privat hinzugezogenen Prof. Dr. F bekräftigt, daß das Lösen eines Pfropfes mit der Folge möglicher anschließender höherer Druckspitzen auch bei einem Ladedruck von weniger als 6 bar erfolgt sein kann. Weder eine Druckbegrenzung noch eine Überwachung und Abstimmung des Ladedrucks auf die maximale Belastbarkeit der Decksleitung von 6 bar durch die Schiffsbesatzung und/oder die Mitarbeiter der Beklagten hätten dann den Unfall auf TL „Klaas" am 26.11.1989 verhindert. Da somit mehrere Geschehensabläufe unfallursächlich in Betracht kommen, jedoch keine der möglichen Sachverhaltsvarianten und ihre Kausalität für den Unfall bewiesen ist, sind weder Klage noch Widerklage begründet.

Auf die Berufung war daher die Widerklage abzuweisen; die weitergehende Berufung, mit der die Klageabweisung angegriffen wurde, war als im Ergebnis unbegründet zurückzuweisen …"


Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1994 - Nr.22 (Sammlung Seite 1500 f.); ZfB 1994, 1500 f.