Rechtsprechungsdatenbank
Leitsätze:
1) Der schuldige Verursacher eines Schiffsunfalls, der für die unbeschädigt gebliebene Ladung eines schuldlos betroffenen dritten Schiffes Verzögerungen und Erschwerungen hinsichtlich der Weiterbeförderung und pünktlichen Ablieferung des Ladegutes, u. a. auch Mehrfrachtkosten zur Folge hat, haftet für derartige Vermögensschäden nicht nach § 823 Abs. 1 BGB.
2) Die §§ 1.04 und 6.09 RhSchPolVO sind zwar als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen, da sie dem Schutze anderer Fahrzeuge, der Ufer, Strombauwerke und ähnlicher Anlagen zu dienen bestimmt sind, bezwecken aber nicht den Schutz der Vermögensinteressen eines Benutzers der Schiffahrt, z. B. eines Ladungseigentümers.
Urteil des Oberlandesgerichts - Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe
vom 17. September 1974
U 20/ 73 RhSch
(Rheinschiffahrtsgericht Mainz)
Zum Tatbestand:
Infolge einer Anfahrung durch die der Beklagten zu 1 gehörenden, vom Beklagten zu 2 und Beklagten zu 3 geführten, längsseits gekoppelten Motorschiffe W5 und W6 wurde das MS J so schwer beschädigt, daß es vom Wasser- und Schiffahrtsamt ein Fahrverbot erhielt und die in ihm befindliche Ladung der Klägerin zum Weitertransport auf 3 andere Schiffe umgeladen werden mußte.
Die Klägerin verlangt von den Beklagten u. a. Ersatz der Mehrfrachtkosten von ca. 6200,- DM, weil die Beklagten wegen schuldhafter Verletzung des Eigentums an dem Ladegut gemäß § 823 Abs. 1 BGB und wegen Verstoßes gegen die als Schutzgesetze anzusehenden Vorschriften §§ 1.04 und 6.09 RhSchPolVO gemäß § 823 Abs. 2 BGB schadensersatzpflichtig seien.
Die Beklagten widersprechen dem Vorwurf schuldhaften Verhaltens im Sinne der genannten Polizeivorschriften nicht, bestreiten jedoch eine Schadensersatzpflicht.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das Rheinschiffahrtsobergericht hat die Klage abgewiesen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Außer Streit steht, daß eine Eigentumsverletzung nicht durch Zerstörung, Beschädigung, Verunstaltung oder dergleichen bei der der Klägerin gehörenden Schiffsladung eingetreten ist. Die Klägerin meint vielmehr, die Verletzung ihres Eigentums an der Ladung bestehe darin, daß ihr diese infolge des durch die Kollision verursachten Fahrverbots für das MS J entzogen worden sei. Das ist jedoch nicht zutreffend. Die Störung der Weiterbeförderung der Ladung mit dem MS J stellt keine die Eigentümerbefugnisse treffende Einwirkung auf die Ladung dar, wie dies der Fall war, als ein Schiff durch Sperrung eines Fleets in dieses eingeschlossen war und dadurch jede Bewegungsmöglichkeit verloren hatte (BGH ZfB 1972, 17 = BGHZ 55, 153). Die Schiffsladung der Klägerin war deren Verfügungsgewalt nicht entzogen, die bestimmungsgemäße Ablieferung und Verwertung der Ladung wurde nicht verhindert, sondern allenfalls erschwert. Hierin liegt aber kein Eingriff in das Eigentum durch Entziehung der Sache. Der vorliegende Fall entspricht vielmehr demjenigen, in dem durch die Beschädigung eines Stromkabels die Produktion des Stromabnehmers bloß unterbrochen wird, später aber wieder aufgenommen werden kann und wo somit nur ein Vermögensschaden eintritt, anders als wenn durch den Stromausfall ein Produktionsvorgang so gestört wird, daß dadurch die bestimmungsgemäße Umwandlung einer Sache in eine andere endgültig verhindert wird (vgl. Esser, Schuldrecht, 4. Aufl., Bd. II, § 107 II 2 = S. 403; BGHZ 41, 123 = NJW 1964, 720; BayObLG NJW 1967, 354). Wie bei der bloß verzögerten Produktion, so tritt auch hier mit der bloßen Hemmung der Beförderung und deren Behebung nur ein Vermögensschaden der Klägerin ein, für den nach § 823 Abs. 1 BGB kein Ersatzanspruch besteht.
Ein Anspruch der Klägerin auf Ersatz des Vermögensschadens, den sie durch die Aufwendungen für den Umschlag ihrer Ladung auf andere Schiffe erlitten hat, kommt allerdings nach § 823 Abs. 2 BGB in Betracht, wenn auf seiten der Beklagten Schutzgesetze verletzt wurden, die - zumindest auch - bestimmt sind, vor Schäden der fraglichen Art zu schützen.
Aus dem Wortlaut des § 6.09 RhSchPolVO ist nicht zu entnehmen, daß damit mehr bezweckt wäre, als die im Revier befindlichen Schiffe selbst vor den aus einem Überholmanöver folgenden Gefahren zu schützen. Genauer wird jedoch in § 1.04 RhSch-PoIVO der Schutzzweck der hier aufgestellten Forderung an die Schiffsführer nach Beachtung der allgemeinen Sorgfaltspflicht und beruflichen Übung bezeichnet. Soweit der Zweck dieses Schutzgesetzes dahin erklärt ist, Beschädigungen anderer Fahrzeuge oder Schwimmkörper, Beschädigungen der Ufer, der Strombauwerke sowie von Anlagen jeder Art in der Wasserstraße oder an ihren Ufern und die Gefährdung von Menschenleben zu vermeiden, steht die Beschränkung des Schutzzweckes auf die Gesundheit und das Eigentum außer Zweifel. Es gilt insoweit ersichtlich nichts anderes, als was das Reichsgericht und der Bundesgerichtshof für den Umfang des Schutzzwecks der Vorschriften über die Eisenbahnbetriebsgefährdung (§§ 315, 316 StGB a. F.; § 315 StGB n. F.) festgestellt haben (vgl. RG DR 1940, 1779; BGHZ 19, 114, 126; BayObLG NJW 1967, 335). Es fragt sich lediglich, ob die in § 1.04 RhSchPolVO daneben ausgesprochene Forderung, daß durch die Beachtung der allgemeinen Sorgfaltspflicht Behinderungen der Schiffahrt zu vermeiden sind, den Zweck verfolgt, auch die Vermögensinteressen der Benutzer der Schiffahrt zu schützen. Ein so weitgehender Schutzzweck läßt sich indessen nach Auffassung des Senats nicht annehmen. Der Senat sieht keinen Grund, dieser Bestimmung einen größeren Schutzumfang zuzumessen als den Vorschriften des Strafgesetzbuches über Transportgefährdung. Diese Vorschriften haben in ihrer Bedeutung als Schutzgesetze gleichen Sinn- und Zweckgehalt. In § 315 StGB ist das Herbeiführen von Behinderungen (Bereiten von Hindernissen) als eine die Gesundheit und das Eigentum gefährdende Handlung allein zum Schutze dieser Rechtsgüter untersagt. Mit dem entsprechenden Verlangen an den Schiffsführer in § 1.04 RhSchPoIVO, Behinderungen der Schiffahrt zu vermeiden, soll nicht ersichtlich mehr geschützt werden. Dem Wortlaut der Bestimmung kann vor allem nicht entnommen werden, daß über den Schutz der Funktion der Schiffahrt in engerem Sinne, also deren Betrieb durch die schiffahrenden Transportunternehmer und die Sicherung der Wasserstraßen, hinaus auch ein Schutz der Vermögensinteressen eines jeden Benutzers der Schiffahrt bezweckt sein soll.