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Leitsatz:
Der Führer eines Sportmotorboots auf dem Bodensee wird bei einem Blutalkoholgehaltvon 1,3 Promille als absolut fahruntüchtig angesehen.
Urteil des Oberlandesgerichts (Schifffahrtsobergerichts-Strafsenat) Karlsruhe
vom 18.1.2001
- Ns 1/00 -
(Schiffahrtsgericht Konstanz)
Aus den Gründen:
I. Das Schifffahrtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 88,00 DM verurteilt.
"Die Zuständigkeit des Amtsgerichts als Schifffahrtsgericht (§§ 1,4 BSch- VerfG) ergab sich daraus, dass der Schwerpunkt der dem Angeklagten zur Last gelegten Straftat in der Verletzung schifffahrtspolizeilicher Vorschriften liegt (§ 2 Abs. 3 a BSchVerfG). Artikel 6.01 Abs. 2 der Verordnung über die Schifffahrt auf dem Bodensee (BodenseeSchO) bestimmt, dass ein Fahrzeug nicht führen darf, wer infolge körperlicher oder geistiger Mängel oder des Genusses alkoholischer Getränke oder aus anderen Gründen in der sicheren Führung eines Fahrzeugs behindert ist. Eine nach § 316 StGB strafbare Trunkenheit im (Schiffs-) Verkehr auf dem Bodensee stellt daher zugleich eine Verletzung schifffahrtspolizeilicher Vorschriften dar."
Die Berufung des Angeklagten wurde mit der Maßgabe kostenpflichtig als unbegründet verworfen, dass die Höhe des einzelnen Tagessatzes 40,00 DM beträgt.
II. Der nicht vorbestrafte Angeklagte lebt von Ersparnissen und der Unterstützung seiner Ehefrau, die 3.500,00 DM Rente im Monat bezieht. Die Eheleute müssen monatlich 900,00 DM Kaltmiete bezahlen. Im Sommer 1998 kaufte der Angeklagte mit seiner Ehefrau ein Sportmotorboot Typ Chris Craft, das auf dem Bodensee registriert wurde. Er erwarb im Jahre 1999 das Bodenseeschifferpatent und den Sportbootführerschein Binnen.
III. "Am Vormittag des 4. Juli 1999 befand sich der Angeklagte auf seinem vorbezeichneten Sportmotorboot, das er am Anlegesteg des Zeugen S in Ludwigshafen/ Bodensee festgemacht hatte. In der Zeit von etwa 11.00 Uhr bis 18.00 Uhr, spätestens aber bis 20.00 Uhr, nahm er auf dem Boot Weißwein (mit 11 Vol. %) - pur oder zu Schorle verdünnt - in einer nicht mehr feststellbaren Menge zu sich.
Obwohl er infolge dieses Alkoholgenusses mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,34 Promille nicht mehr fahrtauglich war und dies bei kritischer Selbstprüfung hätte erkennen können, fuhr er zwischen 19.00 Uhr und 20.00 Uhr mit seinem Motorboot von Ludwigshafen auf die andere Seite des Überlinger Sees nach Wallhausen, wo er an einer Bootstankstelle vom Zeugen B Treibstoff übernahm und sich nach einer Örtlichkeit erkundigte, wo der Fäkalientank des Bootes entleert werden könnte. Nachdem ihm eine entsprechende Stelle genannt worden war, überquerte er sodann abermals den See, um in Überlingen das Seeufer abzusuchen. Mit an Bord waren seine Ehefrau sowie seine Bekannte M, denen er beim zweimaligen, jeweils etwa 15 - 20 Minuten dauernden Überqueren des Sees auf gerader Strecke zeitweise das Steuer - allerdings nicht ohne sie zu überwachen und anzuweisen - überlassen hatte. Da die Suche nach einer Entleerungsstelle am Überlinger Seeufer nicht den gewünschten Erfolg brachte, legte der Angeklagte schließlich etwa 150 Meter östlich der Hafeneinfahrt zum Osthafen an und ließ M, die sich näher erkundigen sollte, an Land. Nachdem diese kurz darauf wieder an Bord gekommen war, gelang es dem Angeklagten wegen eines Motorschadens nicht mehr, das Boot zu starten, so dass dieses schließlich in einen Schilfstreifen im Uferbereich abtrieb und nicht mehr manövrierfähig.
Daraufhin alarmierte der Angeklagte gegen 21.20 Uhr per Mobiltelefon die Wasserschutzpolizei, die gegen 21.40 Uhr vor Ort eintraf und das Motorboot aus dem Schilf zog. Da dem Zeugen P OK Z starker Atemalkoholgeruch beim Angeklagten auffiel, führte er mit diesem gegen 22.05 Uhr einen Atemalkoholtest durch. Nachdem das Gerät einen Atemalkoholwert von 1,58 Promille angezeigt hatte, wurde dem Angeklagten um 23.59 Uhr im Krankenhaus Überlingen eine Blutprobe entnommen. Deren Untersuchung ergab einen mittleren Blutalkoholgehalt von 1,15 Promille.
IV. Ausgehend von der festgestellten Blutalkoholkonzentration beim Angeklagten von 1,15 Promille zum Zeitpunkt der Blutentnahme um 23.59 Uhr - der das verlesene Blutalkoholgutachten des Instituts für Gerichtliche Medizin der Universität Tübingen vom 12. Juli 1999 zugrundeliegt - ergibt sich nach den überzeugenden Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen Dr. N vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Freiburg unter Zugrundelegung des günstigsten stündlichen Abbauwerts von 0,1 Promille und unter Verzicht auf eine Rückrechnung für die ersten zwei Stunden nach Trinkende - das zugunsten des Angeklagten auf 20.00 Uhr festgelegt wurde - für die Tatzeit (Beginn der Fahrt um 20.00 Uhr) eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,34 Promille.
Obwohl alkoholbedingte Ausfallerscheinungen des Angeklagten nicht festgestellt werden konnten, war dieser zur Überzeugung des Senats allein aufgrund der festgestellten Blutalkoholkonzentration nicht mehr in der Lage, das Motorboot sicher zu führen.
Während alle Kraftfahrer im Straßenverkehr, zu denen auch Fahrer von Mofas zählen, nach der hochstrichterlichen Rechtsprechung (B GHSt 37, 89) mittlerweile ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille als absolut fahruntüchtig anzusehen sind, ist für den Bereich des Schiffsverkehrs in der obergerichtlichen Rechtsprechung ein allgemeiner Grenzwert für absolute Fahruntüchtigkeit bisher nicht anerkannt.
Vielmehr wurde absolute Fahruntüchtigkeit jedenfalls dann angenommen, wenn ein Schiffsführer zur Tatzeit mindestens 1,7 Promille (OLG Köln NJW 1990, 847), 1,92 Promille (OLG Schles- wig SchHA 1987, 107) oder 2,5 Promille (KG VRS 72, 111) Alkohol im Blut hatte.
Allerdings hat das OLG Schleswig (a.a.0 S. 108) unter Hinweis darauf, dass die Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit des Schiffsführers jedenfalls derjenigen eines Mofafahrers entsprechen muss, eine Grenze für die Alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit eines Schiffsführers im Bereich des damals für Kraftfahrer noch geltenden Wertes von 1,3 Promille für naheliegend erachtet.
Schon in der wissenschaftlichen rechtsmedizinischen Untersuchung von Naeve und Klages (Blutalkohol 1974, 357, 379 f.) wurde kein Grund gesehen, einen alkoholisierten Schiffsführer aus medizinischer Sicht anders zu beurteilen als einen in gleicher Weise geschädigten Kraftfahrer. Zwar herrschen im - an vielen Orten ebenfalls dichten- Schiffsverkehr in der Regel deutlich geringere Geschwindigkeiten vor als im Straßenverkehr. Andererseits sind Schiffe schwerfällig zu navigieren und haben einen im Vergleich zur Geschwindigkeit großen "Bremsweg". Zudem werden an den Führer eines Wasserfahrzeugs durch sehr detaillierte und oft komplizierte Verhaltensmaßregeln der jeweils geltenden Schiffsverkehrsordnung hohe Anforderungen gestellt, ohne dass die Hilfsmittel der Orientierung in ihrer Eindeutigkeit und raschen Erfassbarkeit mit denen des Straßenverkehrs (Leitlinien, Ampeln, Geschwindigkeitsbegrenzungen) konkurrieren könnten. Darüber hinaus gibt es häufig schwer voraussehbare Veränderungen der Umstände, insbesondere durch wechselhafte Witterung und Strömungsverhältnisse. Erschwerend ist schließlich auch die sehr unterschiedliche Größe und Geschwindigkeit der dem Schiffsführer auf seiner Fahrt begegnenden Fahrzeuge.
Janssen und Naeve (Blutalkohol 1975, 354, 358 f.) haben dementsprechend die Einführung eines Grenzwerts in der See- und Binnenschiffahrt von (höchstens) 1,3 Promille - entsprechend dem damals für den Kraftfahrer geltenden Grenzwert für die absolute Fahruntüchtigkeit - dringend empfohlen (kritisch hierzu Helmer und Peters, Blutalkohol 1976, 39, 42 f., die für den Betrieb von Wassersportfahrzeugen auf die im Vergleich zu größeren Schiffseinheiten im allgemeinen größere Manövrierfähigkeit und einfachere Handhabung hinweisen). Schließlich hat Geppert (Blutalkohol 1987, 262, 266 ff.) ungeachtet des Fehlens eingehender und umfassender wissenschaftlicher Untersuchungen, wie sie der Feststellung der Fahrtauglichkeitsgrenze im Straßenverkehr vorausgegangen sind, insbesondere auch im Hinblick auf die zunehmende Verkehrsdichte einen absoluten Grenzwert auch für motorisierte Sportboote in Höhe von 1,3 Promille für notwendig erachtet.
Jedenfalls für den Führer eines Motorsportboots auf dem Bodensee geht der Senat in Übereinstimmung mit den nachvollziehbaren Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen Dr. N davon aus, daß ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,3 Promille absolute Fahruntüchtigkeit vorliegt. Eine solche ist dann gegeben, wenn die psycho-physische Gesamtleistungsfähigkeit des Fahrzeugführers infolge seiner Alkoholisierung so stark herabgemindert ist, dass er den jeweiligen Anforderungen des Verkehrs nicht mehr durch rasches, angemessenes und zielbewußtes Handeln zu genügen vermag und insbesondere beim plötzlichen Äuftreten schwieriger Verkehrslagen nicht mehr schnell und sicher genug reagieren kann (vgl. nur BGH St 21, 157, 160 für den Kraftfahrer).
Nach gesicherten Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft kommt es bereits bei Blutalkoholkonzentrationen von 0,5 bis 1,0 Promille zu deutlichen Minderungen der Aufmerksamkeit, des Konzentrationsvermögens und der Reaktionsfähigkeit, zu einer signifikanten Verschlechterung der Sehschärfe und des räumlichen Sehens und außerdem zu einer erheblich gesteigerten Risikobereitschaft, was die tatsächlichen Leistungsminderungen noch weiter verschlechtert (vgl. Geppert a.a.O. S. 268).
Wie der Sachverständige Dr. N unter Zuhilfenahme der Bodensee-Bootsstatistik und der Bodensee- Schiffsstatistik nachvollziehbar ausgeführt hat, gab es auf dem Bodensee per 31. Dezember 1998 (einschließlich der kennzeichnungspflichtigen Segelboote, Ruderund Tretboote, jeweils ohne Motor) insgesamt 55.907 Wasserfahrzeuge, davon 34.749 mit Verbrennungskraftmaschinen und 13.252 Segelboote ohne Motor. Im Zeitraum von 1980 bis 1996 hat die Gesamtanzahl der Motorboote auf dem Bodensee um rund 18 % und die der Segelboote ohne Motor um rund 43 % zugenommen. Insbesondere angesichts dieser Verkehrsdichte und den damit verbundenen, auch allgemein gestiegenen Anforderungen an die Konzentrations-, Reaktions- und Navigationsfähigkeit eines Wasserfahrzeugführers wird jedenfalls bei einem Sportmotorbootführer auf dem Bodensee die psycho-physische Leistungsfähigkeit unter Alkoholeinfluß in gleicher Weise beeinträchtigt wie bei einem Kraftfahrer im Straßenverkehr.
Da ein Motorboot auf Impulse zur Bewegungsänderung verzögert reagiert, muß rasch und frühzeitig agiert werden. Nicht anders als im Straßenverkehr sind auch beim Führen eines Motorbootes zahlreiche und komplizierte Handlungen, z. B. bei An- und Ablegemanövern in Häfen und an Landestellen erforderlich. Ferner muß ein Bootsführer in der Lage sein, rückwärts aus engen Liegeplätzen abzulegen, das Boot in engen Hafenteilen zu drehen, Festmacherleinen zu lösen und das Boot sicher festzumachen.
Erhöhte Anforderungen ergeben sich zudem bei besonderen Wetter- und Sichtverhältnissen (Wind, Regen, Sturm, Nacht und Nebel) und/oder wenn reger Schiffsverkehr die Lage erschwert. Auf dem Bodensee, wo nicht nur reger Fahrgast-, Autofähr- und Sportbootverkehr (mit unterschiedlichsten Geschwindigkeiten und Schiffsgrößen) herrscht, sondern auch spezielle Verkehrsvorschriften gelten und zur Führung eines Fahrzeugs mit Maschinenantrieb, dessen Leistung 6 PS übersteigt, ein Schifferpatent erforderlich ist (siehe die Bestimmungen der Verordnung über die Schiffahrt auf dem Bodensee - BodenseeSchO), gilt dies in besonderem Maße. Im Hinblick hierauf hat der Senat keine Bedenken, den früher für Kraftfahrer geltenden Grenzwert von 1,3 Promille auf Führer von Sportmotorbooten auf dem Bodensee zu übertragen.
Aufgrund seines im Tagesverlauf erfolgten Alkoholgenusses hätte der Angeklagte bei Einhaltung der erforderli- chen Sorgfalt vor Fahrtantritt erkennen können, möglicherweise nicht mehr fahrtüchtig zu sein.
V. Der Angeklagte hat sich somit wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 und Abs. 2 StGB), von dem wegen der Verweisung auf § 315 StGB auch der gesamte Verkehr von Schiffen jeder Art, d. h. von Wasserfahrzeugen ohne Rücksicht auf ihre Größe, erfasst wird (vgl. nur Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 316 Rdnr. 3, § 315 Rdnr. 6 m.w.N.), strafbar gemacht.
VI. Bei der Strafzumessung hat der Senat zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass die Blutalkoholkonzentration nur zu Beginn der Fahrt knapp über dem Grenzwert von 1,3 Promille lag, er bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist und die Tat bereits 18 Monate zurückliegt. Die Verhängung einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen war deshalb tat- und schuldangemessen. Im Hinblick auf die erst in der Berufungshauptverhandlung zu Tage getretenen monatlichen Mietzinsbelastungen konn te die Höhe des einzelnen Tagessatzes unter Berücksichtigung der festgestellten Lebensverhältnisse des Angeklagten (§ 40 Abs. 3 StGB) auf 40,00 DM reduziert werden..."
Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2001 - Nr.6 (Sammlung Seite 1825 ff.); ZfB 2001, 1825 ff.