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Leitsatz:
Zur Frage, ob eine tarifbegünstigte Betriebsaufgabe vorliegt, wenn ein Küstenschiffer sein einziges Schiff zum Abwracken veräußert und kurz darauf zusammen mit seinem Sohn in der Rechtsform einer Personengesellschaft ein größeres Schiff zum Betrieb der Hochseeschifffahrt („Kleine Fahrt") erwirbt.
Urteil
des Bundesfinanzhofes
vom 24. Juni 1976
Zum Sachverhalt:
Der Kläger war Eigentümer eines einzigen Küstenmotorschiffes von 82 BRT, das er als Inhaber des Befähigungszeugnisses A 1 für die Küstenfahrt selbst geführt hatte, aber Ende Juli 1965 verkaufte und dafür neben einem Entgelt von 6825,- DM eine Abwrackprämie von 32 000,- DM erhielt. Kurz vorher hatten der Kläger und sein Sohn einen Kaufvertrag über den Erwerb eines 424 BRT großen Seeschiffes und am 1. 9. 1965 einen Gesellschaftsvertrag über die Errichtung eines gemeinschaftlichen Frachtschifffahrtsunternehmens unter der Firma „K. und Sohn, Frachtschifffahrtsbetrieb" unterzeichnet. Das Schiff, zu dessen Bezahlung sie einen Kredit von 516000,- DM aufnahmen, wurde zur kleinen Fahrt am 23. 9. 1965 in Dienst gestellt.
Der Kläger nahm hinsichtlich des Gewinnes aus der Veräußerung des Kümos den Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG und die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG in Anspruch.
Das beklagte Finanzamt lehnte die Tarifbegünstigung ab, weil das bisherige Einzelunternehmen weder veräußert noch aufgegeben, sondern nur in anderer Rechtsform fortgeführt worden sei. Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos.
Das Finanzgericht entschied jedoch im Sinne des Klägers, dass die §§ 16 und 34 EStG anwendbar seien. Die Revision des Finanzamts wurde als unbegründet zurückgewiesen.
Aus den Gründen:
„Der Gewinn aus der Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebes wird zur Einkommensteuer nur herangezogen, soweit er 20 000,-DM übersteigt, sofern er insgesamt nicht höher als 80 000,- DM ist (§ 16 Abs. 4 EStG 1965). Er unterliegt einem ermäßigten Steuersatz (§ 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG). Als Veräußerung gilt auch die Aufgabe des ganzen Gewerbebetriebes (§ 16 Abs. 3 Satz 1 EStG).
Veräußert wird ein Gewerbebetrieb im ganzen, wenn sämtliche wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem einheitlichen Vorgang gegen Entgelt auf einen Erwerber übertragen werden. Aufgegeben wird ein Gewerbebetrieb im ganzen, wenn alle wesentlichen Betriebsgrundlagen innerhalb kurzer Zeit und damit in einem einheitlichen Vorgang entweder in das Privatvermögen überführt oder einzeln an verschiedene Erwerber veräußert oder teilweise veräußert und teilweise in das Privatvermögen überführt werden und damit der Betrieb als selbständiger Organismus des Wirtschaftslebens zu bestehen aufhört (vgl. z. B. BFH-Beschluss vom 7. Oktober 1974 GrS 1/73, BFHE 114, 189 [196], BStBI. II 1975, 168). Bleibt der bisherige Betriebsinhaber weiterhin gewerblich tätig, so liegt keine Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe vor, wenn sich der alte und der neue Betrieb bei wirtschaftlicher Betrachtung und unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung nach den Verhältnissen des Einzelfalls als wirtschaftlich identisch darstellen (z. B. weil die Betriebsmittel oder das Wirkungsfeld oder die Kundschaft unverändert geblieben sind) und demgemäß eine Fortführung des bisherigen Unternehmens, eventuell unter Änderung der innerbetrieblichen Struktur oder der Rechtsform anzunehmen ist (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 13. Januar 1966 IV 76/ 63, vom 19. April 1966 1 221/63, BFHE 85, 445, BStBI. 111 1966, 459; siehe auch BFH-Urteil vom 24. Januar 1973 1 R 156/ 71, BFHE 108, 111, BStBI. 11 1973, 219).
Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorentscheidung im Streitfall eine Betriebsveräußerung (Betriebsaufgabe) bejaht hat. Zu Recht hat das FG angenommen, dass der Charakter des von der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts betriebenen Unternehmens in einem für die Annahme einer Betriebsveräußerung (Betriebsaufgabe) ausreichenden Umfange wesensverschieden ist von dem Charakter des bisher vom Kläger betriebenen Unternehmens, auch wenn beide Unternehmen dem umfassenden Geschäftszweig der Frachtschifffahrt zugehören.
Wie die Vorentscheidung zu Recht betont, weist der Streitfall Besonderheiten im Sachverhalt auf, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, eine wirtschaftliche Identität des Betriebes der Gesellschaft und des bisherigen Betriebs des Klägers und damit eine Fortführung des Einzelunternehmens des Klägers in anderer Rechtsform zu verneinen.
a) Das bisherige Einzelunternehmen des Klägers war durch eine Identität zwischen Reeder (vgl. § 484 HGB) und Schiffsführer (vgl. § 511 HGB) gekennzeichnet und nach der Größenordnung des einzigen Betriebsmittels auch auf eine solche Identität hin ausgerichtet. Der Wirkungsbereich dieses Unternehmens war sowohl durch die Art des Schiffes als auch durch den Umstand charakterisiert, dass der Kläger nur das Zeugnis über die Befähigung zum Seeschiffer auf Küstenfahrt - Befähigungszeugnis A 1 - besaß (vgl. die §§ 3, 6, 7 und 8 der Schiffsbesetzungsordnung vom 29. Juni 1931, RGBI. 11 1931, 517).
Beim Unternehmen der Personengesellschaft liegen die Verhältnisse anders. Das Unternehmen war nur noch auf eine teilweise Identität zwischen Reeder (Mitreeder) und Schiffsführer ausgerichtet. Da der Kläger nur das Befähigungszeugnis A 1 besaß, war er für seine Person nicht in der Lage, das Unternehmen der Personengesellschaft - so wie bisher sein Einzelunternehmen - als Reeder und Schiffsführer zugleich zu betreiben. Die Anstellung eines Schiffsführers war, soweit nicht der Sohn des Klägers als Mitreeder diese Aufgabe wahrnehmen konnte, unerlässlich, aber auch wirtschaftlich tragbar. Zwar bemerkt das FA in seiner Revision zu Recht, dass die Frage der Betriebsinhaberschaft losgelöst von persönlichen Eigenschaften und Befähigungsnachweisen zu beurteilen sei. Im Streitfalle geht es aber nicht um die Betriebsinhaberschaft, sondern um das Ausmaß der Wesensgleichheit des Einzelunternehmens des Klägers und des Unternehmens der Gesellschaft. Aus der Sicht des Reeders ist jedoch ein Schifffahrtsunternehmen, in dem man nicht selbst als Schiffsführer tätig sein kann und muß, nicht ohne weiteres dasselbe wie das bisher unter gebotener Wahrung der Identität zwischen Reeder und Schiffsführer betriebene Unternehmen.
b) Das veräußerte Schiff war nicht nur das Hauptbetriebsmittel, sondern schlechthin die Betriebsgrundlage des Unternehmens des Klägers. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, die mit dem Sachvortrag der Prozessbeteiligten übereinstimmen, sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass das Unternehmen des Klägers einen über den Wert des Betriebsvermögens hinausgehenden Wert gehabt hätte, insbesondere also ein Geschäftswert vorhanden war, z. B. weil der Kläger über besondere geschäftliche Verbindungen verfügt hatte, die das bisherige Unternehmen als wirtschaftlich besonders rentabel erwiesen hätten, die nicht jederzeit ersetzbar gewesen wären und die deshalb als Grundlage des Betriebs der Personengesellschaft hätten dienen können und für diesen einen materiellen Wert gehabt hätten.
c) Eine zusammenfassende Betrachtung zeigt, dass eine Verbindung zwischen dem Einzelunternehmen des Klägers und dem Unternehmen der Personengesellschaft lediglich insofern besteht, als der Kläger Mitinhaber des Unternehmens der Personengesellschaft ist und den Erlös aus der Veräußerung des dem Einzelunternehmen dienenden Schiffs als Einlage bei der Gesellschaft einsetzte und sowohl das Unternehmen des Klägers als auch das Unternehmen der Gesellschaft eine Betätigung auf dem Gebiete der Frachtschifffahrt im weitesten Sinne zum Gegenstand hatten bzw. haben.