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Leitsätze:
1) Ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung besteht auch im Zusammenhang mit der Benutzung einer öffentlichen Anstalt nur, wenn die zugrunde liegende Norm - evtl. in Verbindung mit anderen Vorschriften - wenigstens auch dem Interesse des Begünstigten zu dienen bestimmt ist.
2) Gewerbetreibende, die in einer Schleuse Waren an die Schiffsbesatzungen verkaufen wollen, sind nicht „Destinatäre" des Anstaltszwecks der Schleuse und haben deshalb keinen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Schleusenverwaltung über ihre Zulassung zur gewerblichen Benutzung der Schleuse.
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
vom 7. Januar 1972
Zum Tatbestand:
Der Kläger hat als im Handelsregister eingetragener Schiffsausrüster auf dem Schleusengelände technische Gegenstände wie z. B. Radio- und Fernsehgeräte, Schreibmaschinen usw., an Besatzungsmitglieder der den Kanal befahrenden Schiffe verkauft. Auf dem Schleusengelände sind bereits 8 Schiffsausrüstungsfirmen, 7 Maklerfirmen und 4 Dienstleistungsbetriebe tätig, mit denen die beklagte Schleusenverwaltung Zulassungsverträge abgeschlossen hat, in denen die gewerbliche Tätigkeit auf dem Schleusengelände gegen ein jährliches Entgelt widerruflich gestattet wird.
Die Beklagte hat dem Kläger keine Genehmigung erteilt und ihn aufgefordert, jede gewerbliche Tätigkeit auf dem Schleusengelände zu unterlassen, da die Grenze der gewerblichen Tätigkeit in dem Schleusengebiet erreicht sei.
Der Kläger macht in seiner Klage u. a. fehlerhafte Ausübung des Ermessens geltend.
Die Beklagte, die den Verwaltungsrechtsweg nicht für gegeben ansieht, bestreitet einen Ermessensfehler.
Die Klage wurde in beiden Vorinstanzen abgewiesen. Auch die Revision blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Oberverwaltungsgericht hat richtig entschieden, dass es unschädlich ist, dass der Kläger ohne besonderes Vorverfahren gegen den nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen Bescheid der Beklagten vom 3. Mai 1965 sogleich Klage erhoben hat. Denn die Beklagte hatte wiederholt die gleichen Anträge des Klägers, ihn zu gewerblichen Zwecken auf den Schleusen des Nord-Ostsee-Kanals zuzulassen, abgelehnt und in dem angefochtenen Bescheid nochmals zu erkennen gegeben, dass sich an ihrer Einstellung nichts geändert habe. Wird - wie hier - eine Behörde wiederholt mit dem gleichen Streitgegenstand befasst, und, hat sie immer wieder zu erkennen gegeben, dass sie ihre bekannte Einstellung beibehält, ist die verwaltungsgerichtliche Klage auch ohne vorangegangenes Widerspruchsverfahren zulässig (Urteil vom 3. Dezember 1954 - BVerwG II C 100.53 - [BVerwGE 1, 247, 248 f.]).
Die in dem angefochtenen Urteil vorgenommene rechtliche Einordnung der Schleusenanlagen mit dem Ergebnis, sie seien öffentliche Sachen im Gemeingebrauch und „die Tätigkeit von Handelsvertretern mit einem begrenzten Angebotsfächer im Kanalbereich" stelle eine den Gemeingebrauch überschreitende Sondernutzung dar, ist allerdings unzutreffend. Wie der VII. Senat des Bundesverwaltungsgerichts inzwischen entschieden hat (Urteil vom 4. Juli 1969 - BVerwG VII C 26.65 - [BVerwGE 32, 299 ff.]), sind Schleusen an Bundeswasserstraßen so genannte „unselbständige Anstalten". Den überzeugenden Darlegungen des VII. Senats zu dieser Frage, auf die verwiesen werden kann, schließt sich der erkennende Senat an.
Obwohl das Bundeswasserstraßengesetz zu dem Zeitpunkt, als die Beklagte den angefochtenen Bescheid erließ, noch nicht galt, ist es hier anzuwenden, weil der Kläger die Verpflichtung der Beklagten begehrt, ihn zur gewerblichen Betätigung an den Schleusenanlagen des Nord-Ostsee-Kanals zuzulassen. Ob ihm der von ihm geltend gemachte Anspruch zusteht, ist deshalb nach dem allgemein für öffentliche Anstalten und speziell für Schleusen an Bundeswasserstraßen geltenden Recht zu beantworten, das zur Zeit der gerichtlichen Entscheidung gilt.
Dem Kläger steht der von ihm geltend gemachte Anspruch nicht zu. Denn ein Anspruch eines Einzelnen auf Zulassung zur Benutzung einer öffentlichen Anstalt besteht grundsätzlich nicht generell, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen, nämlich - abgesehen von den hier nicht in Betracht kommenden Fällen des Benutzungs- und Zulassungszwanges - nur insoweit, als er durch eine spezielle Rechtsnorm begründet ist (Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band Allgem. Teil, 9. Aufl., § 21 II 1, S. 385 f.; Wolff, Verwaltungsrecht II, 2. Aufl., § 99 111 b 1). Bezüglich der hier in Rede stehenden Schleusen ist dieser Anspruch im Bundeswasserstraßengesetz geregelt. Denn nach § 5 WaStrG darf jedermann im Rahmen der Vorschriften des Schifffahrtsrechts sowie der Vorschriften dieses Gesetzes die Bundeswasserstraßen, zu denen gemäß § 1 Abs. 4 Nr. 1 WaStrG die Schleusen gehören, mit Wasserfahrzeugen befahren. Weitergehende unmittelbare Ansprüche, die z. B. - wie hier -- auf eine gewerbliche Benutzung der Schleusenanlage gerichtet sind, müssten in anderweitigem materiellem objektivem Recht ihre Grundlage finden. Eine Rechtsnorm, die dem Kläger einen Anspruch auf Benutzung der Schleusenanlagen zu gewerblichen Zwecken unmittelbar gewährt, ist jedoch nicht vorhanden, insbesondere nicht im Bundeswasserstraßengesetz.
Soweit kein unmittelbarer Anspruch auf Zulassung zur Benutzung der Anstalt besteht, wird die Möglichkeit ihrer Benutzung in der Regel als „Destination" gewährt, d. h. wer die Anstalt ihrem Anstaltszweck entsprechend benutzen will, hat einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Anstaltsbehörde über seine Zulassung zur Benutzung (Wolff a. a. 0.). Maßgebend für die Art der zulässigen Benutzung und in diesem Zusammenhang für den Kreis der „Destinatäre" ist also der Anstaltszweck. Aber auch unter diesem Gesichtspunkt ist der Klageantrag unbegründet.
Anstaltszweck der Schleusen ist, Schiffe zwischen Gewässerabschnitten verschiedener Wasserspiegelhöhe zu überführen (BVerwG a. a. O.). Anstaltsbenutzer in diesem Sinne sind die Eigentümer, Besitzer und Besatzungen der Schiffe, nicht die Schiffsausrüster und sonstigen Gewerbetreibenden, wie der Kläger. Nun hat allerdings das Berufungsgericht in tatsächlicher Hinsicht - gemäß § 137 Abs. 2 VwGO für das Revisionsgericht verbindlich festgestellt, neben der Erfüllung dieser Hauptaufgabe sei „für die den Kanal befahrenden Schiffe auch ein gewisser, dem internationalen Schiffsverkehr entsprechender Service’ geboten worden", der außer der Übernahme von Lotsen und dem Wechsel von Personal auch die Übernahme von Proviant, Schiffsbedarf und den Verkauf von Waren an die -Schiffsbesatzungen durch die im Schleusengelände ansässigen Ausrüstungsfirmen Während des Schleusenvorgangs umfasse. Ein solcher „Service" für die Schiffsbesatzungen mag, soweit er sich in solchen Grenzen hält, dass die reibungslose Erfüllung der Hauptaufgabe der Schleusen nicht behindert wird, mit dem eigentlichen Anstaltszweck verträglich sein und sogar hier einen weiteren - zweitrangigen - Anstaltszweck darstellen. Eine Bestätigung hierfür mag in § 50 a der Betriebsordnung für den Nord-Ostsee-Kanal vom 14. Januar 1939, jetzt in der Fassung der Verordnung vom 17. Mai 1966 (BGBI. II S. 297), erblickt werden, dessen 2. Absatz lautet: „Die Übernahme von Proviant und Ausrüstungsgegenständen für den unmittelbaren Schiffsbedarf ist in den Schleusen nur insoweit gestattet, als sie in der für die Durchschleusung erforderlichen Zeit durchgeführt werden kann und der Schleusenbetrieb dadurch nicht beeinträchtigt wird." Eine Rechtsnorm, die jemandem einen Anspruch auf diese Versorgung mit Waren einräumt, besteht jedoch nicht.
Die Bundeswasserstraßenverwaltung darf zwar Gewerbetreibende zulassen, soweit das Versorgungsbedürfnis der Schiffsbesatzungen dies erfordert und die Hauptaufgabe des Schleusenbetriebes nicht beeinträchtigt wird. Insoweit steht ihr ein Ermessensspielraum zu, von dem sie nur sachgemäß Gebrauch machen darf. Daraus ergibt sich aber kein Anspruch einzelner Gewerbetreibender, die an den Schleusenanlagen ihr Gewerbe ausüben wollen, auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Verwaltung über ihre Zulassung zur Benutzung der Schleuse.
Es ist ein Grundsatz des allgemeinen Verwaltungsrechts, dass rechtliche Regelungen, die der Verwaltung ein Ermessen einräumen, dem einzelnen Interessenten einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Verwaltungsentscheidung nur gewähren, wenn und soweit diese Regelungen erlassen sind, um - zumindest auch - seinem individuellen Interesse zu dienen. Aus Regelungen dagegen, die nicht dem individuellen Interesse bestimmter Personen zu dienen bestimmt sind, können diese weder einen Anspruch auf ein bestimmtes Verwaltungshandeln, noch auch nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Verwaltungsentscheidung herleiten (vgl. Bachof, Die verwaltungsgerichtliche Klage auf Vornahme einer Amtshandlung, 1951, S. 71; Naumann DVBI. 1952, 406; Haueisen DVBI. 1952, 521 (524); ’Urteile vom 28. Oktober 1955 - BVerwG II C 260.54 - in BVerwGE 2, 288 (290) und vom 26. Oktober 1967 - BVerwG II C 22.65 - in BVerwGE 28, 155 (161).
Dieser Grundsatz gilt auch für das Recht der öffentlichen Anstalten. Einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Anstaltsverwaltung über die Zulassung zur Benutzung der Anstalt haben nur solche Personen, denen der Anstaltszweck zu dienen bestimmt ist, und zwar nur bezüglich der Art der Anstaltsbenutzung, die dem Anstaltszweck entspricht. Diese Abgrenzung der Benutzungs-„Destinatäre" von sonstigen Benutzungsinteressenten ist durchaus sinnvoll.
Der Kläger gehört mit seinem Begehren, innerhalb des Schleusenbetriebes den Schiffsbesatzungen seine Waren anzubieten und zu verkaufen, nicht zu den durch den Anstaltszweck der Schleusen bestimmten „Destinatären". Er hat deshalb einen Anspruch weder unmittelbar auf Zulassung für seine Zwecke noch auf eine ermessensfehlerfreie Verwaltungsentscheidung über seine Zulassung. Wenn die Schleusenverwaltung andere Gewerbetreibende zugelassen hat, so hat sie dies im Rahmen ihres Ermessens, aber auch ihnen gegenüber grundsätzlich ohne eine Verpflichtung zu ermessensfehlerfreier Entscheidung getan.
Mangels einer Rechtsgrundlage, die ihm auch nur den Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Beklagten über seine Zulassung einräumt, kann sich der Kläger nicht mit Erfolg auf den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) berufen. Denn obschon der Gleichheitssatz die Ausübung des Verwaltungsermessens eingrenzt, sind die Verwaltungsbehörden dem Einzelnen gegenüber nur insoweit zur Beachtung des Gleichheitssatzes verpflichtet, als sie ihm gegenüber überhaupt zur Ermessensausübung verpflichtet sind.
Das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG auf freie Berufswahl ist durch die ablehnende Behördenentscheidung offensichtlich nicht verletzt. Denn dieses Grundrecht räumt niemandem das Recht ein, an jeder beliebigen Stelle - insbesondere innerhalb einer öffentlichen Anstalt - seinem Beruf nachzugehen. Die von der Anstaltsverwaltung insoweit getroffene Auswahl ist keine unzulässige Bedürfnisprüfung. Denn sie hindert den nicht zur. Anstaltsbenutzung zugelassenen Gewerbetreibenden nicht an der Wahl und Ausübung seines Berufes.