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Leitsatz:
Das Recht des Bundes (Reichs) an der Weser gem. § 1 des Staatsvertrages 1921 - Art. 89 Abs. 1 GG - umfasst das in Art. 172 der Deichordnung für das Herzogtum Oldenburg geregelte Recht auf den Anwachs, soweit nicht die in § 2 Buchst. a des Staatsvertrages bestimmten Ausnahmen vorliegen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 28. Mai 1976
(Landgericht Oldenburg; Oberlandesgericht Oldenburg)
Zum Tatbestand:
Die beklagte Gemeinde, in deren Gebiet der Hafen M. an der Weser lag, trennte im Jahre 1961 im Einvernehmen mit der klagenden Bundesrepublik, die als Eigentümerin der Grundstücke 766/1, 20/32, 23/1 und 24/7 im Grundbuch eingetragen ist, den Hafen durch eine Spundwand von der Weser ab und spülte die abgetrennte Fläche auf 4 m über NN auf. Dadurch wurden die Grundstücke 24/7 und 23/1 zu Land. Das Flurstück 24/7 gehörte vormals zur Weser, die Flurstücke 20/32 und 23/1 zum ehemaligen Hafen M. Über alle Grundstücke führte die Beklagte eine öffentliche Straße zum Anleger einer Weserfähre und verpachtete eine Teilfläche der genannten Flurstücke als Güterumschlagsplatz.
Die Klägerin hat Feststellung begehrt, sie sei Eigentümerin aller bezeichneten Grundflächen und die Beklagte sei nicht nutzungsberechtigt. Sie hat ferner Herausgabe des erzielten Pachtzinses verlangt.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung der Beklagten nur dem Feststellungsantrag bezüglich des Flurstücks 766/1 entsprochen, im Übrigen die, Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin ist der Feststellungsantrag im Wesentlichen als gerechtfertigt erklärt worden. Hinsichtlich des Zahlungsbegehrens ist die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die streitigen Flächen, bevor sie zu Land geworden sind, Eigentum der Klägerin waren.
Wer ursprünglich, in früheren Jahrhunderten, Eigentümer war, sofern ein Eigentumsrecht damals überhaupt in Betracht kam, kann auf sich beruhen. Als Teile der Binnenwasserstraße Weser sind die Flächen jedenfalls unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung von 1919 - WRV - Eigentum des Deutschen Reichs geworden und jetzt nach dem Grundgesetz Eigentum der Klägerin.
Das zum Strombett selbst gehörende Grundstück Gemarkung W., Flur 5, Flurstück 24/7, ist nach Art. 97 Abs. 1, 171 Abs. 1 WRV, § 1 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a StV 1921 am 1. April 1921 auf das Deutsche Reich übergegangen (BVerfGE 15, 1, 7; BGHZ 26, 384, 385 f.; 28, 34, 37, 47, 117, 118 f.; 49, 68, 70 f.; BVerwGE 9, 50, 53 f.).
Ob dies auch für die Grundstücke Gemarkung Warfleth, Flur 5, Flurstücke 20/32 und 23/1 gilt, die zum ehemaligen Hafen M. gehörten, kann dahinstehen. Denn diese Grundstücke sind spätestens mit Wirkung vom 1. April 1943 als Teile der Reichswasserstraße Weser nach § 1 Abs. 3, § 6 Satz 2 der Verordnung über die Reichswasserstraßen vom 15. April 1943 (RGBI II S. 131) Eigentum des Deutschen Reichs geworden.
Als Teile der bisherigen, d. h. im Zeitpunkt des Zusammenbruchs 1945 (BVerwGE 9, 50, 53 f.) im Eigentum des Deutschen Reichs stehenden Reichswasserstraße Weser sind die streitigen Flächen mit Inkrafttreten des Grundgesetzes am 24. Mai 1949 nach Art. 89 Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Bundeswasserstraßen vom 21. Mai 1951 (BGBI. 1 S. 352) - WaStrVermG - Eigentum der Klägerin geworden (BVerfGE 15, 1, 7). Eigentum ist dabei im Sinne des bürgerlichen Rechts zu verstehen (BGHZ 28, 34, 37; 47, 117, 119; 49, 68, 71).
Nach Oldenburger Recht war die Weser dem Privatrechtsverkehr entzogen, privaten Eigentums also nicht fähig. Art. 1 § 3 Buchst. a der Wasserordnung für das Herzogtum Oldenburg vom 20. November 1968 (Gesetzblatt für das Herzogtum Oldenburg S. 837) bezeichnete die Weser als öffentliches Gewässer des Staates. Als solches war sie öffentliches Eigentum des Staates.
Verlandete ein Teil dieses öffentlichen Gewässers, so war der so entstandene Anwachs privatrechtsfähig (OLG Oldenburg, Zeitschrift für Verwaltung und Rechtspflege in Oldenburg 1927 S. 225 ff, 234; 1934 S. 144, 145). Die Eigentumsverhältnisse regelte Art. 172 ODO*). Diese gesetzliche Vorschrift, die das Eigentum an den neu entstandenen Landflächen nicht den Anliegern, sondern dem oldenburgischen Staate zuwies, entsprach einer jahrhundertealten Rechtstradition in Oldenburg.
An dieser landesgesetzlichen Regelung hat sich weder durch die Gründung des Deutschen Reichs von 1871 noch durch das Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 1. Januar 1900 etwas geändert (vgl. Art. 4 Nr. 7 bis 9, Art. 54 der Reichsverfassung von 1871; Art. 65, 66 EGBGB).
Nach Art. 97, 171 WRV hatte das Reich die dem allgemeinen Verkehr dienenden Wasserstraßen bis spätestens 1. April 1921 in sein Eigentum und seine Verwaltung zu übernehmen. Dies geschah rechtlich durch den Staatsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und einigen Ländern, darunter Oldenburg, vom 29. Juli 1921, der - unbeschadet seiner Eigenschaft als Vertrag - mit Wirkung vom 1. April 1921 als Gesetz in Kraft trat.
Die Weser wurde danach Eigentum des Reichs. Dieses Eigentum ist ein volles privatrechtliches Eigentum im Sinne des bürgerlichen Rechts (§§ 903 ff. BGB), ohne Rücksicht darauf, dass die Weser nach Oldenburger Recht öffentliches Eigentum des oldenburgischen Staates war.
Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland hat den aufgrund der Weimarer Reichsverfassung durch den Staatsvertrag 1921 geschaffenen Rechtszustand bestehen lassen. Nach Art. 89 Abs. 1 GG ist der Bund Eigentümer der bisherigen Reichswasserstraßen.
Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 StV 1921 übernimmt das Reich gemäß Art. 97 WRV die im Absatz 1 bezeichneten Gegenstände mit allen Rechten und Pflichten" in sein Eigentum und seine Verwaltung. Zu diesen Gegenständen gehören - soweit hier von Bedeutung - bestimmte Binnenwasserstraßen, darunter die Weser (Abs. 1 Satz 1 Buchst. a), nebst allen Bestandteilen und allem für die Verwaltung erforderlichen Zubehör (Abs. 1 Satz 2). Hiernach ist das Reich im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in die Rechte und Pflichten der Länder an den übergehenden Wasserstraßen eingetreten (vgl. die Begründung zum Entwurf des Staatsvertrages aaO S. 21, 22). Die bisher den Ländern zustehenden Rechte und Pflichten wurden nunmehr solche des Reichs.
Das gilt grundsätzlich auch für das Recht auf den Anwachs nach Art. 172 ODO. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kommt es dabei nicht darauf an, ob das Recht auf den Anwachs "Bestandteil" der Wasserstraße ist oder etwa als „Zubehör" zu gelten hat, das nur insoweit auf das Reich übergegangen ist, als es für die Verwaltung erforderlich ist (Abs. 1 Satz 2). Denn für das „Recht der Landgewinnung", zu dem das Recht auf den Anwachs gehört, trifft der Staatsvertrag in § 2 Buchst. a eine Sonderregelung, in der er dieses Recht zu den „Nutzungen" rechnet (Satz 3). Für die Nutzungen bestimmt die Vorschrift, dass sie „an den Haffen, Seen und seeartigen Erweiterungen von Wasserstraßen" den Ländern verbleiben, soweit ihre Ausübung nicht der Erfüllung der dem Reich an den Wasserstraßen obliegenden Aufgaben und der Fürsorge für einen guten Uferschutz widerstreitet. Daraus ergibt sich, dass die Nutzungen - mithin auch das Recht der Landgewinnung - außerhalb von Haffen, Seen und seeartigen Erweiterungen mit allen übrigen Rechten (§ 1 Abs. 2 Satz 1 StV 1921) auf das Reich übergegangen sind (vgl. die Begründung zum Entwurf des Staatsvertrages aaO S. 23 zu § 2).
Anwachs außerhalb von Haffen, Seen und seeartigen Erweiterungen fällt auch dann dem Reich zu, wenn er im Einzelfall für die Verwaltung der Wasserstraße nicht erforderlich ist. Eine solche Regelung erleichtert die Abgrenzung, weil die Frage, ob ein Anwachs außerhalb von Hafen, Seen und seeartigen Erweiterungen liegt, sich regelmäßig leichter und eindeutiger beantworten lässt als die Frage, ob er für die Verwaltung der Wasserstraße erforderlich ist. Sie ist daher geeignet, Streitigkeiten zwischen dem Reich (Bundesrepublik) und den Ländern über die Verteilung von Anwachs und sonstigen Nutzungen zu vermeiden und dient damit der Rechtssicherheit. Gegen eine so verstandene Regelung lassen sich auch aus Art. 97 Abs. 1 WRV, wonach das Reich (nur) die „dem allgemeinen Verkehr dienenden Wasserstraßen" in sein Eigentum und seine Verwaltung übernommen hat, keine Bedenken herleiten. Sie umschreibt generalisierend den räumlichen Bereich, in dem eine Wasserstraße herkömmlich als Verkehrsweg dient. Soweit Anwachs (oder eine sonstige Nutzung) in diesen Bereich fällt, ohne für Verkehrszwecke erforderlich zu sein, handelt es sich um eine Rechtsfolge, wie sie im Grenzbereich generalisierender Regelungen nicht ungewöhnlich ist. Gerade für den Staatsvertrag 1921 ist zudem anerkannt, dass er dem Reich auch Aufgaben und Rechtszuständigkeiten zuweist, die über Art. 97 Abs. 1 WRV hinausgehen (vgl. BVerfGE 15, 1, 8).
Der im Bereich des ehemaligen Hafens Motzen entstandene Anwachs fällt nicht unter § 2 Buchst. a StV 1921. Denn die Weser ist hier weder Haff noch See noch seeartig erweitert. Diesem Ergebnis entspricht die Entstehungsgeschichte des Staatsvertrages 1921. Sie belegt, dass das Deutsche Reich mit dem Eigentum an der Weser grundsätzlich auch das Recht auf den Anwachs erwerben sollte, soweit nicht die Ausnahmeregelung des § 2 Buchst. a StV 1921 eingreift (wird ausgeführt).
Soweit die streitigen Flächen nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind, ist der Feststellungsantrag der Klägerin begründet. Als Eigentümerin der streitigen Grundstücke kann sie der Beklagten die Nutzung untersagen oder auch die Nutzung vom Abschluss eines Nutzungsvertrages abhängig machen (§§ 903, 1004 BGB).
Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin seinerzeit mit den Aufschüttungsmaßnahmen der Beklagten einverstanden war, diese sogar gefördert hat. Sie hat ein berechtigtes Interesse am Ab¬schluss eines Nutzungsvertrages. Solange die Beklagte sich weigert, einen solchen Vertrag abzuschließen, kann es der Klägerin nicht verwehrt werden, von ihren Eigentümerrechten Gebrauch zu machen.
Ein Anspruch gegen die Beklagte auf Herausgabe des von dieser gezogenen Pachtzinses ist gegeben, und zwar sowohl nach den für das sog. Eigentümer-Besitzer-Verhältnis geltenden Regeln (§§ 987 ff. BGB) als auch unter dem Gesichtspunkt ungerechtfertigter Bereicherung (§§ 812 ff. BGB).
Die §§ 987 ff. BGB, die die Ansprüche des Eigentümers gegen den unrechtmäßigen Besitzer auf Herausgabe von Nutzungen regeln, sind hier anwendbar. Solange die Beklagte den von der Klägerin geforderten Nutzungsvertrag nicht abgeschlossen hat, ist sie unrechtmäßige Besitzerin und der Klägerin nach § 985 BGB zur Herausgabe der streitigen Grundstücke verpflichtet. Daran ändert nichts, dass die Klägerin seinerzeit mit der Inbesitznahme durch die Beklagte einverstanden war. Der Besitz ist der Beklagten unter der Voraussetzung und in der Erwartung des abzuschließenden Nutzungsvertrages eingeräumt worden (vgl. Soergel/Mühl BGB 10. Aufl. § 986 Bem. 5). Dass die Parteien nach Klärung der Eigentumsfrage möglicherweise einen Nutzungsvertrag abschließen werden, der die Beklagte -auch rückwirkend - zum Besitz berechtigt, beeinflusst gegenwärtig die Rechtslage nicht.
Als Anspruchsgrundlage kommen entgegen der Auffassung der Klägerin und auch des Landgerichts allerdings nicht die §§ 987, 990 BGB in Betracht. Die Beklagte ist nicht deshalb bösgläubige Besitzerin im Sinne des § 990 BGB, weil sie ursprünglich angenommen hat, die Klägerin sei Eigentümerin der streitigen Flächen. § 990 BGB verlangt Bösgläubigkeit nicht hinsichtlich des Eigentums, sondern des Besitzrechts (BGB-RGRK 11. Aufl. § 990 Anm. 8).
Hingegen kann sich ein Anspruch der Klägerin aus § 988 in Verbindung mit § 818 BGB ergeben. Die Beklagte hat den Besitz sowohl unentgeltlich als auch rechtsgrundlos erlangt. Auch insoweit ist außer Betracht zu lassen, dass die Parteien diese Voraussetzungen nach Klärung der Eigentumsfrage möglicherweise rückwirkend beseitigen werden.
Als Anspruchsgrundlage kommt ferner § 812 in Verbindung mit § 818 BGB in Betracht. Die Beklagte hat die streitigen Grundstücke, solange ein Nutzungsvertrag nicht abgeschlossen ist, ohne rechtlichen Grund von der Klägerin erlangt.
Ob Ansprüche aus § 988 BGB und § 812 nebeneinander oder nur alternativ möglich sind (vgl. hierzu Palandt/Bassenge BGB 35. Aufl. § 988 Anm. 4; Erman/Hefermehl BGB 6. Aufl. § 988 Rdz. 5, 6; vor §§ 987 ff. Rdz. 28; jeweils m. w. Nachw.), kann dabei auf sich beruhen. Die Beklagte haftet der Klägerin unabhängig von der Anspruchsgrundlage (§ 988 oder § 812 BGB) jedenfalls nur nach Bereicherungsgrundsätzen (§ 818 BGB).
Eine abschließende Entscheidung darüber, ob die Beklagte auf Kosten der Klägerin bereichert ist, ist derzeit noch nicht möglich.