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III OVG B 84/79 - Oberverwaltungsgericht (-)
Entscheidungsdatum: 16.11.1979
Aktenzeichen: III OVG B 84/79
Entscheidungsart: Beschluss
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberverwaltungsgericht Lüneburg
Abteilung: -

Leitsätze:

1) Über die Unterhaltungspflicht des Bundes hinausgehende Ausbauarbeiten an Bundeswasserstraßen bedürfen der vorherigen Planfeststellung, die im Einvernehmen mit der zuständigen Landesbehörde zu verfolgen hat, wenn Belange der Landeskultur und der Wasserwirtschaft berührt werden.
2) Ein Träger behördlicher Aufgaben ist nicht von der Beachtung solcher Gesetze freigestellt, die für andere als die von ihm betreuten Lebens- und Rechtsgebiete erlassen sind.
3) Im Rahmen der notwendigen Abwägung kollidierender öffentlicher Interessen sind die beiderseitigen Belange - einerseits zügige Durchführung wasserbaulicher Aufgaben, andererseits Erhaltung bewaldeter Uferbereiche sowie der Ufervegetation und Brut- und Niststätten - gleichwertig.

Oberverwaltungsgerichts Lüneburg

Beschluss

vom 16. November 1979

Zum Sachverhalt:

Im Auftrag des Bundes, vertreten durch die WSD Nord - Antragsgegnerin -, werden im Rahmen eines 15 jährigen Bauprogramms Unterhaltungsarbeiten am Elbe-Lübeck-Kanal zur Erhaltung eines ordnungsmäßigen Wasserabflusses und zur Wiederherstellung der Schiffbarkeit durch Beseitigung von Uferabbrüchen und durch Ufersicherungen durchgeführt.

U. a. wegen der Rückverlegung einzelner Uferabschnitte und der teilweisen Umgestaltung der Uferzonen, ferner wegen der landseitigen Verrohrung von Kanalseitengräben und Kontrollschächten, wegen der teilweisen Verbreiterung des oberen Kanalquerschnitts um etwa 2-3 m sowie wegen der Veränderung und der angeblichen Vernichtung der Ufervegetation hat der Kreis Herzogtum Lauenburg als untere Landschaftspflegebehörde - Antragsteller - Klage auf Feststellung erhoben, dass die Antragsgegnerin verpflichtet sei, einen Genehmigungsantrag zu stellen, da die mit den Bauarbeiten verbundenen Eingriffe in Natur und Landschaft über die der Antragsgegnerin obliegenden Unterhaltungsmaßnahmen hinausgingen. Er hat ferner beantragt, der Antragsgegnerin durch einstweilige Anordnung zu untersagen, im Bereich der betreffenden Landschaftsschutzgebiete Gewässer zu verrohren oder andere dem Schutzzweck dienende Handlungen vorzunehmen.

Über die Klage ist bisher nicht entschieden worden. Den Antrag auf einstweilige Anordnung hat das Verwaltungsgericht zurückgewiesen; das Oberverwaltungsgericht hat ihm
jedoch stattgegeben.

Aus den Gründen:

Soweit die Antragsgegnerin in größerem Umfang eingetretene Uferabbrüche und Aufhöhungen des Kanalbetts beseitigt und Ufersicherungen vornimmt, gehören diese Maßnahmen zur Unter-haltung. Jedoch fällt darunter nicht die Begradigung und Rückverlegung einzelner Uferabschnitte, die Neuprofilierung der Uferböschungen, die zugleich mit einer bis zu 20 m breiten Abholzung bzw. Beseitigung der Ufervegetation, der Abschiebung der Vegetationsdecke und Neuverteilung des Aushubbodens verbunden ist, und schließlich auch nicht die landseitige Verrohrung von 1,50 bis 2 m breiten Seitengräben. Merkmal der Unterhaltung ist es, dass ein bestimmter bestehender Zustand erhalten bleibt. Daraus ergibt sich die Abgrenzung zum Ausbau, der eine wesentliche Umgestaltung der Wasserstraße und ihrer Ufer zum Gegenstand hat (§ 12 Abs. 2 WaStrG). Maßgeblich für die Erhaltung oder die Wiederherstellung ist der Zustand, wie er seit längerer Zeit bestanden hat (Gieseke-Wiedemann-Czychowski, WHG, 3. Aufl. 1979, § 28 Anm. 4 m. w. H. auf die Rechtsprechung; Rehder, Niedersächsisches Wassergesetz, 4. Aufl., 1971, § 81 Anm. 1). Dagegen gehört die Verbesserung des Zustandes einer Bundeswasserstraße, wie sie im Streitfall nach dem eigenen Vorbringen der Antragsgegnerin angestrebt wird, nicht mehr zur Unterhaltung; sie ist Ausbau (Friesecke, Bundeswasserstraßengesetz, 1971§ 8 Rdn. 2; Burghartz, WHG, § 28 Anm. 2; Rehder aa0) und bedarf der vorherigen Planfeststellung (§ 14 Abs. 1 Satz 1 WaStG).
...

Die für den Ausbau eines Gewässers erforderliche Planfeststellung kann nur in solchen Fällen unterbleiben, in denen mit Einwendungen nicht zu rechnen ist (§ 14 Abs. 1 Satz 2 WaStG). Dass die Voraussetzungen dieser Ausnahme ersichtlich nicht vorlagen, war der Antragsgegnerin zumindest seit Anfang 1978 bekannt. Seit dieser Zeit versuchten die Landschaftspflegebehörden des Landes Schleswig-Holstein, mit der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord bzw. dem Wasser- und Schifffahrtsamt Lauenburg die Eingriffe in Natur und Landschaft abzustimmen.

Darüber hinaus bestimmt § 14 Abs. 3 WaStrG, dass in solchen Fällen, in denen ein Gewässerausbau Belange der Landeskultur und der Wasserwirtschaft berührt, die Planfeststellung des „Einvernehmens mit der zuständigen Landesbehörde" bedarf, das unstreitig nicht vorliegt. Eine entsprechende Verpflichtung ergibt sich, wenn sich - wie im Streitfall - Ausbaumaßnahmen auf Landflächen an Bundeswasserstraßen erstrecken, aus § 9 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 3 WaStrG.

Zu Unrecht meint die Antragsgegnerin, die Voraussetzungen des § 14 Abs. 3 WaStrG lägen nicht vor. Der Begriff „Landeskultur" ist weit auszulegen; er umfasst ebenso wie der gleichlautende Begriff in Artikel 89 Abs. 3 GG, auf den er zurückgeht (vgl. Friesecke aa0, § 14 Rdn. 17), die Land- und Forstwirtschaft ebenso wie den Natur- und Landschaftsschutz (v. Mangoldt-Klein, GG, 2. Aufl. 1974, Bd. III, Art. 89 Anm. VI 2 a, aa; Czychowski, Bundeswasserstraßengesetz, DVBI. 1968, 575 Anm. 30; einschränkend Friesecke aa0 § 4 Rdn. 2), mithin auch die von dem Antragsteller nach dem Landschaftspflegegesetz und der durch sie aufrechterhaltenen (vgl. § 79 LPflegG) Landschaftsschutzverordnung wahrzunehmenden Belange.

„Einvernehmen" im Sinne des § 14 Abs. 3 WaStrG liegt nur bei Willensübereinstimmung der Beteiligten vor (BVerwGE 11, 195, 200). Es genügt also nicht lediglich eine Information des anderen Teils, wie sie von der Antragsgegnerin mit Einschränkungen behauptet wird. Soweit Gesichtspunkte der Landeskultur und der Wasserwirtschaft berührt werden, hätte es vielmehr der Zustimmung der zuständigen Behörde im konkreten Einzelfall bedurft (v. Mangoldt-Klein aa0, Art. 89 Anm. VIII b; Maunz-Dürig-Herzog-Scholz, GG, Bd. II, Art. 89 Rdn. 62; Friesecke aa0 § 4 Rdn 7). Ein derartiges Einvernehmen ist unstreitig nicht hergestellt worden.

Dem Erlass dieser Anordnung steht nicht der vom Verwaltungsgericht als entscheidend angesehene Gesichtspunkt entgegen, der Antragsteller sei „nicht befugt, in die hoheitliche Tätigkeit des Bundes dadurch einzugreifen, dass er die Unterlassung hoheitlicher Maßnahmen fordere".

Das Verwaltungsgericht verkennt, dass es dem Antragsteller nicht darum geht, die Antragsgegnerin an der Ausübung ihr obliegender hoheitlicher oder sonstiger Befugnisse zu hindern, sondern dass er ein ihm gesetzlich eingeräumtes Beteiligungsrecht (Herstellung des Einvernehmens) gegenüber der Antragsgegnerin verfolgt. Hinzukommt, dass auch Träger hoheitlicher Aufgaben nicht von der Beachtung solcher Gesetze freigestellt sind, die für andere als die jeweils von ihnen betreuten Lebens- und Rechtsgebiete erlassen sind. Die Bindung an die jeweils fachfremden und allgemeinen Gesetze besteht auch ohne Rücksicht darauf, auf welcher Normsetzungsebene sie erlassen sind, allerdings unter dem Vorbehalt, dass die im Einzelfall kollidierenden öffentlichen Interessen gegeneinander abzuwägen sind (BVerwGE 29, 52 ff., 56, 58; Urt. d. Sen. v. 28. 6. 1979 - 11 1 OVG A 316/77 -).

Im Streitfall besteht keinerlei Veranlassung, die Interessen der Antragsgegnerin an einer möglichst zügigen Durchführung ihrer wasserbaulichen Aufgaben über diejenigen des Antragstellers zu stellen. Der Kanal führt südlich Büchen durch Landschaftsschutzgebiete (Stecknitzniederung, Hohes Elbufer), zwischen Güster und Siebeneichen gehörte das Ostufer zum Naturparkbereich. Würde das Hauptverfahren abgewartet, wären die bewaldeten Dammbereiche, die eine gute Einbindung des Kanals in die Landschaft darstellen, weitgehend beseitigt, und die Vegetation im Ufer- und Hangbereich einschließlich der dort vorhandenen Brut- und Niststätten entlang des Kanals auf lange Zeit vernichtet. Diese im Rahmen der Herstellung des Einvernehmens zu wahrenden Belange sind denen der Antragsgegnerin jedenfalls gleichwertig."