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II ZR 97/72 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 20.09.1973
Aktenzeichen: II ZR 97/72
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Zu den Anforderungen an die Sorgfaltspflicht der Führung eines bei Nebel mit Radar zu Berg fahrenden Schubverbandes, dessen - über Sprechfunk nicht ansprechbarer Gegenkommer sich auf Kollisionskurs befindet

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 20. September 1973

 II ZR 97/72

(Rheinschiffahrtsgericht; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

An einem Novembermorgen begegnete ein Schubverband, bestehend u. a. aus dem Schubboot L und 4 Schubleichtern (je 2 voreinandergekoppelt) bei unsichtigem Wetter und mit eingeschaltetem Radargerät in der Rechtskrümmung bei Rh-km 795,5 dem zu Tal kommenden Kümo C, das mit der Steuerbordseite gegen die Steuerbordvorderkante des Schubleichters L14 geriet, der im Schubverband steuerbords vorn fuhr. Beide Fahrzeuge erlitten erhebliche Schäden.
Die Klägerin als Eignerin des Schubbootes und des beschädigten Leichters verlangt von dem Beklagten als Eigner und Schiffsführer des Kümos Ersatz in Höhe von ca. 40 000,DM, weil der Beklagte die Weisung zur Steuerbordbegegnung zu spät befolgt habe.
Der Beklagte gibt ein Verschulden insofern zu, als er die Fahrt wegen unsichtigen Wetters hätte früher einstellen müssen. Ein mitwirkendes Verschulden treffe aber den Schubverband, weil seine Führung die Kollisionsgefahr auf dem Radarschirm rechtzeitig erkannt, aber die Fahrt nicht unterbrochen habe. Die Klägerin könne deshalb nur 2/3 ihres Schadens verlangen. Der Beklagte rechnet jedoch mit 1/3 seines Schiffskaskoschadens (ca. 134 000,- hfl) auf.
Das Rheinschiffahrtsgericht und das Rheinschiffahrtsobergericht haben das Mitverschulden des Schubverbandes mit 1/4 bejaht und die Klage daraufhin wegen der Aufrechnung abgewiesen. Die Revision der Klägerin blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Infolgedessen mußte die Führung des Schubverbandes in Betracht ziehen, daß der Talfahrer seinen Kollisionskurs erst nach Insichtkommen des Schubverbandes bemerken und ändern werde. Das konnte nach den Ausführungen des Berufungsgerichts über die Sichtverhältnisse im Unfallbereich erst auf eine Entfernung von unter 300 m der Fall sein. Dieser Abstand konnte sich außerdem noch dadurch erheblich verringern, daß sich der Talfahrer nach Wahrnehmung des Kopfes des 185 m langen Schubverbandes diesem noch um weitere 150 bis 160 m nähern mußte, um erkennen zu können, welchen Begegnungskurs das Schubboot durch Zeigen oder Nichtzeigen der blauen Seitenflagge oder des weißen Blinklichts wies (vgl. § 38 Nr. 2 und 3 RheinSchPolVO 1954).Unter diesen Umständen hätte der Schubverband so rechtzeitig zurückschlagen müssen, daß er durch eigenen Vorausgang wenigstens nicht die knappe Strecke von möglicherweise nicht mehr als 150 m verkürzte, die dem Talfahrer verblieb, um nach Insichtkommen des Verbandes den Kollisionskurs zu verlassen und die Kursweisung des Schubbootes zu befolgen. Das ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht geschehen. Vielmehr hatte der Schubverband selbst im Zeitpunkt der Kollision noch etwas Fahrt.Entgegen der Ansicht der Revision läßt sich die Führung des Schubverbandes nicht mit dem Gedanken entlasten, sie habe grundsätzlich nicht mit der (groben) Verkehrswidrigkeit eines anderen Verkehrsteilnehmers rechnen müssen. Denn hier wusste sie, daß sich ein über Sprechfunk nicht ansprechbarer Talfahrer auf Kollisionskurs näherte und auf Schallzeichen nicht reagierte; außerdem mußte sie wegen der tatsächlichen Sichtverhältnisse bedenken, daß der Talfahrer möglicherweise ohne hinreichende Sicht fuhr.Der Revision kann auch nicht gefolgt werden, soweit sie vorbringt, mehr als die von der Führung des Schubverbandes gezeigte Vorsicht und Reaktion könne man von einem Radarfahrer nicht fordern, wenn das Fahren mit Radar der Schiffahrt überhaupt „einen Vorteil bringen solle". Denn es ist nicht zu sehen, inwiefern das Verlangen, einen Schubverband vor einem auf Kollisionskurs herankommenden Fahrzeug etwa 150 m früher als geschehen ständig zu machen, die technischen Vorzüge oder die wirtschaftlichen Vorteile der Radarschiffahrt berühren soll.Schließlich trifft es nicht zu, daß in der Forderung auf ein etwas frühzeitigeres Zurückschlagen durch den Schubverband eine Überspannung der an die Sorgfaltspflicht eines Radarfahrers zu stellenden Anforderungen liegt. Da der Radarfahrer durch die Radarortung regelmäßig einen guten Überblick über die jeweilige Lage im Revier hat und sich anzeigende Gefahren oftmals zunächst nur allein erkennen und Maßnahmen hiergegen treffen kann, ist es vielfach auch nur ihm möglich, Kollisionen mit Nichtradarfahrern zu verhindern. Dementsprechend hat e r sich zu verhalten. Erwird nicht überfordert, wenn man in einem Fall der vorliegenden Art von ihm verlangt, so zeitig zurückzuschlagen, daß für einen in der Sicht behinderten Gegenkommer möglichst der Zeitraum geschaffen wird, der für dessen Reaktionen zur Vermeidung einer Kollision notwendig ist.