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Leitsätze:
1) Die durchgehende Schiffahrt hat das Aufdrehen eines Schiffes vom Zeitpunkt der Ankündigung an durch entsprechende Manöver zu unterstützen, damit das Aufdrehen ohne Gefahr erfolgen kann.
2) Eine zu dichte Annäherung an einen aufdrehenden Talfahrer kann diesen erfahrungsgemäß zu spontanen Maßnahmen zur Vermeidung einer Kollision veranlassen und den adäquaten Zusammenhang zwischen dem durch das Manöver verursachten Verrutschen der Ladung und dem Kentern des Schiffes einerseits sowie der fehlerhaften Fahrweise des zu dicht auffahrenden Schiffes andererseits bedingen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 7. Juni 1973
II ZR 97/71
(Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Das mit etwa 280 t Cellulose zum Teil als Decklast beladene zu Tal fahrende MS T (356 t groß, 155 PS) drehte bei Oberspay über Backbord auf, um am linken Rheinufer zu übernachten. Das Fahrzeug krängte dabei nach Steuerbord, richtete sich nicht wieder auf, schlug voll Wasser, kenterte und blieb kieloben liegen.
Die Klägerin als Versicherin der Ladung dieses Schiffes nimmt den Beklagten als Eigentümer und am Unfalltag verantwortlichen Führer des MS M auf Ersatz von 1/4 der Ladungsschäden in Anspruch, weil er talwärts mit seinem Schiff im Abstand von nur einem Meter am Heck des aufdrehenden MS T vorbeigefahren sei und dieses Fahrzeug dadurch zu harten Ruder- und Maschinenmanövern genötigt habe, was zum Verrutschen der Decklast und sodann zum Kentern von MS T geführt habe, das, wie er einräumt, fehlerhaft beladen und dessen Stabilität dadurch vermindert gewesen sei.
Der Beklagte bestreitet ein Mitverschulden. MS T habe nicht zügig aufgedreht. Die hohe Decklast habe ein Aufrichten des nach Steuerbord krängenden Fahrzeuges verhindert; infolgedessen sei Wasser durch die nicht geschlossene Tür des Maschinenraums in das Innere des Schiffes gelangt.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Rheinschiffahrtsobergericht hat den Klageanspruch dem Grunde nach zu 1/4 für gerechtfertigt erklärt. Die Revision des Beklagten blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Wie der Vorschrift des § 46 Nr. 3 RheinSchPolVO 1954 zu entnehmen ist, hat die durchgehende Schiffahrt, sofern dies nötig ist und ihre eigene Sicherheit nicht gefährdet, das Wenden zu Berg (Aufdrehen) vom Zeitpunkt seiner Ankündigung an durch Ruder- oder Maschinenmanöver zu unterstützen, damit das Aufdrehen ohne Gefahr geschehen kann (vgl. auch § 6.13 Nr. 1-3 RheinSchPolVO 1970 und BGH, Urt. v. 5. Okt. 1964 - II ZR 84/63 - VersR 1964, 1169). Das geschieht nicht, wenn ein dem Aufdrehenden nachfolgendes Fahrzeug seinen Kurs oder die Geschwindigkeit so wählt, daß es sich dem Aufdrehenden bis auf einen geringen Abstand nähert oder in einem solchen Abstand an dessen Heck vorbeifährt. Denn damit setzt das nachfolgende Fahrzeug den Aufdrehenden der Gefahr einer Kollision aus. Daß es hier so lag, konnte das Berufungsgericht ohne Rechtsverstoß der Angabe des Beklagten vor der Wasserschutzpolizei entnehmen, der Abstand zwischen dem Achterschiff des MS T und dem Vorschiff des leicht nach Steuerbord versetzten MS M habe etwa 1 m betragen, als MS T mit dem Drehen angefangen habe. Es war deshalb auch nicht so, wie die Revision entgegen dieser Angabe vorträgt, daß die Annäherung der beiden Fahrzeuge bis auf 1 m eine Folge der Unterbrechung des Wendemanövers des MS T gewesen sei. Daher vermag auch alles, was die Revision aus diesem Vortrag zugunsten des Beklagten herleitet, diesen nicht zu entlasten, zumal er nach seinen weiteren Bekundungen vor der Wasserschutzpolizei trotz der von ihm erkannten Absicht des etwa 200 m vor ihm fahrenden MS T bei Oberspay über Backbord aufzudrehen, den Kurs seines Fahrzeugs nicht zum rechten Ufer hin verlegte und diesem Fahrzeug weiter in Kiellinie auflief, obwohl er an dessen Schraubenschlag sah, wie es die Fahrt verminderte. Somit hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, daß der Beklagte die Vorschrift des § 46 Nr. 3 RheinSchPolVO 1954 fahrlässig verletzt sowie gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht eines Schiffers schuldhaft verstoßen hat.
Das Berufungsgericht hat im Ggensatz zu dem Rheinschiffahrtsgericht die Frage bejaht, ob das nautisch fehlerhafte Verhalten des Beklagter für das Kentern des MS T adäquat ursächlich war, und hierzu ausgeführt:
Ein Ereignis sei für den Eintritt eines Schadens als adäquat ursächlich anzusehen, wenn es im allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet sei, den eingetretenen Schaden herbeizuführen. Für diese Beurteilung komme es nicht auf die Einsicht oder Voraussicht des Schädigers, sondern auf eine objektive nachträgliche Prognose an, so daß neben den dem Schädiger bekannten Umständen alle dem optimalen Betrachter zur Zeit des Ereignisses erkennbaren Umstände zu berücksichtigen seien. Das Verhalten des Beklagten wäre demnach nur dann für das Kentern des MS T nicht adäquat ursächlich gewesen, wenn das Umschlagen dieses Fahrzeugs als ein gänzlich außerhalb jeder Erfahrung stehendes Ereignis anzusehen sei. Das sei hier nicht festzustellen. Es entspreche einer allgemeinen Erfahrung, daß eine zu dichte Annäherung an einen vorausfahrenden Talfahrer diesen - zur Vermeidung einer Kollision - zu spontanen, möglicherweise unrichtigen Maßnahmen veranlässen könne. Ferner stehe es nicht vollständig außerhalb der Erfahrung und Voraussehbarkeit, daß eine dadurch bewirkte scharfe Ruderlegung verbunden mit einem plötzlichen Maschineneinsatz zu einer erheblichen Neigung eines Motorschiffes zur Seite hin führen könne. Daß dann aber unter besonders ungünstgen Umständen ein mit einer hohen Decklast fahrendes, überdies erkennbar steuerbordlastiges Schiff bei einer seitlichen Neigung auch kentern könne, wenn Wasser in den Schiffkörper eindringe, liege ebenfalls nicht ganz außerhalb eines voraussehbaren Geschehensablaufs.
Die Revision greift auch diese Ausführungen des Berufungsgerichts ohne Erfolg an.
Die Revision kann nicht bezweifeln, daß eine zu dichte Annäherung eines Fahrzeugs an einen aufdrehenden Talfahrer diesen erfahrungsgemäß zu spontanen Maßnahmen zur Vermeidung einer Kollision veranlassen kann. Sie meint jedoch, hier sei zu beachten, daß die „zu dichte Annäherung" des MS M erst eingetreten sei, als das spontane Rudermanöver" des MS T bereits vollzogen gewesen sei.
Es bedarf keiner Erörterung, ob es, wie die Revision ausführt, technisch unmöglich ist, ein Binnenschiff allein durch extreme Ruder- und Maschinenmanöver zum Kentern zu bringen. Darum geht es hier nicht. Denn der Streitfall ist durch die Besonderheit gekennzeichnet, daß MS T mit einer hohen Decklast fuhr. Es liegt aber nicht außerhalb jeder Erfahrung, daß eine solche Last, insbesondere wenn sie, was erfahrungsgemäß vorkommen kann, falsch gestaut ist, bei einer stärkeren Krängung des Schiffes verrutschen und sodann zu dessen Kentern führen kann. Wird daher ein Schiff durch die nautisch falsche Fahrweise eines andern Fahrzeugs zu Ruder- und Maschinenmanövern veranlaßt, die eine stärkere seitliche Neigung des Schiffes bewirken und gerät nunmehr seine hohe Decklast ins Rutschen, so besteht zwischen diesem Ereignis (sowie zwischen einem dadurch bedingten Kentern des Schiffes) und der fehlerhaften Fahrweise des anderen Fahrzeugs ein adäquater Zusammenhang.
Es ist richtig, daß die auf MS T zur Vermeidung einer Kollision mit MS M vorgenommenen Ruder- und Maschinenmanöver nur zu einer Krängung des Fahrzeugs von 10 Grad geführt haben und daß das Schiff bei dieser seitlichen Neigung allein nicht gekentert wäre. Es trifft weiter zu, daß das Wasser das Maschinenraumsüll erst bei einer Neigung des MS T von 21 Grad und den Tennebaum erst bei einer solchen von 29 Grad überspülen konnte. Daraus folgt entgegen der Ansicht, der Revision jedoch nicht, daß das Kentern des Fahrzeugs ein ganz außergewöhnliches Ereignis gewesen wäre und kein adäquater Zusammenhang zwischen der nautisch falschen Fahrweise des; Beklagten, den dadurch veranlaßten harten Ruder- und Maschinenmanövern des MS T, dem Verrutschen seiner Decklast und dem nachfolgenden Kentern bestanden hätte.
Soweit die Revision die Schuldverteilung, wie sie das Berufungsgericht vorgenommen hat, angreift, hat sie keinen Rechtsfehler aufzuzeigen vermocht.