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II ZR 96/69 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 17.05.1971
Aktenzeichen: II ZR 96/69
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Ein Bergfahrer darf in keinem Fall untätig bleiben und muß die in § 38 Nr. 4 RheinSchPVO 1954 vorgesehenen Schallzeichen geben, wenn Talfahrer seine Kursweisung nicht befolgen oder durch ihren Kurs, z. B. wenn sie auf eine Entfernung von 200 m genau auf den Kopf des ersten Fahrzeugs eines Bergschleppzuges zuhalten, eine einwandfreie Begegnung gefährden.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 17. Mai 1971

II ZR 96/69

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort, Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Im Dezember gegen 7.30 Uhr begegnete in einer starken Rechtskrümmung bei Düsseldorf-Hamm der bergwärts fahrende Schleppzug der Klägerin, in folgender Reihenfolge bestehend aus dem führenden TMS R, dem Anhang MS H105 sowie den Anhangkähnen H92, H91,  und H86, dem zu Tal kommenden, dem Beklagten gehörenden und von ihm geführten MS D. Der Talfahrer passierte den Schleppzug zunächst an dessen Backbordseite und fuhr dann zwischen den Kähnen H92 und H91 über die Stränge auf dessen Steuerbordseite, stieß dort mit dem Vordersteven gegen das Backbordvorschiff des den Schleppzug auf dieser Seite überholenden MS Re, fiel mit dem Steuerbordhinterschiff gegen das Steuerbordvorschiff des SK H91, schlug leck und sank bei km 740,3.
Die Klägerin verlangt Ersatz des an H91 entstandenen Schadens von ca. 43000,- DM, weil der Beklagte die rechtzeitig von TMS R mit Blinklicht gegebene Weisung zur Steuerbordbegegnung zunächst nicht bemerkt und nach dem Erkennen nicht befolgt, MS D vor der Begegnung mit den beiden letzten Anhängen nicht ständig gemacht und den Kurs nach Backbord gerichtet habe.
Der Beklagte räumt sein Mitverschulden nur zur Hälfte ein und hat von dem für nachgewiesen gehaltenen Schaden von ca. 38 000,- DM etwa die Hälfte mit seinen Schadensersatzansprüchen verrechnet. Wegen des Restes wirft er dem Schleppzugführer der Klägerin vor, mit den ersten 3 Fahrzeugen zu weit in der Strommitte gefahren zu sein, das Blinklicht zu spät gezeigt und keine Schallzeichen gegeben zu haben.
Beide Vorinstanzen haben die Klage zu 2/3 des geltend gemachten Anspruchs dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Revision der Klägerin hinsichtlich des abgewiesenen Teils der Klage wurde zurückgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, der Schleppzugführer habe gegen § 38 Nr. 4 RheinSchPVO 1954 verstoßen. Nach dieser Vorschrift müssen Bergfahrer zusätzlich bestimmte Schallzeichen geben, wenn zu befürchten ist, daß die Kursweisung der Bergfahrer nach § 38 Nr. 2 oder Nr. 3 RheinSchPVO 1954 von den Talfahrern nicht verstanden worden ist, oder wenn die Gefahr eines Zusammenstoßes besteht. Daß diese Voraussetzungen in einem Fall gegeben sind, indem, wie hier, ein nahezu voll abgeladener, bei gutem Wasserstand mit etwa 3/4 der Maschinenkraft fahrender Talfahrer auf eine Entfernung von 200 m genau auf den Kopf des ersten Fahrzeugs eines Bergschleppzuges zuhält, kann ernstlich nicht bezweifelt werden. Wenn die Revision meint, der Schleppzugführer habe mit einer Vorbeifahrt des MS D an der Backbordseite seines Zuges überhaupt nicht rechnen müssen, weil der Kurs des Schleppzuges, der in unmittelbarer Nähe eines dem rechten Ufer vorgelagerten Grundes verlaufen sei, ein solches Manöver des Talfahrers praktisch nicht erlaubt habe, so bedenkt sie nicht, daß ein Bergfahrer in keinem Falle untätig bleiben darf, sondern die in § 38 Nr. 4 RheinSchPVO 1954 vorgesehenen Schallzeichen geben muß, wenn Talfahrer seine Kursweisung nicht befolgen oder sonst durch ihren Kurs eine einwandfreie Begegnung gefährden. Denn in solchen Fällen ist stets zu befürchten, daß die Talfahrer die Kursweisung des Bergfahrers aus Unaufmerksamkeit oder aus anderen Gründen nicht bemerkt oder nicht verstanden haben. Auch läßt die Revision bei der Beurteilung des Verhaltens des Schleppzugführers außer Betracht, daß MS D, wie der Schleppzugführer im Verklarungsverfahren ausgesagt hat, das Blinklicht des TMS R nicht erwidert hat. Auch dies mußte den Schleppzugführer befürchten lassen, daß man auf dem Talfahrer das Blinklicht des TMS R nicht wahrgenommen hatte. Damit mußte er um so mehr rechnen, weil einmal, wie den Ausführungen des Berufungsgerichts zu entnehmen ist, zahlreiche Landlichter den Talfahrer irritieren konnten, und zum anderen die Sicht des Talfahrers auf das Blinklicht des TMS R dadurch erschwert oder sogar vorübergehend ausgeschlossen sein konnte, daß dieses Schiff dem Talfahrer beim Durchfahren der starken Rechtskrümmung des Stromes zeitweilig die Backbordseite zeigte, das Blinklicht aber auf der Steuerbordseite angebracht ist.Dem Berufungsgericht ist im Ergebnis dahin beizutreten, daß das pflichtwidrige Unterlassen des Schleppzugführers für den Schiffzusammenstoß adäquat kausal war. Das ergibt sich aus der Erwägung, daß dem Schleppzugführer die Pflicht oblag, Schallzeichen nach § 38 Nr. 4 RheinSchPVO 1954 nicht erst auf 200 m, sondern auf eine wesentlich größere Entfernung zu geben, nachdem der Talfahrer das frühzeitig gezeigte Blinklicht des TMS R nicht erwidert hatte. Dann hätte aber der Beklagte noch ohne weiteres mit seinem Fahrzeug den Weg zu einer Steuerbordbegegnung nehmen können und erfahrungsgemäß auch genommen, zumal er auf eine größere Entfernung bereits erkannt hatte, daß das den Schleppzug an dessen Steuerbordseite überholende MS Re der Talfahrt den Weg für eine Steuerbordbegegnung wies und das Revier in der linken Hälfte des Stromes frei war.Ohne Erfolg wendet sich schließlich die Revision gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Schuldverteilung. Wenn das Berufungsgericht bei der Bemessung der Schwere des Verschuldens des Beklagten im wesentlichen auf dessen Mißachtung der Kursweisung des TMS R abgestellt hat, so ist das rechtlich nicht zu beanstanden. Daß es hierbei das sonstige Verhalten des Beklagten nicht im Auge gehabt haben soll, vermag der Senat dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Auch kann der Revision nicht beigetreten werden, wenn sie meint, die pflichtwidrige Unterlassung des Schleppzugführers trete gegenüber dem nautischen Fehlverhalten des Beklagten völlig in den Hintergrund. Diese Auffassung verkennt, daß den Schleppzugführer deshalb ein nicht unerhebliches Verschulden trifft, weil er keine Schallzeichen gegeben hat, obwohl er sah, daß der Talfahrer das Blinklicht des TMS R nicht erwiderte und Kollisionskurs fuhr, und er außerdem mit der Möglichkeit einer zeitweiligen Sichtbehinderung des Talfahrers rechnen mußte."