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II ZR 86/71 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 09.07.1973
Aktenzeichen: II ZR 86/71
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsätze:

1) Wird der Verfrachter von der Haftung für Verluste oder Beschädigung der Güter gemäß § 612 HGB frei, weil der Anspruch nicht innerhalb eines Jahres seit der Auslieferung der Güter gerichtlich geltend gemacht worden ist, so erlöschen auch seine Haftung als Reeder und die darauf beruhenden Schiffsgläubigerrechte.


2) Zum Begriff der „Packung" im Sinne des § 660 HGB.


3) Zur Frage, ob es dem Schiffsführer oder dem Kapitän zugute kommt, wenn in den Allgemeinen Bedingungen des Konnossements die Haftung des Verfrachters, z. B. durch die Vereinbarung einer Ausschlußfrist, eingeschränkt worden ist.

Urteil des Bundesrichtshofes

vom 9. Juli 1973

II ZR 86/71

(Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Schifffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Das der Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte MS K beförderte aufgrund eines Frachtvertrages nach dem Muster „Deutküst" und von zwei rein gezeichneten Konnossementen, die auf das „Deutsche Einheitskonnossement 1940" verweisen, mehrere Partien Weißbleche von Andernach über Rhein-Seeweg und die Elbe nach Itzehoe. In Duisburg wurde zu den Weißblechen Siebschutt geladen. Der Laderaum - ohne Lüftung - wurde mit doppelten Persenningen abgedeckt. Bei der erstmaligen Öffnung des Laderaums am Bestimmungsort war der Siebschutt stark erhitzt; im Laderaum herrschte waschküchenartiger Dunst. Die Bleche, deren Verpackung durchnäßt war, waren angerostet.
Die Klägerin verlangt als Transportversicherin Ersatz des erstatteten Schadens von ca. 30000,- DM mit der Begründung, daß der tropfnasse, jedenfalls feuchte Siebschutt nicht zusammen mit den Weißblechen hätte gestaut werden dürfen. Die Beklagten bestreiten, daß der Siebschutt bei der Einladung feucht gewesen sei. Die Klägerin treffe nach dem Einheitskonnossement 1940 die Beweislast. Nach dem Frachtvertrag hafte das Schiff auch nur bis zur Höhe der Bruttofracht.
Das Schiffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Schifffahrtsobergericht hat ihr stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten ist diese Entscheidung aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Entscheidung zurückverwiesen worden.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Parteien haben teils Vereinbarungen über die Haftung für Ladungsschäden getroffen, teils sind die maßgeblichen Vorschriften im See- und im Binnenschiffahrtsrecht identisch.

Wird Seerecht angewandt, so handelt es sich bei der Ausschlußfrist für den Anspruch wegen Ladungsschäden (§ 612 HGB) um eine Beschränkung der Haftung des Verfrachters; er soll nur zeitlich begrenzt in Anspruch genommen werden können, weil die Aufklärung des Sachverhalts bei länger zurückliegenden Vorgängen schwierig ist und eine Beweisnot des Verfrachters eintreten kann, da er den Entlastungsbeweis führen muß (§ 606 HGB). Dementsprechend sehen die Haager Regeln (Art. III § 6 Abs. 4), die in das deutsche Seefrachtrecht übernommen worden sind, vor, daß „the carrier and the ship" von jeder Haftung für Verluste und Beschädigung der Güter frei sein sollen, wenn der Anspruch nicht innerhalb eines Jahres seit der Ablieferung der Güter gerichtlich geltend gemacht worden ist. Der Verfrachter und das Schiffsvermögen sollen hiernach von der Haftung durch Zeitablauf frei werden. Daraus ergibt sich, daß der Fristablauf auch den Verfrachter in seiner Eigenschaft als Reeder befreit, wie auch sonst Beschränkungen und Ausschlüsse der Haftung des Verfrachters ihm bei seiner Haftung als Reeder nach § 485 HGB zugute kommen; denn auch das Schiffsvermögen soll z. B. von der Haftung für nautisches Verschulden der Besatzung frei sein und nur im Rahmen des § 660 HGB in Anspruch genommen werden können (vgl. Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht 3. Aufl. § 485 Anm. 19). Für den Fall, daß der Verfrachter mit dem Reeder nicht identisch ist, wird durch den gemäß dem Gesetz vom 10. August 1937 im § 485 HGB hinzugefügten Satz 2 dieselbe Rechtslage herbeigeführt. Ohne diese Bestimmung würde der Reeder, der nicht zugleich Verfrachter ist, sich nicht auf die Haftungsbeschränkungen des Verfrachters berufen können (vgl. Gramm, Das neue deutsche Seefrachtrecht 1938 S. 84). In beiden Fällen sind daher Einschränkungen der Haftung des Verfrachters, also auch die Frist des § 612 HGB, auch auf die Reederhaftung anzuwenden.

Wird Binnenschiffahrtsrecht für anwendbar gehalten, so ist die Frist für die Ansprüche wegen Ladungsschäden durch Regel IX Nr. 2 des Deutschen Einheitskonnossements 1940 vertraglich vereinbart worden. Dadurch wurden die Haftung des Frachtführers und die entsprechenden Schiffsgläubigerrechte (§ 102 Nr. 4 und 5 BinSchG) ebenfalls zeitlich auf ein Jahr nach der Ablieferung der Güter begrenzt.
Das Berufungsgericht ist zur Anwendung des § 612 HGB und damit der Regel IX Nr. 2 des Deutschen Einheitskonnossements 1940 gelangt, ohne daß ersichtlich wäre, daß die Frist und ihr Ablauf sionsbeklagte gerügt, daß sie bei einem gerichtlichen Hinweis gemäß § 139 ZPO, die Frist könne als versäumt betrachtet werden, Tatsachen vorgetragen hätte, die im Hinblick auf die zwischen den sachen vorgetragen hätte, die im Hinblick auf die zwischen den Parteien nach ihrer Behauptung mit dem Ziel einer vergleichswesen Regelung geführten Verhandlungen die Berufung auf die Ausschlußfrist als unzulässige Rechtsausübung erscheinen lassen. könnte (vgl. BGH Urteil vom 7. Mai 1963 - VI ZR 198/62 - VersR 1963, 640). Diese Rüge muß zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen, soweit zum Nachteil der Beklagten zu 1 erkannt worden ist, da die Parteien ersichtlich weder § 612 HGB noch Regel IX Nr. 2 DEK 1940 angeführt hatten und es bei der kurzen Frist von einem Jahr stets naheliegt, daß sie verstreicht, während außergerichtliche Verhandlungen über einen Vergleich mit der Versicherung geführt werden, so daß der Ladungsbeteiligte hierdurch von der Erhebung der Klage abgehalten wird.
Für die etwaige Haftung der Beklagten zu 1 ist es ohne Bedeutung, ob durch Regel IV DEK 1940 eine Umkehr der Beweislast zugunsten des Verfrachters wirksam vereinbart worden ist, was das Berufungsgericht verneint. Die Rügen der Revision, mit denen sie sich gegen diese Auffassung wendet, sind gegenstandslos, weil das Berufungsgericht zutreffend ein Verschulden des Beklagten zu 2 bei seinen Maßnahmen im Interesse der Ladung angenommen hat.

Das Berufungsgericht hat zwar offen gelassen, ob der den Blechen beigeladene Siebschutt „tropfnaß" war.
Ob Kupferschlacke oder Siebschutt chemische Eigenschaften haben, die andere Güter schädigen können, ist angesichts des eingetretenen Feuchtigkeitsschadens gleichgültig. Unstreitig ist die Ursache des Schadens ein durch die Feuchtigkeit des Siebschutts herbeigeführter waschküchenartiger Dunst im Laderaum gewesen. Wie jeder Kapitän ohne Rückfrage wissen muß, unterliegt Weißblech der Gefahr des Rostens, das es insbesondere für Konservendosen unbrauchbar macht. Die Empfindlichkeit des Gutes wurde, wie auch die Auskunft der Schifferbörse ergibt, noch dadurch besonders deutlich gemacht, daß die Bleche sorgfältig verpackt waren (Krepp-Papier, Bitumenpappe). Solche Bleche dürfen wegen der Rostgefahr keinesfalls mit Ladungen zusammengestaut werden, die Feuchtigkeit abgeben (vgl. Rotermund/Koch, Die Ladung, Bd. 2, S. 383). Die Feuchtigkeit des Siebschutts, die unstreitig in irgendeinem nicht mehr aufklärbaren Umfang wie üblich bei solchen Abfällen vorhanden und, da chemisch nicht gebunden, ohne weiteres festzustellen war, schloß es bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen, vom Berufungsgericht richtig beurteilten Sorgfaltspflicht des Kapitäns aus, daß Weißblech für eine unter Lukenverschluß und ohne Belüftung durchzuführende mehrtägige Reise in den gleichen Laderaum zu stauen.
Das Berufungsgericht hat Nr. 8 des Frachtvertrages („Deutküst"), nach der das Schiff bis zur Höhe der Bruttofracht für die Erfüllung des Frachtvertrages haften soll, nicht auf Ladungsschäden bezogen, weil diese in dem im Konnossement in Bezug genommenen Deutschen Einheitskonnossement 1940 Regel XIV besonders behandelt werden. Diese Auslegung ist nicht zu beanstanden. Die Klausel entspricht der in Chartepartien üblichen „lndemnity-Klausei" (vgl. Schaps/Abraham aaO § 580 Anm. 10). Hier sieht sie lediglich eine Begrenzung des Schadensersatzanspruches des Befrachters wegen Nichterfüllung des Frachtvertrages vor, der z. B. in Betracht kommt, wenn das Schiff nicht oder nicht rechtzeitig (z. B. Lagerkosten, Liegegelder, höhere Frachtrate für ein anderes Schiff) gestellt wird und dem Befrachter ein Schaden entsteht.

Dem Berufungsgericht ist zuzustimmen, daß die Regel XIV des Deutschen Einheitskonnossements 1940 (= Art. IV § 5 Haager Regeln, § 660 HGB) die etwaige Haftung der Beklagten zu 1 für den geltendgemachten Schaden nicht einzuschränken vermag. Nach diesen Bestimmungen haftet der Verfrachter „für jede Packung und Einheit" bis zu einem Höchstbetrag von 1250 DM. Das Berufungsgericht geht davon aus, daß die Güter in „Packungen" verschifftwurden. Nach den Konnossementen ist die Ladung in „Paletten" (zu je 12 Ringen) und in „Ständern" übernommen worden.

Die Güter bestanden nach dem Gutachten des Sachverständigen aus mit Krepp-Papier bewickelten Blechringen, von denen je 12 Ringe auf hölzernen Hubuntersätzen mit Eisenbändern befestigt waren (Paletten), ferner aus Ständern, die in Bitumenpapier und dicker Pappe verpackt, an den Kanten durch Winkeleisen geschützt und mit Eisenbändern auf Hubuntersätzen befestigt waren. Die Ladegestelle waren hiernach nicht bloße Unterlage für eine leichtere Verladung, sondern gewährten den Gütern in wesentlicher Beziehung Schutz. Eine vollständige, einheitliche Umhüllung des Gutes, wie sie bei den Paletten gefehlt haben mag, ist für eine „Packung" nicht erforderlich. Die Paletten und Ständer sind daher „Packungen" im Sinne des § 660 HGB (und Regel XIV DEK 1940), so daß, wie das Berufungsgericht darlegt, die Haftungssumme durch die eingeklagten Beträge nicht ausgeschöpft wird.

Das Berufungsgericht bejaht die Haftung des Beklagten zu 2, die ihre Rechtfertigung im § 7 Abs. 2 BinnSchG oder in §§ 511, 512 HGB findet. Die Unterschiede beider Bestimmungen spielen im vorliegenden Fall keine Rolle. Der Schiffsführer und der Kapitän stehen hiernach in einem gesetzlichen Schuldverhältnis zu den Ladungsbeteiligten und haften aus diesem nach § 276 BGB (BGH Urteil vom 18. März 1971 - II ZR 94/69 - LM §§ 511, 512 HGB Nr. 1). Ob nach diesen Vorschriften der Beklagte zu 2 den Entlastungsbeweis hinsichtlich des Verschuldens zu führen hätte, kann unentschieden bleiben. Das Berufungsgericht hat zutreffend ein Verschulden des Beklagten zu 2 festgestellt.
Das Berufungsgericht hat aber nicht geprüft, ob die Vereinbarung der Klägerin mit der Beklagten zu 1 über eine Ausschlußfrist für die Einklagung von Ladungsschäden (Regel IX Nr. 2 DEK 1940) bewirkt, daß auch der Anspruch gegen den Beklagten zu 2, der sich auf Haftungsbeschränkungen des Verfrachters berufen hat, mit dem Ablauf der Frist erloschen ist. Vertragliche Ausschlüsse und Beschränkungen der Haftung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen können gemäß § 328 BGB auch zugunsten Dritter, insbesondere der Hilfsperson des Unternehmers, wirken. Eine solche Auslegung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen kann besonders dann geboten sein, wenn eine Ubung in einem Gewerbezweig besteht, die Haftung des Gehilfen entsprechend der des Unternehmers zu begrenzen. Eine solche ist in der Rheinschiffahrt bei einer Freizeichnungsklausel in einem Konnossement angenommen und die Klausel entsprechend ausgelegt worden (vgl. BGH Urteil vom 21. Januar 1971 - II ZR 147/68 - LM Allg. Geschäftsbedingungen Nr. 33). Auch für Verjährungsfristen kommt eine solche Auslegung in Betracht (BGH Urteil vom 21. Oktober 1971 - II ZR 157/69 - LM aaO Nr. 37). Es bedarf hiernach einer Prüfung, ob nach den Verhältnissen in der Rhein-Elbe-Schiffahrt anzunehmen ist, daß sich die vereinbarten Haftungserleichtungen des Unternehmers, insbesondere auch die Vereinbarung einer Ausschlußfrist für Ansprüche wegen Ladungsschäden, nach den Absichten der Parteien und der allgemeinen Verkehrsanschauung auch auf den Anspruch gegen den Schiffsführer oder Kapitän beziehen sollen. Eine solche Auslegung der Geschäftsbedingungen nach §§ 133, 157 BGB, § 346 HGB kann dadurch gerechtfertigt sein, daß die Ladungsbeteiligten auf diese Bedingungen in Kenntnis der Interessenlage des Vertragspartners eingehen, der gegenüber seinem Gehilfen eine Pflicht zur Fürsorge durch den Schutz vor Haftungsfolgen haben kann.