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Leitsätze:
1) Der Bergfahrer ist nicht verpflichtet, dem Talfahrer einen günstigen oder den vom Talfahrer als günstigsten angesehenen Fahrtweg zu ermöglichen, sondern nur einen geeigneten, d. h. risikolos befahrbaren Weg freizulassen.
2) Dem gesetzwidrigen (§§ 37, 38 Nr. 1, 39 Nr. 1 BSchSO) Verlangen des nicht weisungsberechtigten, zu Tal fahrenden Schiffes nach einer Änderung des Begegnungskurses braucht der Bergfahrer, der einen seiner Weisung entsprechenden Kurs einhält, nicht nachzukommen.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 5. November 1970
II ZR 84/68
(Schiffahrtsobergericht Karlsruhe)
Zum Tatbestand:
Das bei der Klägerin versicherte, beladene MS F stieß, mit Bestimmung Kehl auf dem Main zu Tal fahrend gegen 21.30 Uhr in der Mainmündung mit dem im Eigentum des Beklagten stehenden, von ihm selbst geführten Küstenmotorschiff O zusammen, das auf einer Talreise in den Main eingefahren war. Durch starken Wassereinbruch sank MS F im Laufe der Nacht.
Die Klägerin, die ein Mitverschulden des MS F einräumt, verlangt Ersatz von 2/s des mit etwa 317 000,- DM bezifferten Unfallschadens, weil KMS O bei der Einfahrt in den Main die Mainspitze geschnitten, anschließend in Querfahrt das rechte Mainufer erreicht und danach wieder querfahrend eine Backbordbegegnung von MS F verlangt, ein Steuerbordkurszeichen aber erst auf eine Entfernung von 100 bis 120 m abgegeben habe.
Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Für den Talfahrer sei, so führt das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei aus, die durch Nichtabgabe eines Kurssignals (§ 38 Nr. 2 BSchSO) erteilte Backbordkursweisung des Bergfahrers spätestens erkennbar gewesen, als KMS O unmittelbar nach der Einfahrt Kurs zum linken Mainufer genommen habe und noch 300 m von MS F entfernt gewesen sei. MS F habe sich selbst dann noch auf die geforderte Backbordbegegnung einrichten können, als die Schiffe sich nach Abgabe des ersten Kurszeichen durch MS F und des Erwiderungszeichens durch KMS O auf 150 m genähert gehabt hätten. KMS O habe dem Talfahrer auch einen geeigneten Begegnungsweg freigelassen (§ 38 Nr. 1 Abs. 1 BSchSO), indem es nach der Einfahrt dem Talfahrer die für eine Ausfahrt auf den Rhein günstigere rechte Fahrwasserhälfte überlassen habe.
1. Die Revision rügt, die rechte Seite des Mains sei für die Ausfahrt des MS F nicht günstiger gewesen, weil, was das Berufungsgericht übersehen habe, das Schiff den Kurs bei km 0,300 nach Backbord in Richtung Mainspitze gerichtet habe, um diese nach einer Steuerbordbegegnung mit KMS O zu umfahren. Die Rüge kann schon deshalb keinen Erfolg haben, weil der Bergfahrer nicht verpflichtet ist, dem Talfahrer einen günstigen oder gar den vom Talfahrer als am günstigsten angesehenen Fahrtweg zu ermöglichen. Die Verpflichtung des Bergfahrers aus § 38 Nr. 1 Abs. 1 BSchSO geht lediglich dahin, dem Talfahrer einen geeigneten, d. h. risikolos befahrbaren Weg freizulassen. Dieser Pflicht ist aber KMS O nachgekommen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat es dem Talfahrer rechtzeitig auf eine Entfernung von 300 m die gesamte freie rechte Fahrwasserhälfte überlassen.
2. Die Revision trägt weiter vor, das Überhören der beiden Backbordkurszeichen des MS F auf KMS O sei unfallursächlich gewesen. KMS O hätte bei Wahrnehmung der Zeichen nicht auf seinem Kursweisungsrecht bestanden, auch nicht bestehen dürfen, weil das Schiff im Verlauf der Annäherung habe erkennen müssen, daß MS F der Kursweisung nicht folgen werde und ihr schließlich auch nicht mehr habe folgen können. Deshalb stelle sich der von der Einfahrt an nach dem linken Mainufer gerichtete Kurs des KMS O als eine unzulässige Kursänderung dar.
Diese Darlegungen stehen im Widerspruch zu den Feststellungen des Berufungsgerichts.
a) MS F mußte nach § 39 Nr. 1 BSchSO die Kursweisung des KMS O so rechtzeitig befolgen, daß es gefahrlos an diesem Schiff vorbeifahren konnte. Dazu war MS F, wie das Berufungsgericht rechtlich zutreffend ausgeführt hat, auch in der Lage. Nicht KMS O, sondern MS F hat eine nach § 37 Nr. 3 BSchSO verbotene Kursänderung vorgenommen, indem es den von KMS O verbindlich festgelegten Begegnungskurs verlassen hat und nach der linken Mainseite übergewechselt ist. Darin sieht das Berufungsgericht zu Recht die alleinige vorn Talfahrer verschuldete Unfallursache. MS F kann sich nicht darauf berufen, daß es nach der Kursänderung infolge des nunmehr verbotswidrig eingeschlagenen Kurses der Weisung des Bergfahrers nicht mehr folgen konnte. Es hätte diese von Anfang an befolgen können und müssen. Dem gesetzwidrigen (§§ 37, 38 Nr. 1, 39 Nr. 1 BSchSO) Verlangen des nicht weisungsberechtigten MS F nach einer Änderung des Begegnungskurses brauchte der Bergfahrer, der einen seiner Weisung entsprechenden Kurs einhielt, nicht nachzukommen.
b) Wie das Berufungsgericht weiter zutreffend ausgeführt hat, mußte man auf KMS O auch nach Abgabe des ersten Backbordkurszeichens seitens des MS F noch nicht damit rechnen, daß der Talfahrer die Weisung des Bergfahrers nicht befolgen werde. Denn MS F konnte sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Zeitpunkt des ersten Erwiderungszeichens noch auf die vom Bergfahrer geforderte Backbordbegegnung einstellen.
c) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wurde für KMS O erst durch die Nichtbefolgung seines ersten Steuerbordkurszeichens durch MS F erkennbar, daß der Talfahrer eine Steuerbordbegegnung zu erzwingen suchte. Zu diesem Zeitpunkt war der Zusammenstoß aber deshalb nicht mehr zu verhindern, weil der Abstand der beiden auf Kollisionskurs befindlichen Schiffe nunmehr, wie das Berufungsgericht festgestellt hat, bereits weniger als 100 m betrug."