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II ZR 80/68 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 03.03.1969
Aktenzeichen: II ZR 80/68
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

Vorrang des aufdrehenden Talfahrers gegenüber dem überholenden Bergfahrer. Der überholende Bergfahrer ist ggf. nicht nur "verpflichtet, seine Geschwindigkeit zu vermindern, sondern hat das Überholen abzubrechen, indem er je nach der Verkehrslage abstoppt, zurückschlägt oder durch Wenden zu Tal sich hinter den Vorausfahrenden setzt. Zur Beweislast des Überholenden.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 3. März 1969

(Rheinschiffahrtsgericht DuisburgRuhrort/Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Das bei der Klägerin versicherte Küstenmotorschiff B überholte auf der Bergfahrt bei km 847 den rechtsrheinisch fahrenden Schleppzug H an dessen Steuerbordseite. Zu Tal kam, 50 m aus dem rechten Ufer und bei starkem Südwestwind aus dem linken Ufer, das dem Beklagten gehörende und von ihm geführte Boot R mit 4 leeren Anhängen, den Kähnen M (steuerbords) und S (backbords) auf erster Länge sowie K (steuerbords) und G (backbords) auf zweiter Länge. Während eines von dem Schleppzug „R e S" über Backbord vorgenommenen Aufdrehmanövers schlug SK K mit seinem im Davit hängenden Flieger gegen die Steuerbordseite des KMS B, das hierdurch beschädigt wurde.
Die Klägerin verlangt Ersatz gezahlter Entschädigungen - in Höhe von ca. 16 800 DM, weil der Schleppzug R, weit rechtsrheinisch statt in Strommitte fahrend, plötzlich über Backbord aufgedreht habe, ohne vorher rechtzeitig Aufdrehsignale gegeben zu haben. KMS B sei auf Wahrschau der Wasserschutzpolizei rechtsrheinisch gefahren, habe aber den Überholvorgang möglichst schnell abschließen wollen, da der Talzug in Querlage herangetrieben sei. Nach Überholung des „H"-Schleppzuges habe sich KMS B bei km 846,5 zwischen 2 Kribben geflüchtet, um dem aufdrehenden Talzug möglichst viel Platz zu machen, ohne den Zusammenstoß mit dem Achterschiff von K vermeiden zu können. In der Berufung hat die Klägerin behauptet, der Beklagte habe erst aufzudrehen begonnen, als KMS B sich nach der Überholung bereits in Kiellinie vor H befunden habe.
Der Beklagte behauptet, daß er fehlerfrei aufgedreht habe und zum Aufdrehen vorher von der Wasserschutzpolizei wegen einer weiter unterhalb befindlichen Sperre. aufgefordert sei. Der Beklagte sei unterrichtet gewesen, dass die Talfahrt aufdrehen müsse. Die Aufdrehsignale hätten von der Bergfahrt wahrgenommen werden müssen. Entgegen der Fahrweise von Boot H, das seine Fahrt sogleich vermindert habe, sei B zunächst weiter und erst langsamer gefahren, als es an H vorbei gewesen und vom Achterschiff des SK K nur noch ca. 50 m entfernt gewesen sei.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, das Rheinschiffahrtsobergericht hat sie abgewiesen. Die Revision der Klägerin blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht hat die im Berufungsrechtszug geänderte Behauptung der Klägerin, beim Beginn des Aufdrehens habe KMS B sein Überholen bereits beendet gehabt, nicht für erwiesen erachtet. Die Klägerin hat daher ihr Geständnis nicht wirksam widerrufen (§290 ZPO). Bei dieser Rechtslage kommt es auf die widersprechenden Zeugenaussagen nicht an. Demnach ist davon auszugehen, daß sich KMS B Gewiß hat der Gegenfahrer pflichtgemäß zu entscheiden, ob er seine Geschwindigkeit zu mindern oder seinen Kurs zu ändern (oder beides gleichzeitig vorzunehmen) habe. Der Bergfahrer B hat aber hier schuldhaft die falsche Entscheidung getroffen, wenn er sein Überholmanöver fortsetzte und dann vor dem seine Fahrt verlangsamenden Boot H Backbordkurs in Richtung der Kribben nahm. Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht der Führung von B vorgeworfen, sie habe bei dem Kurs des Schleppzuges - 50 m aus dem rechten Ufer - und dem auf das rechte Ufer drückenden Südwestwind mit der naheliegenden Möglichkeit rechnen müssen, daß die zweite Länge der leeren Anhänge des Talzuges während des Wendemanövers in unmittelbare Nähe des rechten Ufers und mit ihren Achterschiffen auch in den Raum zwischen den sehr kurzen Kribben geraten könnte. Es war fehlerhaft und verwerfbar, wenn die Führung von B eine Maßnahme ergriff, wie es hier geschehen ist, die ihr Fahrzeug in den Drehkreis des Talfahrers führen konnte.
Nun hat allerdings das Rheinschiffahrtsgericht in seinem Urteil die Ansicht vertreten, die Führung von B habe, wenn dieses Schiff beim Wendebeginn in Höhe von H gewesen sei, richtig gehandelt, indem sie so schnell wie möglich das Überholen beendet habe und nach Backbord beigegangen sei. Denn im Falle einer Fahrtverringerung wäre sie auf dem Schleppzug H geblieben und hätte erst recht das Wenden behindert, weil sie die freie-Bahn des Reviers an der Steuerbordseite des Schleppzuges H verringert hätte. Dem letzteren mißt das Berufungsgericht nur untergeordnete Bedeutung zu.
Dabei hat jedoch das Rheinschiffahrtsgericht übersehen, daß die nautischen Maßnahmen, die der Bergfahrer BO zu treffen hatte, nicht nur nach § 46 Nr. 3 RhSchPVO, sondern auch §§37 Nr. 1, 42 Nr. 1 RhSchPVO zu beurteilen sind, da KMS B sich nicht nur dem Aufrehmanöver des Talzuges gegenübersah, sondern gleichzeitig den Bergzug H überholte. Nach den letzteren Vorschriften ist aber das Überholen nur gestattet, wenn das Fahrwasser unter Berücksichtigung aller örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs unzweifelhaft hinreichenden Raum für die Vorbeifahrt gewährt; der Überholende hat sich zu vergewissern, daß sein Manöver ohne Gefahr durchgeführt werden kann. Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat (VersR 1964, 184), sind diese Vorschriften nicht nur bei Beginn des Überholens, sondern während des ganzen Überholvorgangs zu beachten. Der Aufdrehende hat den unbedingten Vorrang vor dem Oberholenden. Die Fortsetzung des Überholens von B hat in ihrem adäquaten Verlauf zur Kollision geführt. Sie war also unzulässig. Das KMS mußte daher das Überholen abbrechen, hatte sich also eine über die Vorschrift des § 46 Nr. 3 RhSchPVO (Geschwindigkeitsverminderung) hinausgehende Verpflichtung. Zu diesem Zwecke mußte es, wenn es die Verkehrslage beim Beginn des Aufdrehens des Talzuges erforderte, nicht nur abstoppen, sondern zurückschlagen, um die Fahrt sofort einzustellen. Auf dem KMS hätte man auch erwägen müssen, ob man nicht noch näher an den Bergzug hätte herangehen können, ohne das Verbot, in die Abstände zwischen den Teilen des Bergzuges hineinzufahren (§ 49 Nr. 3 RhSchPVO), zu verletzen. Schließlich muß ein überholendes Schiff, wenn es anders die Gefahr, in den Wendekreis des Aufdrehenden zu geraten, nicht vermeiden kann, sogar seinerseits zu Tal wenden, um sich hinter den zu Überholenden zu setzen. Der Beklagte durfte darauf vertrauen, daß sich das überholende KMS B entsprechend den nautischen Regeln verhalten werde; bei seinem Aufdrehen brauchte er nicht damit zu rechnen, daß die Führung von B die Fortsetzung und Beendigung des Überholens erzwingen und damit den aufdrehenden Talzug in Kollisionsgefahr bringen werde.

Unrichtig ist schließlich die Ansicht der Revision, der Beklagte als Eigner und Führer des aufdrehenden Bootes R sei für alle Umstände beweispflichtig, die die Zulässigkeit seines Aufdrehmanövers beträfen. Die Revision läßt außer acht, daß der Bergfahrer B überholte. Wie der Bundesgerichtshof für den Fall der Begegnung in seinem in VersR 1960, 594, 595 abgedruckten Urteil ausgeführt hat, obliegt dem Überholenden der Beweis für alle den hinreichenden Raum bestimmenden Umstände, insbesondere für den Standort der in dem Raum befindlichen Fahrzeuge, also auch für den Abstand zum Gegenfahrer. Was für die Begegnung gilt, gilt erst recht gegenüber dem aufdrehenden Gegenfahrer, dem ebenfalls der Vorrang vor dem Oberholenden zukommt."