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II ZR 79/67 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 20.06.1986
Aktenzeichen: II ZR 79/67
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsätze:

1) Zur rechtlichen Beurteilung des Verhältnisses des Hafen­lotsen zu seinem Dienstherrn, der Hafenverwaltung, und zum Schiffseigner, für den er Lotsendienste leistet.

2) Aus der Erhebung einer Gebühr für die Lotsung folgt nicht der hoheitsrechtliche Charakter der ausgeübten Tätigkeit und aus dem Hafenbenutzungsverhältnis auch nicht die Pflicht, die Lotsung der Schiffe im Hafen zu übernehmen.

3) Damit entfällt jede Haftung der Hafenverwaltung für ein Verschulden des Lotsen bei der Beratung der Schiffs­führung. Die Lotsentätigkeit eines Hafenlotsen ist ferner nicht unter die von der Hafenverwaltung im Rahmen ihrer privatrechtlichen Verkehrssicherungspflicht zu treffenden Maßnahmen zu rechnen.

Zum Tatbestand:

Das MS „S" der Beklagten nahm beim Anlaufen des Hamburger Hafens den bei der Klägerin als Beamter tätigen Lotsen „M" an Bord. Unter Beratung dieses Lot­sen drehte das Schiff über Heck in den Hansahafen, geriet dabei jedoch gegen eine im Eigentum der Klägerin ste­hende Dalbe und beschädigte sie.

Die Klägerin verlangt Ersatz in Höhe von ca. 60 000 DM, weil der Schaden auf fehlerhaftes Verhalten der Schiffs­führung zurückzuführen sei. Hilfsweise wird Verschulden des Hafenlotsen geltend gemacht, für den die Beklagte hafte.

Die Beklagte bestreitet jedes Verschulden. Für ein etwa­iges Verschulden des Lotsen hafte die Klägerin, in deren Diensten dieser stehe.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Ober­landesgericht hat ihr stattgegeben. Die Revision der Be­klagten blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revision will die Tätigkeit des Hamburger Hafenlotsen bei der nautischen Beratung der Schiffsführung als Ausübung eines öffentlichen Amtes betrachten, so daß das klagende Land nach Art. 34 GG für ihn einzustehen habe. Die Frage, ob der Hafenlotse bei der eigentlichen Lotsentätigkeit ein öffentliches Amt ausübt, unterliegt der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Soweit allerdings dabei nichtrevisible Nor­men des hamburgischen Landesrechts, z. B. § 7 Hafengesetz, ausgelegt werden, ist die Auffassung des Berufungsgerichts bindend (vgl. BGH VersR 1958, 162, 163). Danach werden die Hafenlotsen in Hamburg nach freier Entschließung des Schiffs­führers angenommen und können nach seinem Ermessen auch jederzeit aus ihrer Beratungstätigkeit entlassen werden. Ein Organisationsakt, der die nautische Tätigkeit des Lotsen zur Ausübung eines öffentlichen Amtes macht, ist vom Berufungs­gericht dem § 7 Hafengesetz nicht entnommen worden. Auch sonst verstößt' die Auffassung des Berufungsgerichts nicht gegen bundesrechtliche Grundsätze, wie die Revision meint.

Insbesondere folgt aus dem Umstand, daß eine Gebühr für die Hafenbenutzung einschließlich des etwa angeforderten Lotsen erhoben wird, nicht, daß die Klägerin auch die Lotsen­tätigkeit ihrer Bediensteten an Bord als eine Aufgabe nach öffentlichem Recht übernommen hat. Aus der Erhebung einer Gebühr für bestimmte Leistungen staatlicher Einrichtungen folgt allein für sich noch nicht der hoheitsrechtliche Charakter der ausgeübtem Tätigkeit (vgl. BGHZ 9, 145, 148 betr. Behandlung in einer Universitätsklinik). Ebensowenig ergibt der Umstand, daß der Lotse neben seiner nautischen Beratung amtliche Funktionen ausübt, insbesondere die Aufsicht in schiffahrts­polizeilicher Hinsicht, nichts für einen hoheitlichen Charakter seiner gesamten Tätigkeit, wie die Revision meint. Vielmehr ist jeweils zu unterscheiden, welchem Bereich die getroffene Maßnahme angehört. Solche Verbindung von hoheitlichen und privaten Aufgaben kommt auch sonst vor (z. B. Jagdaufseher als Forstschutzbearnter). Hier ist nach dem unterstellten Sach­verhalt unzweifelhaft eine seiner nautischen Maßnahmen für den Schaden ursächlich geworden.

Die Revision beachtet nicht, daß der Hafenlotse neben seiner nautischen Beratung jederzeit amtliche Funktionen ausüben kann, indem er z. B. schiffahrtspolizeiliche Anordnungen (§ 9 Hafengesetz) erläßt. Es bestehen auch keine Bedenken da­gegen, daß ein Teil der Tätigkeit des Beamten sich in der Art vollzieht, daß er sich zum Abschluß von Dienstverträgen mit Privatpersonen zur Verfügung hält. Die Revision bezweifelt auch zu Unrecht, daß Dienstverträge nach §§ 611 ff. BGB oder zum mindesten dienstvertragsähnliche Rechtsverhältnisse über die einzelnen Lotsungen (vgl. BGHZ 27, 79) vom Hafenlotsen mit dem Reeder vereinbart werden. Die Hafengebühr umfaßt das Entgelt auch für den Lotsen. Daß er kein Entgelt vom Schiffsführer erhält, ändert nichts an der entgeltlichen Dienst­leistung für den Reeder.

Zutreffend hat auch das Berufungsgericht das Lotsen der Schiffe im Hafen nicht unter die von der Klägerin im Rahmen ihrer privatrechtlichen Verkehrssicherungspflicht (vgl. BGHZ 9, 337; 20, 57) zu treffenden Maßnahmen gerechnet. Die Schiffe können im Hafen Hamburg auch ohne Annahme eines Lotsen verkehren (§ 7 Hafengesetz). Die Verwaltung der Wasserstraße hat sich entsprechend § 7 Abs. 1 Hafengesetz beim Hafen­betrieb darauf beschränkt, geeignetes Lotsenpersonal zur Er­leichterung des Navigierens zur Verfügung zu stellen. Beim Schleusenbetrieb gehört z. B. das ordnungsmäßige Einschlep­pen durch einen Schleppwagen der Kanalverwaltung notwendig zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht (vgl. BGH LM § 823 EA Nr. 23), nicht aber besteht die Pflicht des Schleusenper­sonals, vor Abgabe des grünen Lichtzeichens zu prüfen, ob noch genügend Platz in der Schleusenkammer ist (BGH MDR 1965, 556). Diese Prüfung hat, wie das Navigieren sonst, der Schiffsführer unter seiner Verantwortung vorzunehmen. Die Verwaltung der Wasserstraße hat also nicht den Verkehr in der Art zu sichern, daß sie der Schiffsführung bei bestimmten nautischen Entscheidungen verantwortliche Hinweise gibt oder sogar wegen der Schwierigkeiten des Hafenbetriebes die lau­fende Beratung durch einen Lotsen übernimmt.

Auch aus dem Hafenbenutzungsverhältnis, mag dieses öffent­lich-rechtlich oder privatrechtlich geregelt sein, folgt keine Pflicht, die Lotsung der Schiffe im Hafen zu übernehmen.

Damit ist zugleich entschieden, daß eine Haftung der Klägerin für ein Verschulden des Lotsen bei der Beratung der Schiffs­führung weder aus einer unmittelbaren oder einer entsprechen­den Anwendung des § 278 BGB auf öffentlich-rechtliche Ver­hältnisse noch aus § 831 BGB hergeleitet werden kann. Ihren inneren Grund findet diese Regelung der Pflichten der Klägerin darin, daß sie wohl die Einrichtungen des Hafens dem Verkehr in ordnungsmäßigem Zustand zur Verfügung zu stellen hat, aber auf die Benutzung im einzelnen, insbesondere auf die Durchführung der einzelnen Lotsung, die hier zudem im Be­lieben der Schiffsführung steht, keinen Einfluß nehmen kann.

Die Klägerin ist hiernach nicht durch beamtenrechtliche Grund­sätze gehindert, gegen den Hafenlotsen Ansprüche auf § 823 BGB zu erheben, weil er - wie zu unterstellen ist - schuld­haft ihre Anlagen beschädigt hat, als er die Schiffsführung beriet. Der Oberlotse Sch. hat bei den einzelnen Maßnahmen zur Führung des Schiffs nicht eine ihm gegenüber dem Reeder obliegende Amtspflicht verletzt, sondern seine aus dem privat­rechtlichen Vertrag entspringende Pflicht zur ordnungsmäßigen Lotsung. Die Klägerin wäre freilich auf Grund ihres Auf­sichtsrecht befugt und auch verpflichtet, gegen den Hafen­lotsen einzuschreiten, falls er bei Erfüllung der Dienstverträge mit den Reedern seine Pflichten vernachlässigt. Das ändert aber nichts daran, daß sie ihn aus unerlaubter Handlung in Anspruch nehmen kann, wenn er Hafenanlagen auch nur leicht fahrlässig beschädigt.

Die Revision vermag keinen durchgreifenden Grund für den Wegfall dieses Anspruchs darzutun. Der Gesichtspunkt scha­dengeneigter Tätigkeit mag dem Lotsen gegen den Reeder, in dessen Dienst er steht, einen Anspruch auf Freistellung von der Haftung geben, berührt aber nicht die unbeschränkte Haftpflicht des Lotsen gegenüber dem Geschädigten (vgl. BGHZ 41, 203), hier gegenüber der Klägerin, mag er auch zu dieser in einem Beamtenverhältnis stehen. Die Voraussetzung der sog. adjektizischen Haftung nach § 485 HGB, daß die Klägerin einen Ersatzanspruch gegen den Hafenlotsen hat, der der Schiffsbesatzung haftungsrechtlich gleichsteht, ist erfüllt. Voraussetzung der Haftung ist nicht, daß dem Reeder ein Regreßanspruch gegen den Lotsen zusteht.

Hiernach ist die Klage auch dann gerechtfertigt, wenn den Hafenlotsen ein Verschulden an der Beschädigung durch seine Manöver treffen sollte. Das Berufungsgericht hat jedenfalls ein schuldhaftes Manövrieren des Schiffes für erwiesen er­achtet, was von der Revision nicht angegriffen wird. Für die rechtliche Beurteilung ist es gleichgültig, ob die für den Scha­den ursächlichen Handlungen oder Unterlassungen von der eigentlichen Schiffsbesatzung oder vom Hafenlotsen herrüh­ren. Für beide haftet die Beklagte."