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Leitsatz:
Zur Frage der Einziehung übertariflicher Beförderungsentgelte durch den Staat.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 3. Juli 1975
II ZR 71/73
(Landgericht Duisburg; Oberlandesgericht Düsseldorf)
Zum Tatbestand:
Die Beklagte und eine weitere Reederei hatten mit einem Großverlader einen 10-jährigen Transportvertrag über dessen gesamte Steintransporte im innerdeutschen Verkehr zwischen den Orten A und B abgeschlossen. Zur Durchführung dieser fahrplanmäßig durchzuführenden Transporte von jährlich weit über 1 Mill. t mußten modernste Schiffe gebaut und laufend vorgehalten werden. Der zu Beginn der Transporte vom Frachtenausschuß beschlossene und von der Verwaltung genehmigte Frachtsatz sollte - nach den von den Partnern zugrundegelegten gesetzlichen Bestimmungen des Binnenschiffsverkehrsgesetzes - gemäß einer Gleitklausel und einer darin enthaltenen Formel je nach Veränderung der Lohn- und/oder Gasölpreise berichtigt werden können. Aufgrund dieser Klausel wurde mehrfach eine Erhöhung beantragt und auch genehmigt. Als die Lohn- und Gasölpreise ab 1. Juli und ab Mitte September 1970 erneut anstiegen, wurden von den genannten Zeitpunkten ab nach Maßgabe der Gleitklausel ein um 5 Pf bzw. 8 Pf erhöhte Frachtsätze mit dem Verlader verrechnet, die jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt vom Frachtenausschuß genehmigt wurden.
Die klagende Bundesrepublik verlangt einen Teilbetrag von 30000,- DM von dem übertariflichen Differenzbetrag, weil die Vertragspartner vorsätzlich ein abweichendes Entgelt vereinbart hätten.
Die Beklagte hält die Klage wegen nicht zuständigen Rechtsweges für unzulässig. Im vorliegenden Fall seien auch die Vorschriften des Binnenschiffsverkehrsgesetzes über die Frachtenbildung wegen der besonderen Verhältnisse und des Ausnahmecharakters des Transportvertrages nicht anwendbar. Es fehlen ferner die Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 BSchVerkG.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die Revision blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht ist der Ansicht der Beklagten nicht gefolgt, die Vorschriften des Binnenschiffsverkehrsgesetzes seien auf die im Rahmen des Transportvertrages vom 15. Januar 1966 durchgeführten Binnenschiffstransporte nicht anzuwenden, weil das Vertragsverhältnis wegen seiner Besonderheiten: des Werkvertragscharakters, der langen Vetragsdauer und der hohen Investitionskosten von den Zwecken des Gesetzes nicht berührt werde. Es geht vielmehr davon aus, daß die streitigen Beförderungsleistungen und Entgelte der gesetzlichen Frachtenbildung unterliegen.
Das Frachtenbildungsverfahren ist ein wesentlicher Bestandteil der staatlichen Lenkungsmaßnahmen innerhalb der Binnenschiffschaft. Es dient, wie der Revision zugegeben ist, dem Schutze der Binnenschiffahrt vor ruinösem Wettbewerb, denn die Entgelte sollen den wirtschaftlichen Verhältnissen der Unternehmer der Schiffahrt Rechnung tragen (§ 21 Abs. 2). Darin erschöpft sich aber sein Zweck nicht. Abgesehen davon, daß auch die Interessen der Verladerschaft durch deren Beteiligung an den Frachtenausschüssen berücksichtigt und gewahrt werden, darf das Binnenschiffsverkehrsgesetz nicht isoliert nur von den Belangen der Binnenschiffahrt her betrachtet werden. Es ist vielmehr Teil einer verkehrspolitischen Gesamtkonzeption, die sich aus den gesetzlichen Vorschriften wirtschaftsrechtlichen Inhalts für den Verkehr auf den Schienen, den Straßen und den Binnenwasserstraßen ergibt. Gleichlautende Vorschriften in diesen Gesetzen verpflichten die Bundesregierung, mit dem Ziele bester Verkehrsbedienung darauf hinzuwirken, daß die Wettbewerbsbedingungen der Verkehrsträger angeglichen werden und daß durch marktgerechte Entgelte und einen lauteren Wettbewerb der Verkehrsträger eine volkswirtschaftlich sinnvolle Aufgabenteilung ermöglicht wird. Die Leistungen und Entgelte der verschiedenen Verkehrsträger hat der Bundesminister für Verkehr insoweit aufeinander abzustimmen, als es die Verhinderung eines unbilligen Wettbewerbs erfordert (§ 33 BinnSchVG; § 8 Allgemeines Eisenbahngesetz vom 29. März 1951, BGBI III 930 - 1; § 7 GüKG). Die Erfüllung dieser im Interesse der Allgemeinheit aufgestellten Pflichten durch die Bundesregierung setzt ein Instrumentarium staatlicher Lenkungsmaßnahmen voraus. Dazu gehört das gesetzliche Frachtenbil¬dungsverfahren, mit dessen Hilfe die Ziele der angeführten Vorschriften gegebenenfalls verwirklicht werden können. Dies setzt aber wiederum eine umfassende Geltung für den gesamten Bereich eines Verkehrsträgers voraus. Aus diesem Grunde wäre es zweckwidrig und durch nichts gerechtfertigt, die hier streitigen Verkehrsleistungen vom Tarifzwang auszunehmen.
Die Beklagte hat in der Berufungsinstanz geltend gemacht, die Parteien des Transportvertrages hätten mit dem Vertragsschluß am 15. Januar 1966 und der Vereinbarung einer Gleitklausel die Frachten für die gesamte Vertragsdauer ein für allemal bestimmt. Wegen der Automatik der Gleitklausel habe es späterer Frachtvereinbarungen nicht mehr bedurft. Da zu diesem Zeitpunkt für die vertraglichen Verkehrsleistungen noch keine gesetzlichen Entgelte festgesetzt gewesen seien, sei es schlechthin unmöglich, daß später ein vom festgesetzten abweichendes Entgelt hätte vereinbart werden können.
Dem ist das Berufungsgericht nicht gefolgt. Es hat ausgeführt, die Beklagte übersehe, daß die Angleichungsformel nicht die einzige Bestimmung im Vertragswerk sei, die sich mit der Preisbemessung befasse. In § 6 des Vertrages hätten die Vertragsschließenden vielmehr in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen die Geltung des (jeweiligen) Frachttarifs vereinbart. Beide Bestimmungen stünden zueinander in Widerspruch, wenn man mit der Beklagten davon ausgehe, die Angleichungsformel bewirke bei Veränderung der maßgeblichen Faktoren automatisch die Änderung der Beförderungsentgelte. Einen Sinn habe dieses Nebeneinander der Bestimmungen nur dann, wenn man den Vertrag dahin auslege, daß die Partner die Frachten den gesetzlichen Tarifen hätten unterwerfen wollen und sich gleichzeitig verpflichtet hätten, im Falle der Veränderung der maßgeblichen Faktoren bei dem zuständigen Frachtenausschuß auf eine sich nach der Ausgleichungsformel zu errechnende Änderung des Tarifs hinzuwirken. Daß die Parteien des Transportvertrages die umstrittenen Vertragsbestimmungen in diesem Sinne verstanden haben, entnimmt das Berufungsgericht dem Umstand, daß sie stets, wenn sich nach der Anpassungsformel eine Änderung ergeben habe, die entsprechende Änderung des Tarifs beantragt hätten. Daran zeige sich deutlich, daß auch die Vertragspartner nicht geglaubt hätten, die Anpassungsklausel entziehe ihre Preisvereinbarung den gesetzlichen Tarifen.
Aus all dem folgt, daß der Transportvertrag vom 15. Januar 1966 den gesetzlichen Vorschriften des Binnenschiffsverkehrsgesetzes über die Frachtenbildung unterliegt und ferner, daß im Vertrag nichts anderes vereinbart ist, insbesondere keine automatische Veränderung der Frachtsätze ohne Rücksicht auf die gesetzlichen Tarife.
Das Berufungsgericht hat auch den subjektiven Tatbestand des § 31 Abs. 3 BinnSchVG bejaht. Es hat ausgeführt, die an der Tarifüberschreitung beteiligten Reeder und Verlader hätten vorsätzlich gehandelt. Die Vertragspartner seien Großbetriebe, die ständig mit Binnenschiffstransporten großen Ausmaßes befaßt seien.
Der Annahme, sie hätten sie unrichtig beurteilt, stehe insbesondere entgegen, daß sie den Transportvertrag lange Zeit gesetzeskonform angewandt hätten. Das Berufungsgericht zweifle daher nicht daran, daß sich die Vertragsschließenden bewußt über den Tarif hinweggesetzt hätten. Diese Ausführungen lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Die von der Revision dagegen vorgebrachten Verfahrensrügen nach § 286 ZPO hat der Senat geprüft, aber nicht für begründet erachtet.
Unbegründet sind auch die Angriffe der Revision, soweit sie sich dagegen richten, daß das Berufungsgericht dem von der Beklagten erhobenen Arglisteinwand nicht stattgegeben hat.
Wenn, wie vorstehend ausgeführt worden ist, in der Revisionsinstanz davon auszugehen ist, daß die Angleichungsformel in der Zusatzvereinbarung eine frachtrechtlich zulässige Vertragsbestimmung ist, dann kann der Umstand, daß die Klägerin sie trotz - unterstellter - Kenntnis nicht beanstandet hat, nicht den Vorwurf arglistigen Verhaltens begründen.
Die Beklagte meint, sie könne sich der gesetzlich angeordneten Abführung des Mehrerlöses nach § 31 BinnSchVG mit dem Einwand entziehen, auch die Verladefirmen hätten die Unzulässigkeit der übertariflichen Bezahlung gekannt. Dem kann nicht gefolgt werden. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift des § 31 Abs. 3 BinnSchVG, der der Tarifsicherung dient, können der Klägerin die Einwände der Arglist und aus § 817 Satz 2 BGB nicht entgegengehalten werden, soweit sie mit der vorsätzlichen Umgehung der Tarifvorschriften begründet werden. Wollte man dies für zulässig halten, dann hätte die gesetzliche Überleitung der Forderung keinen Sinn, weil sie bei beiderseitigem vorsätzlichen Verstoß niemals realisiert werden könnte.
Veröffentlicht in ZfB 1975, S.396; ZfB 1975, 396