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Leitsatz:
Die Verjährung von Ansprüchen aus einem nautischen Verschulden des Schiffseigners, der sein Fahrzeug selbst führt, richtet sich nach §§ 117, 118 BinnSchG und nicht nach § 852 BGB; das gilt auch, wenn das Fahrzeug lediglich Sport- oder Vergnügungszwecken dient.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 2. Juni 1977
II ZR 67/75
(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Bei einer Vergnügungsfahrt mit 23 Personen stieß das dem Beklagten gehörende Kajütmotorboot W am 26. 6. 1970 gegen 23.00 Uhr bei Rhein-km 739 mit einem Schubverband zusammen und versank.
Der Kläger als Dienstherr von u. a. 5 getöteten und 10 verletzten Polizeibeamten der Kreispolizeibehörde Neuß macht mit der Klage Schadensersatzansprüche (Sachschäden, Heilbehandlungskosten, Dienstbezüge während der Dienstunfähigkeit, Sterbegelder, Beihilfen, Hinterbliebenenbezüge) in Höhe von fast 100 000 DM geltend und beantragt die Feststellung, daß der Beklagte alle aus dem Schiffsunglück weiterhin seit dem 31. 10. 1972 entstehenden Schäden zu ersetzen habe. Der Kläger begründet seine Ansprüche damit, daß der Beklagte infolge Unaufmerksamkeit den ordnungsgemäß beleuchteten Schubverband zu spät bemerkt habe.
Der Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung; die geltend gemachten Ansprüche seien nach § 117 Nr. 7 und § 118 BSchG a. F. am 31. 12. 1971 verjährt gewesen, die Klage sei aber erst am 9. 4. 1973 beim Rheinschiffahrtsgericht eingegangen.
Das Rheinschiffahrtsgericht und das Rheinschiffahrtsobergericht haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
1. Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts hat es sich bei dem Kajütmotorboot W des Beklagten um ein Schiff im Sinne des Binnenschiffahrtsgesetzes gehandelt. Dem ist zuzustimmen. Der Senat ist bereits in seinem - den gleichen Unfall betreffenden - Urteil vom 11. Juli 1974 - II ZR 109/73, VersR 1974, 1015 davon ausgegangen, daß das Kajütmotorboot des Beklagten als Schiff im Sinne des genannten Gesetzes anzusehen ist (vgl. auch BGHZ 57, 309 ff.; 62, 146, 152).
2. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Verjährung von außervertraglichen Schadensersatzansprüchen wegen eines nautisch falschen Verhaltens des Schiffseigners, der sein Fahrzeug selbst führt, nach den spezielleren Vorschriften (§§ 117, 118) des Binnenschiffahrtsgesetzes und nicht nach der allgemeinen Bestimmung des § 852 BGB zu beurteilen. Dem ist ebenfalls zuzustimmen. Zwar spricht der insoweit allein in Betracht kommende § 117 Nr. 7 BinnSchG (in der bis zum 5. September 1972 geltenden Fassung, die durch Art. 2 Nr. 5 b des Gesetzes vom 30. August 1972 - BGBI. 111005 - auf Lotsen ausgedehnt worden ist) lediglich davon, daß „die Forderungen aus dem Verschulden einer Person der Schiffsbesatzung (§ 3, § 4 Nr. 3, §§ 7, 92) mit dem Ablaufe eines Jahres verjähren". Das schließt jedoch nach fast einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum nicht aus, grundsätzlich auch die Forderungen aus einem nautischen Verschulden des Schiffseigner-Schiffers in die Regelung des § 117 Nr. 7 BinnSchG einzubeziehen (RGZ 127, 72, 74; KG OLGZ 32, 190; SchiffOG Karlsruhe, VersR 1972, 247; SchiffOG Hamm, ZfB 1973, 19; SchiffOG Berlin, VersR 1974, 1037; vgl. ferner BGHZ 19, 82, 83; Mittelstein, Das Recht der Binnenschiffahrt S. 427; Vortisch/Zschucke, Binnenschiffahrts- und Flößereirecht 3. Aufl. § 117 BschG Anm. 3 b; Wassermeyer, Der Kollisionsprozeß in der Binnenschiffahrt 4. Auf). S. 389; Bemm/Kortendick, Rheinschiffahrtspolizeiverordnung 1970 S. 47). Hierfür spricht vor allem, daß der Schiffseigner-Schiffer - wie jeder Schiffsführer - zur Besatzung zu rechnen ist (vgl. § 3 Abs. 2 BinnSchG). Hinzu kommt, daß die tatsächliche Grundlage von Forderungen wegen eines nautischen Verschuldens nach Ablauf eines längeren Zeitraums häufig nicht mehr zuverlässig geprüft werden kann, und zwar unabhängig davon, ob sie sich gegen den Schiffseigner-Schiffer, ein Besatzungsmitglied oder gegen den für dessen Verschulden haftenden Schiffseigner (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 BinnSchG) richten. Gerade das hat den Gesetzgeber ganz wesentlich zu der kurzen Verjährungsregelung des § 117 Nr. 7 BinnSchG im Interesse einer schleunigen Abwicklung derartiger Forderungen bewogen (S. 126 des Entwurfs eines Gesetzes 'betreffend die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiffahrt nebst dem Entwurf betreffend die privatrechtlichen Verhältnisse der Flößerei und den Begründungen). Weder diesen noch den zuvor aufgezeigten Gesichtspunkten berücksichtigt die Revision, soweit sie sich - gestützt auf die Vorschrift des § 4 Abs. 2 BinnSchG, die sich allein mit der persönlichem Haft u n g des Schiffseigners im Falle eigenen Verschuldens, hingegen nicht mit Verjährungsfragen befaßt -ganz allgemein gegen eine Anwendung des § 117 Nr. 7 BinnSchG auf i orderungen gegen den Schiffseigner-Schiffer wegen eines nautisch falschen Verhaltens richtet. Ferner beachtet sie nicht, daß die Anführung der in § 117 Nr. 7 BinnSchG genannten Paragraphen nur als eine beispielsweise Aufzählung aufzufassen ist (BGHZ 19, 82, 83; vgl. weiter BGH, Urt. v. 10. 4. 1969 - II ZR 239/67- VersR 1969, 582). Auch sind in diesem Zusammenhang die von der Revision für ihren Standpunkt angezogenen Entscheidungen RGZ 151, 271, 277 und OLG Hamburg SeuffArch. 74 Nr. 144 ohne erkennbare Bedeutung.
3. Eine andere Frage ist es hingegen, ob die Anwendung des § 117 Nr. 7 BinnSchG auf Forderungen aus einem nautischen Verschulden des Schiffseigner-Schiffers insoweit einzuschränken ist, als es um einen Fehler beim Führen eines lediglich Sport- oder Vergnügungszwecken dienenden Fahrzeugs geht. Diese Frage ist mit dem Berufungsgericht und entgegen den Darlegungen der Revision zu verneinen. Allerdings ist es richtig, daß der Senat es dem Schiffseigner-Schiffer eines solchen Fahrzeugs versagt hat, sich auf die - haftungsbeschränkende - Vorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 2 BinnSchG zu berufen, weil diese Bestimmung nach ihrer Entstehungsgeschichte allein die aus sozialen Gründen gebotene haftungsmäßige Gleichstellung der Partikulierschiffer mit den Schiffahrtsgesellschaften im Auge hatte, außerdem eine Anwendung des § 4 Abs. 2 Satz 2 BinnSchG in Fällen der vorliegenden Art zu Lasten des geschädigten Dritten bedeuten würde, daß das Haftungsrisiko des Schiffseigner-Schiffers auf einen Wert beschränkt wäre, der - im Gegensatz zu den üblichen Werten der Fahrzeuge der gewerblichen Schiffahrt - vielfach nicht sehr hoch und bei einer bei Kollisionen nicht seltenen vollständigen Zerstörung des Sport- oder Vergnügungsfahrzeugs gleich Null ist (BGHZ 35, 150 ff.; Urt. v. 11. 7. 1974 - 11 ZR 109/73, LM § 4 BinnSchG Nr. 12 = VersR 1974, 1015). Das alles spielt jedoch im Rahmen einer Anwendung des § 117 Nr. 7 BinnSchG keine Rolle. Vielmehr geht es hier, wie oben unter 2. ausgeführt, im wesentlichen um eine im Interesse aller Beteiligten liegende rasche Abwicklung bestimmter Forderungen. Dieser Gesichtspunkt trifft aber unabhängig davon zu, ob es sich um eine Forderung wegen nautischen Verschuldens des Schiffseigner-Schiffers bei der Führung eines gewerblich genutzten oder lediglich Sport- oder Vergnügungszwecken dienenden Fahrzeugs handelt.
4. Die danach vorliegend anzuwendende einjährige Verjährungs. frist des § 117 Nr. 7 BinnSchG begann nach § 118 BinnSchG (in der bis zum 5. September 1972 geltenden Fassung) am 1. Januar 1971 zu laufen, so daß die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche seit dem 1. Januar 1972 verjährt sind....“