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Leitsätze:
1) Der Frachtführer kann in allgemeinen Geschäftsbedingungen den in § 67 Abs. 1 Satz 1 VVG vorgesehenen Übergang des gegen ihn wegen Beschädigung der Güter gerichteten Schadensersatzanspruches auf den (Transport-)Versicherer nicht wirksam ausschließen.
2) Ein Schiff ist auch dann von Anfang an für die Beförderung von nässeempfindlichen Gütern ladungsuntüchtig, wenn der Schiffer anstelle fehlender Lukendeckel eine andere, jedoch unzureichende Lukenabdeckung vornimmt.
Urteil des Bundesgerichtshofs
vom 8. Dezember 1975
II ZR 64/74
(Schiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort; Schiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Die Streithelferin der Klägerin, einer Ladungsversicherin, hatte im Auftrag der Versicherungsnehmerin eine Reisladung zu transportieren. In den Frachtvertrag waren die Beklagten als Eigner und der Beklagte H. als Führer des MS M im Unterfrachtverhältnis eingetreten. Ein Teil der Ladung wurde wegen erheblicher Nässeschäden von der Empfängerin nicht angenommen, weil - in Kenntnis der Versicherungsnehmerin hinsichtlich des Mangels an einer genügenden Anzahl von Lukendeckeln - die Abdeckung der Ladung nur behelfsmäßig mit Planen erfolgte, sich diese aber bei außergewöhnlich starkem Regen als nicht stabil und ausreichend erwies, so daß Wasser in den Laderaum eindrang.
Die Klägerin verlangt Ersatz des der Versicherungsnehmerin erstatteten Schadens von mehr als 43000,- DM, weil der Transport der nässeempfindlichen Ladung mit einem hierfür von Anfang an untauglichen Schiff vorgenommen sei.
Die Beklagten meinen, daß der Klägerin die Sachbefugnis fehle und den Schiffer wegen der unwetterähnlichen Regenfälle kein Verschulden treffe. Zumindest seien die Beklagten durch die Konnossementsbedingungen der Streithelferin freigezeichnet.
Schiffahrts- und Schiffahrtsobergericht haben die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Revision blieb erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
„...
Die Sachbefugnis der Klägerin ergibt sich aus § 67 Abs. 1 Satz 1 VVG. Nach dieser Vorschrift geht der Schadensersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen einen Dritten auf den Versicherer über, soweit dieser dem Versicherungsnehmer den Schaden ersetzt. Dem hält die Revision ohne Erfolg entgegen, daß nach § 28 der dem Frachtvertrag zugrundeliegenden Verlade- und Transport-Bedingungen (Konnossements-Bedingungen) der Streithelferin der Klägerin die Rechte aus dem Vertrag „ohne Einverständnis der Reederei nicht übertragbar sind". Zwar mag es zutreffen, daß sich die Beklagten, die nach dem angefochtenen Urteil gemäß §§ 26 BinnSchG, 432 Abs. 2 HGB in den Frachtvertrag eingetreten sind, auf diese Bestimmung berufen können. Ferner kann zu ihren Gunsten davon ausgegangen werden, daß die Bestimmung auch den Übergang von Ansprüchen nach § 67 Abs. 1 Satz 1 VVG umfassen soll. Jedoch berührt dz-, die Sachbefugnis der Klägerin nicht, weil § 28 der Verlade- und Transportbedingu gen der Streithelferin der Klägerin insoweit unwirksam ist.
Bei den genannten Bedingungen handelt es sich, wie keiner weiteren Ausführung bedarf, um allgemeine Geschäftsbedingungen. Derartige Bedingungen unterliegen einer an den Maßstäben von Treu und Glauben ausgerichteten richterlichen Inhaltskontrolle (BGHZ 60, 243, 245; 377, 380). Sie sind unwirksam, soweit derjenige, der sie abfaßt, es unterläßt, die Interessen seiner künftigen Vertragspartner angemessen zu berücksichtigen, und nur seine eigenen Interessen zur Geltung bringt oder diesen eine wirkliche Berechtigung nicht zukommt (vgl. BGHZ 54, 106, 109).
So liegt es hier. Gewiß kann im Einzelfall ein anerkennenswertes Interesse des Schuldners daran gegeben sein, daß in der Person des Gläubigers kein Wechsel eintritt. Das mag der Fall sein, wenn er von dem Gläubiger aus bestimmten Gründen eine besondere Rücksichtnahme erwarten darf, oder wenn durch ein Abtretungsverbot verhindert werden soll, daß der Abrechnungsverkehr unklar oder unübersichtlich wird oder dem Schuldner eine im voraus nicht übersehbare Vielzahl von Gläubigern gegenübertritt (vgl. BGHZ 56, 173, 175/176). Jedoch besteht ein derartiges Interesse des Schuldners im allgemeinen nicht, wenn es sich lediglich um den Übergang eines gegen ihn wegen eines Transportschadens gerichteten Ersatzanspruches auf den Schadensversicherer handelt. Insbesondere ist es in diesem Falle für den Schuldner in der Regel ohne weiteres nachprüfbar, ob oder in welchem Umfang der Anspruch auf den Versicherer übergegangen und dieser zu dessen Geltendmachung berechtigt ist. Selbst wenn der Schuldner in einem solchen Falle ausnahmsweise ein besonderes Interesse daran haben sollte, daß ein Anspruchsübergang nach § 67 Abs. 1 Satz 1 VVG nicht stattfindet, so tritt dieses hinter die gegenteiligen Interessen des Versicherungsnehmers zurück. Insoweit ist zu beachten, daß dieser bei einem - nach §§ 412, 399 BGB an sich möglichen - Ausschluß der Regelung des § 67 Abs. 1 Satz 1 VVG gehalten wäre, selbst den Schadensersatzanspruch gegen den Schuldner zu verfolgen, das Erstrittene an den Versicherer auszukehren, und, sofern er ein solches Vorgehen unterläßt, diesem Schadensersatz zu leisten (RGZ 97, 76, 79). Auch könnte ein derartiger Ausschluß zumindest bei einer laufenden Transportversicherung oder bei einer erst nach Abschluß des Frachtvertrages getätigten Versicherung der Güter zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer über den diesem zu gewährenden Versicherungsschutz führen (vgl. auch RG aaO sowie Sieg in Bruck/Möller, Versicherungsvertragsgesetz 8. Aufl. § 67 Anm. 36). Das alles
widerspräche in so erheblichem Maße den Interessen des Versicherungsnehmers, der gerade durch den Abschluß einer Transportversicherung auch allen Streitigkeiten über die Frage der Schadensersatzpflicht eines Dritten aus dem Wege zu gehen sucht, daß es jedenfalls als mißbräuchliche - und damit als unwirksame - Vertragsgestaltung anzusehen ist, wenn ein Frachtführer in seinen Verlade- und Transportbedingungen den kraft Gesetzes erfolgenden Übergang einer Schadensersatzforderung der Ladungsinteressenten auf den Transportversicherer ausschließt. Soweit das Reichsgericht aaO zu diesem Punkte eine andere Ansicht vertreten hat (vgl. hierzu auch Sieg aaO; Prölss/ Martin, Versicherungsvertragsgesetz 19. Aufl. § 67 Anm. 4A; Reimer Schmidt, Der Regreß des Versicherers, VersR 1953, 457, 459), vermag dem der Senat aus den dargelegten Gründen nicht zu folgen.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat der Beklagte H. als verantwortlicher Führer des MS M den Nässeschaden verschuldet. Ihm sei vorzuwerfen, daß er die Abdeckplanen entweder nicht hinreichend gespannt oder nicht genügend unterlegt habe; dadurch hätten die - zwar ungewöhnlich starken, jedoch nicht unvorhersehbaren - Regenfälle einen großen Wassersack im Bereich der Planen bilden können, unter dessen Gewicht sodann deren seitliche Befestigung losgerissen sei. Das alles vermag die Revision nicht zu bezweifeln. Trotzdem, so meint sie, sei die Klage unbegründet (wird im einzelnen ausgeführt).
...
Nach § 7 Abs. 1 BinnSchG ist der Schiffsführer verpflichtet, bei allen Dienstverrichtungen, namentlich bei der Erfüllung der von ihm auszuführenden Verträge, die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Schiffers anzuwenden. Dazu gehört, vor Antritt der Reise darauf zu sehen, daß sich das Schiff in fahrtüchtigem Zustand befindet (§ 8 Abs. 1 BinnSchG). Verletzt er diese Pflicht, so haftet er nach § 7 Abs. 2 Satz 1 BinnSchG auch dem Absender für jeden diesem aus seiner Nachlässigkeit entstandenen Schaden (wozu im Falle der anfänglichen Fahruntüchtigkeit des Schiffes die unbeschränkte persönliche Haftung des Schiffseigners tritt - § 8 Abs. 4 BinnSchG). Somit steht der Schiffsführer aufgrund der Vorschrift des § 7 Abs. 2 Satz 1 BinnSchG in einem gesetzlichen Schuldverhältnis zu dem Absender, aus welchem dem letzteren unabhängig von der Frage einer Eigentumsverletzung Ansprüche auf Ersatz eines Vermögensschadens erwachsen können (vgl. auch BGH, Urt. v. 18. 3. 71 - II ZR 94/69, LM Nr. 1 zu § 511 HGB = VersR 1971, 559 ff). Einen solchen Schaden hat hier die Klägerin - für den Fall, daß gegenüber ihrer Versicherungsnehmerin keine Eigentumsverletzung seitens des Schiffers von MS „Methusalem" vorliegen sollte - jedenfalls mit einer zum Erlaß eines Grundurteils ausreichenden Wahrscheinlichkeit dargetan, nachdem zwischer, den Parteien unbestritten ist, daß die Ladungsempfär gerin nur zur Annahme einwandfreier Ware verpflichtet war, hingegen mangelhafte Ware zurückweisen durfte, was tatsächlich auch geschehen ist, und ihr dafür von der Versicherungsnehmerin der Klägerin Ersatz zu leisten war.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist jede in allgemeinen Geschäftsbedingungen erfolgende Freizeichnung des Frachtführers, des Schiffseigners oder des Schiffers von der Haftung für die anfängliche Fahrtüchtigkeit des Schiffes (vgl. § 8 Abs. 1 und 4 BinnSchG) grundsätzlich unwirksam (so zuletzt Urt. v. 21. 4. 75 - 11 ZR 164/73, ZfB 1975, 449 und Urt. v. 18. 9. 75 - II ZR 40/74, ZfB 1975, 450). Dabei fällt unter den Begriff der Fahruntüchtigkeit auch die Ladungsuntüchtigkeit, die das Schiff nicht geeignet erscheinen läßt, die Güter nach dem Bestimmungsort zu befördern (BGHZ 49, 356, 363). Eine solche Untüchtigkeit des MS M hat das Berufungsgericht bejaht, weil das Fahrzeug wegen Fehlens einer Anzahl von Lukendeckeln nicht geeignet gewesen sei, die nässeempfindliche Ladung aufzunehmen. Ferner meint es, MS M sei nicht dadurch ladungstüchtig geworden, daß der Beklagte H. den wegen der fehlenden Lukendeckel ungeschützten Teil des Laderaums 2 mit Planen abgedeckt habe, weil diese Maßnahme mangelhaft ausgeführt worden sei. Das alles ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Bei ihren gegenteiligen Darlegungen verkennt die Revision, daß das Abdecken nur ein Hilfsmittel war, um die Eignung des MS M für einen ungefährdeten Transport der nässeempfindlichen Reisladung herzustellen. Insoweit liegt der Fall anders, als wenn die Besatzung eines ladetüchtigen Schiffes bei der Ladungsfürsorge einen Fehler macht.
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Es ist richtig, daß die Versicherungsnehmerin der Klägerin über das Fehlen einiger Lukendeckel auf MS M unterrichtet war. Nach dem angefochtenen Urteil durfte sie sich jedoch im Hinblick auf eine von dem Beklagten H. gegebene Zusage darauf verlassen, daß dieser Mangel vollwertig ausgeglichen und das Schiff trotz der fehlenden Lukendeckel ladungstüchtig gemacht werde, was technisch möglich gewesen sei. Mit Rücksicht darauf vermag der Senat nicht die Ansicht der Revision zu teilen, es müsse wegen der feststehenden Kenntnis der Versicherungsnehmerin der Klägerin von dem Nichtvorhandensein einiger Lukendeckel die Freizeichnungsfrage anders als in den sonstigen Fällen anfänglicher Fahr- oder Ladungsuntüchtigkeit beurteilt werden.
...“