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II ZR 64/69 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 23.02.1970
Aktenzeichen: II ZR 64/69
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Norm: § 46 RheinSchPV, § 47 RheinSchPV
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Zur Pflicht des wendenden Schiffes, einen möglichst engen Drehkreis zu wählen.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 23. Februar 1970

II ZR 64/69

(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Das bei der Klägerin versicherte, linksrheinisch zu Berg fahrende MS Z stieß bei km 555,5 mit dem dem Beklagten gehörenden MS S zusammen, als dieses von einer rechtsrheinisch bei km 555,4 gelegenen Verladestelle aus in einem weiten Bogen über Steuerbord zu Tal wendete.
Die Klägerin verlangt Ersatz des an MS Z entstandenen Schadens, weil das Wendemanöver von MS S nicht in dem gebotenen engen Drehkreis erfolgt sei.
Der Beklagte behauptet, der Unfall sei nur dadurch verursacht worden, daß die Führung von MS Z das Wendemanöver zu spät bemerkt, hierauf einen bereits teilweise vollzogenen Obergang ihres Schiffes von der linken zur rechten Stromseite abgebrochen, die blaue Seitenflagge eingezogen und den Kurs ihres Schiffes nach Steuerbord gerichtet habe.

Das Klagebegehren ist vom Rheinschiffahrtsgericht zur Hälfte, vom Rheinschiffahrtsobergericht zu 3/4 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt worden. Die Revision des Beklagten blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Die Zulässigkeit des - im Streitfall auf einem üblichen Lade- und Löschplatz ausgeführten - Wendemanövers ist nach § 47 Nr. 2, §46RheinSchPVO zu beurteilen. Danach durfte MS S selbst dann zu Tal wenden, wenn MS Z gezwungen gewesen wäre, unvermittelt seine Geschwindigkeit zu vermindern oder seinen Kurs zu ändern. Im Hinblick auf einen Seitenabstand der beiden Schiffe von etwa 190 m zu Beginn des Wendens waren derartige Maßnahmen seitens des MS Z zur Unterstützung dieses Manövers aber nicht einmal erforderlich. Vielmehr genügte hierzu, daß MS Z den beabsichtigten Ubergang von der linken in die rechte Fahrwasserhälfte unterließ und seinen bisherigen Kurs beibehielt.

2. Zu Recht hat das Berufungsgericht die Durchführung des Wendemanövers als nautisch fehlerhaft beanstandet.

a) Nach § 46 Nr. 1 RheinSchPVO ist das Wenden zu Berg (Aufdrehen), nach § 47 Nr. 2 RheinSchPVO ist das Wenden zu Tal auf Reeden und bei der Abfahrt von den üblichen Ladeund Löschplätzen nur gestattet, wenn der übrige Verkehr dies zuläßt. Nach § 47 Nr. 1 RheinSchPVO ist das Wenden zu Tal, sofern nicht ein Fall des § 47 Nr. 2 RheinSchPVO vorliegt, nur erlaubt, wenn dieses Manöver ausgeführt werden kann, ohne daß andere Fahrzeuge gezwungen sind, unvermittelt ihre Geschwindigkeit zu vermindern oder ihren Kurs zu ändern. Ob das Wenden in einem engen Drehkreis durchzuführen ist oder ob es auch in einem weiten Bogen erfolgen darf, ergibt sich nicht aus den genannten Vorschriften. Die Sicherheit der durchgehenden Schiffahrt, deren Kurse das wendende Fahrzeug - je nach seiner Länge, der Größe des Drehkreises und der Breite des Fahrwassers - in vielen Fällen ganz oder teilweise schneidet, erfordert aber eine klare Regelung zu diesem Punkt. Denn, da einerseits die durchgehende Schiffahrt bei der Ankündigung oder beim Beginn eines Wendemanövers nur bei Vorliegen besonderer Umstände erkennen kann, ob das Manöver in einem engen oder in einem weiten Bogen erfolgen wird, sie andererseits aber gehalten ist, das Wenden zu unterstützen (§ 46 Nr. 3, § 47 Nr. 1 RheinSchPVO), bedarf sie möglichst frühzeitig Klarheit darüber, in welcher Weise dieses Manöver ausgeführt werden wird. Der Senat hat deshalb im Anschluß an die Rechtsprechung des 1. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes (VersR 1955, 758) wiederholt ausgesprochen, daß der Wendende grundsätzlich einen Drehkreis wählen muß, der nicht über das für die Durchführung seines Manövers unbedingt notwendige Maß hinausgehen darf (VersR 1956, 239; 1957, 248; 1961, 28, 29; 1961, 881; 1966, 465; 1967, 276; 1968, 548, 549; 1969, 343, 344). Der Wendende behindert oder gefährdet alsdann die durchgehende Schiffahrt in der Regel weniger als beim Wenden in einem weiten, möglicherweise sich über die gesamte Breite des Fahrwassers erstreckenden Bogen. Auch gestattet es das Bestehen einer solchen Regelung der durchgehenden Schiffahrt, sich meist schon frühzeitig auf das zu erwartende Verhalten des Wendenden einzustellen, wodurch Mißverständnisse zwischen ihr und dem Wendenden vermieden werden. Indes verstößt ein Fahrzeug, das in einem weiten Bogen wendet, nicht stets gegen die sich letztlich aus § 4 RheinSchPVO ergebende Pflicht, das Manöver in einem möglichst engen Drehkreis durchzuführen. So ist das Wenden in einem weiten Bogen naturgemäß zulässig, wenn die Verkehrslage ein derartiges Manöver gebietet (BGH VersR 1966, 465; 1967, 276). Ferner kommt eine Pflichtwidrigkeit des in einem weiten Bogen Wendenden nicht in Betracht, wenn zugleich die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Querfahrt (§ 49 Nr. 1 RheinSchPVO) vorliegen (BGH VersR 1967, 276; 1968, 548, 549; 1969, 343, 344).

b) Die Anwendung der dargelegten Grundsätze im Streitfall ergibt, daß das Wendemanöver des MS S, das in einem sich nahezu über die ganze Breite des Stromes ausdehnenden Bogen erfolgte, nautisch falsch war. Weder gebot die Verkehrslage eine solche Art des Wendens, noch waren die Voraussetzungen für eine - zulässige - Querfahrt gegeben.

aa) MS Z zeigte die blaue Seitenflagge, weil es der von dem Wahrschauposten am Bankeck angekündigten Talfahrt, die sich nach dem zusätzlich gemäß § 133 Nr. 3 Satz 2 RheinSchPVO gezeigten roten Blinklicht bereits zwischen km 554,3 und km 555,4 befand, den Weg für eine Steuerbordbegegnung weisen wollte. Diesen Umstand übersieht die Revision, wenn sie ausführt, die Kursweisung des Bergfahrers habe wegen fehlender Talfahrt MS S gegolten. Davon abgesehen, konnte man auf MS S, wo die Annäherung der Talfahrt zumindest an den Zeichen des Wahrschaupostens ebenfalls erkennbar war, die blaue Seitenflagge des Bergfahrers auch deshalb nicht auf sich beziehen, weil ein drehendes Fahrzeug bis zur Beendigung dieses Manövers kein Talfahrer ist (BGH VersR 1962, 417, 419). Überdies zieht die Revision bei der Erörterung der Frage, ob die blaue Seitenflagge des MS Z für MS S eine kursweisende Bedeutung haben konnte, nicht in Betracht, daß MS S gegenüber MS Z bevorrechtigt war (§ 47 Nr. 2, § 46 Nr. 1 und 3 RheinSchPVO), das Aufdrehsignal mithin gegenüber dem Begegnungszeichen des Bergfahrers Vorrang hatte (BGH VersR 1964, 1290). MS S konnte deshalb nicht nur darauf vertrauen, sondern von MS Z auch verlangen, daß dieses Schiff den Übergang nach rechtsrheinisch, der in den zu erwartenden Drehkreis des wendenden Fahrzeugs geführt hätte, unterließ und die blaue Seitenflagge einzog. Wenn letzteres zu spät erfolgt ist, so konnte dies zwar eine gewisse Unsicherheit über die Kursabsichten des Bergfahrers hervorrufen. Bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte man auf MS S aber nicht nur an Hand des tatsächlich von MS Z gefahrenen Kurses erkennen können, daß das Schiff auf der linken Seite des Stromes blieb. Vielmehr hätte man bedenken müssen, daß auch die besonderen Strömungsverhältnisse im Bereich des Bankecks und zwar unabhängig von der Verkehrslage, das Wenden in einem möglichst engen Drehkreis erforderten und MS Z auf diesen Umstand bei der Wahl der von ihm zur Unterstützung des Wendemanövers zu ergreifenden Maßnahmen ebenfalls Rücksicht zu nehmen hatte.

bb) Für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Querfahrt des MS S ist die Verkehrslage in dem Augenblick entscheidend, in welchem man von MS Z aus erstmals erkennen konnte, daß MS S nicht in einem engen, sondern in einem weiten Bogen wendete. Hierüber enthält das angefochtene Urteil keine näheren Ausführungen. Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unfallhergang ergibt sich jedoch ohne weiteres, daß im Streitfall die Voraussetzungen für eine zulässige Querfahrt nicht gegeben waren (wird ausgeführt).

Das Berufungsgericht hat der Führung des MS Z lediglich vorgeworfen, daß sie die blaue Seitenflagge nicht sofort eingezogen habe, als sie die Absicht, zur linksrheinischen Seite hinüberzugehen, aufgegeben habe. Der Revision ist zuzugeben, daß das Berufungsgericht damit das Verhalten der Führung des MS Z nicht erschöpfend beurteilt hat. Ihr ist, wie bereits das Rheinschiffahrtsgericht zutreffend dargelegt hat, außerdem zum Vorwurf zu machen, daß sie das - zumindest optisch wahrnehmbare - Wendezeichen des MS S nicht erkannte und, wie Schiffsführer M. von MS Z eingeräumt hat, das Wendemanöver erst bemerkte, als dieses Schiff bereits quer im Strom lag und lediglich noch 100 m von MS Z entfernt war. Diese - weiteren - Nachlässigkeiten der Führung des MS Z nötigen jedoch nicht zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zum Zwecke einer erneuten Schuldverteilung. Denn die genannten Nachjässigkeiten haben ebenfalls nur bewirkt, daß auf MS „Zomerland" die blaue Flagge zu spät eingezogen wurde. Das Berufungsgericht hat aber bei der Schuldabwägung diese Säumnis der Führung des MS Z berücksichtigt. Wenn es trotzdem im Rahmen der nach § 92 BSchG, § 736 HGB vorzunehmenden Abwägung die Verschuldensquote der Führung des MS S, die in erster Linie die Verantwortung für das Wendemanöver traf (BGH VersR 1965, 251), mit 3/4 bemessen hat, so ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden."