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Leitsatz:
Die nach § 50 Nr. 2 RheinSchPolVO bei der Ausfahrt aus einem Hafen zu gebenden Zeichen sind nicht nur für den Signalwärter, sondern auch für die durchgehende Schifffahrt bestimmt, die ihre nautischen Maßnahmen unter Berücksichtigung dieser Signale zu treffen hat. Die in § 50 Nr. 2 vorgeschriebenen Signale zeigen nicht an, daß der Ausfahrende eine Querfahrt beabsichtigt. Die Zulässigkeit einer Querfahrt im Anschluß an eine Hafenausfahrt richtet sich nach §49 Nr.1 RheinSchPolVO.
Urteil des Bundesgerichtshofes
vom 9. Mai 1968
II ZR 60/66
(Rheinschiffahrtsgericht DuisburgRuhrort; Rheinschiffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Das der Klägerin gehörende unbeladene MS H verließ den Hafen Schwelgern, als das dem Beklagten gehörende und von ihm geführte MS G zu Tal kam. Beide Schiffe stießen im Strom zusammen und wurden beschädigt.
Die Klägerin verlangt Schadensersatz mit folgender Begründung: Ihr Schiff habe nach 2 Backbord-Ausfahrsignalen den Hafen verlassen und sei dabei um das Achterschiff des vor der Hafeneinfahrt im Strom befindlichen MS K herumgefahren; dann habe es mit Backbordruder zu Berg gedreht und die linke Rheinseite erreichen wollen, um dort weiter zu Berg zu fahren. Als sich H schon fast stromrecht und mit seinem Vorschiff etwa 30 m hinter einem linksrheinischen Ankerlieger befunden habe, sei G zu Tal und auf H zugekommen. Trotz Signalgebens und sofortigen Ankerns von H sei die Kollision infolge des Kurses von G nicht zu vermeiden gewesen. Der Beklagte bestreitet jedes Verschulden. Er sei in Fahrwassermitte zu Tal gekommen, als H hinter einem vor der Hafenausfahrt liegenden Motorschiff plötzlich herausgekommen sei und sich G noch etwa 100 m oberhalb des Kopfes der südlichen Hafenmole befunden habe. H sei ohne Rücksicht auf den Kurs des Beklagten, diesen kreuzend, nach linksrheinisch quer hinübergefahren.
Die Klägerin ist mit ihrer Klage in allen 3 Instanzen erfolglos geblieben.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Für die Revisionsinstanz ist die Behauptung der Klägerin zu unterstellen, daß H im Hafen und bei der Ausfahrt aus dem Hafen Backbord-Ausfahrtsignal gegeben hat (§ 50 Nr. 2, nicht Nr. 3 RheinSchPolVO, da die Ausfahrt aus dem Hafen Schwelgern unstreitig durch eine Signaleinrichtung geregelt ist). Das nach § 50 Nr. 2 RheinSchPolVO zu gebende Zeichen gilt entgegen der Ansicht der Revision nicht nur für den Signalwärter, sondern auch für die durchgehende Schiffahrt, die sich darauf einzustellen hat. Es ist weiter zu unterstellen, daß sich der Talfahrer nicht damit entschuldigen kann, er habe das Backbord-Ausfahrtsignal nicht gehört (vgl. BGH VersR 1965, 513). Hierdurch ist aber die Kollision nicht herbeigeführt worden, denn der Talfahrer hat sich nautisch richtig verhalten. Als MS H hinter K hervorkam, ist der Talfahrer nach der Feststellung im angefochtenen Urteil zunächst nach Backbord abgegangen. Das war richtig, weil der Talfahrer, der annehmen mußte, er habe das Ausfahrtsignal von H überhört, nur davon ausgehen konnte, daß H „anschließend" an die Ausfahrt den Kurs entweder nach Steuerbord oder nach Backbord richten werde. In beiden Fällen genügte der Talfahrer seiner nautischen Sorgfaltspflicht, wenn er, ohne seine Geschwindigkeit herabzusetzen, seinen Kurs in möglichst weitem Abstand von dem von H einzuschlagenden Kurs nahm, was durch das Abgehen nach Backbord erreicht wurde. Der Revision kann nicht zugestimmt werden, wenn sie meint, der Talfahrer hätte, wenn er das Backbord-Ausfahrtsignal vernommen hätte, damit rechnen müssen, daß H den Strom überquerend zu Berg fahren werde. Die Revision beruft sich auf Kählitz, Verkehrsrecht auf Binnenwasserstraßen Bd. II Anm. III 2 zu § 49 RheinSchPolVO.
Dort ist ausgeführt:
„Wird eine Querfahrt im Zusammenhang mit der Einfahrt in oder der Ausfahrt aus Häfen ... ausgeführt, so genügt es, wenn die in § 50 genannten Schallzeichen gegeben werden."
Diesen Ausführungen kann, soweit es sich um die A u s f a h r t aus Häfen handelt (§ 50 Nr. 2 und 3 RheinSchPolVO), nicht gefolgt werden. Es wird hier übersehen, daß diese Schallzeichen die „anschließend" vorgenommene Tal- oder Bergfahrt regeln, auf die sich die durchgehende Schiffahrt einzustellen hat, nicht aber eine Querfahrt, die im Anschluß an die Hafenausfahrt unternommen wird (BGH VersR 1960, 535 f). Es könnte nur fraglich sein, ob nach dem Wortlaut dieser Vorschriften eine Querfahrt im Anschluß an eine Hafenausfahrt überhaupt zulässig ist. Will man dies, wie es wohl richtig ist, annehmen, so ist die Zulässigkeit der Querfahrt allein nach § 49 RheinSchPolVO zu beurteilen (BGH VersR 1965, 1146 f).
Die abgelehnte Ansicht würde zu dem unhaltbaren Ergebnis führen, daß die durchgehende Schiffahrt nicht weiß, welchen Kurs sie einzuschlagen hat, um den Ausfahrenden in seiner Fahrt nicht zu behindern. Der Ausfahrende muß also, falls er im Anschluß an seine Ausfahrt den Strom überqueren will, warten, wenn anderenfalls die durchgehende Schiffahrt gezwungen wäre, unvermittelt (BGH VersR 1964, 1169) ihre Geschwindigkeit zu vermindern oder ihren Kurs zu ändern. Diese Wartepflicht bestand auch dann, wenn MS H nicht im Anschluß an die Ausfahrt den Strom überquert hat, sondern entgegen dem von ihm gegebenen Backbord-Ausfahrtsignal nach der Ausfahrt noch mit Steuerbordkurs etwas zu Tal gefahren ist. In diesem Falle ist H zum Talfahrer geworden, der, wenn er aufdrehen wollte, seine Absicht, aufzudrehen, rechtzeitig durch Backbord-Aufdrehsignal (§ 46 Nr. 2 RheinSchPolVO) hätte anzeigen müssen. Aber auch dann hätte er nur in kurzem Bogen zu Berg wenden dürfen, hierdurch also den nach Backbord ausgewichenen Talfahrer G veranlaßt, den Kurs noch weiter nach Backbord zu verlegen, und ihm damit ein gefahrloses Vorbeifahren ermöglicht. Wollte aber MS H im Anschluß an seine kurze Talfahrt den Strom überqueren, um sodann in der linken Fahrwasserhälfte zu Berg zu fahren, so mußte es wegen der nunmehr nur kurzen Entfernung zum Talfahrer die Vorbeifahrt des Talfahrers abwarten.
Der Ansicht des Berufungsgerichts, H hätte vor Beginn der Querfahrt einen kurzen Ton, also ein Steuerbordsignal abgeben müssen, um den Talfahrer auf die beabsichtigte Querfahrt hinzuweisen, könnte nur für den Fall zugestimmt werden, daß H vor Beginn der Querfahrt bereits den Kopf zu Berg gerichtet hätte (BGH VersR 1960, 536). Das war jedoch nicht der Fall, da H nach der Feststellung des Berufungsgerichts gleichzeitig mit dem Wendemanöver zur Querfahrt angesetzt hat. Jedoch ist die irrige Ansicht des Berufungsgerichts nicht entscheidungserheblich. Ausschlaggebend für ein etwaiges Verschulden des Talfahrers ist, wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, wann der Talfahrer die Querfahrtabsicht des MS H erkennen konnte, nicht dagegen der Zeitpunkt und die Entfernung des Bergfahrers, als H bei der Ausfahrt den Strom hinter K erreichte. Da H nach der Feststellung im angefochtenen Urteil gleichzeitig mit dem Wenden zur Querfahrt zum linken Ufer angesetzt hat, konnte die Querfahrtabsicht erst erkannt werden, als H nicht vollständig wendete, sondern während des Wendens zum linken Ufer hinüberfuhr. In diesem Zeitpunkt war der Talfahrer nur 100 m oberhalb des südlichen Molenkopfes.
Bei der vom Berufungsgericht angenommenen Geschwindigkeit von 15 km/st legte der Talfahrer in der Minute 250 m zurück. Nach seiner nicht widerlegten Behauptung hat der Talfahrer, als er erkannte, daß er vor H nicht vorbeikommen werde, seinen Kurs zunächst nach Steuerbord verlegt und ist zuletzt nach Backbord gegangen, wobei unterstellt werden kann, daß er bei diesen Manövern seine Geschwindigkeit nicht vermindert hat. Ohne Rechtsfehler sieht das Berufungsgericht in diesem etwa fehlsamen Verhalten Maßnahmen des letzten Augenblicks in der von H geschaffenen akuten Gefahrenlage. Damit scheidet ein Schuldvorwurf gegen den Beklagten aus. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, welches Signal H gab, als die Kollision schon abzugreifen war, wie sich das Berufungsgericht ausdrückt."