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II ZR 55/75 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 04.07.1977
Aktenzeichen: II ZR 55/75
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Leistet ein Kriegsschiff einem anderen Schiff in Seenot erfolgreich Hilfe, so hat der Eigentümer des Kriegsschiffes Anspruch auf Hilfslohn.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 4. Juli 1977

II ZR 55/75

(Landgericht Bremen; Oberlandesgericht Bremen)

Zum Tatbestand:

Neben anderen Fahrzeugen eilten 2 Zerstörer der Klägerin (Bundesrepublik Deutschland) dem auf der Außenweser in Brand geratenen Fischtrawler der Beklagten zu Hilfe. Diese und ihre Versicherer haben für Aufwendungen und Hilfslöhne über 213 000 DM gezahlt, davon an die Klägerin etwa 8000 DM für Aufwendungen und 40000 DM für Hilfslöhne.
Die Klägerin verlangt einen weiteren Hilfslohn von 40 000 DM.
Die Beklagte bestreitet, daß die Klägerin für Hilfeleistungen ihrer Kriegsschiffe gegenüber einem deutschen Schiff Hilfslohn verlangen dürfe.
Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Auf die Revision wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

„...
Wird ein Schiff aus Seenot durch die Hilfe dritter Personen gerettet, so steht diesem gemäß § 740 Satz 1 HGB ein Anspruch auf Hilfslohn nach Maßgabe der §§ 741 ff. HGB zu. Dritter kann, wie sich aus § 742 Abs. 2 HGB ergibt, jeder mit Ausnahme der Besat¬zung des in Not geratenen Schiffes sein, somit auch die Besatzung eines Kriegsschiffes (Schaps/Abraham, Das deutsche Seerecht 3. Aufl. Bd. II § 740 Anm. 24; Prüssmann, Seehandelsrecht § 740 Anm. B 4 b; Schlegelberger/Liesecke, Seehandelsrecht § 740 Rdn. 4; Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht 2. Aufl. S. 410/411; Schimming, Bergung und Hilfeleistung im Seerecht und im Seeversicherungsrecht S. 19; Ewald/Graf, Strandungsordnung 2. Aufl. S. 85) - wobei Anspruchsberechtigter der Eigentümer des Kriegsschiffes ist (vgl. Schaps/Abraham aaO. § 749 Anm. 6; Prüssmann aaO. § 749 Anm. B; Wüstendörfer aaO. S. 418). Alles was die Beklagte demgegenüber für ihre Ansicht vorbringt, Kriegsschiffe könnten keinen Hilfslohn verlangen, überzeugt nicht:


Die Entstehungsgeschichte der Vorschriften über Bergung und Hilfeleistung in Seenot (§§.,740 bis 753 HGB) spricht nicht gegen, sondern für die Zubilligung von Hilfslohn an ein Kriegsschiff, das einem in Seenot befindlichen Fahrzeug erfolgreich Hilfe geleistet hat. Diese Vorschriften beruhen im wesentlichen auf den Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens vom 23. September 1910 zur einheitlichen Feststellung von Regeln über die Hilfeleistung und Bergung in Seenot (IÜS) - RGBI. 1913, 66. Zwar sieht Art. 14 IUS vor, daß das Übereinkommen auf Kriegsschiffe sowie auf Staatsschiffe, die ausschließlich für einen öffentlichen Dienst bestimmt sind, keine Anwendung findet. Jedoch ist diese Vorschrift in die §§ 740 ff. HGB nicht übernommen worden. Davon abgesehen betrifft sie nur den Fall, daß einem Kriegs- oder Staatsschiff Hilfe i n Seenot geleistet worden ist; hingegen greift sie nicht ein, wenn ein solches Fahrzeug selbst als Retter tätig war (Tambacopoulos, Das Brüsseler Übereinkommen vom 23. September 1910 zur einheitlichen Feststellung von Regeln über die maritime Bergung und Hilfeleistung S. 52; Schaps/Abraham aaO. Anm. zu Art. 14 IUS).
Demgemäß ist - wie das Berufungsgericht näher belegt hat - auch im US-amerikanischen, englischen und französischen Recht anerkannt, daß dem Staat für die Hilfeleistung durch ein Kriegsschiff grundsätzlich ein Hilfslohnanspruch zusteht.
...
Es ist richtig, daß sich die Vorschriften über die Bergung und Hilfeleistung in Seenot im vierten Buch des Handelsgesetzbuchs befinden, welches die Überschrift „Seehandel" trägt. Ferner trifft es zu, daß Art. 7 EGHGB (in der bis zum 5. April 1973 geltenden und insoweit durch Art. 2 Nr. 1 des Seerechtsänderungsgesetzes vom 21. Juni 1972 - BGBI. 1 966 - sachlich nicht geänderten Fassung) die Anwendung bestimmter Vorschriften des vierten Buchs des Handelsgesetzbuchs auf „Nichterwerbsschiffe" anord¬net und unter diesen die §§ 740 ff. HGB nicht aufgeführt sind. Beides hindert jedoch nicht, die genannten Paragraphen auf Nichterwerbsschiffe anzuwenden. Insbesondere enthält Art. 7 EGHGB keine abschließende Aufzählung derjenigen Bestimmun¬gen des vierten Buchs des Handesgesetzbuchs, die auch für Nichterwerbsschiffe gelten sollen. Vielmehr betrifft die Vorschrift nur solche Regelungen, bei denen es von der Sache her zweifelhaft sein kann, ob oder inwieweit sie für Nichterwerbsschiffe passen. Solche Zweifel bestehen hinsichtlich der Bestimmungen über die Bergung und Hilfeleistung in Seenot nicht. Der Gedanke, den Sachretter auf See, der ohne das Bestehen einer rechtlichen Verpflichtung hierzu (anders Art. 11 IUS und § 5 Abs. 1 der Verordnung über die Sicherung der Seefahrt vom 15. Dezember 1956 - BGBI. II 1579 für den Fall, daß sich Menschen in Seenot befinden) vielfach unter Einsatz des eigenen Lebens oder eigener hoher Werte tätig wird, mit einem billigen Anteil am Wert der geretteten Sachen zu entschädigen, trifft gleichermaßen auf Erwerbs- und Nichterwerbsschiffe zu. Da damit die Leistung des Retters honoriert werden soll, wäre es unverständlich, ihn je nach der Bestimmungsart des von ihm verwendeten oder geretteten Schiffes verschieden zu behandeln.
...
Entgegen der Ansicht der Beklagten stellt sich bei Zubilligung eines Hilfslohns an die Klägerin nicht das „Problem seiner Verteilung". Die Klägerin hat vorgetragen, daß sie den in § 749 Abs. 1 HGB für die Verteilung des Hilfslohns vorgesehenen Maßstab (2/3 der Schiffseigentümer, 1/6 der Schiffer, 1/6 die übrige Besatzung) einhalten werde. Auch darf mit ihrer Zustimmung ein Soldat eine „Belohnung in bezug auf seine dienstliche Tätigkeit annehmen" (§ 19 Soldatengesetz vom 19. März 1956 - BGBI. 1 114). Selbst wenn daher der gesetzliche Lohnanspruch der Besatzung nach § 749 Abs. 1 HGB überhaupt unter den Begriff der „Belohnung" im Sinne jener Vorschrift fallen sollte, kann die Klägerin den Hilfslohn unter die Besatzung nach dem Verteilungsmaßstab des § 749 Abs. 1 HGB aufteilen. Nicht richtig ist es, daß § 3 der Wehrdisziplinarverordnung vom 15. März 1957 - BGBI. 1 189 - es ausschließt, die Besatzung eines Kriegsschiffes an dem Hilfslohn zu beteiligen. Die Vorschrift behandelt die „förmliche Anerkennung" für vorbildliche Pflichterfüllung oder hervorragende Einzeltaten eines Soldaten. Hingegen befaßt sie sich mit der Frage, ob ein Soldat eine Vergütung für eine dienstliche Tätigkeit empfangen darf, überhaupt nicht. Überdies ist in § 749 Abs. 1 HGB eine ganz spezielle Regelung zu sehen, die den besonderen Gefahren der Seefahrt, dem Einsatz von Schiff und Besatzung bei einer Hilfeleistung sowie dem Interesse aller an der Seefahrt Beteiligten an gegenseitiger Hilfe sinnvoll Rechnung trägt. Daß die Vorschrift für die Besatzung eines Kriegsschiffes oder eines sonstigen Staatsschiffes nicht wie für jedes andere Fahrzeug auf See gelten soll, ist nicht einzusehen.
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Der Senat teilt nicht die Ansicht der Beklagten, daß eine Anwendung der §§ 740 ff. HGB gegen den „Gleichbehandlungsgrundsatz" verstoße, weil von dem Eigentümer eines Kriegs- oder Staatsschiffes, dem ein Dritter in Seenot erfolgreich Hilfe leiste, kein Hilfslohn verlangt werden könne. Letzteres ist nicht richtig. Wie oben unter 1 dargelegt wurde, ist die Regelung des Art. 14 IÜS nicht in die Vorschriften des Handelsgesetzbuchs über die Bergung und Hilfeleistung in Seenot übernommen worden. Ferner besteht kein sachlich durchgreifender Grund dafür, Rettungshandlungen gegenüber einem Kriegs- oder einem Staatsschiff rechtlich anders als gegenüber sonstigen Fahrzeugen zu behandeln.
Zu bemerken ist jedoch, daß die Anwendung der §§ 740 ff. HGB auf Rettungshandlungen gegenüber einem Kriegsschiff oder einem Staatsschiff mit Rücksicht auf deren hoheitliche Aufgaben insoweit der Einschränkung bedarf, daß der Retter kein Pfandrecht und kein Zurückbehaltungsrecht an dem geretteten Schiff durchsetzen kann.
Es mag sein, daß das frühere Deutsche Reich und bisher auch die Bundesrepublik Deutschland für Hilfeleistungen durch ihre Kriegsschiff keinen Hilfslohn verlangt haben. Aus einer solchen Übung allein folgt jedoch noch nicht, daß der Klägerin der mit der Klage beanspruchte Hilfslohn kraft Gewohnheitsrecht nicht zusteht.
...
Dem Klageanspruch stehen auch nicht öffentlich-rechtliche Gesichtspunkte entgegen. Insbesondere sind keine Regelungen ersichtlich, aus denen sich ergeben könnte, daß die Kriegsschiffe der Bundesrepublik Deutschland zumindest gegenüber deutschen Schiffen zur unentgeltlichen Hilfeleistung verpflichtet sind. Daß eine gesetzliche Verpflichtung dahin ergangen ist, hat auch die Beklagte nicht aufzuzeigen vermocht (anders z. B. für Hilfeleistungen in Notfällen durch die Feuerwehr - vgl. etwa § 37 a Baden-Württ. Feuerschutzgesetz vom 26. Februar 1960, GBI. S. 85, oder § 36 des NRW-Gesetzes über den Feuerschutz und die Hilfeleistung bei öffentlichen Notständen vom 25. Februar 1975, GVBI. S. 82). Ferner kann eine solche Pflicht nicht aus dem Zweck der Bundeswehr hergeleitet werden. Dieser ist nach Art. 87 a GG auf die Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland beschränkt. Richtig ist, daß Kriegsschiffe nicht der Gewinnerzielung dienen. Das schließt aber die Anwendung der §§ 740 ff. HGB auf Hilfeleistungen eines Kriegsschiffes nicht aus. Dieser Gesichtspunkt kann nur für die Festsetzung der Höhe des Hilfslohns eine Rolle spielen (vgl. § 745 Abs. 1 HGB). Auch kann der Beklagten nicht gefolgt werden, soweit sie meint, Kriegsschiffe der Bundesrepublik Deutschland müßten deutschen Handelsschiffen zumindest deshalb in einem Seenotfall unentgeltlich Hilfe leisten, weil sie aus Steuern, zu denen auch die Reeder beitragen würden, finanziert werden.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Klage - unabhängig davon, wie man die Frage eines Hilfslohns für Kriegsschiffe beurteile - abzuweisen, weil die Klägerin für den Einsatz der beiden Zerstörer jedenfalls keinen höheren Hilfslohn als die bereits an sie gezahlten 40000 DM verlangen könne.
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Dem Havaristen habe durch das Feuer erhebliche Gefahr gedroht. Der erzielte Erfolg sei zu einem großen Teil dem tatkräftigen Eingreifen der beiden Zerstörer zu verdanken. Für diese habe während der Hilfsarbeiten eine nicht unwesentliche Gefahr bestanden, weil die Rettungsarbeiten am Rande des Fahrwassers der Außenweser und bei großer Hitzeentwicklung hätten vorgenommen werden müssen. Die Arbeiten seien allerdings nicht durch Seegang oder stärkeren Wind behindert worden. Der Zeitaufwand für die eigentliche Hilfeleistung habe sich auf gut drei Stunden belaufen. Was der Klägerin an Aufwendungen entstanden sei, habe sie bereits ersetzt erhalten, so daß diese bei der Bemessung der Höhe des Hilfslohns nicht mehr berücksichtigt werden könnten. Auch würde es die besondere Zweckbestimmung der beiden Zerstörer erfordern, bei der Berechnung des Hilfslohns andere Maßstäbe als bei der Hilfeleistung durch ein Handelsschiff anzulegen.
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In Betracht zu nehmen sei weiter, daß - nach einer Weisung des Bundesministers für Verteidigung - alle Kommandanten von Kriegsschiffen die Pflicht hätten, den Besatzungen von Schiffen, welchem Staat sie auch angehörten, in Fällen von Gefahr Schutz und Beistand zu gewähren, eine Verpflichtung zur Bergung von Schiffen oder deren Gütern nach dieser Weisung allerdings nicht bestehe. Im Streitfall habe der Einsatz der beiden Zerstörer sowohl der Rettung von Menschenleben als auch der Hilfeleistung für den Fischtrawler selbst gegolten. Deshalb sei bei der Festsetzung des Hilfslohns auch zu berücksichtigen, daß die Hilfeleistung von „Z 1 " und „Z 4" wesentlich mitbestimmt gewesen sei durch die Hilfeleistungspflicht zugunsten der in Gefahr befindlichen Besatzung des Havaristen. Mit Rücksicht auf alle diese Umstände erscheine ein Hilfslohn von 20 000 DM für jeden der Zerstörer nicht zu niedrig.
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Die Revision greift diese im wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet liegenden Ausführungen vor allem in drei Punkten an. Davon hat sie in einem Punkt Erfolg.
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Rechtlich zu beanstanden sind die Ausführungen des Berufungsgerichts insoweit, als es der Weisung des Bundesministers für Verteidigung vom 10. Juni 1958 für Hilfeleistung in Seenot durch Schiffe und Flugzeuge der Bundesmarine ein besonderes Gewicht beigemessen hat. Zwar heißt es dort, daß „alle Kommandanten von Kriegsschiffen, Kapitäne von Hilfsschiffen, Kommandanten von Flugzeugen, Bootssteuerer von Beibooten der Bundesmarine die Pflicht haben, den Besatzungen von Schiffen und Flugzeugen, welchem Staat sie auch angehören mögen, in Fällen der Gefahr Schutz und Beistand zu gewähren". Diese Weisung ist jedoch lediglich eine verwaltungsinterne Ausformung der allen Schiffsführern nach Art. 11 IUS und § 5 Abs. 1 der Verordnung über die Sicherung der Seefahrt obliegenden allgemeinen Pflicht, Menschen in Seenot Beistand zu leisten. Der Weisung kann daher im Rahmen der Bestimmung des Hilfslohnes für die beiden Zerstörer der Klägerin ebensowenig Bedeutung zukommen wie es den Hilfslohnanspruch mindern könnte, wenn der Reeder eines Schiffes die Besatzung oder dessen Kapitän schriftlich oder mündlich auf die Beachtung jener Vorschriften hingewiesen hätte.
Da nicht auszuschließen ist, daß das Berufungsgericht zu einer für die Klägerin günstigeren Bemessung des streitigen Hilfslohns gekommen wäre, wenn es der vorerwähnten Weisung des Bundesministers für Verteidigung kein besonderes Gewicht beigelegt hätte, kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben.
...“