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Leitsätze:
1) Bei einem Rechtsstreit über Ansprüche aus einem Schiffszusammenstoff auf der Waal handelt es sich um eine Rheinschifffahrtssache, für die eine Zuständigkeit der Rheinschifffahrtsgerichte besteht.
2) Die örtliche Zuständigkeit der Rheinschifffahrtsgerichte ist keine ausschließliche.
3) Haben die Parteien in einer Rheinschifffahrtssache vereinbart, dass über Schadensersatzansprüche aus einem Schiffszusammenstoß, der sich auf niederländischem Gebiet ereignet hat, ein bestimmtes deutsches Rheinschifffahrtsgericht entscheiden soll, so wird hierdurch die örtliche Zuständigkeit dieses Gerichts und damit die deutsche Gerichtsbarkeit begründet.
4) Haben die Parteien in einer Rheinschifffahrtssache bei Schadensersatzansprüchen aus einem Schiffsunfall in den Niederlanden die Anwendung deutschen Rechts vereinbart, so gilt revisibles deutsches Haftungsrecht (BinnSchG, RhSchPVO), nach dem sich auch die Verteilung der Beweislast richtet.
5) Der Talfahrer hat die Beweislast für seine Behauptung, der Bergfahrer habe ihm bei der Kursweisung keinen geeigneten Weg freigelassen (§ 38 Nr. 1 Satz 2 RhSchPVO).
6) Zum Verlangen des Talschleppzuges auf Kursänderung von Einzelfahrern nach § 40 Nr. 1 Abs. 3 RhSchPVOJ.
Urteil des Bundesgerichtshofs
vom 26. November 1964
(Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort/Rheinschifffahrtsobergericht Köln)
Zum Tatbestand:
Motorschlepper „A" der Klägerin fuhr mit 2 großen nebeneinander gekoppelten Anhängen auf der Waal zu Tal. Das entgegenkommende zu Berg fahrende, dem Beklagten zu 1 gehörende und vom Beklagten zu 2 geführte Motortankschiff „B" gab kein Zeichen und wies damit den Talschleppzug zur Begegnung Backbord an Backbord an. Im Glauben, daß zwischen „B" und dem rechtsrheinischen Ufer kein hinreichender Raum zur Begegnung vorhanden sei, gab man auf „A" Backbordsignal unter Setzen der blauen Flagge, um die Begegnung auf Steuerbordseite herbeizuführen. Gleichzeitig nahm „A" Kurs nach Backbord, während „B" zuletzt nach Steuerbord abging. Bei dem dadurch hervorgerufenen Zusammenstola wurden beide Schiffe beschädigt.
Die Klage der Klägerin auf Ersatz des an „A" entstandenen Schadens blieb in allen 3 Instanzen erfolglos.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Waal, auf der die Schiffe der Parteien zusammenstießen, ist niederländisches Hoheitsgebiet und gehört zum sog. konventionellen Rhein (Art. 1 Abs. 3 der Mannheimer Akte). Zur Entscheidung über die Klagen wegen der Beschädigung von Schiffen, welche Schiffer während ihrer Fahrt: auf dieser Stromstrecke anderen verursacht haben, sind die Rheinschifffahrtsgerichte kompetent (Art. 34 II c der Mannheimer Akte, Bekanntmachung des deutschen Wortlauts der Art. 32 bis 40 usw. v. 27. 9. 1952,BGBl. 1 645).
Das Rheinschifffahrtsgericht hat seine örtliche Zuständigkeit kraft Parteivereinbarung angenommen. Es braucht hier nicht die Frage erörtert zu werden, ob die Vorschrift des § 549 Abs. 2 ZPO auch für die internationale Zuständigkeit (so BGH NJW 53, 222 mit Nachw.) und nicht nur für die innerstaatliche Zuständigkeit (so MATTHIES in in NJW 53, 546 f.. mit Nachw.) gilt. Denn auch wenn man der letzteren Ansicht folgt, so ergibt die Nachprüfung, dass das Rheinschifffahrtsgericht seine örtliche Zuständigkeit mit Recht angenommen hat. Nur wenn für die Klage ein niederländisches Gericht ausschließlich zuständig wäre, könnte es zweifelhaft sein, ob nach deutschem internationalen Zivilprozeßrecht durch Parteivereinbarung die Zuständigkeit eines deutschen Gerichtes begründet werden könnte (vgl. § 40 Abs. 2, auch § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Eine solche ausschließliche Zuständigkeit ist jedoch nicht gegeben. Nach § 14 Abs. 1 BinnSchVerfG gilt grundsätzlich § 3 Abs. 1 dieses Gesetzes, der eine abweichende Vereinbarung der örtlichen Zuständigkeit ausdrücklich zulässt. Aus der Mannheimer Akte ergibt sich nichts anderes. Zwar ist nach Art. 35 dieser Akte das niederländische Gericht örtlich zuständig. Diese Vorschrift begründet aber keine ausschließliche örtliche Zuständigkeit (so mit Recht die ständige Rechtsprechung des Rheinschifffahrtsobergerichts Köln, a. A. die Zentralkommission in Straßburg, s. Wassermeyer, Kollisionsprozeß 3. Aufl. S. 25, 40 f. mit Anmerkung 44). Zur Begründung eines ausschließlichen Gerichtsstandes bedarf es einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung, die hier fehlt. Vereinbaren die Parteien die Zuständigkeit eines an sich unzuständigen Gerichts (§ 38 ZPO), das einem anderen Staat angehört, so kann dieser Vereinbarung auch nicht etwa deswegen die Anerkennung versagt werden, weil das Verfahren in Rheinschifffahrtsangelegenheiten im wesentlichen kostenfrei ist (Art. 39 der Mannheimer Akte); dieser rein fiskalische Gesichtspunkt darf bei der Beurteilung keine Rolle spielen. Wenn schon die Parteien nach § 14 Abs. 2 S. 2 BinnSchVerfG (und schon vorher nach RGZ, 251) auch die sachliche Zuständigkeit abweichend vereinbaren können (ordentliches Gericht statt Rheinschifffahrtsgericht), so muh das erst recht für die örtliche Zuständigkeit gelten. Da hiernach nach deutschem internationalem Zivilprozeßrecht durch Parteivereinbarung die Zuständigkeit eines deutschen Gerichts begründet werden konnte, ist auch die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben.
Nach § 549 ZPO ist ausländisches Recht nicht revisibel. Die Schiffe der Parteien sind auf der Waal zusammengestoßen. Für die Beurteilung des nautischen Verhaltens der Beteiligten sind an und für sich die für die Waal erlassenen Verkehrsvorschriften maßgebend, die dem niederländischen Recht angehören. Die Verkehrsvorschriften des niederländischen Rechts werden nicht dadurch revisibel, dass sie in der von der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt beschlossenen Fassung mit der deutschen RhSchPVO (vgl. Art. 1 der VO zur Einführung der RhSchPVO v. 24. 12. 1954, BGBI. 11 1411) sachlich übereinstimmen (vgl. BGH NJW 59, 1873). Vereinbaren die Parteien die Anwendung deutschen Rechtes, so kann grundsätzlich eine solche Vereinbarung vernünftigerweise nicht dahin ausgelegt werden, daß bei einem Verkehrsunfall im Ausland die Frage des verkehrswidrigen Verhaltens nach den inländischen Verkehrsvorschriften (vgl. z. B. Rechts- oder Linksfahrgebot im Straßenverkehr) beurteeilt werden soll. Diese Erwägung spielt aber dann keine Rolle, wenn, wie hier, die ausländischen Verkehrsvorschriften mit den inländischen übereinstimmen. Für den Rhein, gilt ein einheitliches Verkehrsrecht. Die Vereinbarung der Anwendung deutschen Rechts bringt daher den Willen der Parteien zum Ausdruck, die Vorschriften der deutschen RhSchPVO der Entscheidung ihres Streites zugrunde zu legen. Damit haben die Parteien auch die Frage der Verteilung der Beweislast (vgl. dazu BGHZ 3, 342 = NJW 52, 142; BGH NJW 60, 774 unter III 3 a; SOERGEL-KEGEL, EGBGB Anm. 311 vor Art. 7) der Beurteilung nach deutschem Recht unterstellt, da- die Beweislast der deutschen RhSchPVO zu entnehmen ist. Die Parteien konnten eine solche Vereinbarung auch wirksam treffen. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Die Parteien können nach deutschem Recht (§305 BGB) durch Vertrag ein Schuldverhältnis begründen und den Inhalt eines Schuldverhältnisses ändern. Ist zwischen den Parteien strittig, ob eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung oder Unterlassung vorliegt, so können sie kraft Vertragsfreiheit vereinbaren, dass nach deutschem Recht beurteilt werden soll, ob und in welcher Weise ein Handeln oder Unterlassen vorliegt und welche Rechtsfolgen sich hieraus ergeben. Eine solche Vereinbarung kann, wenn nach dem Recht des ausländischen Begehungsortes kein Schadensersatzanspruch begründet ist, zur Schuldbegründung oder, wenn nach dem ausländischen Recht ein Schadensersatzanspruch gegeben ist, zur Schuldumschaffung in der Weise führen, dass keine Partei wegen der Voraussetzungen des Inhalts und des Umfangs der Rechtsfolge sich auf das ausländische Recht berufen kann. Liegt eine solche Vereinbarung vor, so entfällt demnach die Prüfung, ob ein Schadensersatzanspruch, nach ausländischem Recht gegeben ist; es kommt nur darauf an, ob die Voraussetzungen hierfür nach deutschem Recht bestehen (ähnlich u. a. RAAPE, Nachträgliche Vereinbarung des Schuldstatuts, in der Festschrift für BOEHMER S. 111, 122 f; SOERGEL-KEGEL, EGBGB Art. 12 Anmerkung 37; vgl. BGH VersR 60, 907). Wenn die Parteien die Anwendung deutschen Rechts vereinbaren, so bringen sie damit auch ihren Willen zum Ausdruck, dass die dem materiellen Recht angehörende Frage der Verteilung der Beweislast nach deutschem Recht entschieden wird.
Im Hinblick auf die getroffene Vereinbarung kommt es auf die VO v. 7. 12. 1942 (RGBI. 1 706) über die Rechtsanwendung bei Schädigung deutscher Staatsangehöriger außerhalb des Reichsgebiets nicht an.
Hiernach ist revisibles deutsches Haftungsrecht (§ 92 BinnSchG i. V, mit der RhSchPVO) anzuwenden, nach dem sich auch die Verteilung der Beweislast entscheidet.
Die Revisionsrüge ist nicht begründet. Bereits aus den in VersR 60, 594, 595 und 61, 1132, 1134 abgedruckten Urteilen ergibt sich die Auffassung des erkennenden Senats, daß der Talfahrer seine Behauptung, der Bergfahrer habe ihm keinen geeigneten Weg freigelassen und er habe daher die Kursweisung des Bergfahrers nicht befolgen können, beweisen muss. Gewiss bürdet das Kursweisungsrecht des Bergfahrers diesem ein hohes Maß der Verantwortung auf, die vor allem dann zum Tragen kommt, wenn der Talfahrer den ihm gewiesenen Kurs einschlägt und es zu einem Unfall kommt, weil ihm der Bergfahrer keinen geeigneten Weg freigelassen hat. Die Revision übersieht aber, dass der Talfahrer die Verantwortung dafür trägt, dass er die Kursweisung des Bergfahrers zu befolgen hat. Wie beim Wenden (§§ 46, 47 RhSchPVO) ist auch beim Begegnen die Beweislastregelung dem Gesetz zu entnehmen.
Der Bergfahrer, mag er Kläger oder Beklagter sein, genügt seiner Behauptungs- und Beweislast, wenn dargetan ist, dass der Talfahrer den gewiesenen Weg nicht genommen hat. Zwar muss nach § 38 Nr. 1 Satz 2 RhSchPVO der Bergfahrer dem Talfahrer einen geeigneten Weg freilassen. Wenn aber der Talfahrer behauptet, der Bergfahrer habe dieser Pflicht nicht genügt, so muss er, der Talfahrer, nach allgemeinen Grundsätzen diese Pflichtverletzung beweisen, also den Beweis führen, dass ihm der Bergfahrer keinen geeigneten Weg freigelassen habe. Dass diese Beweislastregelung gilt, wird bestätigt durch die Ausnahmeregelung des § 40 Nr. 1 Abs. 3 RhSchPVO, die gerade für den vorliegenden Fall von Bedeutung ist. Der Talschleppzug kann von dem Einzelbergfahrer verlangen, dass dieser seinen angezeigten Weg ändert, wenn er, der Talschleppzug, u. a. aus zwingenden Sicherheitsgründen ein bestimmtes Ufer halten will und die verlangte Kursänderung keine Gefahr mit sich bringt. Aus der Fassung des Gesetzes ergibt sich deutlich, dass der Talschleppzug das Vorliegen zwingender Sicherheitsgründe beweisen muss.
Die Revision versucht, für die Schiffsführung von „R" das ausnahmsweise bestehende Weisungsrecht des Talschleppzuges nach § 40 Nr. 1 Abs. 3 RhSchPVO in Anspruch zu nehmen.
Dem Talschleppzug steht, falls die übrigen Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben sind, das Kursweisungsrecht nur zu, wenn hierdurch keine Gefahrenlage entsteht. Das ist aber der Fall, wenn der Talschleppzug die Kursänderung in nicht ausreichendem Abstand vor der Begegnung verlangt. Ohne Rechtsfehler hat es das Berufungsgericht dahingestellt sein lassen, ob es richtig war, daß „B" unmittelbar vor der Kollision nach Steuerbord abging; es handelte sich dabei, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, um eine Maßnahme des letzten Augenblicks. Nach all dem ist auch ein Verstoß der Führung von „B" gegen § 4 RhSchPVO nicht erwiesen.