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II ZR 54/67 - Bundesgerichtshof (-)
Entscheidungsdatum: 25.11.1968
Aktenzeichen: II ZR 54/67
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: -

Leitsätze:

1) Das Einsemmen von Kähnen (Fortbewegen durch Treibenlassen) in eine Hafeneinfahrt entspricht ständiger Übung und einem Schiffahrtsbrauch.

2) Dieser Schiffahrtsbrauch verstößt nicht gegen zwingendes Recht, insbesondere auch nicht gegen das Verbot des § 15 Nr. 1 Satz 1 - WK - BSchSO, auf den westdeutschen Kanälen Fahrzeuge treiben zu lassen. Das ergibt sich im Wege des Umkehrschlusses aus § 15 Nr. 2 - WK - BSchSO, wonach das Einfahren ohne Schleppkraft in andere Wasserstraßen und Häfen als in Kanal- und Flußmündungen nicht verboten ist.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 25. November 1968

II ZR 54/67

(Schiffahrtsobergericht Hamm)

Zum Tatbestand:

Das der Klägerin gehörende MS „E 15" näherte sich aus dem Stadthafen 1 in Münster zwecks Fortsetzung der Reise in Richtung Ruhrgebiet, da ein Wenden im Hafenstichkanal nicht möglich ist, rückwärts fahrend der . Hafenausfahrt in den durchgehenden Kanal und fuhr dabei nahe an dem am südlichen Ufer festgemachten MS „Aa" vorbei mit etwa 1-2 km Stundengeschwindigkeit. Aus Richtung Ruhrgebiet kam zu gleicher Zeit das vom Beklagten geführte Schleppboot „H" mit 4 Anhängen und wollte den auf erster Länge fahrenden Kahn „H" nach rechtzeitiger Lösung der übrigen Anhänge über die kurze und damals abgerundete, südliche Seite der 160 m breiten, trichterförmigen Hafeneinfahrt einsemmen lassen. An der kurzen, abgerundeten Ecke hatte MS „B" (73 m lang) festgemacht und erschwerte dadurch die Einsicht in die Hafeneinfahrt. Nach Passieren des Hafenmundes nahm das Schleppboot „H" wieder Steuerbordkurs und warf das Schleppseil ab. Zwischen MS „E 15" und dem einsemmenden Kahn „H" kam es zur Kollosion, die zum Sinken von MS „E 15" führte. Auf das Backbord-Einfahrtsignal von Schleppboot „H" will der Schiffsführer von MS „E 15" mit dem Backbord-Ausfahrtsignal geantwortet haben, das aber weder der Beklagte noch der Schiffsführer von Kahn „H" gehört haben wollen.
Die Klägerin verlangt Schadensersatz in Höhe von über 26000,- DM, weil der Beklagte den Kahn auf der falschen Fahrwasserseite und mit zu hoher Geschwindigkeit auf Einlaufkurs gebracht habe.
Der Beklagte bestreitet diese Vorwürfe. Das Einsemmen von Kähnen in einen Hafenstichkanal entspreche ständiger Übung. Außerdem habe derSchiffsführer der Klägerin das Vorfahrtsrecht des Beklagten mißachtet.
Das Schiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das Schiffahrtsobergericht hat die Klage dagegen abgewiesen. Die Revision der Klägerin blieb ohne Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revision rückt in den Vordergrund ihrer Ausführungen, das Einsemmen des Schleppkahns verstoße gegen zwingendes Recht. Sie entnimmt dem Verbot des § 15 Nr. 1 Satz 1 - WK - BSchSO, auf den westdeutschen Kanälen Fahrzeuge treiben zu lassen, daß der vom Berufungsgericht festgestellte Schifffahrtsbrauch des Einsemmens unbeachtlich sei.
a) Es kA schon zweifelhaft sein, ob diese Vorschrift auf den vorliegenden Unfall anwendbar ist. Nach Art. 1 der Verordnung zur Einführung derBSchSO vom 19. Dezember 1954 gilt nämlich die BSchSO nur auf den Bundeswasserstraßen, die in Teil 11 der Verordnung aufgeführt sind, sowie in den an ihnen gelegenen bundeseigenen Häfen, soweit nicht die hafenpolizeilichen Verordnungen abweichende Bestimmungen enthalten. Der Stadt¬hafen Münster 1 ist in Teil II der BSchSO nicht aufgeführt Ob er zu den bundeseigenen Häfen gehört, ist vom Berufurgsgericht nicht festgestellt worden

b) Die Frage kann aber dahingestellt bleiben.

aa) Gehört der Stadthafen Münster 1 nicht zu den bundeseigenen Häfen, so ist § 15 -- WK - BSchSO nicht anwendbar und steht der Bildung des Schiffahrtshrauchs des Einsemmens nicht entgegen.

bb) Gehört der Hafen dagegen zu den bundeseigenen Häfen, so gilt die Vorschrift des § 15 -- WK - BSchSO auch für den Hafenverkehr. In diesem Falle braucht nicht entschieden zu werden, ob das Abwerfen eines Anhanges nach zu diesem Zweck erhöhter Geschwindigkeit und das Einsemrnen auf eine Entfernung von 400---500 m als Anlegen im Sinne des § 15 Nr. 1 - WK - BSchSO angesehen werden kA und daher bereits nach dieser Vorschrift zulässig ist. Denn der vorn Berufungsgericht in Übereinstimmung mit dem Schiffahrtsgericht festgestellte Schiffahrtsbrauch des Einsemmens verstößt nicht gegen zwingendes Recht, insbesondere nicht gegen § 15 - WK - BSchSO. Das ergibt sich im Wege des Umkehrschlusses aus Nr. 2 dieser Bestimmung. Dort sind Kanal- und Flußmündungen genAt, in die Schiffe nicht ohne Schleppkraft einfahren dürfen. Hieraus folgt, daß das Einfahren ohne Schleppkraft in andere Wasserstraßen und Häfen nicht unter das Verbot des § 15 Nr. 2 - WK - BSchSO fällt.

Auf Grund seiner Feststellungen konnte das Berufungsgericht ohne Rechtsverstoß den Schluß ziehen, daß der Beklagte, der als Schleppzugführer im Kanal das Einfahrtsignal nach §§ 27, 50 Nr. 1 BSchSO geben mußte und gegeben hat, darauf vertrauen durfte, daß aus dem Hafen etwa ausfahrende Schiffe das "Vorfahrtsrecht" des einsemmenden Kahns beachten und diesem nicht den Fahrweg am Beginn der trichterförmigen Hafenmündung abschneiden würden. Das ausfahrende MS "E 15" hatte gegenüber dem einsemmenden Schleppkahn H" das geringere Recht. Denn gemäß § 50 Nr. 3 Satz 1 BSchSO durfte MS E 15" nur ausfahren, wenn sein Schiffsführer dieses Manöver ausführen konnte, ohne daß andere Fahrzeuge gezwungen wurden, unvermittelt ihre Geschwindigkeit zu vermindern oder ihren Kurs zu ändern. Da ihm die für die Ausfahrt erforderliche Sicht versperrt war, hätte er gemäß § 50 Nr. 3 Satz 2 BSchSO Ausfahrtssignal geben müssen.

Daß er dies getan hat, ist nicht erwiesen.

Dem Beklagten können auch andere Schuldvorwürfe nicht gemacht werden.

a) Nach den vorstehenden Ausführungen ist der Vorwurf der Revision gegenstandslos, der Beklagte habe gegen den nautischen Grundsatz verstoßen, daß der Schleppzugführer den Anhang erst da abwerfen dürfe, wenn die Lösung der Schleppverbindung für den Anhang gefahrlos sei.

b) Entgegen der Ansicht der Revision kam das Setzen der blauen Seitenflagge gemäß § 38 Nr. 3a BSchSO nicht in Frage, weil es sich nicht um eine Begegnung von Berg- und Talfahrer handelte. Die Abgabe eines Schallsignals durch den , Beklagten verstieß nicht gegen § 25 BSchSO.

Der Schleppkahn H", der allein in den Hafen einlaufen wollte, war, wie die Klägerin selbst ausführt, zur Abgabe des Signals weder berechtigt noch in der Lage, da er sich noch im Schleppverband befand. Da das Signal gegeben werden mußte (§ 50 Nr. 1 BSchSO), konnte das nur der Führer des Schleppbootes tun."