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II ZR 53/91 - Oberlandesgericht (-)
Entscheidungsdatum: 09.12.1991
Aktenzeichen: II ZR 53/91
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Abteilung: -

Leitsatz:

Beim Stückgutfrachtvertrag kann sich der nicht durch das Konnossement legitimierte Befrachter im Verhältnis zum Verfrachter nicht darauf berufen, daß Regelungen des Frachtvertrages (hier: Verkürzung der Frist des § 612 HGB durch Vereinbarung derAdSp) den nach § 662 HGB zwingenden Haftungsbestimmungen widersprechen; vielmehr bleibt nach § 656 Abs. 4 HGB der Frachtvertrag für die Rechtsbeziehungen von Befrachter und Verfrachter maßgebend. 

Urteil des Oberlandesgerichtes Hamburg

vom 09.12.1991

II ZR 53/91

Zum Tatbestand:

Zwischen der Norddeutschen Af AG und der Beklagten bestand ein Rahmenvertrag, nach dem letztere in Containern verladenes Natrium-Kupfer-Oxyd von Hamburg nach Felling an Tyne (England) zu einem Pau­schalpreis von 3200,- DM je Container von Haus zu Haus per Lkw und Containerschiff befördern sollte. In dem Vertrag heißt es unter anderem: „Wunschgem. erstellen wir Ihnen für jede Verladung ein Trough Bill of Lading', wo­bei jedoch vereinbarungsgem. die Haf­tungsgrenzen der ADSp nicht überschritten werden." Die Beklagte schaffte einen solchen mit Na­trium-Kupfer-Oxyd beladenen Container per Lkw von Hamburg nach Cuxhaven und ließ ihn dort auf das MS „A", ein Ro/Ro­Schiff, verladen. Der Container wurde an Deck verstaut. Auf der Überfahrt nach Eng­land ging er verloren, nach Behauptung der Beklagten, weil das Schiff unvorhergesehen in schweres Wetter geriet und die Steueran­lage ausfiel. Die Transportversicherer der Norddeutschen Af haben den Verlust auf Totalschadenbasis reguliert, die übergegan­genen Ansprüche sind an den Kläger abge­treten worden. In dem - nicht an Order ge­stellten - Konnossement erscheint die Be­klagte an der Stelle, an der üblicherweise der Verfrachter aufgeführt wird, die Nord­deutsche Af wird als Ablader („shipper") und eine Firma in England als Empfängerin genannt. Der Kläger hat - unter Berücksichtigung der sich aus § 660 HGB ergebenden Höchst­grenzen - von der Beklagten, der er eine unzulässige Verladung des Containers an Deck vorwirft, Schadensersatz in Höhe von in Deutsche Mark umzurechnenden 40080 Sonderziehungsrechten gefordert. Die Be­klagte hat unter Hinweis auf die vereinbarte Geltung der ADSp die Einrede der Verjäh­rung gegenüber der unstreitig erst mehr als acht Monate nach Kenntnis des Schadens eingereichten Klage erhoben und zu ihrer Verteidigung unter anderem geltend ge­macht, zur Stauung des Containers an Deck befugt gewesen zu sein. Das Landgericht hat der Klage stattgege­ben; das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

 „.... Das Berufungsgericht hat entgegen den Bedenken der Beklagten die Zulässig­keit der Klage bejaht, weil das vor dem Landgericht Rotterdam anhängige Haftungsbegrenzungsverfahren des Eigners des MS „A" einer Klageerhebung in Deutsch­land weder im Hinblick auf das am 1. Sep­tember 1987 für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getretene (BGBl 1987, 11407) Londoner Übereinkommen über die Beschränkung der Haftung für Seeforde­rungen von 1976 (BGBl 1986, Il 786) noch mit Rücksicht auf Art. 21 des Europäischen Gerichtsstandsübereinkommens vom 27. September 1968 entgegenstehe. Dies läßt Rechtsfehler nicht erkennen und wird von der Revision als ihr günstig auch nicht gerügt. Ebenso zutreffend hat das Berufungsgericht die Beklagte als Verfrachter im Sinne von § 606 HGB behandelt ... Das zur Schadensersatzpflicht der Verfrach­terin führende kommerzielle Verschulden im Sinne des § 606 HGB hat das Berufungs­gericht darin gesehen, daß die Beklagte den Container ohne die nach § 566 Abs. 1 HGB erforderliche Zustimmung an Deck der „A" hat verladen lassen ... . Daß die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 64 ADSp im übrigen vorliegen, die Einrede der Verjährung wegen verspäteter Klageerhebung also durchgreift, sofern die ADSp im Verhältnis zwischen den Parteien gelten, zieht auch der Kläger nicht in Zwei­fel. Seine Auffassung, § 662 HGB verbiete auch im Verhältnis zu der Beklagten die An­wendung des § 64 ADSp, ist jedoch unzu­treffend. Die achtmonatige Verjährungsfrist nach § 64 ADSp beschränkt die Verfolgung der nach den seefrachtrechtlichen Bestimmun­gen bestehenden Schadensersatzansprüche. Mit der in § 612 HGB für Ansprüche wegen des Verlustes von Gütern festgelegten Aus­schlußfrist von einem Jahr soll entsprechend Art. III § 6 Abs. 4 der Haager Regeln (Schaps/Abraham aaO Art. III zu § 663 b S. 915) dem Anspruchsberechtigten in jedem Fall eine zwölfmonatige Frist zur Verfol­gung seiner Ansprüche eröffnet werden. Hiervon weicht § 64 ADSp zuungunsten des Geschädigten ab, wobei es nicht auf die rechtstechnische Ausgestaltung als Aus­schluß- bzw. als Verjährungsfrist ankom­men kann (vgl. Schlegelberger/Liesecke, Seehandelsrecht, 1. Aufl., § 612 Rdn. 7; OLG Hamburg VersR 1979, 814, 815). § 662 HGB verbietet, die aus bestimmten Vorschriften des Gesetzes herzuleitenden Verpflichtungen des Verfrachters im voraus zu beschränken. Zu diesen Bestimmungen gehört auch § 612 HGB, so daß die Verkür­zung der seefrachtrechtlichen Rechtsverfol­gungsfrist durch § 64 ADSp von § 662 HGB grundsätzlich erfaßt wird. Diese Bestim­mung greift jedoch nur dann ein, wenn ein Konnossement „ausgestellt" ist. Mit Recht hat das Berufungsgericht dieses Erfordernis nicht im wörtlichen Sinn verstanden, son­dern sich bei der Gesetzesauslegung von dem aus dem Gesamtzusammenhang der Bestimmungen ergebenden Sinn und vor al­lem von dem mit § 662 HGB verfolgten Ziel, den Konnossementsverkehr zu schützen, leiten lassen. Die Frage, ob beim hier vorliegenden Stück­gutfrachtvertrag die zwingende Wirkung des § 662 HGB auch im Verhältnis zwischen dem Befrachter und dem Verfrachter gilt, wenn ein Konnossement ausgestellt ist, wird im Schrifttum unterschiedlich beantwortet. Schaps/Abraham (aaO § 662 Rdn. 9; anders aber § 656 Rdn. 29) will dem Stückgutbe­frachter immer die Berufung auf die nach § 662 HGB zwingenden Bestimmungen des Seefrachtrechts ermöglichen. Dagegen wird sonst im Schrifttum mit Rücksicht auf § 656 Abs. 4 HGB darauf abgestellt (vgl. Prüß­mann/Rabe aaO § 662 Anm. B 2 und § 656 Anm. D 1; Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht, 2. Aufl. S. 278; Schlegel­berger/Liesecke aa0 2. Aufl. § 662 Rdn. 16; so auch OLG Hamburg TranspR 1989, 371, 373), ob der Befrachter legitimierter Inha­ber des Konnossements ist, das im Zweifel Beweisurkunde für den Inhalt des Fracht­vertrags sein soll. Gramm (Das neue Deut­sche Seefrachtrecht nach den Haager Re­geln, 1938, S. 173) gibt dem Frachtvertrag selbst dann absoluten Vorrang, wenn der Befrachter (auch) legitimierter Konnosse­mentsinhaber ist. Der Senat folgt der dem angefochtenen Ur­teil zugrundeliegenden herrschenden Auf­fassung im Schrifttum. Wie er bereits in sei­nem Urteil vom 23. November 1978 (BGHZ 73, 4, 6f.; zustimmend Prüßmann/Rabe aaO § 656 Anm. D 1) ausgesprochen hat, stellen Konnossement und Frachtvertrag zwei völ­lig verschiedene Rechtsverhältnisse dar, das Konnossement ändert deswegen nicht die rechtlichen Beziehungen zwischen dem Verfrachter und dem Befrachter; das gilt ge­rade im vorliegenden Fall, in dem bereits in dem Rahmenvertrag zwischen Befrachter und Verfrachter die Ausstellung von Kon­nossementen für die einzelnen Beförderun­gen in Aussicht gestellt, gleichzeitig aber die Geltung der ADSp im Verhältnis der Ver­tragsparteien ausdrücklich vereinbart wor­den ist. Deswegen fehlt hier der Grund für die unter Umständen berechtigte, aber wi­derlegbare Annahme, der Frachtvertrag sei durch das Konnosssement geändert worden (vgl. Schlegelberger/Liesecke aaO 2. Aufl. § 556 Rdn. 14; Prüßmann/Rabe aaO Vor § 556 Anm. III C 1 c). Das Konnossement verbrieft allein die Verpflichtung des Ver­frachters, die zur Beförderung übernomme­nen Güter an den durch die Urkunde legiti­mierten Empfänger auszuliefern (§§ 648 Abs. 1, 653 HGB). Soweit der Befrachter zugleich legitimierter Inhaber des Konnos­sements ist, genießt er als solcher den Schutz der jedem Konnossementsinhaber zugute kommenden Bestimmungen der Haager Regeln, die den Konnossementsverkehr er­leichtern wollen (Wüstendörfer aaO S., 277). Dies rechtfertigt jedoch entgegen Ab­raham (Das Seerecht, 3. Aufl. 1969, § 1911, ders. in Schaps/Abraham aaO § 662 Rdn. 9, anders aber § 656 Rdn. 29; vgl. ferner ders. aaO, Vor § 642 Rdn. 11: „ ... nicht leicht, die Begründung dafür im Gesetz zu finden") nicht, den Befrachter auch in allen anderen Fällen in den Genuß der zwingenden Min­desthaftung gemäß § 662 HGB kommen zu lassen. Seine Auffassung, zu anderen Be­dingungen als zu den Haager Regeln im Sin­ne von Mindeststandards komme mangels übereinstimmender Willenserklärungen ein Vertrag überhaupt nicht zustande, beruht auf einer unzulässigen Fiktion, weil sie sich über den Willen des Verfrachters hinweg­setzt, der in dem Frachtvertrag - wie im vorliegenden Fall durch individuelle Ver­einbarung geschehen - günstigere Haf­tungsregeln durchsetzt, als sie im Verhältnis zum konnossementsmäßigen Empfänger der Güter mit Rücksicht auf § 662 HGB wirksam vereinbart werden können. Schließlich könnte auf der Grundlage dieser Frachtvertrag und Konnossement entgegen § 656 Abs. 4 HGB nicht voneinander schei­denden Ansicht die auch von Schaps/Abra­ham (aaO § 656 Rdn. 29 m.w.N.) gebilligte Rechtsprechung nicht aufrechterhalten wer­den, welche im Verhältnis zwischen Ver­frachter und Befrachter Verschärfungen oder Erleichterungen des Konnossements gegenüber dem Frachtvertrag unbeachtet läßt. Die rechtssystematische Argumentation kann der Revision ebenfalls nicht zum Er­folg verhelfen. Abgesehen davon, daß auch beim Raumfrachtvertrag für das Verhältnis von Verfrachter und Befrachter § 656 Abs. 4 HGB gilt, nötigt § 663a HGB nicht zu dem von der Revision gezogenen Umkehr­schluß. Daß beim Raumfrachtvertrag § 662 HGB erst dann gilt, wenn das Konnosse­ment an einen Dritten gegeben worden ist, erklärt sich aus der Übernahme der Haager Regeln, die an sich für den Raumfrachtver­trag nicht gelten sollen (vgl. Art. V Abs. 2 Satz 1), eine Ausnahme mit Rücksicht auf den von ihnen verfolgten Schutz des Kon­nossementsverkehrs aber dann machen, wenn sie solches Wertpapier in den Verkehr gebracht worden ist. Auch der Hinweis auf § 901 Nr. 4 HGB geht fehl. Anders als die Revision meint, ist der Bestimmung nicht zu entnehmen, daß im Seefrachtrecht stets, auch wenn es nicht um konnossementsmäßige Haftung geht, eine nicht abkürzbare Frist von einem Jahr für die Verfolgung der Ansprüche des Ver­frachters gilt. Vielmehr soll durch die Vor­schrift lediglich der Vorrang der Ausschluß­frist nach § 612 HGB vor den Verjährungs­regeln zum Ausdruck gebracht werden (vgl. Prüßmann/Rabe aaO § 901 Anm. B 2; Wü­stendörfer aaO S. 293; Schlegelberger in Schlegelberger/Liesecke aaO § 902 Rdn. 2 und Liesecke aaO § 612 Rdn. 5 f.). Ferner hätte es nicht der Aufnahme des § 612 HGB in den Katalog der bei der konnossements­mäßigen Haftung zwingenden Vorschriften in § 662 HGB bedurft, wenn die Frist des §612 HGB eine unabkürzbare Mindestfrist wäre, wie die Revision für richtig hält. Könnte nach alledem der Kläger sich nur dann auf die zwingende Bestimmung des § 662 HGB berufen, wenn seine Rechtsvor­gängerin, die Norddeutsche Af legitimierte Inhaberin des Konnossements gewesen wä­re, greift die Einrede der auf § 64 ADSp ge­stützten Verjährung durch. Das Berufungs­gericht hat nämlich unangegriffen und rechtsfehlerfrei festgestellt, daß im vorlie­genden Fall lediglich ein Rektakonnosse­ment ausgestellt worden ist, nach welchem der berechtigte Inhaber des Dokuments der englische Empfänger der Güter, nicht aber die Norddeutsche Af ist."


Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1992- Nr.20 (Sammlung Seite 1392 ff.); ZfB 1992, 1392 ff.